Einsichtsfähige Minderjährige gelten als mündige Patienten

Das Selbstbestimmungsrecht gilt auch für medizinische Eingriffe bei Minderjährigen: Wenn sie einwilligungsfähig sind, bleiben die Eltern außen vor. Ein Kriterienkatalog hilft, die Einsichtsfähigkeit im Einzelfall zu beurteilen. Bei der Behandlung von Erwachsenen wie Kindern sei grundsätzlich der „rechtsdogmatische Dreiklang“ zu berücksichtigen, sagte Dr. Albrecht Wienke, Rechtsanwalt in Köln: Demnach stellt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer Körperverletzung dar, die Einwilligung des Patienten legalisiert den Eingriff und eine umfassende Aufklärung ist Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung. Dies wurde im Patientenrechtsgesetz vom Februar 2013 bekräftigt. Auch Minderjährige haben ein grundrechtlich verbürgtes medizinisches Selbstbestimmungsrecht. Dessen Ausübung erfordert jedoch eine Grundrechtsmündigkeit. Kinder werden daher üblicherweise durch die Eltern vertreten. Mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes reduziert sich allerdings das Elternrecht, bis es mit Eintritt der Volljährigkeit gänzlich aufgehoben wird. Einwilligungsfähigkeit muss im Einzelfall geprüft werden Ob Minderjährige einwilligungsfähig sind, ist in Deutschland jedoch nicht gesetzlich durch klare Altersgrenzen geregelt, auch nicht im neuen Patientenrechtsgesetz. Daher muss der behandelnde Arzt die Einsichtsfähigkeit im Einzelfall prüfen und sollte dies sorgfältig dokumentieren, betonte Wienke. Das Alter des Patienten sei dabei nur eine Richtschnur. Heranwachsende unter 14 Jahren gelten in der Regel nicht als einwilligungsfähig, kurz vor dem 18. Geburtstag aber meist als einwilligungsfähig. Art, Umfang und Gefährlichkeit des Eingriffs spielen für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ebenso eine Rolle wie die psychische Konstitution des Minderjährigen oder die kulturellen Traditionen in seiner Herkunftsfamilie. Wichtige Anhaltspunkte sind die Fähigkeit des Patienten, dem Aufklärungsgespräch zu folgen, Fragen zu stellen, das Für und Wider abzuwägen sowie die eigene Situation zu erfassen und sich dazu zu äußern. Die Dringlichkeit des Eingriffs oder die Erreichbarkeit der Eltern sind dagegen keine Entscheidungskriterien, ebenso wenig wie eine „objektive“ Vernünftigkeit, sagte Wienke. Liegt Einsichtsfähigkeit vor, kann und muss der Minderjährige selbst in die Behandlung einwilligen. Die Aufklärung richtet sich dann allein an den Patienten. Das Personensorgerecht der Eltern tritt vollständig hinter die Einwilligungsmündigkeit des Minderjährigen zurück. Der Arzt hat weder die Verpflichtung noch die Berechtigung, die Eltern in das Behandlungsgeschehen einzubinden, sondern unterliegt der Schweigepflicht. Bei Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen ist die Einwilligung der Eltern oder Sorgeberechtigten einzuholen. Bei kleineren Eingriffen genüge die Zustimmung eines Elternteils, so Wienke. Wird ein dringend gebotener ärztlicher Eingriff verweigert, liegt ein Missbrauch des elterlichen Sorgerechts vor und das Familiengericht ist anzurufen. Jeder Eingriff muss medizinisch indiziert sein Ein besonderer Fall sind Schönheitsoperationen, sagte Wienke. Dazu zählt im HNO-Bereich vor allem eine Otopexie, wenn keine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt. Solche kosmetischen Eingriffe in die Körperintegrität eines Kindes sind nicht durch den Wunsch der Eltern zu rechtfertigen. Vielmehr muss eine medizinische Indikation vorliegen und dokumentiert sein. Dies kann auch eine psychiatrische Indikation sein. Bei psychischen oder psychiatrischen Beeinträchtigungen infolge der abstehenden Ohren muss der behandelnde Arzt die Eltern bzw. den einwilligungsfähigen Minderjährigen darauf hinweisen, dass vorrangig eine psychiatrische oder psychotherapeutische Intervention angezeigt ist. Wenn psychotherapeutische oder psychiatrische Maßnahmen nicht fruchten bzw. keinen oder einen geringeren therapeutischen Nutzen als eine Otopexie versprechen, kann der operative Eingriff nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung durchgeführt werden. Alle entscheidungsrelevanten Aspekte sollten sorgfältig dokumentiert werden, empfahl Wienke. Weitere Beiträge von der 85. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie finden Sie im Kongressdossier.

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