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Erschienen in: Rechtsmedizin 6/2023

Open Access 17.10.2023 | Suizid | Kasuistiken

Vollständige Dekapitation durch selbstkonstruierte Guillotine

verfasst von: Johanna Görg, Dr. med., Clara-Sophie Schwarz, Cora Wunder, Tanja Germerott

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 6/2023

Zusammenfassung

Dekapitationen sind im rechtsmedizinischen Sektionsgut nur selten vorzufinden; die jeweilige Fallbeurteilung als Tötungsdelikt, Suizid oder Unfall in Abgrenzung zu einer postmortalen Entstehung kann insbesondere bei komplexeren Auffindesituationen erschwert sein. Vorgestellt wird ein seltener Fall einer vollständigen Abtrennung des Kopfes durch eine selbstkonstruierte Guillotine, der sich in der Zusammenschau der computertomographischen und autoptischen Befunde, beispielsweise Vitalitätszeichen, sowie der Auffindesituation mit einer elaborierten suizidalen Handlung in Einklang bringen ließ.
Hinweise
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Einleitung

Dekapitationen stellen im rechtsmedizinischen Sektionsgut eine Rarität dar und liegen gemäß Fachliteratur nur in ca. 0,1 % der Fälle vor [1]. Sie treten im Rahmen von Tötungsdelikten, Suiziden oder Unfällen auf; auch eine postmortale Entstehung ist in Betracht zu ziehen. Die entsprechende Zuordnung kann bei komplexeren Auffindesituationen mit Herausforderungen einhergehen [3, 5, 9]. Der hier präsentierte Fall zeigt, wie anhand des Fundorts sowie der computertomographischen und autoptischen Befunde eine Rekonstruktion ermöglicht wird.

Falldarstellung

Vorgeschichte

Ein 40-jähriger Betäubungsmittelkonsument bewohnte eigene Räumlichkeiten im Elternhaus, nachdem er eine langjährige Haftstrafe verbüßt hatte. Er habe häufiger Auffälligkeiten, die durch die Angehörigen als „Stimmungsschwankungen“ beschrieben wurden, gezeigt. Eine psychiatrische Erkrankung sei nie diagnostiziert geworden, da er Arztbesuche abgelehnt habe. Durch die Eltern wurde die Polizei kontaktiert, als Kontaktversuche am Geburtstag ihres Sohnes und an den darauffolgenden Tagen erfolglos verliefen. Da die Eltern keinen Schlüssel besaßen und ihnen stets der Zutritt verwehrt geblieben war, erfolgte schließlich die Türöffnung durch die Feuerwehr.

Auffindesituation

Nach Betreten der unaufgeräumten Wohnung, die sich teilweise im Umbau befand und mit Baumaterialen und Werkzeug zugestellt war, fand man leere Alkoholikaflaschen sowie zahlreiche Betäubungsmittel und -utensilien. Bei Nachschau in der als Werkstatt genutzten Garage stellte man in einer Grube den Leichnam und abgetrennten Kopf in einer selbst konstruierten Guillotine fest (Abb. 1a, b). Diese insgesamt ca. 3,60 m hohe Konstruktion war in die 1,60 m tiefe Werkstattgrube eingelassen und bestand hauptsächlich aus Holzplatten und -latten. Vertikale metallene Trockenbauschienen bildeten seitlich eine Schiene für eine als Fallbeil dienende Metallplatte, welches mittels Möbelrollen in ihnen glitt. Ausgehend von dem Fallbeil zunächst in Richtung der Decke und anschließend über eine Umlenkrolle zum Boden führende Ketten und Seile fungierten als Aufhängevorrichtung des Fallbeils. Am Boden war das zum Auffindezeitpunkt durchtrennte Seil mithilfe mehrerer Gewichtsplatten beschwert. Kernstück der Guillotine stellte eine nach unten vorstehende, massive, ca. 0,5 cm starke, quaderförmige Metallplatte dar, welche an mit Gewichten beschwerte Holzplatten angebracht war und als Schneideblatt diente. Das Gewicht der daran befestigten Platten wurde auf ca. 50 kg geschätzt. Bodennah glitt die Metallplatte als Schneideblatt hinter eine weitere Holzplatte mit typischer, halbkreisförmiger Aussparung zum Einlegen des Halses (Abb. 2).
Im Zuge der schwierigen und aufwendigen Bergung des in der Tiefe der Grube vor der Guillotine in kniender Position aufgefundenen Leichnams fand man ein mit Tape an der rechten Hand fixiertes Einhandmesser nahe dem durchtrennten Seil. Darüber hinaus zeigten sich am Boden der Grube weitere Seilstücke und ein Teppichmesser. In Nachbarschaft des auf der Rückseite der Guillotine gelegenen Kopfes wurden eine durchtrennte Plastikflasche und eine zerteilte Sellerieknolle festgestellt.

Sektionsbefunde

Die postmortale Computertomographie und Sektion erbrachten eine Abtrennung des Kopfes vom Körper, bei der die Durchtrennungsebene durch den glatt durchtrennten 4. Halswirbelkörper führte (Abb. 3a, b). Daran angrenzend zeigten sich kräftig rot-schwärzliche Einblutungen in das Weichgewebe der Halsweichteile. Die Absetzungsränder imponierten überwiegend glatt, teils mit leicht gewellten und gezähnelten Aspekten. Zumindest im Nacken war die Haut auf wenige Millimeter geschürft. Äußerlich fanden sich entsprechend der Aufliegeposition Hautvertrocknungen an den Kniestreckseiten sowie linksseitig am Hals und in der hohen Scheitelregion. Abwehrverletzungen kamen nicht zur Darstellung. An inneren Befunden waren neben Bluteinatmungsbezirken beider Lungen und einer Gasembolie Zeichen eines Blutverlustes bei ansonsten altersentsprechendem Organbefund festzustellen (Abb. 4). Todesursächlich war somit eine vollständige Dekapitation.

Forensisch-toxikologische Analytik

Die anschließenden chemisch-toxikologischen Untersuchungen wiesen eine geringe Alkoholisierung (0,4 ‰ bzw. 0,8 ‰ in Femoralvenenblut/Urin) sowie eine hohe Amphetaminkonzentration (460 ng/ml) nach. Unter Berücksichtigung einer Gewöhnung waren die festgestellten Konzentrationen nicht geeignet, den Tod im Sinne einer Intoxikation zu erklären oder eine erhebliche Beeinflussung der Handlungsfähigkeit zu begründen.

Diskussion

Im Rahmen von Suiziden werden Dekapitationen nur selten beobachtet. So treten sie bei unter 1 % der Suizidfälle auf, unter diesen Umständen eher bei Männern als bei Frauen [1]. Allerdings liegen Dekapitationen äußerst selten isoliert vor, sondern sind zumeist bei Polytraumata festzustellen, beispielsweise bei Bahnleichen [1, 11, 12]. In der Literatur finden sich lediglich Einzelfälle von Dekapitationen infolge elaborierter Suizidhandlungen durch selbstkonstruierte Guillotinen [2, 4, 7] oder Guillotine-ähnliche Werkzeuge [5, 6, 8, 10].
Die Differenzierung zwischen einer postmortalen Entstehung (etwa im Sinne einer Leichenzerstückelung) und einem Gelebthaben zum Zeitpunkt der Dekapitation gelang im präsentierten Fall anhand ausgedehnter Weichgewebseinblutungen im Umfeld der Durchtrennungsebene. Als weitere Vitalitätszeichen waren Bluteinatmungsbezirke und eine Gasembolie festzustellen.
Zur anschließenden Einordnung des Falls als Tötungsdelikt, Suizid oder Unfall sind neben Rückschlüssen, die sich aus den computertomographischen und autoptischen Befunden ziehen lassen, auch Aspekte der Auffindesituation essenziell. Im vorliegenden Fall sprachen die vor Ort aufgefundenen Baumaterialien und Werkzeuge insgesamt für eine eigenhändige Errichtung der Konstruktion. Darüber hinaus ergaben sich angesichts der zerteilten Gegenstände, eines zweiten Messers und Seilteilen Hinweise für eine im Vorfeld erfolgte Überprüfung der Funktionstüchtigkeit. Insbesondere stand sowohl die Position des noch in der Hand fixierten Messers neben der durchtrennten Seilaufhängevorrichtung als auch des Leichnams direkt angrenzend an die Guillotine mit dessen selbstständiger Auslösung ohne Beteiligung weiterer Personen in Einklang. Ebenso war die Einwirkung des ca. 0,5 cm starken, nichtangespitzten, metallenen Fallbeils zwanglos mit den Charakteristika der Wunde in Übereinstimmung zu bringen. Auch unter Berücksichtigung der Schließverhältnisse und der Abwesenheit von Abwehrverletzungen war daher von einem seltenen Fall einer vollständigen Dekapitation durch eine elaborierte Konstruktion einer selbstgebauten Guillotine auszugehen, der sich letztlich als suizidale Handlung rekonstruieren ließ.

Fazit für die Praxis

Bei Dekapitationen kann insbesondere bei komplexeren Auffindesituationen die rechtsmedizinische Beurteilung erschwert sein. Neben dem Ausschluss einer postmortalen Entstehung erfolgt eine Einordnung als Tötungsdelikt, Suizid oder Unfall. Wie dieser Fall illustriert, wird selbst in unüblichen Fällen eine Rekonstruktion eines elaborierten suizidalen Geschehens in der Zusammenschau des Fundorts, der in der Obduktion und Computertomographie erhobenen Befunde sowie weiterführender Untersuchungen ermöglicht.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J. Görg, C.-S. Schwarz, C. Wunder und T. Germerott geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Die Untersuchungen erfolgten unter Einhaltung der Vorgaben der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. In dieser Kasuistik wurde kein Datenset erstellt oder analysiert.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Vollständige Dekapitation durch selbstkonstruierte Guillotine
verfasst von
Johanna Görg, Dr. med.
Clara-Sophie Schwarz
Cora Wunder
Tanja Germerott
Publikationsdatum
17.10.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 6/2023
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-023-00656-7

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