Erschienen in:
01.06.2009 | Originalien
Die Erstversorgungsklinik bei einem Großschadensereignis MANV IV
Erfahrungen aus einer Vollübung
verfasst von:
Dr. S. Wolf, A. Partenheimer, C. Voigt, R. Kunze, H.A. Adams, H. Lill
Erschienen in:
Die Unfallchirurgie
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Ausgabe 6/2009
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Zusammenfassung
Hintergrund
In der Region Hannover sind Konzepte für die medizinische Versorgung bei einem Massenanfall von Verletzten/Erkrankten (MANV) auf 50 bis maximal 200 Patienten ausgelegt und gut erprobt. Bei Großschadensszenarien im Bereich von bis zu 1000 Patienten (Vorgabe der FIFA für die Fußballweltmeisterschaft 2006) stieß das bisherige Konzept mit Erstversorgung in mobilen Behandlungsplätzen an der Schadensstelle und anschließender geordneter Verlegung in geeignete Zielkliniken an seine Grenzen. Dieses betraf weniger personelle und materielle Ressourcen, als vielmehr die vorgegebene Infrastruktur. Für diese Größenordnung (MANV IV mit >200 Patienten) wurde das regionale Modell der Erstversorgungsklinik entwickelt. Die Aufgaben der Behandlungsplätze konzentrieren sich in diesem Fall auf die schnellstmögliche Sichtung und Herstellung der Transportfähigkeit vital bedrohter Patienten und den unverzüglichen Transport in spezielle Erstversorgungskliniken (EVK). Diese stellen den Routinebetrieb ein und konzentrieren alle personellen und materiellen Ressourcen auf die Herstellung der stationären Behandlungs- oder weiteren Transportfähigkeit der schwerstgeschädigten Patienten.
Methoden
In einer Vollübung wurde die Notfallversorgung von mehr als 60 Verletzten und Erkrankten der Sichtungskategorien I und II personell und logistisch im Diakoniekrankenhaus Friederikenstift gGmbH Hannover, einem Schwerpunktkrankenhaus mit unfallchirurgischer Maximalversorgung, nach entsprechenden Vorplanungen mit Erstellung eines Notfallplans usw. erprobt.
Ergebnisse
In der AWD-Arena Hannover wurde ein Schadensereignis mit 620 Patienten, darunter vielen Schwerstverletzten mit stumpfen und penetrierenden Traumen, angenommen. Das Diakoniekrankenhaus Friederikenstift gGmbH hatte 60 min nach dem Ereignis die komplette Einsatzbereitschaft in 3 Behandlungsfluren mit einer Aufnahme- und Behandlungskapazität von 60 liegenden und 30 beatmeten Patienten hergestellt. Nach der Eingangssichtung von 78 Patienten entsprechend den ATLS®-Kriterien erfolgte innerhalb von 135 min die Notfallversorgung (mit Atemwegsicherung, Beatmung, Volumenersatz, Thoraxdrainagen, Blutstillung usw.) durch interdisziplinäre Behandlungsteams. Stationär aufgenommen wurden 69 Patienten, 5 ambulant behandelt und 3 Patienten weiterverlegt. Bereits intubiert wurden 10 Patienten zugeführt, bei 6 weiteren erfolgte die Intubation vor Ort. Im Operationsbereich wurden 4 Laparatomien, 2 Trepanationen, eine Naht der A. femoralis sowie 3 Versorgungen offener Extremitätenfrakturen vorgenommen. In den Behandlungsbereichen wurden weitere 6 Extremitätenfrakturen versorgt sowie 7 Thoraxdrainagen angelegt und 43 Wundversorgungen durchgeführt. In der Übung traten keine nichtkompensierbaren personellen oder logistischen Engpässe auf.
Schlussfolgerung
Das Hannoversche EVK-Modell wurde am Diakoniekrankenhaus Friederikenstift gGmbH Hannover problemlos etabliert und hat sich in der Vollübung bewährt. Das Modell ist im Rahmen der regionalen Bewältigung des Massenanfalls von mehr als 200 Patienten (MANV IV) mit einer Vorlaufzeit von 60 min ab Alarmierung unabhängig von Schadenslage, Jahreszeit und Witterung durchführbar. Das Intervall zur chirurgischen Notfallversorgung, temporären Stabilisierung bei Extremitätenfrakturen und definitiven operativen Versorgung wird im Vergleich zum herkömmlichen Konzept der medizinischen Bewältigung von Großschadensereignissen deutlich verkürzt werden. Grundlage des Modells ist u. a. die Schulung möglichst vieler Ärzte entsprechend dem ATLS®-Prinzip. Das EVK-Konzept ist variabel und deshalb sowohl in Häusern der Maximalversorgung als auch in kleineren Kliniken praxistauglich zu etablieren.