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Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie 9/2023

Open Access 26.06.2023 | Strahlentherapie | Literatur kommentiert

Definitive Radiotherapie versus Radiochemotherapie mit wöchentlich Docetaxel bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und Cisplatinunverträglichkeit

verfasst von: Claudia Schmalz, Jürgen Dunst

Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie | Ausgabe 9/2023

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Originalpublikation

Patil VM, Noronha V, Menon M et al (2023) Results of phase III randomized trial for use of docetaxel as a radiosensitizer in patients with head and neck cancer, unsuitable for cisplatin-based chemoradiation. J Clin Oncol 41:2350–2361.
Hintergrund
Bei definitiver oder adjuvanter Radiochemotherapie von fortgeschritten Plattenepithelkarzinomen der Kopf-Hals-Region ist die simultane Chemotherapie mit Cisplatin Standard auf der Basis großer Metaanalysen [4]. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welche medikamentöse Therapie bei Cisplatinunverträglichkeit verwendet werden sollte. Es gibt dazu keine zuverlässigen Daten. Als mögliche Alternativen werden Carboplatin, 5‑FU, Cetuximab oder Docetaxel empfohlen oder auch eine hyperfraktionierte RT [1, 5]. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Daten zu diesen Substanzen aus Studien mit überwiegend Cisplatin-fitten Patienten stammen. Beispielsweise wurde in der ARO-95-06-Studie die Wirksamkeit der Kombination von 5‑FU/MMC nachgewiesen [2]; bei Nierenfunktionseinschränkungen muss man aber mögliche Dosisreduktionen von 5‑FU berücksichtigen. Die jetzt publizierte indische Studie schafft Klarheit und könnte einen neuen Standard definieren [3].
Patientengut und Methodik
Es handelte sich um eine randomisierte Phase-II/III-Studie, die am Tata Memorial Hospital in Mumbai durchgeführt wurde. Rekrutiert wurden erwachsene Patienten mit lokal fortgeschrittenen HNO-Tumoren und ECOG 0–2, bei denen einerseits die Indikation zu einer Radiochemotherapie mit Cisplatin bestand, die aber andererseits Kontraindikationen gegen Cisplatin aufwiesen. Als Cisplatinkontraindikationen wurden angesehen: Hörverlust oder Tinnitus oder neurologische Symptome Grad 2+ nach NCI-CTCAE, Kreatininclearance < 50 ml/min, unkontrollierter Hypertonus, Cisplatinüberempfindlichkeit, Malnutrition mit > 10 % Gewichtsverlust innerhalb von 6 Monaten oder BMI < 16 sowie Dauermedikation mit nephrotoxischen Substanzen. Diese Patienten erhielten entweder nur eine Radiotherapie oder eine simultane Radiochemotherapie mit Docetaxel (15 mg/m2 einmal wöchentlich). Die Strahlentherapie erfolgte mit werktäglich 2,0 bis zu 60 Gy adjuvant und 70 Gy bei definitiver RT. Geplant war eine Zwischenanalyse nach 356 Patienten bzw. 231 Ereignissen für den primären Endpunkt DFS mit einer erwarteten Hazard Ratio von 0,756. Danach sollte die Studie fortgeführt werden, aber wegen des bereits zu diesem Zeitpunkt nachweisbaren Effekts für das OS wurde die Studie aus ethischen Gründen bereits zu diesem Zeitpunkt beendet.
Ergebnisse
Zwischen Juli 2017 und Mai 2021 wurden 356 Patienten rekrutiert. Die Therapieadhärenz war gut; 86 % der Patienten im Docetaxelarm erhielten wenigstens 5 wöchentliche Applikationen. Das 2‑Jahres-DFS betrug 30,3 % im RT-Arm versus 42,0 % im Docetaxel-RT-Arm (Hazard Ratio 0,67, also besser als geplant; p = 0,002). Das bessere DFS resultierte, wie erwartet, aus einer deutlich verbesserten lokoregionalen Tumorkontrolle (HR 0,661; p = 0,002). Das entsprechende mediane Gesamtüberleben (OS) betrug 15,3 Monate versus 25,5 Monate (p = 0,035) bzw. das 2‑Jahres-OS 41,7 % versus 50,8 % (p = 0,035). Bei Radiochemotherapie mit Docetaxel wurden erwartungsgemäß mehr akute Nebenwirkungen beobachtet, insbesondere eine höhere Inzidenz von Mukositis Grad 3+ (22,2 % vs. 49,7 %), Odynophagie (33,5 % vs. 52,5 %) und Dysphagie (33 % vs. 49,7 %; jeweils p = 0,002).
Schlussfolgerungen der Autoren
Die zusätzliche wöchentliche Gabe von Docetaxel simultan zur Bestrahlung verbesserte das DFS und OS bei Patienten, die für eine Cisplatintherapie nicht infrage kamen.

Kommentar

Das ist eine für die tägliche Praxis wichtige und hilfreiche Arbeit. Bisher gibt es nämlich keine belastbaren Daten zur Frage, wie man Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, bei denen einerseits eine Indikation für eine Radiochemotherapie mit Cisplatin und andererseits eine Kontraindikation gegen Cisplatin bestehen, am besten behandelt. Dies betrifft nicht nur die Frage, welche alternativen Medikamente als Cisplatinersatz infrage kommen, sondern auch die Bedeutung der zusätzlichen medikamentösen Therapie im Hinblick auf DFS und OS. Auf beide Fragen liefert diese indische Studie eine gute Antwort. Erstens ist das hier gewählte Regime mit Docetaxel effektiv, und zweitens entspricht die absolute Verbesserung des OS (hier immerhin 9 %-Punkte) nahezu der Wirksamkeit von Cisplatin bei günstigeren (Cisplatin-fitten) Patienten.
Einige wenige Limitationen und Kritikpunkte sollten berücksichtigt werden. Erstens wurden nur etwa 20 % der Patienten mit IMRT behandelt, wenige mit 3‑D-CRT und die mit Abstand größte Gruppe mit „konventioneller Technik“ (also 2‑D-Technik mit Gegenfeldern). Zweitens sind die jetzigen, auf einer geplanten Zwischenanalyse beruhenden Daten als präliminär anzusehen, insbesondere im Hinblick auf Spättoxizität (über die in der Publikation nicht berichtet wurde). Drittens wurden Patienten mit definitiver und adjuvanter RT hier zusammengefasst, und die Subgruppenanalyse zeigt einen besseren Effekt für die definitiv behandelte Gruppe (HR für DFS 0,58, signifikant) als für die adjuvant behandelte Gruppe (HR 0,82, n. s.). Trotz dieser Einschränkungen sind die Daten aus unserer Sicht so gut und so plausibel, dass sie als ein neuer Standard für diese klinisch immer häufiger vorkommende Konstellation angesehen werden können.
Nebenbei: Schon wieder eine „practice-changing“ Studie aus dem Tata Memorial Hospital, dem größten indischen Krebszentrum. Dass man dort offensichtlich solche Studien monozentrisch erfolgreich durchführen kann, ist beachtlich (und macht neidisch). Es unterstreicht aber auch den hohen Stellenwert, den die Radioonkologie an den indischen Krebszentren hat.

Fazit

Eine simultane Chemotherapie mit wöchentlicher Gabe von 15 mg/m2 Docetaxel verbessert lokoregionale Tumorkontrolle, DFS und Gesamtüberleben bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen im HNO-Bereich, die für eine cisplatinhaltige Chemotherapie nicht infrage kommen.
Claudia Schmalz, Jürgen Dunst, Kiel

Interessenkonflikt

C. Schmalz und J. Dunst geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Strahlentherapie und Onkologie

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•Übersichten, Originalien, Kasuistiken

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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Ahn M‑J, D’Cruz A, Vermorken JB et al (2016) Clinical recommendations for defining platinum unsuitable head and neck cancer patient populations on chemoradiotherapy: a literature review. Oral Oncol 53:10–16CrossRefPubMed Ahn M‑J, D’Cruz A, Vermorken JB et al (2016) Clinical recommendations for defining platinum unsuitable head and neck cancer patient populations on chemoradiotherapy: a literature review. Oral Oncol 53:10–16CrossRefPubMed
2.
Zurück zum Zitat Budach V, Stuschke M, Budach W et al (2005) Hyperfractionated accelerated chemoradiation with concurrent fluorouracil-mitomycin is more effective than dose-escalated hyperfractionated accelerated radiation therapy alone in locally advanced head and neck cancer: final results of the radiotherapy cooperative clinical trials group of the German Cancer Society 95-06 Prospective Randomized Trial. J Clin Oncol 23:1125–1135CrossRefPubMed Budach V, Stuschke M, Budach W et al (2005) Hyperfractionated accelerated chemoradiation with concurrent fluorouracil-mitomycin is more effective than dose-escalated hyperfractionated accelerated radiation therapy alone in locally advanced head and neck cancer: final results of the radiotherapy cooperative clinical trials group of the German Cancer Society 95-06 Prospective Randomized Trial. J Clin Oncol 23:1125–1135CrossRefPubMed
3.
Zurück zum Zitat Patil VM, Noronha V, Menon M et al (2023) Results of phase III randomized trial for use of docetaxel as a radiosensitizer in patients with head and neck cancer, unsuitable for Cisplatin-based Chemoradiation. J Clin Oncol 41:2350–2361CrossRefPubMed Patil VM, Noronha V, Menon M et al (2023) Results of phase III randomized trial for use of docetaxel as a radiosensitizer in patients with head and neck cancer, unsuitable for Cisplatin-based Chemoradiation. J Clin Oncol 41:2350–2361CrossRefPubMed
4.
Zurück zum Zitat Pignon J‑P, le Maître A, Maillard E et al (2009) Meta-analysis of chemotherapy in head and neck cancer (MACH-NC): An update on 93 randomised trials and 17, 346 patients. Radiother Oncol 92:4–14CrossRefPubMed Pignon J‑P, le Maître A, Maillard E et al (2009) Meta-analysis of chemotherapy in head and neck cancer (MACH-NC): An update on 93 randomised trials and 17, 346 patients. Radiother Oncol 92:4–14CrossRefPubMed
5.
Zurück zum Zitat Szturz P, Cristina V, Herrera Gómez RG et al (2019) Cisplatin eligibility issues and alternative regimens in locoregionally advanced head and neck cancer: Recommendations for clinical practice. Front Oncol 9:464CrossRefPubMedPubMedCentral Szturz P, Cristina V, Herrera Gómez RG et al (2019) Cisplatin eligibility issues and alternative regimens in locoregionally advanced head and neck cancer: Recommendations for clinical practice. Front Oncol 9:464CrossRefPubMedPubMedCentral
Metadaten
Titel
Definitive Radiotherapie versus Radiochemotherapie mit wöchentlich Docetaxel bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und Cisplatinunverträglichkeit
verfasst von
Claudia Schmalz
Jürgen Dunst
Publikationsdatum
26.06.2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Strahlentherapie und Onkologie / Ausgabe 9/2023
Print ISSN: 0179-7158
Elektronische ISSN: 1439-099X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00066-023-02113-6

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