Die Maßnahmen
Insgesamt existieren 4 therapeutische und eine sichernde Maßnahmen: 1) die stationäre Behandlung von schweren psychischen Störungen nach Art. 59 CH-StGB, 2) die stationäre Suchtbehandlung nach Art. 60 CH-StGB, 3) die Maßnahme für junge Erwachsene nach Art. 61 CH-StGB, 4) die ambulante Behandlung von psychischen Störungen und Suchtkrankheiten nach Art. 63 CH-StGB und 5) die ordentliche oder lebenslängliche Verwahrung (Art. 64 CH-StGB).
Der Art. 59 entspricht in Deutschland etwa der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nach § 63 D‑StGB, wobei in Deutschland dafür eine eingeschränkte oder aufgehobene Schuldfähigkeit vorausgesetzt wird, was in der Schweiz nicht der Fall ist. Maßnahmen nach Art. 59 StGB können sowohl in Maßnahmezentren (vgl. unten), forensischen Kliniken oder Wohneinrichtungen im Sinne von Wohn- und Arbeitsexternaten, aber auch in spezialisierten Abteilungen von Gefängnissen durchgeführt werden. Eine individuelle Anpassung an die kriminologischen und psychiatrischen Bedürfnisse ist also möglich. Sie dauern max. 5 Jahre, können aber wiederholt um weitere 5 Jahre verlängert werden, wenn die Bedingungen für eine Freilassung noch nicht erfüllt sind.
Steht bei Straftäterinnen oder Straftätern eine Störung durch psychotrope Substanzen im Vordergrund, kann nach Art. 60 CH-StGB eine 3‑jährige stationäre Suchtbehandlung angeordnet werden, die nur um ein Jahr verlängert werden kann. Allerdings gibt es in der Schweiz keine mit den deutschen Entzugskliniken nach § 64 D‑StGB vergleichbaren Einrichtungen. Suchtmaßnahmen werden eher in offen geführten allgemeinpsychiatrischen Institutionen oder spezialisierten Wohneinrichtungen durchgeführt (Höfer et al.
2020) – oder von vorneherein vollzugsbegleitend oder ambulant vollzogen, dann unter dem Art. 63 CH-StGB.
Ein Beispiel für Einrichtungen, in denen sowohl 59er-, 60er- und 63er-Maßnahmen vollzogen werden können, stellt das offene Maßnahmenzentrum St. Johannsen dar. Es wird vom Amt für Justizvollzug des Kantons Bern betrieben und dient der Behandlung von psychisch belasteten oder suchtkranken Straftätern im Rahmen von Maßnahmen nach Artikel 59 (stationäre Behandlung von psychischen Störungen), Artikel 60 (stationäre Suchtbehandlung), Art. 63 (Freiheitsstrafen mit vollzugsbegleitender ambulanter Behandlung) und in Ausnahmefällen auch Art. 64 (Verwahrung) CH-StGB. Auch der vorzeitige Maßnahmevollzug nach Art. 236 der schweizerischen Strafprozessordnung ist möglich. Methodisch bietet St. Johannsen ein psycho-, sozialtherapeutisches und arbeitsagogisches Behandlungsumfeld auf der Basis eines stufenweisen, individuellen Vollzugs- und Behandlungsplan mit angemessen und legalprognostisch vertretbaren Übungsfeldern zur gesellschaftlichen Integration.
Der Kanton St. Gallen betreibt das Maßnahmenzentrum Bitzi (MZB), wo ebenfalls strafrechtliche Maßnahmen von Straftätern mit einer psychischen Störung und/oder einer Suchterkrankung vollzogen werden. Das MZB verfügt für 55 Insassen über eine geschlossene Betreuungsabteilung mit zwei Gruppen, eine offene Betreuungsabteilung mit drei Gruppen und eine Außenwohngruppe. Auch hier kommt ein individuell geplanter milieutherapeutischer und forensischer Ansatz zur Umsetzung.
Für junge Gewaltstraftäterinnen und Täter kommt in der Schweiz die Maßnahme für junge Erwachsene nach Art 61 CH-StGB infrage. Die Hoffnung ist hier, dass sich antisoziale Verhaltensweisen und ihre Persönlichkeit(sstörungen) noch nicht verhärtet haben (Manzoni et al.
2018). Bei dieser Maßnahme stehen – angesichts der Unreife der Persönlichkeit jugendlicher Straftäterinnen und Straftäter – pädagogische Strategien und die berufliche Förderung im Vordergrund (Meister et al.
2010). 61er-Maßnahmen werden getrennt von den übrigen Anstalten in speziellen Einrichtungen für junge Erwachsene durchgeführt. Die jugendlichen oder adoleszenten Täter müssen bei der Begehung des Anlassdelikts zwischen 18 und 25 Jahren alt gewesen sein, ihre Tat(en) muss/müssen mit einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang stehen. Die 61er-Maßnahme ist auf 4 Jahre angelegt, und es besteht nicht die Möglichkeit einer Verlängerung. Neben dem übergeordneten Ziel der Nachreifung der Persönlichkeit wird an Themen wie der Förderung der Motivation für eine konstruktive Mitgestaltung einer deliktfreien Zukunft, einer Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen eigenen Therapie- und Lebenszielen und den juristisch angeordneten Behandlungszielen gearbeitet. Die beruflichen Fähigkeiten werden durch Aus- und Weiterbildung gefördert, das Rückfallrisiko durch sozialpädagogische und therapeutische Hilfe vermindert, es handelt sich also um eine sonderpädagogisch-therapeutische Maßnahmeform, die vom Erziehungsgedanken des Kinder- und Jugendstrafrechts geprägt ist (BGE 118 IV 351, E.ee). Entsprechend werden diese Institutionen geführt (Zahradnik und Humm
2016). Im Kanton Zürich befindet sich z. B. das Maßnahmezentrum Uitikon (MZU) für straffällige männliche Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 25 Jahren mit 64 Vollzugsplätzen, davon 30 im geschlossenen und 34 im offenen Vollzug. Unter dem Konzept der „Risikoorientierten Täterarbeit (ROTA)“ wird durch eine Verminderung der Rückfallwahrscheinlichkeit und eine möglichst effiziente Deliktprävention ein effektiver Opferschutz angestrebt. Die eingewiesenen jungen Straffälligen sollen nach dem stationären Aufenthalt in der Lage sein, möglichst selbstständig und legal zu leben und für ihre Lebensgestaltung in jeder Beziehung Verantwortung zu übernehmen, daher besteht auch die Möglichkeit einer qualifizierten Berufsausbildung.
Ähnlich konzipiert ist Maßnahmenzentrum für junge Erwachsene Arxhof (MZjE Arxhof) für 46 junge Straffällige aus der Nordwest- und Innerschweiz. Das MZjE Arxhof arbeitet mit delikt- und risikoorientierten Psychotherapiekonzepten in einem sozialtherapeutischen Milieu. Alle Eingewiesenen durchlaufen eine Ausbildung in den Berufen Berufsfachmann Unterhalt, Forstwart, Koch, Landschaftsgärtner, Maler, Metallbau oder Schreiner. Allerdings gibt es aktuell keine geeigneten Einrichtungen für junge erwachsene Frauen in der Schweiz. Maßnahmen für deutschschweizerische junge Frauen werden einzig in der JVA Hindelbank in einem geschlossenen (inkl. Hochsicherheit) und einem offenen Bereich vollzogen. Ähnlich den Maßnahmezentren für junge männliche Erwachsene wird ein Wohngruppenvollzug mit integrierter Sozialarbeit und Bezugspersonensystem praktiziert.
Neben den aufgezeigten stationären Sanktionsformen gibt es im Schweizer Sanktionenrecht außerdem die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung von Personen mit schweren psychischen Störungen oder Abhängigkeitserkrankungen im Rahmen des Art. 63 CH-StGB. Diese Maßnahme spielt quantitativ eine bedeutende Rolle. Im Jahr 2019 lag der Bestand von ambulanten Behandlungen im Kanton Zürich (repräsentiert ca. einen Fünftel der Schweizer Bevölkerung) bei 275 Fällen. Die Behandlung im Rahmen der ambulanten Maßnahme kann – begrifflich auf den ersten Blick etwas verwirrend – nicht nur sprichwörtlich ambulant, sondern auch
vollzugsbegleitend (d. h. während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe) erfolgen. In diesem Fall ist nicht die zu behandelnde Person das ambulante Element (Besuch der Therapiepraxis in Freiheit), sondern es sind die Behandelnden, indem sie die Inhaftierten in der Vollzugsinstitution aufsuchen (Mokros und Habermeyer
2012).
Das Gericht kann aber auch auf eine haftbegleitende Durchführung verzichten und den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben. Es kann dann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und flankierende Auflagen, wie regelmäßige Abstinenz- oder Medikamentenspiegelkontrollen, erteilen. Hier ist die verurteilte Person das ambulante Element. Für Straftäterinnen und Straftäter mit Störungen durch psychotrope Substanzen stellt das eine sinnvolle Behandlungsalternative zum geschlossen Maßregelvollzug, wie es im Rahmen des § 64 in Deutschland erfolgt, dar (Höfer et al.
2019). Ob die Maßnahme mit Strafaufschub oder während des Vollzugs der Freiheitsstrafe vollzogen wird, hängt von der Strafhöhe, dem Rückfallrisiko und der Behandlungsprognose ab (Urwyler
2018).
Wenn eine 63er-Maßnahme haftbegleitend durchgeführt wird, beinhaltet das Behandlungskonzept zumeist Interventionen, die Einzeltherapie, Gruppentherapie, Milieutherapie und therapeutische Ausgänge bis hin zu Arbeitsexternat umfassen.
Die zuständige Behörde kann außerdem verfügen, dass die verurteilte Person zu Beginn der eigentlich ambulanten Maßnahme für maximal 2 Monate stationär behandelt wird (sog. stationäre Einleitung), wenn dies zur Erleichterung der ambulanten Behandlung geboten ist (z. B. medikamentöse Einstellung oder Entzugsbehandlung).
Die Ausgestaltung einer ambulanten Maßnahme nach Art. 63 CH-StGB kann also je nach Durchführung unterschiedlicher kaum sein: Wird sie nicht haftbegleitend vollzogen, leben die Verurteilten zu Hause oder in höher oder niedrigschwellig betreuten Wohneinrichtungen, gehen einer Arbeit im ersten Arbeitsmarkt oder eine anderen Tagesstruktur nach und kommen einmal in der Woche zu einem ambulanten Therapiegespräch in ein forensisches oder allgemeinpsychiatrisches Ambulatorium. Unter dem gleichen Rechtstitel kann aber auch eine Behandlung in einem hochstrukturierten Setting erfolgen, wie z. B. in der „Forensisch-Psychiatrischen Abteilung“ (FPA) der Pöschwies. In dieser Spezialabteilung der JVA Pöschwies in Regensdorf stehen 24 Plätze zur Behandlung von Männern mit Persönlichkeitsstörung, die Sexual- oder Gewaltstraftaten begangen haben, zur Verfügung. Der Alltag dort ist vom Aufstehen bis zum Zubettgehen strukturiert und therapeutisch begleitet.
Platzierung und Durchlässigkeit
Die Platzierung der zu einer Maßnahme verurteilten Personen wird von den die Maßnahme führenden Bewährungs- und Vollzugsdiensten organisiert. Personen mit Persönlichkeitsstörungen werden in Maßnahmezentren behandelt, wie in den beiden, die oben beispielhaft beschrieben wurden. Personen, die eine schwere psychische Störung im Sinne einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis aufweisen, werden eher in forensischen Kliniken, wie z. B. dem Zentrum für stationäre Forensische Therapien der Klinik für Forensische Psychiatrie Zürich (ZSFT), behandelt. Diese (wenigen) Kliniken werden in der Regel von den kantonalen Gesundheitsdepartementen betrieben. Sie sind ärztlich geleitete Institutionen mit einem therapeutischen Milieu. Das ZSFT verfügt als größte forensische Klinik der Schweiz über 27 Plätze im Sicherheitsbereich sowie 2 geschlossene Stationen mit erhöhter Betreuungsintensität, 2 geschlossene Stationen mit milieutherapeutischem Schwerpunkt und eine offene Maßnahmestation, die der Entlassungsvorbereitung dient.
Wenn sich Straftäterinnen und Straftäter mit schweren psychischen Störungen in Justizvollzugsanstalten befinden, dann überwiegend im Status der Untersuchungshaft, wobei hier häufig von der verfahrensführenden Behörde ein vorzeitiger Maßnahmeantritt initiiert wird, also die Verlegung in eine forensische Klinik vor Abschluss des Gerichtsverfahrens.
Insgesamt ist das Schweizer System also recht differenziert und bietet unterschiedliche Behandlungsszenarien an. Maßnahmen können in Allgemeinpsychiatrischen oder forensischen Kliniken, Maßnahmezentren, Wohneinrichtungen und vollzugsbegleitend durchgeführt werden. Junge psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter können getrennt von den Erwachsenen behandelt werden. Außerdem ist das Sanktionensystem relativ durchlässig: So kann bei Personen, die zunächst zu einer Freiheitsstrafe und einer ambulanten Maßnahme während des Vollzugs verurteilt wurden, nachträglich eine stationäre Maßnahme angeordnet (BGer 6B_135/2012) oder diese verwahrt werden (BGE 6B_1076/2021).
Herausforderungen
Neben den Vorzügen, die das Schweizer Sanktionensystem bietet, ergeben sich allerdings auch Herausforderungen durch die Diversität von Sprache und Mentalität, Unterteilung der Kantone und verschiedene Vollzugskonkordate. Dies trug bis 1980 zu einem geringen Interesse an forensischer Psychiatrie und einer fehlenden Zertifizierung forensische Experten bei. High-Profile-Fälle, wie der Mord an Pasquale Brumann im Jahre 1993 sowie andere schwere Straftaten durch mehrfach vorverurteilte Täter führten in den 80er- und 90er-Jahren zu Novellierungen. Die Notwendigkeit von Qualitätsverbesserung der forensischen Gutachten, von amtlichen und strafrechtlichen Abläufen und der Ausgestaltung von Maßnahmen und Therapien wurde erkannt. Unter anderem wurden Fachkommissionen gegründet, in denen ein interdisziplinäres Team unabhängiger Experten Fälle von schwerer Gewalt bewertet, die Gemeingefährlichkeit von Täterinnen und Tätern beurteilt und Empfehlungen hinsichtlich Lockerungen oder Entlassungen ausspricht, die als Empfehlung für das Gericht dienen (Sachs et al.
2014).
Außerdem wurde 2006 die Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie (SGFP) gegründet, die sich der Förderung eines professionellen Austauschs und der Entwicklung von forensischen Qualitätsstandards verschrieben hat. Inzwischen existiert ein Forensik-Curriculum mit einer Zertifizierung zum Forensischen Psychiater SGFP, der seit 2014 von der Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH) Schwerpunkt „Forensische Psychiatrie und Psychotherapie“ abgelöst wurde.
Eine Revision des schweizerischen StGB von 2007 brachte neue Probleme mit sich. Im Art. 19 CH-StGB heißt es: „War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe.“
Damit fehlt etwas Entscheidendes im Gesetzestext, und zwar das ursprünglich ins Auge gefasste Eingangsmerkmal der „schweren psychischen Störung“. Aufgrund des hohen Sicherheitsbedürfnisses entstand eine Tendenz, das Konzept von psychischen Störungen zu erweitern. Inzwischen ist es zu einer Verlagerung in Richtung der Zuschreibung von Gefährlichkeit gekommen, indem jedes als gefährlich eingestufte Verhalten pathologisiert werden kann (Habermeyer et al. 2019), während die Therapiemöglichkeiten und Effektivität von Behandlungen überschätzt werden. Denn Gefährlichkeit ist mit psychotherapeutischen Methoden nur angehbar, soweit sie tatsächlich auf einer psychischen Störung beruht und nicht auf einem kriminellen Selbstkonzept.
Die Gesetzesänderung führte zu einem deutlichen Anstieg der Verurteilungen zu stationären Maßnahmen nach Art. 59 und zu einer Abnahme von Verurteilungen zu Verwahrungen (in den 5 Jahren vor der Revision wurden 87 Verwahrungen
1 verfügt, nach der Revision 23 (2007–2011)). Außerdem ist die Anordnung von Maßnahmen für junge Erwachsene und von stationären Suchtmaßnahmen rückläufig (Tab.
2). Die Ursachen dieser Entwicklung sind unklar.
Tab. 2
Entwicklung der Sanktionen, 2007–2019
2007 | 6 | 62 | 68 | 39 |
2010 | 8 | 88 | 48 | 25 |
2013 | 3 | 86 | 51 | 33 |
2016 | 3 | 86 | 53 | 19 |
2019 | 1 | 59 | 27 | 11 |
Insgesamt machen Maßnahmen ohnehin nur einen kleinen Teil der angeordneten Sanktionen aus. Der Anteil an Personen, die neben einer Maßnahme zusätzlich eine Freiheitsstrafe erhalten, ist hoch (Tab.
3).
Tab. 3
Verurteilungen mit Hauptsanktionen, 2021 und 2022
Total | 99.840 | 103.156 |
Freiheitsstrafe | 14.332 | 14.523 |
Unbedingt | 7516 | 7254 |
Teilbedingt | 788 | 671 |
Bedingt | 6028 | 6598 |
Nur Maßnahme | 81 | 74 |
Total Urteile mit Maßnahme | 493 | 485 |
Verwahrung | 5 | 2 |
Stationäre Maßnahme | 209 | 239 |
Ambulante Maßnahme | 291 | 248 |
Der Anstieg der 59er-Maßnahmen ist mit einer erheblichen Zunahme der Sanktionskosten verbunden, zwischen 2007 und 2011 von 44 auf 93 Mio. CHF/Jahr. Dem gegenüber steht an Mangel an Therapieplätzen: Nur die Hälfte der Personen mit einer stationären therapeutischen Maßnahme kann in einer geeigneten Einrichtung betreut werden; die andere Hälfte ist in Strafanstalten oder anderen Institutionen platziert, wo keine adäquate Begleitung oder Behandlung möglich ist.
Das Schweizer Modell des ambulanten Behandlungsansatzes im Rahmen der Maßnahme nach Art. 63 StGB stellt für die Gruppe mäßig gefährlicher psychisch kranker Personen und für Personen mit Störungen durch psychotrope Substanzen häufig eine zweckdienliche, kostengünstigere und passgenauere Behandlungsform dar als eine stationäre Behandlung. Dennoch ist in der Schweiz aufgrund des Mangels geschlossen geführter Institutionen für stationäre Suchtmaßnahmen nach Art. 60 CH-StGB eine Unterversorgung von schwerstabhängigen Straftäterinnen und Straftätern zu beklagen, für die eine ausschließlich ambulante Behandlung oder ein offen geführtes Maßnahmezentrum zu kurz greifen. Viele renommierte Suchtfachkliniken in der Schweiz wiederum lehnen die Durchführung angeordneter Behandlungen im Rahmen des Art. 60 CH-StGB ab.
Im wesentlichen Unterschied zu den deutschen Maßregeln kann eine Schweizer Maßnahme auch gegenüber voll schuldfähigen Täterinnen und Tätern angeordnet werden, wenn eine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund von Gefährlichkeit gesehen wird. Darüber hinaus hat sich die Erwartung an die Forensische Psychiatrie erhöht, und neben der Risikominimierung wird zunehmend eine Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme verlangt. Es besteht die Gefahr, zu einem Fachgebiet mit diffusen – weniger medizinischen als vielmehr sicherheitspolitischen – Aufgaben der Gefahrenabwehr zu werden. Krankheit und Schuldfähigkeit verlieren an Relevanz, es kommt zu einer Rollendiffusion mit der Entwicklung der forensischen Psychiatrie hin zu einer juristischen Disziplin.
Eine Rückbesinnung auf die Ursprünge der forensischen Psychiatrie als ein medizinisches Fachgebiet ist geboten, in der die forensische Psychiatrie juristische Behörden berät und unterstützt, sich als Gehilfe, aber nicht Erfüllungsgehilfe anbietet. Dabei ist eine Bindung an definierte und quantifizierbare Krankheitsbegriffe angezeigt, um vor gesellschaftlicher bzw. politischer Instrumentalisierung geschützt zu sein.