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Erschienen in: Der Nervenarzt 10/2022

23.05.2022 | Tollwut | Historisches

Der griechisch-römische Arzt Galen von Pergamon und seine neurologischen Fallberichte

verfasst von: Prof. Dr. med. Dr. phil. Werner Golder

Erschienen in: Der Nervenarzt | Ausgabe 10/2022

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Zusammenfassung

Hintergrund

Die Fallbeschreibungen im Werk des Galen von Pergamon sind bisher vorwiegend literarisch und sozialgeschichtlich interpretiert worden. Die auf die medizinischen Aspekte fokussierte Analyse ist noch unvollständig.

Fragestellung

Welche neurologische Kompetenz vermitteln die galenischen Kasuistiken?

Material und Methoden

Die 400 galenischen Kasuistiken wurden auf anamnestische, klinische, therapeutische und prognostische Aussagen zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen geprüft.

Ergebnisse

In etwa jedem 10. Fallbericht sind neurologische und/oder psychiatrische Erkrankungen thematisiert; die meisten finden sich in den Schriften De anatomicis administrationibus, De locis affectis und De methodo medendi. Es werden sowohl einzelne Patienten als auch Patientengruppen beschrieben; prominente Kranke nennt der Autor beim Namen. Die Schilderungen folgen keinem festen Gliederungsschema. Die Texte werden von Angaben zu Ana- und Katamnese und den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung dominiert. Mehrfach hat der Autor die Kombination der Fallbeschreibung mit theoretischen Ausführungen gewählt. Die häufigsten Erkrankungen des Nervensystems, mit denen sich Galen konfrontiert sah, waren traumatische Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Inkontinenz, Tollwut, Epilepsie, Depression und Wahnsinn. Eine wichtige Rolle spielen auch fieber- und seuchenassoziierte neurologische und psychiatrische Symptome. In den meisten Fällen war Galen selbst der behandelnde Arzt; es werden aber auch Krankengeschichten aus zweiter Hand erzählt. Das invasivste Behandlungsverfahren war die Trepanation.

Diskussion

Die Fallberichte decken das Spektrum der von Galen beschriebenen Erkrankungen des Nervensystems zum großen Teil ab. Die Arzt-Patienten-Gespräche bilden ihr inhaltlich wie stilistisch originellstes Element. Die vielfach spärlichen Ausführungen zur Wahl der Therapie zeigen, dass dem Arzt der Antike für Patienten mit neurologischen Erkrankungen mit Ausnahme der selten indizierten und praktizierten operativen Eingriffe kaum spezifische Maßnahmen zur Verfügung standen.
Fußnoten
1
Das Kürzel „K“ bezeichnet die Position des Ausschnitts innerhalb der trotz ihres Alters (Erscheinungszeitraum: 1821–1833) noch heute vielverwendeten 20bändigen (I–XX) Ausgabe der Werke Galens von Karl Gottlob Kühn, Leipzig. Das Opus enthält den griechischen Text sowie die lateinische Übersetzung von 134 der 436 bekannten galenischen und pseudogalenischen Schriften sowie eine ausführlich dokumentierte Biographie des Pergameners [10].
 
2
Pausanias aus Kaisareia/Kappadokien, Rhetoriklehrer in Athen und Rom
 
3
Der an dieser Stelle verwendete Terminus ‚paránoia‘ bedeutet sowohl Wahnsinn und Verrücktheit als auch Unzurechnungsfähigkeit.
 
4
Pharmakologisch versierter Arzt
 
5
Stadt auf der Landbrücke zwischen der Peloponnes und Mittelgriechenland, etwa 40 km von Athen entfernt
 
6
Thukydides hat die in Athen wütende Pest (430/429 v. Chr.) im zweiten Buch (Kap. 47–57, 59–64) seiner „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ ebenso ausführlich wie eindrücklich beschrieben.
 
7
Solide Organe (im Gegensatz zu den vier Körpersäften)
 
8
Die angeborene Wärme ist nach Ansicht Galens (Über die natürlichen Anlagen II 8–K I 121) eine notwendige Voraussetzung für die gute Funktion der natürlichen körperlichen Aktivitäten.
 
9
Anatom, Physiologe, Interpret der hippokratischen Schriften, zweiter medizinischer Lehrmeister Galens (nach Satyros)
 
10
z. B. in der Schrift „Über Kopfwunden“ Kap. VII
 
11
Galen gilt als Erstbeschreiber der Seitenventrikel
 
Literatur
1.
2.
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Zurück zum Zitat Singer PN (2018) Galen’s pathological soul: diagnosis and therapy in ethical and medical texts and contexts. Mental illness and ancient medicine. From Celsus to Paul of Aegina, Bd. 50. Leiden, S 381–420 (Series: Studies in Ancient Medicine). Brill/Leiden Singer PN (2018) Galen’s pathological soul: diagnosis and therapy in ethical and medical texts and contexts. Mental illness and ancient medicine. From Celsus to Paul of Aegina, Bd. 50. Leiden, S 381–420 (Series: Studies in Ancient Medicine). Brill/Leiden
10.
Zurück zum Zitat Schubring K (1965) Bemerkungen zu der Galenausgabe von Karl Gottlob Kühn und zu ihrem Nachdruck Hildesheim (Bibliographische Hinweise zu Galen; Sonderdruck aus Claudii Galeni Opera omnia). Olms/Hildesheim Schubring K (1965) Bemerkungen zu der Galenausgabe von Karl Gottlob Kühn und zu ihrem Nachdruck Hildesheim (Bibliographische Hinweise zu Galen; Sonderdruck aus Claudii Galeni Opera omnia). Olms/Hildesheim
Metadaten
Titel
Der griechisch-römische Arzt Galen von Pergamon und seine neurologischen Fallberichte
verfasst von
Prof. Dr. med. Dr. phil. Werner Golder
Publikationsdatum
23.05.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Tollwut
Erschienen in
Der Nervenarzt / Ausgabe 10/2022
Print ISSN: 0028-2804
Elektronische ISSN: 1433-0407
DOI
https://doi.org/10.1007/s00115-022-01316-z

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