Erschienen in:
13.01.2021 | Psychoanalyse | Originalarbeit
Mit den Augen der Psychoanalyse
Der Blick in das Verborgene
verfasst von:
Dr. med. Otmar Seidl
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
|
Ausgabe 3/2021
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Zusammenfassung
In der Psychoanalyse hat das Hören einen unvergleichlich höheren Stellenwert als das Sehen, das Wort als das Bild. Im Zeitalter des „iconic turn“ bekommt das Visuelle eine zunehmende soziale und psychische Bedeutung, auf die sich die Psychoanalyse einstellen sollte. Die vorliegende Arbeit versucht, die Besonderheiten eines genuin psychoanalytischen Blicks herauszuarbeiten. Ausgehend von Freuds Studie über den Moses des Michelangelo und den Techniken der Säuglingsbeobachtung werden die besonderen Merkmale des psychoanalytischen Blicks dargestellt und in Bezug auf zwei Themenkomplexe weiter ausgeführt: der Blick auf religiöse Darstellungen von Maria mit Kind und der Blick auf die Couch im Analyse-Zimmer.
Der analytische Blick ist ein Blick in das Verborgene des Unbewussten, das sich in den Irritationen des Betrachters meldet. Der Blick ist charakterisiert durch ein absichtsloses, präreflexives, gleichsam träumerisches, an der Oberfläche verharrendes Schauen, der bereit ist, die Negativität des Geschauten bei sich aufzunehmen und zu bewahren. Diesem adhäsiven, dynamischen Blick folgen als nächste Schritte sprachliche Ausformulierung und interpretative Deutung.