Die degenerative Hornhauterkrankung Keratokonus ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende stromale Ausdünnung und kegelförmige Vorwölbung der Hornhaut, was mit zunehmend irregulärem Astigmatismus, konsekutiver Myopisierung und einer allgemeinen starken Visusabnahme assoziiert ist [
2,
9,
13,
14,
29]. Es können sich die Gewebestruktur und damit die biomechanischen Eigenschaften der Hornhaut ändern [
2]. Zur In-vivo-Messung des biomechanischen Verhaltens der Hornhaut steht als Non-Kontakt-Pneumotonometer mit integrierter Ultra-High-Speed Scheimpflug-Kamera Corvis ST® (CST, Oculus Optikgeräte GmbH, Wetzlar, Deutschland) zur Verfügung, das die Phasen der Hornhautdeformation auf eine definierte Kraft in Form eines Luftimpulses tomographisch erfasst [
2]. Die ABCD-Klassifikation von Belin und Duncan ist eine Möglichkeit, den Keratokonus mit seinen Merkmalen wie der Krümmung der Hornhautvorder- und -rückfläche (A und B), der kornealen Ausdünnung (C) und den Visus (D) im Verlauf zu beurteilen [
16]. Den 3 Parametern A, B und C, die aus der Pentacam-Software (Oculus Optikgeräte GmbH) ausgelesen werden können, und dem augenärztlich bestimmten Fernvisus mit Brille D wird jeweils ein Schweregrad zwischen 0 und 4 zugewiesen [
16]. Kriterien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für einen progredienten Keratokonus sind die Zunahme der maximalen Hornhautbrechkraft (K
max) um ≥ 1 dpt, die Zunahme des durch die subjektive Refraktion bestimmten Astigmatismus um ≥ 1 dpt und die Abnahme der Basiskurve der bestsitzenden Kontaktlinse um ≥ 0,1 mm innerhalb eines Jahres [
16]. Bei fortgeschrittenem Krankheitsstadium und noch ausreichendem Visus wird als Therapiemöglichkeit mit meist akzeleriertem Crosslinking nach Abrasio (CXL) darauf gezielt, die Kollagenfasern der vorderen 300 µm der Hornhaut durch einen photochemischen Effekt mit Riboflavin (Vitamin B
2) und UV-A-Bestrahlung der Wellenlänge 360–370 nm zu festigen und deren Quervernetzung zu steigern [
1,
9,
13,
14,
19]. In Adaption an das „Dresdner Protokoll“ wird dabei durch eine Intensivierung der UV-A-Strahlung die Bestrahlungsdauer bei höherer Bestrahlungsleistung unter Beibehaltung der Dosis verkürzt [
12]. Eine vollständige Heilung des Keratokonus durch CXL ist nicht möglich [
14]. In vielen Fällen kann aber das Voranschreiten des Keratokonus aufgehalten werden, und somit können invasivere Eingriffe wie der Einsatz intrakornealer Ringsegmente (ICRS) oder eine Keratoplastik vermieden werden [
2,
6].
Die Zielsetzung der vorliegenden Studie war es, anhand des prä- und postoperativen Vergleichs der aus Pentacam und Fernvisus generierten ABCD-Klassifikation nach Belin und Duncan und verschiedener Messparameter aus Corvis ST (CST) den Effekt des kornealen Crosslinking auf die Biomechanik der Hornhaut und den Visus zu analysieren. Somit sollen genauere Erkenntnisse über das gewünschte Aufhalten der Krankheitsprogression des Keratokonus für den definierten Untersuchungszeitraum gewonnen werden.
Statistische Auswertung
Alle erhobenen Messdaten wurden aus den Patientenakten in eine zugriffsbeschränkte Microsoft Access-Datenbank (Version 2013, Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) eingetragen und mit SPSS Version 25 (IBM® SPSS® Statistics, International Business Machines Corporation [IBM], Armonk, NY, USA) ausgewertet. Kontinuierliche Daten wurden als Mittelwert, Standardabweichung, Minimum, Maximum und kategoriale Variablen als Prozentsätze beschrieben. Kategoriale Variablen wurden mit dem Chi-Quadrat-Test verglichen. Für die Auswertung von Längsschnittdaten wurde ein lineares Modell für wiederholte Messungen und für Mehrfachvergleiche eine Bonferroni-Korrektur angewendet. Das Signifikanzniveau lag bei 5 %.
Diskussion
Ein wesentliches Merkmal des progredienten Keratokonus ist die Ansteilung der Hornhaut und damit einhergehend die Erhöhung der Brechkraft. Epstein et al. konnten nachweisen, dass K
max ein gutes Einzelkriterium darstellt, um eine Progression oder das Aufhalten des Keratokonus zu bewerten [
5]. Dem wurde von Duncan et al. entgegnet, dass es ein ungeeigneter Parameter zur Progressionsbeurteilung sei und nicht immer den Grad der Ektasie widerspiegele [
4]. In der vorliegenden Studie wurde 6 bzw. 12 Monate postoperativ eine sehr geringe, nicht signifikante Abnahme von K
max nachgewiesen, welche als Tendenz eine Verminderung der maximalen Vorderflächenkrümmung reflektiert und einen geringfügig verbesserten Visus erklären kann [
29]. Es sind allerdings längere Nachbeobachtungszeiträume notwendig, um den dauerhaften Erfolg des CXL anhand der Topographie bewerten zu können. In zahlreichen Studien konnte eine Abnahme von K
max durch CXL aufgezeigt werden [
9,
10,
13].
Das Belin/Ambrósio Enhanced Ectasia Total Deviation Display (BAD D) erlaubt eine Prognose bzw. Einschätzung der ektatischen Erkrankung nach Aspekten der Höhenkarten der Hornhautvorder- und -rückfläche, Pachymetrie und Referenzsphäre und errechnet durch den Vergleich mit einer normativen Datenbank einen Gesamtwert „D“ [
26]. Durch die Auswertung können möglicherweise Rückschlüsse auf den Ausprägungsgrad des Keratokonus gezogen werden und somit der Effekt des CXL mitbewertet werden. Der Gesamtwert D zeigte 6 Monate postoperativ eine statistisch signifikante Erhöhung und eine nicht-signifikante Steigerung nach 1 Jahr. Flockerzi et al. konnten in ihrer Studie zum biomechanischen E‑Staging nach akzeleriertem kornealem Crosslinking bei Keratokonus 5 Monate postoperativ an 22 Hornhäuten dieses Ergebnis bestätigen und ebenfalls einen signifikanten Anstieg nachweisen. Nach 11 Monaten wurde an 49 Hornhäuten ein geringer, nicht signifikanter Anstieg des BAD D gemessen [
25]. Insgesamt kommt es nach dem initialen Anstieg der ersten postoperativen Monate wieder zu einer Annäherung an präoperative Ausgangswerte. Das kann darauf hindeuten, dass die Hornhaut 1 Jahr nach CXL beginnt, sich biomechanisch dem präoperativen Status anzunähern, wie bereits von Flockerzi et al. beschrieben wurde [
25]. Unter anderem Hashemi et al. zeigten, dass der BAD D geeignet ist, um einen (sub)klinischen Keratokonus zu diagnostizieren [
7]. Zurzeit steht mehr die frühe Keratokonusdiagnostik bzw. die Prognose der ektatischen Erkrankung anhand dieses Parameters im Fokus als die Bewertung der Keratokonusausprägung im Verlauf.
Der CST-Parameter Stiffness Parameter A1 (SP A1) wird während der 1. Applanation, also der Phase der Einwärtsbewegung der Hornhaut durch den Luftimpuls, gebildet und spiegelt die Steifigkeit der Hornhaut wider [
2]. Die mit den präoperativen Ausgangswerten vergleichbaren Werte von SP A1 nach 6 bzw. 12 Monaten können eine Stabilisierung der kornealen Steifigkeit gegen die Deformation andeuten. Es existieren verschiedene Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen zur postoperativen Entwicklung des Parameters. Jabbarvand et al. konnten in einer longitudinalen prospektiven Studie mit 67 Patienten 6 Monate nach CXL eine signifikante Zunahme von SP A1 nachweisen, genau wie Vinciguerra et al. in einer prospektiven Studie, in der allerdings nur 34 Augen 1 Monat nach CXL ausgewertet wurden [
8,
18]. Im Gegensatz dazu konnten Sedaghat et al. in einer longitudinalen Studie an 18 Patienten 4 Jahre nach CXL keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich SP A1 beobachten [
15]. Es bleiben weitere Studien mit größeren Patientenzahlen mit der Frage abzuwarten, ob sich eine dauerhaft erhöhte Rigidität über einen langen Zeitraum beobachten lässt.
Durch den Parameter IntegratedRadius wird der inverse Radius im konkaven Stadium der Hornhautdeformation nach dem Luftimpuls abgebildet [
2]. Ein geringerer Wert ist mit einer rigideren und widerstandsfähigeren Hornhaut assoziiert [
18]. Die in der vorliegenden Studie mit den Werten der Ausgangsuntersuchung vergleichbaren, postoperativen Messwerte können auf eine Stabilisierung der kornealen Steifigkeit hindeuten. Jabbarvand et al., Vinciguerra et al. und Sedaghat et al. konnten eine statistisch signifikante Abnahme des inversen Radius nachweisen, die auf eine erhöhte Widerstandsfähigkeit nach CXL hindeutet [
8,
15,
18].
Der Parameter Ambrósio’s relational thickness to the horizontal profile (ARTh) gibt das Hornhautdickenprofil in temporal-nasaler Ausdehnung an und beschreibt die relative Dickenzunahme vom Zentrum zur Peripherie [
2,
20]. Sowohl 6 als auch 12 Monate postoperativ konnte eine signifikante Abnahme beobachtet werden. Ein niedrigerer Wert spiegelt eine schnellere Dickenzunahme zur Peripherie bzw. eine dünnere Hornhaut wider [
20,
25]. Ein möglicher Grund für dieses Ergebnis ist die postoperative Abnahme der Hornhautdicke und Abflachung der Hornhautspitze [
25]. In Anbetracht der Studienlage sind weitere Veröffentlichungen abzuwarten, die diesen Parameter gerade in Bezug auf das CXL genauer untersuchen. Außerdem ist zu beachten, dass eine isolierte Betrachtung von ARTh nur einen begrenzten Informationsgehalt hat [
11].
Deformation Amplitude Ratio (DA Ratio) ist ein Parameter, der das Verhältnis der zentralen zur peripheren Deformation beschreibt [
20]. Je höher der Wert dieses Parameters ist, desto weniger Steifigkeit weist die Hornhaut auf, und desto geringer ist ihr Verformungswiderstand. A1 velocity beschreibt die maximale Geschwindigkeit am Apex der Hornhaut während der Phase der ersten Applanation. Damit können Anzeichen der Geschwindigkeitsänderung während der Verformung auf eine veränderte Hornhaut hindeuten. Die Parameter DA Ratio (2 mm) und A1 velocity blieben in der vorliegenden Studie während des Untersuchungszeitraums auf dem gleichen Niveau, was auf eine biomechanische Stabilisierung zurückzuführen werden kann [
20]. Vinciguerra et al. und konnten in einer prospektiven klinischen Studie an 34 Hornhäuten 1 Monat postoperativ eine signifikante Reduktion von DA Ratio beobachten und führten diese Veränderung auf eine biomechanisch steifere Hornhaut zurück [
18]. Flockerzi et al. zeigten in einer Studie an 49 Hornhäuten 11 Monate postoperativ vergleichbare Werte für DA Ratio und A1 velocity [
25]. Pedrotti et al. zeigten in ihrer Studie an 18 Augen 1 Jahr nach CXL eine signifikante Abnahme von A1 velocity und führten sie auf die Versteifung der kornealen Strukturen zurück [
28].
Der Keratokonus geht nicht zuletzt auch mit einer deutlichen Visusabnahme einher. Bezüglich des bestkorrigierten cc-Visus (logMAR) konnte sowohl 6 als auch 12 Monate nach CXL eine nicht signifikante Verbesserung der Sehschärfe festgestellt werden, was als sekundärer Effekt durch die induzierten Veränderungen der Hornhauttopographie erklärt werden kann [
29].
Den einzelnen Parametern der ABCD-Klassifikation konnte 6 und 12 Monate postoperativ insgesamt der gleiche Schweregrad zugeteilt werden. Die signifikante Erhöhung des Parameters C deutet auf eine dünnere Hornhaut hin, was auch durch die signifikante Abnahme des CST-Parameters ARTh beobachtet wurde. Die postoperative Änderung der kornealen Dicke kann als Bestandteil des Heilungsprozesses nach CXL gedeutet werden. Für den Parameter D konnte analog zum logMAR cc-Visus eine nicht signifikante Verbesserung gezeigt werden. Danesh et al. zeigten in ihrer Studie an 31 Augen, die mit CXL behandelt wurden, dass sich die ABC-Parameter und der bestkorrigierte Fernvisus 1 Jahr postoperativ stabilisierten [
3]. Vinciguerra et al. schlugen in ihrer Studie vor, dass die ABCD-Klassifikation besser als K
max geeignet ist, um mögliche frühe Progressionsänderungen des Keratokonus zu erkennen [
17]. Demnach hat die Anwendung der Klassifikation das Potenzial, auch frühe (Re‑)Interventionen zu gewährleisten [
17]. An dieser Stelle muss beachtet werden, dass der G‑BA eine Progressionsbeurteilung durch die ABCD-Klassifikation nicht vorsieht und die Zunahme der maximalen Hornhautbrechkraft K
max als klinische Indikation gilt [
16].
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen bei mit CXL behandelten Keratokonuspatienten nach einem Kontrollzeitraum von 6 und 12 Monaten geringe Veränderungen bei einigen die Biomechanik der Hornhaut betreffenden Parametern. Es existieren auch Parameter, deren Untersuchungswerte postoperativ annähernd gleich blieben bzw. die sich nach 12 Monaten dem präoperativen Status annäherten, was auf eine Stabilisierung und das Aufhalten einer Krankheitsprogression hindeutet. Eine höhere Patientenanzahl und ein längerer Beobachtungszeitraum sind allerdings notwendig, um klinisch langfristige Unterschiede und die Entwicklung der biomechanischen Eigenschaften präziser beurteilen zu können. In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass CXL bei progredientem Keratokonus als effektive und komplikationsarme Therapiemöglichkeit das Potenzial hat, die Biomechanik der Hornhaut und den Visus positiv zu beeinflussen und die Krankheitsprogression aufzuhalten [
21‐
24,
30].
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