Diabetes & Migration: Bessere Versorgung mit Diversity Management?

Kinder mit Diabetes haben in Deutschland bzgl. ihrer Versorgung und Stoffwechseleinstellung schlechtere Karten, wenn sie einen Migrationshintergrund haben. Doch Migrant ist nicht gleich Migrant, wie auf dem Diabeteskongress 2016 in Berlin thematisiert wurde. Es gilt daher, die bisherigen Versorgungsstrukturen anzupassen. Migration hat sich in Deutschland über die Jahrzehnte verändert. Während nach 1945 vor allem Flüchtlinge, Heimvertriebene sowie Spätaussiedler aus Polen, Rumänien und der ehemaligen Sowjetunion zu uns kamen, waren es nach 1950 zu Zeiten des Wirtschaftswunders Gastarbeiter aus Südeuropa und später aus der Türkei. Heute kommen aufgrund der Flüchtlingswelle viele Menschen aus Syrien, dem Irak, Iran und Afghanistan zu uns, berichtete Dr. Nicole Prinz vom Zentralinstitut für Biomedizinische Technik an der Universität Ulm auf dem Kongress der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) 2016 in Berlin. Migration verändert sich Der Migrationsstatus wirkt sich auf die Versorgung von Kindern mit Diabetes aus. Generell sei die Therapieeinstellung bei Migranten schlechter, so Prinz. Doch sei das Ergebnis abhängig von Migrationsstatus, Sozialstatus und Herkunftsland. Deutlich wird diese Heterogenität an Auswertungen des DPV-Registers (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation), in welchem demografische und klinische Daten von aktuell 454.572 Diabetespatienten dokumentiert sind. Schlechtere Diabeteseinstellung von türkischstämmigen Kindern So ergab eine Analyse der Arbeitsgruppe um Prinz (Scheuing N et al. Plos One 2015) mit 27.643 Kindern und Jugendlichen (≤20 Jahre), dass Kinder, deren Väter oder Mütter aus der Türkei stammen, einen signifikant höheren Body Mass-Index Standard Deviation Score (BMI-SDS) und HbA1c aufweisen als Kinder ohne Migrationshintergrund (0,58 vs. 0,31 bzw. 69,7 vs. 66,6 mmol/mol). Ebenfalls einen geringfügig höheren BMI wiesen Kinder mit Eltern aus Süd- oder Osteuropa auf (0,40 und 0,37); deren HbA1c-Werte hingegen unterschieden sich nicht wesentlich. Eine Insulinpumpentherapie wiederum wird allen Kindern mit Migrationshintergrund¬ – egal aus welchem Herkunftsland – signifikant seltener zuteil (bei 26,8%, 27,9% bzw. 32,6% der Kinder aus der Türkei, Süd- bzw. Osteuropa vs. bei 37,9% der einheimischen Kinder). Was akute Komplikationen wie Hypoglykämien und diabetische Ketoazidosen betrifft, ergibt sich ein uneinheitliches Bild: Hypoglykämien traten bei Kindern mit Migrationshintergrund nicht wesentlich häufiger auf, mit Ausnahme von Kindern aus Osteuropa; diabetische Ketoazidosen hingegen kamen bei Kindern mit Müttern aus der Türkei oder Südeuropa häufiger vor. Kinder aus der Türkei seien zudem häufiger stationär oder ambulant vorstellig geworden, berichtete Prinz. Im Schnitt habe ein Patient aus der Türkei vier Kontakte pro Jahr mehr im Vergleich zu Patienten ohne Migrationshintergrund. Aktuelle Analyse berücksichtigt Zuzug aus arabischen Ländern Mittlerweile hat sich die Versorgung von Kindern mit Diabetes aufgrund des großen Zuzugs arabischstämmiger Migranten erneut verändert, wie die neueste Auswertung mit 37.415 Diabetikern des DPV-Registers belegt (Hahn E, Konrad K et al. in Vorbereitung). Demnach weisen Kinder und Jugendliche aus Syrien, Irak, Iran und Afghanistan (≤21 Jahre) einen signifikant höheren HbA1c-Wert auf als Kinder ohne Migrationshintergrund, sie haben weniger ambulante Kontakte und bekommen seltener eine Insulinpumpentherapie. Warum sind Migranten schlechter versorgt? Die Ursachen für die generell schlechtere Diabeteseinstellung von Kindern mit Migrationshintergrund sind nach Ansicht von Prinz vielfältig. Barrieren innerhalb des Deutschen Gesundheitssystems könnten für Migranten schwerer zu überwinden sein als für Nicht-Migranten, etwa Sprach- und Verständnisprobleme. „Sehr häufig fehlen auch migrationssensible Schulungs- und Therapieangebote, gerade für aktuell ankommende Flüchtlinge“, so Prinz. Nicht außer Acht lassen sollte man die unterschiedlichen religiösen, sozialen und kulturellen Hintergründe, die ein anderes Krankheitsverständnis der Menschen mit sich bringen, sowie andere Lebens- und Essgewohnheiten. Eine Herausforderung in der Diabetestherapie stelle etwa der gerade bei türkischstämmigen Migranten hohe Energie- und Kohlenhydrat-Anteil in der Nahrung dar, machte Prinz aufmerksam. Sozioökonomischer Status bedeutsam Eine wichtige Rolle spielt zudem der sozioökonomische Status von Migranten, also deren berufliche Qualifikation, Einkommen und Schulbildung. So wiesen in einer Subgruppenanalyse des DPV-Registers Kinder und Jugendliche mit niedrigeren und mittleren Sozialstatus nach Winkler einen signifikant schlechteren HbA1c auf als Kinder, deren Eltern einer hohen Schicht angehören. „Man kann also nicht sagen, dass alle Kinder mit Migrationshintergrund eine andere Therapie bekommen und schlechtere Therapieergebnisse erzielen“, schlussfolgerte Prinz. „Migrant ist also nicht gleich Migrant.“ Es gebe nicht wenige Migranten, die einen hohen Sozialstatus haben. Versorgungsstrukturen anpassen Auch der Diabetologe Prof. Jochen Seufert aus Freiburg ist der Ansicht, dass man die Versorgung von Migranten „nicht über einen Kamm scheren sollte“. Es gebe einen substanziell hohen Anteil an Migranten, die gut versorgt seien, sagte er in der anschließenden Diskussion. Immer wichtiger könnte dabei die Ethnizität der Patienten werden. „Afrikaner etwa haben hinsichtlich des Typ-2-Diabetes einen völlig anderen ethnischen Hintergrund als Araber“, so Seufert. Dies müsse man in der Zukunft besser differenzieren. „Zudem ist fraglich, ob wir in zehn Jahren noch das Konzept des ‚Migrationshintergrundes‘ haben werden“, diskutierte Prinz. Bisherige Versorgungsstrukturen müssten deshalb überdacht und im Sinne eines Diversity Managements verändert werden.

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