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Open AccessStudie

Kindliche Verhaltensauffälligkeiten im ersten Lebensjahr und mütterliche Belastung in der Zeit der COVID-19-Pandemie

Ergebnisse aus der Online-Befragung „CoviFam“

Published Online:https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000373

Abstract

Zusammenfassung.Theoretischer Hintergrund: Die COVID-19-Pandemie stellte in vielen Bereichen eine Belastung für Familien dar, insbesondere durch die einschneidenden Beschränkungen zu Beginn. Fragestellung: Wie wirkte sich dies auf die Belastung von Müttern mit Kindern im ersten Lebensjahr und auf die kindliche Verhaltensregulation aus? Methode: In einer Online-Befragung schätzten 577 Mütter das Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten ihrer Kinder (M = 7.3; 0 – 12 Mon., SD = 3.25) und ihre eigene Belastung ein, zudem Stresserleben, depressive Symptomatik, Partnerschaftszufriedenheit und Bonding. Ergebnisse: Schlafprobleme traten bei 21.7 %, schwer tröstbares und häufiges Schreien bei 12.3 % und exzessives Schreien bei 1.6 % der Kinder auf. Mindestens jede fünfte Mutter fühlte sich durch Schreien oder Schlafprobleme belastet. Mehr Stress, beeinträchtigtes Bonding und weniger Partnerschaftszufriedenheit erklärten 17 – 21 % der Varianz der mütterlichen Belastung durch Schrei- und Schlafverhalten. In der Zeit der stärksten Beschränkungen zeigte sich signifikant mehr Belastung in der Gruppe von Müttern, die von vermehrtem Schreien und verlängerter Einschlaflatenz berichteten, sowie mit mindestens einem weiteren Kind im Haushalt (MANOVA). Diskussion und Schlussfolgerung: Pandemiebedingt belastend für Mütter im ersten Jahr scheinen eingeschränkter Zugang zum Versorgungssystem, die Betreuung von mehr als einem Kind sowie das Alter des Kindes zu sein, während eine gute Beziehung zum Kind (Bonding) und/oder zum Partner (Partnerschaftszufriedenheit) abmildernd wirken.

Infant Behavioral Problems in the First Year of Life and Maternal Stress During the COVID-19 Pandemic: Results from the “CoviFam” Online Survey

Abstract.Theoretical background: The COVID-19 pandemic placed a burden on families in several respects, particularly because of the severe confinement imposed at its beginning. The confinement in spring 2020 led to social disruption and a reduction of supportive structures. In the first year of an infant’s life, the psychological well-being of a mother–child dyad is particularly susceptible to external stressful changes. Research question: How did the restrictions from the pandemic affect families with children in the first year of the infant’s life, particularly infant regulatory problems and related maternal stress? Methods: In an online survey, N = 577 mothers reported on their infants’ behavior (0 – 12 months of age, M = 7.3 months, SD = 3.3) regarding their crying, sleeping, and feeding/eating behavior as well as the respective distress experienced during the restrictions. Measures of current maternal well-being included overall perceived stress, depressivity, relationship satisfaction, and maternal bonding. Frequency/duration of infantile crying, sleep latency as well as night awakenings and feeding/eating problems were surveyed following clinical criteria (DC: 0 – 5) and percentile scores, respectively. The association of infant behavior and maternal distress was examined using linear regression and MANOVA. Results: Overall, at least one in five mothers felt burdened by her child’s regulatory problems during the time of severe restrictions. More than one in four mothers reported being highly or very highly distressed by her child’s crying. Sleeping problems, such as prolonged sleep latency (> 90th percentile) or several nightly awakenings, were reported for 21.7 % of the children. Difficulty to console and frequent crying were reported for 12.3 % and excessive crying for 1.6 % of the children. Higher levels of stress as well as increased impairment in maternal bonding and less relationship satisfaction explained 17 – 21 % of the variance of maternal distress from crying and sleeping problems. Significantly more distress was evident in the group of mothers who reported increased crying and prolonged latency to fall asleep (> 45 min) and with more than one child in the household during the period of most severe restrictions (MANOVA). A lack of medical, psychotherapeutic, and other means of care was reported by nearly a quarter of the respondents and was the only restriction that was significantly related to the perception of more stressful child behavior. Discussion and conclusion: Pandemic-related stressors for first-year mothers appear to be enhanced by limited access to the care system, caring for more than one child, the increasing age of the child, while a good relationship with the child (bonding) and/or partner (relationship) satisfaction provide buffers.

Die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt das psychische Wohlbefinden von Kindern und ihrer ganzen Familie in mehrfacher Hinsicht. Die einschneidenden Maßnahmen zur Beschränkung von Kontakten zu Beginn der Pandemie können nach dem Risiko- und Resilienz-Modell in der COVID-19-Pandemie von Prime, Wade & Browne (2020) eine Kaskade von Folgeproblemen anstoßen. Insbesondere soziale Veränderungen – Isolation, veränderte Routinen, Kurzarbeit, Homeoffice, Wegfall familiärer bzw. externer Kinderbetreuung, Mangel an professioneller Unterstützung, z. B. bei praktischen Fragen zum Stillen (Vazquez-Vazquez, Dib, Rougeaux, Wells & Fewtrell, 2021) – können zu einem geringeren familiären Wohlbefinden führen (mehr „Chaos“ in der Familie: Johnson, Martin, Partika, Phillips, Castle & the Tulsa SEED Study Team, 2021; erhöhte depressive und ängstliche Symptomatik, vermehrter Stress: z. B. Ceulemans et al., 2021). So wird das gesamte Familiensystem belastet, was sich negativ auf die elterliche Fähigkeit zur Co-Regulation von kindlichem Stress und Affekt auswirken kann. Die Folge kann ein Teufelskreis sein, bei dem die Kinder vermehrt Probleme in der Regulation zeigen und Eltern zusehends das Vertrauen in die eigenen elterlichen Fähigkeiten verlieren und dysfunktionale oder weniger Beruhigungsversuche unternehmen (Modell der wechselseitigen Regulation nach Papoušek, 2004).

In diesem Kontext zeigen sich frühe kindliche Verhaltensauffälligkeiten oft in den Bereichen Schreien, Schlafen und Füttern und prädizieren psychische Probleme oder abweichende Entwicklungsverläufe im späteren Kindesalter (Schmid, Schreier, Meyer & Wolke, 2010). Mütterliche psychosoziale Belastung und erhöhtes Stresserleben prädizieren vermehrte Probleme in der emotionalen und Verhaltensregulation der Säuglinge (Schmid, Schreier, Meyer & Wolke, 2011).

Ziel dieser explorativen Studie war die Erfassung der Lebenssituation junger Familien während der Pandemie inklusive der Zeit der stärksten Beschränkungen, mit Schwerpunkt auf möglichen Auffälligkeiten im Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten bei den Kindern und der damit einhergehenden Belastung ihrer Mütter. Außerdem wurden Depressivität und Stresserleben bei den Müttern erhoben, da sie in enger Wechselwirkung mit der Entstehung früher Regulationsprobleme stehen. Erhoben wurden auch Bonding (mütterliches Beziehungserleben bzw. Verbundenheit mit dem Kind) und Partnerschaftszufriedenheit als potentiell protektive Faktoren für die Entstehung von Stress in der frühen Elternschaft (z. B. Reck, Zietlow, Müller & Dubber, 2016; Fakhri, Hasanpoor-Azghady, Farahani & Haghani, 2019). Die von uns postulierten Hypothesen waren dabei, dass sowohl kindliche Verhaltensauffälligkeiten im ersten Lebensjahr in der Zeit der COVID-19-Pandemie verstärkt auftreten, als auch dass die grundsätzliche Belastung der Mütter (Depressivität, Stresserleben) erhöht ist, und dass dies miteinander in Beziehung steht.

Methoden

Rekrutierung und Stichprobe

Die vorliegende Stichprobe stammt aus einer anonymen Online-Befragung von insgesamt 1935 Bezugspersonen von Kindern im Alter von 0 – 3 Jahren zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Die Studie wurde an den Standorten München und Heidelberg durchgeführt. Erreicht wurden die Eltern überwiegend über pädiatrische und gynäkologische Praxen, Geburtskliniken und Hebammennetzwerke sowie soziale Medien. Die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg hat in Übereinstimmung mit der Ludwig-Maximilians-Universität München die Studie als unbedenklich bewertet (Votum: S-446/2017). Im Zeitraum von Juli bis November 2020 nahmen 577 Mütter aus Deutschland und Österreich mit Kindern im Alter bis 12 Monate teil. Die Bedingungen des ersten Lockdowns waren in beiden Ländern ähnlich (Beginn ab März 2020, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Quarantäneregeln, schrittweise Lockerung ab Ostern). Die Mütter waren zwischen 19 und 44 Jahre alt (M = 31.77, SD = 4.0; n = 23 ohne Angabe), die Kinder im ersten Lebensjahr (M = 7.26 Monate, SD = 3.25, 0 – 12 Monate; 52.3 % männlich). In 44.3 % der Haushalte lebte mindestens ein weiteres Kind. Die Mütter waren überdurchschnittlich gut gebildet: 66.6 % hatten Abitur, 16.1 % Fachhochschulreife, 15.6 % mittlere Reife, 1.6 % Hauptschulabschluss und 0.2 % hatten keinen Abschluss. Die Eltern der Kinder lebten überwiegend zusammen (97.2 %). Die Mehrzahl der Mütter (60.0 %) befand sich zum Zeitpunkt der Erhebung in Elternzeit. Von den Müttern, die nicht in Elternzeit/Mutterschutz waren, hatten 29.0 % einen systemrelevanten Beruf.

Erhebungsinstrumente

Um kindliche Verhaltensauffälligkeiten und die damit einhergehende Belastung für die Zeit der stärksten Beschränkungen durch die Pandemie zu erfassen, wurden in einem von der Arbeitsgruppe selbst entwickelten Fragebogen (Reck et al., 2020, unveröffentlicht; für einen Auszug der verwendeten Items siehe Elektronisches Supplement 1) diesbezügliche Fragen retrospektiv für diesen Zeitraum gestellt. Ausgenommen waren dabei die Fragen zum exzessiven Schreien. Auch Fragen zu Veränderungen der familiären Lebenssituation und Sorgen um das Kind wurden zum Teil retrospektiv erhoben. Das psychische Befinden, Bonding und Partnerschaftserleben wurden für den Zeitraum erfragt, für den die Fragebögen entwickelt wurden, um die Validität der Messinstrumente nicht einzuschränken.

Kindliches Verhalten und assoziiertemütterliche Belastung

Kindliches Verhalten in den Bereichen Schreien, Schlafen, Füttern/Essen wurde sowohl mit offenen als auch geschlossenen Fragen erfasst, angelehnt an die Störungskategorien der DC:0 – 5 (ZERO TO THREE, 2016). Laut der 3er-Regel nach Wessel (Wessel, Cobb, Jackson, Harris & Detwiler, 1954), die von der DC:0 – 5 als Beschreibung für eine „Exzessive Schreistörung“ adaptiert wurde, gilt Schreien als exzessiv, wenn es länger als 3 Stunden pro Tag (24 h), häufiger als 3 Tage in der Woche und länger als 3 Wochen anhält. Da kindliches Schreien auch bei geringerer Dauer belastend sein kann, wurde zusätzlich gefragt, ob das Kind sehr häufig schreit und sich schwer trösten lässt oder häufig aufgebracht ist. Außerdem wurde retrospektiv erfragt, ob das Kind zur Zeit der stärksten Beschränkungen vermehrt schrie, weinte oder quengelte (1 = gar nicht bis 5 = sehr).

Das Einschlafverhalten wurde als auffällig definiert (> 90. Perzentil; Paavonen et al., 2020), wenn das Kind länger als 90 Minuten (ab drei bis sechs Monaten), länger als 60 Minuten (ab sechs bis acht Monaten) und länger als 45 Minuten (ab acht Monaten) brauchte, um einzuschlafen. Durchschlafprobleme (> dreimal pro Nacht/> 30 Minuten) entsprechen den Kriterien einer „Durchschlafstörung“ der DC:0 – 5 (ZERO TO THREE, 2016) ab einem Alter von acht Monaten. Zusätzlich wurde erfragt, ob das Kind zur Zeit der stärksten Beschränkungen länger brauchte, um einzuschlafen und ob es häufiger nachts wach wurde (1 = gar nicht bis 5 = sehr).

Schwierigkeiten beim Füttern/Essen wurden in Anlehnung an das A-Kriterium der „Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme“ des DSM-5 (Falkai & Wittchen, 2014) erfragt, nämlich inwieweit das Kind zur Zeit der stärksten Beschränkungen eingeschränkter aß, sich weniger gut füttern ließ, häufiger das Essen vermied oder mehr Sensibilität dem Essen gegenüber zeigte (jeweils 1 = gar nicht bis 5 = sehr).

Daneben wurde – ebenfalls für die Zeit der stärksten Beschränkungen – erfragt, wie stark sich die Mütter durch das kindliche Verhalten (Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten) belastet fühlten, unabhängig von der Dauer oder Intensität des Verhaltens.

Mütterliche Depressivität und Stresserleben

Mütterliche Depressivität wurde mit der deutschen Version der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS; Bergant, Nguyen, Heim, Ulmer & Dapunt, 1998) erfasst. Diese ermöglicht die Selbsteinschätzung von Symptomen einer postpartalen Depression (bei ≥ 10 Risiko einer minoren depressiven Episode, bei ≥ 13 Risiko einer majoren depressiven Episode) über zehn Items mit vier Antwortmöglichkeiten (Schweregrad 0 – 3). In der vorliegenden Stichprobe war Cronbachs α = .87.

Mit der Perceived Stress Scale (PSS-10; Reis, Lehr, Heber & Ebert, 2019) wurde das Stresserleben (Unkontrollierbarkeit, Unvorhersehbarkeit, Überforderung angesichts der eigenen Bewältigungsfähigkeiten) mit zehn Items auf einer 5-stufigen Likert-Skala (0 = nie bis 4 = sehr oft) erhoben. Höhere Summenwerte bedeuten ein erhöhtes Stresslevel. In der vorliegenden Stichprobe war Cronbachs α = .87.

Bonding

Das Bonding zum Kind wurde mit der deutschen gekürzten Version des Postpartum Bonding Questionnaire erfasst (PBQ, Brockington et al. 2001; PBQ-16, Reck et al. 2006). Insgesamt 16 Aussagen bzgl. des mütterlichen Beziehungserlebens zum Kind werden auf einer 6-stufigen Likert-Skala (0 = immer bis 5 = nie) beantwortet. Höhere Punktwerte zeigen eine stärkere Beeinträchtigung des Bondings an. In der vorliegenden Stichprobe war Cronbachs α = .85.

Partnerschaftszufriedenheit

Die Partnerschaftszufriedenheit wurde mit der Kurzform des Partnerschaftsfragebogens erfasst (PFB-K; Kliem et al, 2012). Insgesamt werden neun Aussagen zu Verhaltensweisen des Partners auf einer 4-stufigen Likert-Skala eingeschätzt (0 = nie/sehr selten bis 3 = sehr oft). Das zehnte Item fragt nach dem in der Beziehung empfundenen Glück (0 = sehr unglücklich bis 5 = sehr glücklich). Der PFB-K hatte in dieser Stichprobe ein Cronbachs α = .85.

Statistische Analysen

Die Veränderungen der familiären Lebenssituation durch die pandemiespezifischen Beschränkungen, die Angaben zum kindlichen Verhalten und die Häufigkeiten der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten in Anlehnung an die klinischen Kriterien sowie die Belastungen der Mutter durch das Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten des Kindes werden zunächst deskriptiv dargestellt. Die Interkorrelationen der mütterlichen Belastungen und kindlichen Verhaltensweisen wurden mit bivariaten Korrelationen nach Pearson berechnet. Mittels Einstichprobentests wurden die Mittelwerte der standardisierten Fragebögen der Stichprobe mit Werten aus Normierungs- oder repräsentativen Stichproben verglichen.

Die Zusammenhänge zwischen den pandemiespezifischen Beschränkungen und der mütterlichen Belastung bzgl. des Schlaf-‍, Schrei- und Fütter-/Essverhaltens sowie der wahrgenommenen Probleme des kindlichen Verhaltens während der Zeit der stärksten Beschränkungen – 1) „mehr quengelte/schrie/weinte“; 2a) „länger brauchte, um abends einzuschlafen“; 2b) „häufiger in der Nacht wach wurde“; 3) „eingeschränkter aß“ – wurden mittels MANOVAs überprüft.

Mit einem Set aus rückwärtsgerichteten hierarchischen multiplen linearen Regressionen wurde exploriert, inwiefern die Belastung der Mütter durch das kindliche Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten (nicht anhand der klinischen Kriterien) mit Stresserleben und Depressivität sowie anhand von Bonding und Partnerschaftszufriedenheit aufgeklärt werden kann. Hierbei waren die Angaben der Mütter zur Belastung durch das Verhalten der Kinder die Kriterien und die Summenwerte der Fragebögen PSS-10, EPDS, PBQ-16 und PFB-K die Prädiktoren. Eine Variable wurde als Prädiktor eliminiert, wenn die empirische Fehlerwahrscheinlichkeit erster Art für den Ausschluss der Variable bei p ≥ .10 lag. Dadurch können Prädiktoren mit kleinen, aber möglicherweise bedeutsamen Effekten im Modell verbleiben.

Eine weitere MANOVA wurde gerechnet, um zu untersuchen, wie sich die psychische Belastung der Mütter (abhängige Variablen: Angaben zum Ausmaß der Belastungen durch das kindliche Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhalten sowie die Summenwerte der Fragebögen PFB-K, PSS-10, EPDS und PBQ-16) unterscheidet in Bezug auf die unabhängigen Variablen und deren Interaktionsterme: 1) das Alter (in Monaten), 2) das Vorhandensein von mindestens einem Geschwisterkind und 3) das Erleben von vermehrtem Schreien als stark oder sehr stark und längerer Einschlaflatenz (> als 45 Minuten) in der Zeit der stärksten Beschränkungen.

Ergebnisse

Beschränkungen sowie Zusammenhänge mit mütterlicher Belastung und dem Verhalten der Kinder

Die meisten Mütter berichteten Veränderungen in der alltäglichen Lebenssituation: Berufliche Veränderungen zeigten sich weniger bei den Müttern (28.4 %), sondern vermehrt bei den Vätern (66.6 %), überwiegend durch eine Verlegung der Arbeit ins Homeoffice (41.2 %) oder Kurzarbeit (15.5 %). Eine Einschränkung des Kontakts zu den eigenen Eltern berichteten 79.5 %, zu Familienangehörigen 88.7 % und zu Freundinnen und Freunden 92.5 % der Mütter. In den Familien, in denen sich das Netto-Haushaltseinkommen reduzierte (23.2 %), betrug die Reduktion durchschnittlich 29.2 % (SD = 18.4). Diese Beschränkungen hatten weder einen signifikanten Einfluss auf die retrospektiv berichtete mütterliche Belastung durch das Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhaltens des Kindes (F‍(3,570) ≤ 1.04, p ≥ .413), noch auf die von den Müttern beschriebene kindliche Problematik – 1) „mehr quengelte/schrie/weinte“; 2a) „länger brauchte, um abends einzuschlafen“; 2b) „häufiger in der Nacht wach wurde“; 3) „eingeschränkter aß“ – zur Zeit der stärksten Pandemie-Beschränkungen (F‍(4,572) ≤ 2.16, p ≥ .072).

Einen Mangel an medizinischer, psychotherapeutischer oder sonstiger Versorgung erlebten 23.6 % der Mütter. Bezüglich dieses Mangels gab es signifikante multivariate Haupteffekte auf sowohl die mütterlichen Belastungen durch das kindliche Verhalten (Schreien, Schlafen, Füttern/Essen; F‍(3,573) = 7.68, p < .001, ηp2 = .04) als auch die subjektiv beschriebene kindliche Problematik zur Zeit der stärksten Pandemie-Beschränkungen (F‍(4,572) = 3.30, p < .05, ηp2 = .02). Die Mütter, die angaben, einen Mangel erlebt zu haben, gaben signifikant höhere Belastungen bzgl. des Schrei- (M = 2.94, SD = 1.45), Schlaf- (M = 2.51, SD = 1.49), Fütter- und Essverhaltens (M = 1.94, SD = 1.35; F‍(1,575) ≥ 6.71, p ≤ .05) an. Ebenso machten die Mütter, die einen Mangel angaben, signifikant höhere Angaben zu vermehrtem kindlichem Schreien (M = 2.11, SD = 1.36), Ein- (M = 2.18, SD = 1.46) und Durchschlafschwierigkeiten (M = 2.07, SD = 1.41) und eingeschränktem Essverhalten (M = 1.51, SD = 1.05) als die Mütter, die keinen Mangel erfahren hatten (F‍(1,575) ≥ 4.08, p ≤ .05).

Keine der befragten Mütter war selbst an COVID-19 erkrankt. Jedoch gaben 41.4 % sehr starke Sorgen vor einer Infektion in der Familie an. Neben den möglichen Belastungen erlebten 66.9 % durch die Pandemie-Situation auch Chancen. 31.4 % gaben an, dass sie mehr Zeit für ihr Kind hatten, weil eigene Termine und Verpflichtungen wegfielen, 27.4 %, weil der Partner mehr zu Hause war, 3.5 %, weil sie selbst weniger und 7.6 %, weil sie gar nicht arbeiteten.

Verhalten der Kinder und Zusammenhänge mit der mütterlichen Belastung

Die klinischen Kriterien einer „exzessiven Schreistörung“ (Wessel-Regel) erfüllten zum Zeitpunkt der Befragung 9 von 577 Kindern (1.6 %). Dies ist ein geringer Anteil im Vergleich zu Prävalenzraten einer deutschen Stichprobe (16.3 % der Kinder innerhalb der ersten drei Lebensmonate, ab drei Monaten 5.8 %, ab sechs Monaten 2.5 %; von Kries, Kalies & Papoušek, 2006; im Telefonscreening erhoben). Die Frage, ob das Kind sehr häufig schreit und schwer zu trösten ist, bejahten 12.3 % (Abbildung 1). Unabhängig davon gab mehr als jede vierte Mutter (28.7 %) an, zur Zeit der Beschränkung durch Schreien/Quengeln stark oder sehr stark belastet gewesen zu sein (Abbildung 2).

Auffälliges Schlafverhalten (> 90. Perzentil) während der größten Beschränkungen gab es bei fast jedem vierten Kind (21.7 %), mit einer auffällig langen Einschlaflatenz bei 11.5 % der drei- bis sechsmonatigen, 46.9 % der sechs- bis achtmonatigen und 45.3 % der über achtmonatigen Kinder (Abbildung 1). Durchschlafprobleme im Sinne der DC:0 – 5 zeigten 11.1 % der über acht Monate alten Kinder (> dreimal pro Nacht für länger als 30 Minuten wach). Bei der oben zitierten Studie waren – bei weniger strenger Definition – 12.9 % der bis zu Einjährigen als schlecht schlafend eingeschätzt worden (von Kries et al., 2006). Außerdem gab fast jede fünfte Mutter (19.3 %) an, durch das Schlafverhalten ihres Kindes stark oder sehr stark belastet gewesen zu sein (Abbildung 2).

Auffälliges Fütter-/und Essverhalten nach den Kriterien DC:0 – 5 zeigten nach Angaben der Mütter insgesamt 3.8 % aller Kinder während der stärksten Beschränkungen (Abbildung 1) vs. 1.4 % bei von Kries et al. (2006). Zudem gaben 8.9 % der Mütter eine starke oder sehr starke Belastung durch das Fütter-/und Essverhalten ihres Kindes an (Abbildung 2).

Zusätzlich zu den klinischen Kriterien wurden Veränderungen der kindlichen Verhaltensweisen zur Zeit der stärksten Beschränkungen erfasst, mit den Fragen, inwiefern das Kind 1) „mehr quengelte/schrie/weinte“; 2a) „länger brauchte, um abends einzuschlafen“; 2b) „häufiger in der Nacht wach wurde“; 3) „eingeschränkter aß“. Die so erfassten kindlichen Verhaltensweisen korrelierten positiv untereinander (r‍(577) ≥ .47, p ≤ .001). Ebenso korrelierten die mütterlichen Belastungen positiv bezüglich des Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhaltens während der Zeit der stärksten Beschränkungen (r‍(577) ≥ .52, p ≤ .001).

Abbildung 1 Anmerkungen: Häufigkeiten (%) des kindlichen Schreiens (bewertet als „vermehrt und schwer tröstbar“), der Ein- und Durchschlafprobleme (Mittelwert über alle Kinder mit einer auffällig langen Einschlaflatenz, 11.5 % der drei- bis sechsmonatigen, 46.9 % der sechs- bis achtmonatigen und 45.28 % der über achtmonatigen Kinder) und Schwierigkeiten im Ess-/Fütterverhalten. N = 577; im Bereich „Schlafen“ n = 2 fehlende Angaben. Abbildung 1. Angaben der Mütter zu kindlichen Verhaltensauffälligkeiten (Schreien, Schlafen, Füttern/Essen).
Abbildung 2 Anmerkungen: Wahrgenommene Belastung der Mütter (stark und sehr stark) in dem jeweiligen Bereich. N = 577, keine fehlenden Angaben. Abbildung 2. Mütterliche Belastung bzgl. kindlicher Verhaltensauffälligkeiten (Schreien, Schlafen, Füttern/Essen).

Psychisches Befinden, Bonding und Partnerschaftszufriedenheit

Im Screening zu Depressivität (EPDS: M = 7.53, SD = 5.45) lagen 33.3 % über dem klinischen Cut-off (≥ 10), wobei 13.5 % im Bereich des Risikos zur Entwicklung einer minoren depressiven Episode (≥ 10 und < 13) und 19.8 % im Bereich einer majoren depressiven Episode (≥ 13) lagen. Diese Raten sind erhöht im Vergleich zu Studien mit Müttern in den ersten drei Monaten (17 % bei von Ballestrem, Strauß & Kächele, 2005; 23.6 % bei Reck et al., 2008). Das Stresserleben (PSS-10: M = 17.65, SD = 6.71) war im Vergleich zur Normstichprobe (von Frauen zwischen 20 – 39 Jahren, allerdings in einer anderen Übersetzung: Klein et al., 2016) deutlich erhöht (t‍(576) = 15.41, p < .001, d = 1.28). Das Bonding (PBQ-16: M = 9.75, SD = 6.39) war im Vergleich zur repräsentativen Stichprobe bei Reck et al. (2006) verschlechtert (t‍(576) = 9.09, p < .001, d = 0.75) und lag in der Höhe einer Subgruppe von Müttern mit postpartaler Depression. Die Partnerschaftsqualität (PFB-K: M = 18.53, SD = 5.22) war vergleichbar mit den Normwerten bei Kliem et al. (2012), (t‍(565) = -.30, p = .768, d = 0.20).

Im finalen Modell der hierarchischen Regression wiesen die Prädiktoren Stress, Partnerschaftszufriedenheit und das Bonding einen Zusammenhang mit der retrospektiv eingeschätzten Belastung der Mutter durch das Schreien des Kindes mit einer Varianzaufklärung von 20.5 % (F‍(3,562) = 49.57, p < .001, R²adj = 0.205) und das Schlafverhalten des Kindes mit einer Varianzaufklärung von 17.3 % (F‍(3,562) = 40.26, p < .001, R²adj = 0.173) auf. Die Belastung durch das Schrei- als auch durch das Schlafverhalten war höher bei höherem Stresserleben sowie bei stärker beeinträchtigtem Bonding und geringerer Partnerschaftszufriedenheit (siehe Tabelle 1). Depressivität trug nicht signifikant zur Aufklärung der mütterlichen Belastung durch das Schrei- und Schlafverhalten der Kinder bei (p > .202). Das psychische Befinden der Mutter zeigte einen Zusammenhang mit der Belastung durch das Fütter-/Essverhalten des Kindes mit einer Varianzaufklärung von 11.8 % (F‍(3,562) = 26.24, p < .001, R²adj = 0.118). Die Belastung war höher bei vermehrtem Stresserleben und stärkerer Beeinträchtigung des Bondings (siehe Tabelle 1). Depressivität der Mutter trug nicht signifikant zur Aufklärung der Belastung der Mutter durch das kindliche Essverhalten bei (p > .251). Insgesamt scheinen die Regressionsmodelle nicht durch Multikollinearität beeinflusst zu sein, da die Varianzinflation der Prädiktoren zwischen VIF = [1.189; 2.295] lag.

Tabelle 1 Prädiktoren der retrospektiv eingeschätzten Belastung durch kindliches Verhalten: Finale Modelle der rückwärtsgerichteten hierarchischen Regressionen

Analyse der Faktoren in der Aufklärung der mütterlichen Belastung

MANOVAS (Hotellings T2) ergaben signifikante multivariate Haupteffekte auf das psychische Befinden der Mütter und die Beziehungsmerkmale Bonding und Partnerschaftszufriedenheit für 1) vermehrtes Schreien und verlängerte Einschlaflatenz (F‍(7,552) = 2.52, p < .05, ηp2 = .03); 2) dem Vorhandensein von mindestens einem Geschwisterkind (F‍(7,552) = 6.78, p < .001, ηp2 = .08) und 3) dem Alter des letzten Kindes (F‍(7,522) = 2.59, p < .05, ηp2 = .03). Außerdem ergab sich eine Wechselwirkung zwischen dem Vorhandensein mindestens eines Geschwisterkinds und dem Alter (F‍(7,522) = 3.28, p < .01, ηp2 = .04).

Tabelle 2 Zusammenhang (Haupteffekt) zwischen vermehrt wahrgenommenem Schreien und längerer Einschlaflatenz mit psychischer Belastung der Mutter, Bonding und Partnerschaftszufriedenheit (Deskriptive Statistiken und post-hoc ANOVAs)

Die univariaten post-hoc-Tests (siehe Tabelle 2) zeigten, 1) dass Mütter, die berichteten, dass ihr Kind vermehrt schrie und schwer tröstbar war oder die eine verlängerte Einschlaflatenz (> 45 Minuten) für die Zeit der stärksten Beschränkung angaben (n = 221), insgesamt höhere Belastungen bezüglich des Schrei-‍, Schlaf- und Fütter-/Essverhaltens zeigten (F‍(1,558) ≥ 5.77, p ≤ .017, ηp2 ≥ .01), aber keine signifikanten Unterschiede bei Stress (PSS-10), Bonding (PBQ-16), Depressivität (EPDS) und Zufriedenheit mit der Partnerschaft (PFB-K; F‍(1,558) ≤ 2.11, p ≥ .147) als die Mütter, die angaben, dass ihr Kind nicht vermehrt schrie und schwer tröstbar war und in weniger als 45 Minuten einschlief (n = 345). 2) Mütter, die mind. ein Geschwisterkind zu Hause hatten, zeigten signifikant mehr Stress (PSS; M = 18.51, SD = 6.85), weniger Partnerschaftszufriedenheit (PFB-K; M = 17.39, SD = 5.21) sowie mehr Belastung durch das kindliche Schreien (M = 2.83, SD = 1.52; F‍(1,558) ≥ 4.84, p ≤ .028, ηp2 ≥ .09). 3) Das Alter hing signifikant mit dem Bonding (PBQ-16) und der Belastung der Mütter durch das Schlaf- und Schreiverhalten zusammen (F‍(1,558) ≥ 6.25, p ≤ .013, ηp2 ≥ .01): Je älter die Kinder, desto belastender das Schrei-‍, (r‍(577) = .14, p < .01) und Schlafverhalten (r‍(577) = .11, p < .01) und gleichzeitig desto beeinträchtigter das Bonding (r‍(577) = .10, p < .05). Die Wechselwirkung Alter x Geschwisterkind schließlich zeigte nur auf die Belastung durch das Fütter- und Essverhalten einen signifikanten Effekt (F‍(1,558) = 6.53, p < .05, ηp2 = .01). Dieser ist darauf zurückzuführen, dass der Zusammenhang zwischen Alter und Belastung durch das Fütter-/Essverhalten nur in der Gruppe der Mütter, bei denen ein Geschwisterkind im Haushalt lebt, statistisch signifikant ist: r‍(254) = .14, p < .05; je höher das Alter, desto höher die Belastung.

Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, kindliche Verhaltensauffälligkeiten in der vulnerablen Phase des ersten Lebensjahres und die damit im Zusammenhang stehende Belastung der Mütter in der Zeit der COVID-19-Pandemie zu untersuchen sowie für diese Lebensphase spezifische zusätzliche Stressoren und Schutzfaktoren zu identifizieren.

Zum Zeitpunkt der Erhebung berichteten die Mütter allgemein ein erhöhtes Risiko für eine depressive Episode und ein erhöhtes Stressniveau. Diese Ergebnisse reihen sich ein in Befunde zu erhöhten Depressivitätswerten in der Peri- und Postpartalzeit seit Beginn der Pandemie (z. B. Ceulemans et al., 2021) sowie in Befunde zu allgemein erhöhten Stresswerten in der Bevölkerung (Kowal et al., 2020). Für die Zeit der stärksten Beschränkungen gab fast ein Fünftel der Mütter eine hohe Belastung durch das Schlafverhalten ihrer Kinder an.

Insgesamt betrachtet wurde für 21.7 % der Kinder von verlängerten Einschlaflatenzen (> 90. Perzentil) oder vermehrten Durchschlafschwierigkeiten berichtetet. Dies steht in Übereinstimmung mit einer israelischen Studie, in der zu Beginn der Pandemie eine Verschlechterung der Schlafdauer und -qualität von rund einem Drittel der Mütter bei ihren Kindern ab sechs Monaten berichtet wurde (Zreik, Asraf, Haimov & Tikotzky, 2021).

Insgesamt gab mehr als ein Viertel der Mütter eine hohe Belastung durch Schreien oder Quengeln in der Zeit der stärksten Beschränkungen an. Im Vergleich zu dieser wahrgenommen Belastung erscheinen entgegen unserer Erwartung die Prävalenzen von auffälligem Verhalten, abgefragt anhand klinischer Kriterien (exzessives Schreien 1.6 %), als niedrig.

Fütter- und Essprobleme bei den Kindern spielten in der vorliegenden Studie bei einer geringen Prävalenz von 3.8 % nur eine untergeordnete Rolle.

In den multiplen Regressionsanalysen zeigte sich, dass auch die subjektiv berichtete mütterliche Belastung durch das Schrei- und Schlafverhalten der Kinder mit erhöhten Stresswerten zusammenhing. Dieser Zusammenhang zeigte sich hinsichtlich Depressivität jedoch nicht. Depressivität könnte eher im Zusammenhang mit anderen Faktoren (wie z. B. chronischer Belastung, depressiver Vorerkrankung) stehen (Reck et al., 2008). Erwartungsgemäß erlebten die Mütter weniger Belastung im Zusammenhang mit positiven Beziehungsmerkmalen (Bonding, Partnerschaftszufriedenheit). Stabile familiäre Beziehungen sind bekannt als protektive Faktoren in der Entwicklung postpartaler psychischer Probleme (z. B. Reck et al., 2016).

Höhere Belastungen durch das kindliche Verhalten gaben vor allem Mütter an, die ein Geschwisterkind zu Hause hatten, einen Mangel an medizinischer, psychotherapeutischer oder sonstiger Versorgung wahrnahmen, oder die angaben, dass ihr Kind verstärkt schrie oder lange brauchte, um einzuschlafen (> 45 Minuten). Mit dem Alter des Kindes stieg die Belastung durch das Schrei-‍, Schlaf-‍, Fütter- und Essverhalten ebenso wie das Ausmaß der Beeinträchtigung des Bondings. Dieser Befund könnte durch den in der Vergangenheit häufig nachgewiesenen Zusammenhang des kindlichen Schreiens mit der mütterlichen Müdigkeit und Erschöpfung erklärt werden (insbesondere durch Unterbrechungen des zirkadianen Rhythmus und weniger Ruhezeiten insgesamt; Kurth, Kennedy, Spichiger, Hösli & Zemp Stutz, 2011). Während der Beschränkungen im Zuge der Pandemie könnte sich dies noch einmal verschärft haben. Ebenso reihen sich diese Befunde in die Ergebnisse aktueller Studien zur Situation von Familien in der COVID-19-Pandemie ein, die vermehrtes familiäres „Chaos“ in alltäglichen Abläufen, mehr Hektik und Anspannung zu Hause abbilden (Johnson et al., 2021, erhoben mit der Confusion, Hubbub, and Order Scale; CHAOS, Matheny, Wachs, Ludwig & Phillips, 1995). Dies geht einher mit steigender mütterlicher Belastung (erhöhter Stress, weniger Schlaf und schlechtere Schlafqualität), wobei gilt: Je mehr Kinder im Haushalt, vor allem jüngere, desto mehr familiäres „Chaos“ (Kracht, Katzmarzyk & Staiano, 2021). Im Kontext des Risiko- und Resilienzmodells von Prime et al. (2020) wiederum können zunehmendes Lebensalter des Kindes (und damit bereits länger andauernde Belastung), das Vorhandensein von Geschwisterkindern sowie ein reduzierter Zugang zum Versorgungssystem als Risikofaktoren (letzterer pandemiespezifisch) für mütterliche Belastung und eine beeinträchtigte Eltern-Kind-Beziehung verstanden werden. Finanzielle Einbußen, Arbeitsverlust, weniger Kontakt zu Freundinnen und Freunden sowie Kolleginnen und Kollegen schienen keinen zusätzlichen Einfluss auf die Belastung zu haben.

Limitationen

Die Daten wurden ausschließlich per Online-Befragung erhoben. Die Bedingungen während der Erhebung konnten nicht kontrolliert werden (Ablenkung, Mehrfachteilnahme, Unterschiede in der Darstellung auf verschiedenen Geräten). Darüber hinaus lässt der überdurchschnittlich hohe Bildungsgrad der Mütter keine Generalisierung der Ergebnisse zu.

Neben standardisierten Messinstrumenten wurde ein von der Arbeitsgruppe entwickelter Fragebogen eingesetzt. Die Gründe dafür waren, dass (1) gerade auch die Belastung in der Zeit der stärksten Beschränkungen zu Beginn der Pandemie erfasst werden sollte, was nur retrospektiv möglich war und (2) keine pandemiespezifischen Instrumente vorlagen. Es existieren keine Vergleichsdaten einer nicht betroffenen Kontrollgruppe. Darüber hinaus können aufgrund der Erhebung im Querschnitt sowie quasiexperimentell definierter Analysedesigns aus den Ergebnissen keine Kausalschlüsse gezogen werden. Zukünftige Untersuchungen sollten longitudinal erfolgen, möglichst im Cross-Lagged-Panel-Design, um die Wirkrichtungen der beobachteten Zusammenhänge abschätzen zu können.

Die erhobenen Konstrukte weisen zum Teil eine inhaltliche Nähe auf, wie z. B. wahrgenommener Stress und Belastung durch das kindliche Verhalten. Ein Teil der Varianzaufklärung könnte hier begründet liegen. Die Effektstärken für die Zusammenhänge in der vorliegenden Studie sind größtenteils als klein einzuordnen.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass die mit der COVID-19-Pandemie einhergehenden Belastungen in der vulnerablen Phase des ersten Lebensjahres ein Risiko für die psychische Gesundheit von Müttern darstellen. Verstärkend auf die Belastung scheinen die Anforderungen in der Versorgung gerade junger Kinder und Geschwisterkinder sowie gleichzeitig ein erlebter Mangel an medizinischer, psychotherapeutischer oder sonstiger Versorgung zu wirken. Einen entlastenden Einfluss kann man hingegen sowohl für ein positives Beziehungserleben bzw. die Verbundenheit der Mutter zum Kind als auch für Zufriedenheit in der Partnerschaft annehmen. In der Prävention psychischer Belastung von Müttern in der Zeit der COVID-19-Pandemie sollte die Stärkung innerfamiliärer Beziehungen sowie der Zugang zu Mutter-Kind-spezifischer gesundheitlicher Versorgung und eine Entlastung in der Betreuung von Geschwisterkindern im Fokus stehen. Zukünftige Untersuchungen könnten zeigen, über welche Faktoren pandemiespezifische psychosoziale Stressoren die frühe Verhaltensregulation beeinflussen (z. B. über die Stressregulationskompetenz der Mutter, adäquate Co-Regulation).

Elektronische Supplemente (ESM)

Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000373

Wir möchten allen an der Studie „CoviFam“ Beteiligten für die Unterstützung unserer Forschung danken. Unser besonderer Dank gilt den Familien, die an der Online-Erhebung teilgenommen haben.

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