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Erschienen in: Rechtsmedizin 1/2014

01.02.2014 | Originalien

Rechtsfragen der vorsorglichen Asservierung postmortal entnommener Körpersubstanzen

Frage der Zulässigkeit vor dem Hintergrund der Identitätsüberprüfung und humangenetischen Beratung

verfasst von: Prof. Dr. iur. C. Katzenmeier, M. Keil, C. Landwehr, K. Schumacher, M. Rothschild

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 1/2014

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Zusammenfassung

In der Rechtsmedizin stellt sich die Frage, ob eingelieferten Leichen DNA-haltiges Material (bei Obduktion: Blut, ohne Obduktion: Mundschleimhautabstrich, hochgradige Fäulnis: Molar) entnommen und auch nach Freigabe durch die Staatsanwaltschaft aufbewahrt werden darf. Dieses Material kann der nachträglichen Identitätssicherung der Leiche oder der humangenetischen Beratung blutsverwandter Angehöriger in deren Auftrag dienen. Körpermaterial, das DNA enthält, darf nach Freigabe durch die Staatsanwaltschaft von den Instituten für Rechtsmedizin grundsätzlich nur dann aufbewahrt werden, wenn dies dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entspricht. Zur Ermittlung seines Willens sind die totensorgeberechtigten Angehörigen zu befragen. Sind diese nicht auffindbar, kann in ihrem Interesse eine vorsorgliche Entnahme und Aufbewahrung stattfinden, wenn kein entgegenstehender Wille des Verstorbenen ersichtlich ist. Allerdings dürfen aus den entnommenen Proben nicht eigenmächtig Daten generiert werden. Die totensorgeberechtigten Angehörigen können die DNA-haltigen Körpersubstanzen schließlich von dem rechtsmedizinischen Institut herausverlangen oder deren Vernichtung einfordern.
Fußnoten
1
Vgl. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, Vor § 166 Rn. 2; Fischer, in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 2.
 
2
Vgl. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 3 m.w.N.; Hörnle, in: MüKo-StGB, § 168 Rn. 9.
 
3
Vgl. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 169 Rn. 3, m.w.N.; Hörnle, in: MüKo-StGB, § 168 Rn. 9; Blei, JA 1975, 241.
 
4
OLG Frankfurt NJW 1975, 271, 1977, 859; Fischer, in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 5, 10 m.w.N.
 
5
OLG Frankfurt, NJW 1975, 271, 272; a. A. AG Berlin-Tiergarten, NJW 1996, 3092, wonach die Anordnung separater Vernichtung entnommener Leichenteile nach erfolgter Sektion ihre Tauglichkeit als Tatobjekt aufhebt; kritisch hierzu Schmeissner/Wolfslast, NStZ 1997, 548 f.
 
6
Stübinger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 5.
 
7
Stübinger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 2.
 
8
Lencker/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 3; OLG Frankfurt NJW 1975, 271, 1977, 859; Fischer, in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 5, 10 m.w.N.
 
9
Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 5 f. Ob neben den Angehörigen auch der zur Verwahrung Beauftragte zum Kreis der Berechtigten gehört, könne im Hinblick auf die Frage der Strafbarkeit regelmäßig dahinstehen, da es jedenfalls an einem Gewahrsamsbruch fehle, wenn dieser eine Entnahme von Leichenteilen tätige.
 
10
Hörnle, in: Müko-StGB, § 168 Rn. 12.
 
11
Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 6; insg. h. M., z. B. Dippel, in: LK-StGB, § 168 Rn. 2; Herzog, in: NK-StGB, § 168 Rn. 12; Hörnle, in: Müko-StGB, § 168 Rn. 16; Lackner/Kühl, StGB, § 168 Rn. 3, Fischer in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 8.
 
12
OLG München, NJW 1976, 1805, 1806; OLG Stuttgart, Justiz 77, 313; OLG Zweibrücken, JR 1992, 212 m. Anm. Laubenthal.
 
13
Roxin, JuS 1976, 505, 507; Czerner, ZStW 2003, 91, 96.
 
14
KG Berlin, NJW 1990, 782; weitere Nachweise bei Czerner, ZStW 2003, 91, 95.
 
15
Hörnle, in: MüKo-StGB, § 168 Rn. 15; a.a.O. KG.
 
16
Hörnle, in: MüKo-StGB, § 168 Rn. 15.
 
17
Vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 77, 213; OLG München, NJW 1976, 1805 m. Anm. Linck; OLG Stuttgart, Justiz 77, 313; OLG Zweibrücken, JR 92, 212 m. Anm. Laubenthal, aber auch KG NJW 1990, 782.
 
18
Vgl. Fischer, in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 8.
 
19
Eisele, StrafR BT II, Rn. 28.
 
20
Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 6; jedenfalls i. E. so z. B. auch OLG München a.a.O., OLG Stuttgart a.a.O., OLG Zweibrücken a.a.O.
 
21
Fischer, in: Fischer, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 8
 
22
S. etwa Czerner, ZStW 2003, 91, 96 ff.
 
23
Dazu z. B. die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht, MedR 2012, 105 f., und der deutsche Ärztebund, Dtsch Arztebl. 1993, C-992.
 
24
Vgl. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 168 Rn. 6 a. E.; ausführlich zu den verschiedenen Novellierungsvorschlägen Czerner, ZStW 2003, 91, 99.
 
25
Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB-Kommentar, § 189 Rn. 1.
 
26
Einzelheiten sind hier sehr streitig. Zum Teil wird der menschliche Körper auch als Rückstand der Persönlichkeit angesehen, vgl. Stresemann, in: MüKo-BGB, § 90 Rn. 29 m.w.N.
 
27
Da der menschliche Körper vorher keine Sachqualität besaß, scheidet ein automatischer Eigentumsübergang der Erben nach § 1922 Abs. 1 BGB im Wege der Universalsukzession aus, Schmitz, in: MüKo-BGB, § 242 Rn. 38.
 
28
BT-Drs. 16/10532, S. 20.
 
29
Handlungen des rechtsmedizinischen Instituts einer Uniklinik unterliegen dem LDSG, da es sich um eine öffentliche Stelle des Landes handelt.
 
30
Gola/Schomerus, in: Gola/Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 12; Dammann, in: Simitis, BDSG, § 3 Rn. 17; a. A. Bergmann/Möhrle/Herb, BDSG, § 3 Rn. 4 ff., die das BDSG für eine gewisse Übergangszeit anwenden wollen.
 
31
Dammann, in: Simitis, BDSG, § 3 Rn. 17.
 
32
Dammann, in: Simitis, BDSG, § 3 Rn. 5.
 
33
Dammann, in: Simitis, BDSG, § 3 Rn. 5.
 
34
Mand, MedR 2005, 565, 566; Halàsz, Das Recht auf bio-materielle Selbstbestimmung, 2009, S. 263 f.; für die Einordnung als personenbezogene Daten hingegen Dammann, in: Simitis, BDSG, § 3 Rn. 5.
 
35
So etwa Jickeli, in: Staudinger, § 90 Rn. 39.
 
36
So hierzu bereits unter D I.2 (Fn. 36).
 
37
Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. VI Rn. 82.
 
38
BVerfGE 30, 173, 194 (Mephisto); BVerfG, NJW 1993, 1462; Katzenmeier, in: NK-BGB, § 823 Rn. 185 m.w.N. (Fn. 521).
 
39
Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 90; Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 172 f.; Haas, NJW 1988, 2929, 2930.
 
40
Vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kap. VI Rn. 82.
 
41
Vgl. RGZ 154, 269, 270 ff.; BGH, NJW-RR 1992, 834; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp m.w.N.
 
42
Bei Privatobduktionen besteht aufgrund des Verweises in § 10 Abs. 2 BestG NRW auf § 3 Abs. 3 S. 2 TPG eine Dokumentationspflicht. Zwar stellen die hier behandelten Probenentnahmen keine Obduktionen im Sinne des BestG NRW dar. Eine Dokumentation ist dennoch anzuraten.
 
43
Das TPG ist auf die vorliegende Konstellation zwar nicht direkt anwendbar, kann aber entsprechend herangezogen werden. Vgl. auch AG Wiesbaden, NJW 2007, 2562: Die Tochter des Verstorbenen wollte die Asche ihres Vaters in der Schweiz zu einem Diamanten pressen lassen, die Mutter widersprach. Das Gericht gab der einstweiligen Verfügung der Mutter statt.
 
44
Schroth, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 4 Rn. 18; Rixen, in: Höfling, TPG, § 4 Rn. 23.
 
45
BGH NJW 1974, 1371; BGH NJW 2006, 605, 606; Katzenmeier, in: NK-BGB, § 823 Rn. 187 m.w.N; a. A. OLG München GRUR-RR 2002, 341 m. Bespr. Beuthien, NJW 2003, 1220.
 
46
BGH, NJW 1974, 1371.
 
47
OLG Karlsruhe, NJW 2001, 2808; Laufs, VersR 1972, 8 f.; Spickhoff, in: Soergel, § 823 Rn. 110 m.w.N.
 
48
Vgl. Laufs, VersR 1972, 8 f.; ders., Arztrecht, 5. Aufl. 1993, Rn. 268, 284. Zum grundrechtlichen Schutz des Totensorgerechts s. Czerner, ZStW 2003, 91, 106 f.
 
49
Vgl. Nixdorf, VersR 1995, 740, 744 f. zur Frage einer zivilrechtlichen Sanktion des Verstoßes über die schadensersatzrechtliche Präventionsfunktion des Ersatzanspruchs für immaterielle Schäden.
 
50
OLG Nürnberg, NJW 2010, 2071; OLG Bamberg, NJW 2008, 1543, 1547; Ellenberger, in: Palandt, Überbl v § 90 Rn. 11; Marly, in: Soergel, § 90 Rn. 10; Stein, in: Soergel, § 1922, Rn. 16; Jickeli/Stieper, in: Staudinger, § 90 Rn. 28; Carstens, Das Recht der Organtransplantation, 1978, S. 97; Zimmermann, NJW 1979, 569, 570.
 
51
RGSt 64, 315.
 
52
So die h. M. jedenfalls für die Zeit der Totenehrung; Jickeli/Stieper, in: Staudinger, § 90 Rn. 37; Ellenberger, in: Palandt, Vor § 90 Rn. 11.
 
53
Ein Aneignungsrecht der Totensorgeberechtigten bejahend: Jickeli/Stieper, in: Staudinger, § 90 Rn. 38 (Herausgabeanspruch aber analog § 1004 BGB und nicht aus § 985 BGB); a. A. Marly, in: Soergel, § 90 Rn. 12; für abgetrennte künstliche Körperteile wird die Aneignungsfähigkeit überwiegend bejaht, vgl. z. B. LG Mainz, MedR 1984, 199, 200 (Herausgabeanspruch analog § 985 BGB); Ellenberger, in: Palandt, Überbl v § 90 Rn. 11.
 
54
Der Schadensersatz ist dann auf Naturalrestitution gemäß §§ 249 ff. BGB gerichtet.
 
Metadaten
Titel
Rechtsfragen der vorsorglichen Asservierung postmortal entnommener Körpersubstanzen
Frage der Zulässigkeit vor dem Hintergrund der Identitätsüberprüfung und humangenetischen Beratung
verfasst von
Prof. Dr. iur. C. Katzenmeier
M. Keil
C. Landwehr
K. Schumacher
M. Rothschild
Publikationsdatum
01.02.2014
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 1/2014
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-013-0928-z

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