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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 15.07.2023

Perioperatives Management: Anästhesie für endoprothetische Operationen des Hüftgelenkes

Verfasst von: Jörg Winckelmann
Wie für den Großteil chirurgischer Eingriffe stehen für die Implantation einer Hüft-TEP sowohl allgemein- als auch regionalanästhesiologische Techniken zur Verfügung. Im Falle der Hüftendoprothetik reicht diese Verteilung von prinzipiell 100 % Allgemeinanästhesie bis zu 100 % Regionalanästhesie bei Anwendung einer Spinalanästhesie. Zwischen diesen beiden Polen existieren mannigfaltige Kombinationen aus beiden oben genannten Anästhesieformen mit unterschiedlichen Gewichtungen. In der jüngeren Vergangenheit, mit dem Aufkommen der Fast-Track- oder Enhanced-Recovery-Programme im Rahmen der Hüftendoprothetik, stehen auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Anästhesieführung unter Beobachtung ob, und wenn ja, in welcher Richtung sie das OP-Ergebnis – und unter Umständen auch OP-Erlebnis – beeinflussen können.
In der Folge sollen die gängigen Anästhesietechniken und deren Kombinationen vorgestellt werden. Die Bewertung der Verfahren im Zusammenhang mit der Implantation einer Hüft-TEP ist Gegenstand zahlreicher, durchaus kontroverser klinischen Untersuchungen.

Allgemeinanästhesie

Die Komponenten einer Allgemeinanästhesie bestehen im Wesentlichen aus:
Eine Allgemeinanästhesie lässt sich als sog. balancierte Anästhesie ausführen, bei der die oben genannten Substanzen in unterschiedlicher Ausprägung zum Einsatz kommen oder als sog. total intravenöse Anästhesie (TIVA), bei der auf die Verwendung von Narkosegasen verzichtet wird.
Bis zum heutigen Tag ist die Pharmakodynamik der Narkosegase nicht abschließend geklärt.
Verfahrensimmanent bedingt eine Allgemeinanästhesie nahezu immer eine Sicherung der Atemwege mittels eines Endotrachealtubus oder einer Larynxmaske. Sie ermöglicht eine bedarfs- und situationsadaptierte Variation der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration bis zu – im Extremfall – 100 %.

Regionalanästhesie

Regionalanästhesie spart Opioid!

Begriffsbestimmung sowie Pharmakodynamik/Pharmakokinetik der Lokalanästhetika

Regionalanästhesie bedeutet letztlich die Verabreichung von Lokalanästhetika in die unmittelbare Umgebung nervaler Strukturen. Dies führt zu einer temporären bidirektionalen Unterbrechung der Reizweiterleitung durch Blockade von schnellen Na+-Kanälen. Daraus resultiert – in unterschiedlicher Ausprägung – eine senso-motorische Blockade. Im Gegensatz zu der relativ uniformen Pharmakodynamik der hierbei verwendeten Substanzen (Lokalanästhetika vom Amid-Typ), unterscheiden sich diese in ihrem pharmakokinetischen Profil (Plasmaproteinbindung, Lipophilie, pKa-Wert usw.), was sich im klinischen Alltag im Sinne unterschiedlicher Wirkdauern nutzen lässt. Auf der anderen Seite sind es diese Eigenschaften, die auch das toxikologische Profil der einzelnen Pharmaka bestimmen.
In unseren Breiten kommen im Wesentlichen folgende Substanzen zum Einsatz, Tab. 1.
Tab. 1
Lokalanästhetika und deren Wirkdauer
Substanz
Wirkdauer (dosisabhängig)
Kurz, 1–3 h
Prilocain
Mittel, 3–4 h
Mepivacain
Mittel, 3–4 h
Ropivacain
Lang, 6–12 h
Bupivacain
Lang, 6–12 h
Neben den physikochemischen Eigenschaften und der verabreichten Dosis nimmt auch der Applikationsort (z. B. intrathekal vs. peripher) Einfluss auf die Wirkdauer.

Zentrale vs. periphere Regionalanästhesie

Grundsätzlich lassen sich regionalanästhesiologische Verfahren im Rahmen der Hüftendoprothetik in zentrale (rückenmarknah) und periphere Techniken unterteilen. „Zentral“ bedeutet in diesem Kontext „spinal“, sprich der Injektion eines Lokalanästhetikums in den Liquorraum im Bereich der Lendenwirbelsäule unterhalb LWK 2. Die lumbale Periduralanästhesie hat an dieser Stelle nur noch untergeordnete Bedeutung.

Spinalanästhesie

Im Rahmen einer Spinalanästhesie werden wenige Milliliter eines Lokalanästhetikums im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule in den subarachnoidalen Raum verabreicht. Dies führt innerhalb weniger Minuten zu einer profunden sensomotorischen Blockade, je nach verabreichter Menge, bis etwa auf Höhe der Rückenmarksegmente Th8–10. Hierbei finden in der Regel sog. atraumatische Nadeln Anwendung, die das Auftreten postpunktionaler Kopfschmerzen minimieren. Systemtoxische Nebenwirkungen sind auf Grund der geringen Mengen an Wirksubstanz nicht zu erwarten. Standardsubstanz ist im Rahmen der Hüftendoprothetik Bupivacain 0,5 %, mit einer mittleren Wirkdauer von 4–6 Stunden. Die Spinalanästhesie stellt das einzige regionalanästhesiologische Verfahren dar, bei dem im Kontext auf eine zusätzliche Allgemeinanästhesie verzichtet werden kann. Nahezu ausnahmslos wird jedoch von den Patienten eine milde perioperative Sedierung gewünscht.

Periphere Anästhesietechniken

Im Gegensatz zur Spinalanästhesie werden bei den peripheren Nervenblockaden größere Volumina an Lokalanästhetika verwendet, was in puncto Systemtoxizität unter Umständen von Bedeutung sein kann. Um die Effektivität peripherer Nervenblockaden beurteilen zu können, ist es empfehlenswert sich die grobe Innervation der Hüftregion zu vergegenwärtigen. Den Hauptanteil übernehmen dabei nervale Strukturen aus dem Plexus lumbalis (N. femoralis, N. obturatorius) sowie im dorsalen Bereich Anteile aus dem sakralen Plexus mit dem N. ischiadicus als mit Abstand wichtigstem Anteil. Auf Grund der komplexen Innervation des Hüftgelenks ist eine alleinige Betäubung der Hüftregion mit den Mitteln der peripheren Regionalanästhesie – wenn überhaupt – nur mit großem Aufwand, sprich multiplen Injektionen, möglich. Dies bedeutet: Bei Anwendung dieser Techniken ist immer eine zusätzliche Allgemeinanästhesie nötig.
Grundsätzlich gilt: Je zentraler (Plexusniveau) die Blockade, umso effektiver ist sie. Allerdings bedingen die zentralen Blöcke auch eine ausgeprägtere Beeinträchtigung der Motorik, was wiederum im Rahmen von Fast-Track-Konzepten als störend empfunden werden könnte.
Zur Lokalisation der nervalen Zielstrukturen stehen Anästhesisten zwei Optionen zur Verfügung. Dies ist zum einen die elektrische Nervenstimulation als funktionelles Verfahren und zum anderen der hochauflösende Ultraschall, der in den letzten Jahren eine zunehmend dominantere Position, vor allem bei oberflächlichen Blockaden übernommen hat.
In der Folge werden einige – bei weitem nicht alle – periphere Blockaden erwähnt, die im Rahmen der Hüftendoprothetik Anwendung finden.

Psoasblockade („lumbar plexus block“)

Der Psoasblock stellt letztlich eine Blockade großer Anteile des Plexus lumbalis innerhalb des M. psoas major dar und führt somit zu einer umfassenden Anästhesie vor allem im Bereich des ventralen Hüftgelenks, begleitet von einer ausgeprägten motorischen Blockade im Bereich der Hüftbeugung und Kniestreckung. Das verabreichte LA-Volumen beträgt ca. 20–30 ml. Wegen der anatomischen Tiefe der Blockade ist die Verwendung der Nervenstimulation empfehlenswert. Der Psoasblock stellt gewissermaßen die Referenzblockade der nachfolgenden Blöcke dar.
Tipp
Eine zusätzliche proximale Blockade des N. ischiadicus führt zu einer Anästhesiequalität, die der einer Spinalanästhesie recht nahekommt.

Nervus-femoralis-Blockade

Die Femoralis-Blockade umfasst die (ultraschallgesteuerte) Applikation weniger Milliliter (ca. 10 ml) LA um den N. femoralis in Höhe des Leistenbandes. Sie führt zu einer motorischen Blockade der Kniestrecker. Bezogen auf die Hüftregion ist die Analgesieausdehnung deutlich geringer ausgeprägt als bei der Psoasblockade.

Fascia-iliaca-Block

Der Fascia-iliaca-Block besteht in der (ultraschallgeführten) Verabreichung von 30–40 ml LA unter die Fascia iliaca auf Leistenniveau deutlich lateral zum N. femoralis. Die Verwendung hoher Volumina geschieht unter der Vorstellung einer Mitblockade zumindest des N. cutaneus femoris lateralis. Die motorische Blockade (N. femoralis), aber auch die Analgesiequalität fällt geringer aus als bei den vorgenannten Techniken.

PENG-Block („pericapsular nerve group“)

Diese relativ neue Technik umfasst die (ultraschallgeführte) Verabreichung von ca. 20 ml LA in den Raum zwischen der Sehne des M. psoas und dem Schambeinast des Beckenknochens. In dieser Region liegen die Endäste des N. femoralis und des N. obturatorius zur Versorgung des Hüftgelenkes. Diese Blockade führt praktisch zu keiner merklichen motorischen Blockade, hat aber eben auch nur ein eng umschriebenes Analgesiegebiet im Bereich des anteromedialen Hüftgelenks.

Beurteilung regionalanästhesiologischer Techniken im Rahmen der Hüftendoprothetik

Bei Durchsicht der aktuellen Literatur zum Thema Regionalanästhesie und Hüftendoprothetik ist eine Favorisierung der Spinalanästhesie zu erkennen (Matharu et al. 2020; Memtsoudis et al. 2019; Oseka und Pecka 2018; Wainwright et al. 2020). Auch periphere Nervenblockaden werden zur Vermeidung relevanter Komplikationen, wie etwa dem postoperativen Delir, empfohlen (Memtsoudis et al. 2021). Insgesamt ist der Evidenzgrad der meisten Studien und Übersichten jedoch allenfalls moderat. Allerdings wird auch die Frage aufgeworfen, ob nicht „moderne“ Allgemeinanästhesien sogar gegenüber der Spinalanästhesie zu bevorzugen sind, da sie nicht zu motorischen Blockaden oder temporärer Blasendysfunktion führen (Anger et al. 2021; Kehlet und Aasvang 2015). Dies sei vor allem in Bezug auf Rapid-Recovery-Konzepte zu bedenken.
Aus Sicht des Autors ist eine klare Empfehlung zur Anwendung regionalanästhesiologischer Techniken im Rahmen der Hüftendoprothetik auszusprechen. Dies betrifft neben der Spinalanästhesie, die völlig ohne die Verwendung von Opioiden auskommen kann, auch die peripheren Blockaden. Diese müssen zwar mit einer Allgemeinanästhesie kombiniert werden, haben aber, gerade was den Psoasblock betrifft, einen relevanten opioidsparenden Effekt im Vergleich zu einer alleinigen Allgemeinanästhesie. Das „Problem“ der motorischen Blockade lässt sich durch die Verwendung adäquater Dosierungen mittellang wirksamer Substanzen auf einen Zeitraum von wenigen Stunden reduzieren, der einem Fast-Track-Konzept mit frühzeitiger Mobilisierung der Patienten nicht im Wege steht.

Fazit für die Praxis

Die Implantation einer Hüft-TEP lässt sich sowohl in Allgemeinanästhesie, als auch unter Verwendung regionalanästhesiologischer Techniken sicher durchführen. Vom Autor wird die Regionalanästhesie aufgrund eines geringeren Risikoprofils und des opioidsparenden Vorgehens bevorzugt. Die Regionalanästhesie hat insbesondere einen hohen Stellenwert im Rahmen von Enhanced-Recovery-Programmen.
Literatur
Anger M, Valovska T, Beloeil H, Lirk P, Joshi GP, Van de Velde M, Raeder J, PROSPECT Working Group* and the European Society of Regional Anaesthesia and Pain Therapy (2021) PROSPECT guideline for total hip arthroplasty: a systematic review and procedure-specific postoperative pain management recommendations. Anaesthesia 76(8):1082–1097CrossRefPubMed
Kehlet H, Aasvang EK (2015) Regional or general anesthesia for fast-track hip and knee replacement – what is the evidence? F1000Res 4:F1000 Faculty Rev-1449CrossRefPubMedPubMedCentral
Matharu GS, Garriga C, Rangan A, Judge A (2020) Does regional anesthesia reduce complications following total hip and knee replacement compared with general anesthesia? An analysis from the national joint registry for England, Wales, Northern Ireland and the Isle of Man. J Arthroplast 35(6):1521–1528CrossRef
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Wainwright TW, Gill M, McDonald DA, Middleton RG, Reed M, Sahota O, Yates P, Ljungqvist O (2020) Consensus statement for perioperative care in total hip replacement and total knee replacement surgery: Enhanced Recovery After Surgery (ERAS<sup>®</sup>) society recommendations. Acta Orthop 91(1):3–19CrossRefPubMed