Skip to main content
Erschienen in: Prävention und Gesundheitsförderung 4/2023

Open Access 11.11.2022 | Pflege | Originalarbeit

Förderung organisationaler Gesundheitskompetenz aus Sicht von Pflegefachpersonen. Ergebnisse einer qualitativen Studie

verfasst von: Prof. Dr. Melanie Messer, Tatjana Murau

Erschienen in: Prävention und Gesundheitsförderung | Ausgabe 4/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Gesundheitseinrichtungen sind gefordert, Patient*innen in ihrer Gesundheitskompetenz zu unterstützen und zu fördern. Dabei kommt Pflegefachpersonen eine bedeutsame Rolle zu, auf die Informationsfähigkeiten und -bedarfe von Patient*innen einzugehen. Bislang ist jedoch kaum untersucht, inwieweit die Pflegepraxis auf diese Aufgabe vorbereitet ist.

Ziel

Ziel der Studie ist es, die Ausgangslage in pflegerischen Informations- und Beratungssituationen zu beschreiben, auf die die Bestrebungen der Förderung der organisationalen Gesundheitskompetenz treffen.

Methode

Es wurden 21 leitfadengestützte Interviews mit Pflegefachpersonen durchgeführt. Die Auswertung erfolgte thematisch kodierend.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Pflegefachpersonen auf eine Ad-hoc-Informationsvermittlung spezialisiert haben, in der Aufklärung und Wissensvermittlung im Vordergrund stehen. Beratende und schulende Ansätze finden sich kaum. Adressiert wird ein breites Feld an Informationsthemen, das von Gesundheitsförderung und Prävention bis zu Fragen der Behandlung, Koordination und des Selbstmanagements reicht. Hier zeigt sich eine direkte Passfähigkeit an Konzepte der organisationalen Gesundheitskompetenz. Deutlich wird jedoch, dass es nach dem Berufseinstieg an strukturierten Qualifikationsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen zum Thema Kommunikation mangelt. Informationstechniken erarbeiten sie sich durch Erfahrungslernen mit zunehmender Berufserfahrung überwiegend selbst.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse liefern Hinweise auf die aktuelle Praxis der Vermittlung von gesundheitskompetenzfördernden Informationen durch Pflegefachpersonen. Sie bieten Ansatzpunkte für die zukünftige Konzeptentwicklung, etwa Pflegefachpersonen gezielter in ihrem Qualifikationsbedarf zu unterstützen.

Einleitung

Gesundheitseinrichtungen haben eine besondere Verantwortung, Patient*innen und Angehörige entsprechend ihrer Gesundheitskompetenz zu unterstützen und vorhandene Fähigkeiten zu fördern [1, 2]. Gesundheitskompetenz meint die Fähigkeiten, das Wissen und die Motivation des Individuums, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen [19]. Bei der organisationalen Gesundheitskompetenz erweitert sich die Perspektive auf die Bedingungen, Strategien und Aktivitäten von Organisationen, wie z. B. Krankenhäuser oder auch Gesundheits‑, Bildungs-, und Sozialsysteme, und wie diese die individuelle Gesundheitskompetenz unterstützen [1, 3, 17]. Im Mittelpunkt stehen hierbei der Umgang mit und die Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen. Demnach ist die organisationale Gesundheitskompetenz „der Grad, in dem Organisationen den Einzelnen in die Lage versetzen, Informationen und Dienstleistungen zu finden, zu verstehen und zu nutzen, um gesundheitsbezogene Entscheidungen und Maßnahmen für sich und andere zu ermöglichen“ [2, S. 1084, eigene Übersetzung]. Einen zentralen Baustein in der organisationalen Gesundheitskompetenz bilden Gesundheitsprofessionen mit ihren kommunikativen Kompetenzen, um patientenzentriert auf die Informationsfähigkeiten und -bedarfe von Patient*innen und Angehörigen einzugehen [3, 13]. Als Akteure des Gesundheitssystems sollen sie Patient*innen und Angehörige darin unterstützen, Zugang zu gesundheitsbezogenen Informationen und Dienstleistungen zu erhalten, gesundheitsbezogene Informationen zu verstehen, Entscheidungen zu treffen, die eigenen Ressourcen zu nutzen sowie gesundheitsbezogenes Lernen und Selbstmanagement beständig weiterzuentwickeln [1]. Gesundheitseinrichtungen sollen ihnen hierzu entsprechende Arbeitsumgebungen und unterstützende Hilfsmittel, wie schriftliche oder auch audiovisuelle Materialien, bereitstellen [3, 17]. Als größter Berufsgruppe im Gesundheitswesen, zu deren Aufgabenprofil zudem die Information, Beratung und Anleitung von Patient*innen und Angehörigen gehören, kommt Pflegefachpersonen in der Förderung der Gesundheitskompetenz eine bedeutsame Rolle zu [6, 9, 20, 21]. Dafür müssen sie jedoch qualifiziert und vorbereitet sein [17].
In ersten internationalen Studien deutet sich an, dass mitunter ein beachtlicher Anteil von Pflegefachpersonen und Auszubildenden die eigene Gesundheitskompetenz als eher niedrig einschätzt oder über ein geringes Wissen zum Thema verfügt [5, 8, 14, 16]. Deutlich wird auch, dass sie zu hohen Anteilen Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen gesundheitsbezogenen Informationen haben, wie etwa deren Zuverlässigkeit einzuschätzen [11, 23]. Andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass Pflegefachpersonen häufig Schwierigkeiten haben, eine niedrige Gesundheitskompetenz bei Patient*innen zu identifizieren und kaum Strategien der Gesundheitskompetenzförderung kennen und anwenden können [4, 14, 15, 22]. Auch zeigen sich zielgruppenspezifische Herausforderungen, etwa in der Informationsvermittlung an Menschen mit Migrationshintergrund und in emotionalen Situationen [22]. Zu berücksichtigen ist dabei die stark eingeschränkte Übertragbarkeit der Studien auf die Situation in Deutschland aufgrund unterschiedlicher Qualifikationssysteme und Aufgabenbereiche der Pflegefachpersonen.
In Deutschland ist die organisationale Gesundheitskompetenz kein flächendeckend implementiertes Konzept, jedoch bestehen umfängliche Bemühungen, das Konzept in die Praxis zu tragen [18]. Bislang ist allerdings kaum bekannt, inwieweit Pflegefachpersonen in der Versorgung in Deutschland auf diese Aufgabe vorbereitet sind und welche gesundheitskompetenzfördernden Prozesse sich in der Praxis bereits finden. Hier setzt die vorliegende Studie mit dem Ziel an, die Ausgangslage in pflegerischen Informations- und Beratungssituationen zu beschreiben, auf die die Bestrebungen der Förderung der organisationalen Gesundheitskompetenz treffen. Im Einzelnen stehen dabei folgende Fragen im Vordergrund:
  • Welche Situationen der gesundheitskompetenzunterstützenden Information und Beratung charakterisieren aus Sicht der Pflegefachpersonen die Pflegepraxis, wie werden diese initiiert und welche Themenbereiche adressieren sie?
  • Welche Methoden setzen Pflegefachpersonen bei der gesundheitskompetenzunterstützenden Information und Beratung ein und welche Ziele verfolgen sie damit?
  • Wie erwerben Pflegefachpersonen ihre Informations- und Beratungskompetenz?

Methodik

Es wurden 21 leitfadengestützte Interviews mit Pflegefachpersonen geführt. 14 Interviewpartner*innen waren im Krankenhaus tätig, 7 Interviewpartner*innen in der ambulanten Pflege (vgl. Tab. 1). Im Krankenhaus arbeiteten die Pflegefachpersonen in unterschiedlichen Bereichen wie der Inneren Medizin, Allgemein- und Viszeralchirurgie, HNO, Geriatrie und Orthopädie. Der Interviewleitfaden wurde flexibel an die jeweilige Gesprächssituation angepasst. Für den Intervieweinstieg wurden die Interviewpartner*innen gebeten, von einer konkreten Situation aus dem eigenen Arbeitsalltag zu berichten, in der sie Patient*innen zu einem Thema informiert oder beraten haben. Des Weiteren wurden im Interviewleitfaden Kernaspekte des Gesundheitskompetenzmodells nach Sørensen et al. [19] sowie der organisationalen Gesundheitskompetenz nach Brach et al. [3] adressiert, wie Fragen nach charakteristischen Situationen sowie Rahmenbedingungen und Qualifikationsverläufen:
  • Kontakt mit Informationssituationen,
  • Erfahrungen bei der Unterstützung der Informationssuche von Patient*innen und Angehörigen,
  • Erfahrungen bei der Unterstützung des Verstehens, der Beurteilung und der Anwendung von Informationen,
  • Rahmenbedingungen und Qualifikationsverläufe.
Tab. 1
Charakteristika Interviewpartner*innen (n = 21)
 
n
Alter (Jahre MW [Min.–Max.])
33,3 (22–54)
Geschlecht
Weiblich
19
Männlich
2
Arbeitssetting
Krankenhaus
14
Ambulante Pflege
7
Funktionsweiterbildung absolviert
3
Qualifikation als Praxisanleitung
2
Berufserfahrung (Jahre MW [Min.–Max.])
12,4 (2–33)
MW Mittelwert, Min. Minimum, Max. Maximum
Die Interviews dauerten zwischen 30 und 65 min (Mittelwert [MW] 55 min). Alle Interviewpartner*innen haben eine 3‑jährige Berufsausbildung in der Pflege abgeschlossen und sind als Pflegefachpersonen tätig. Die Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet und anonymisiert wörtlich transkribiert, die Aufzeichnungen anschließend gelöscht. Alle Interviewpartner*innen waren über die Studienziele, die Datenverwendung sowie ihre Rechte als Studienteilnehmer*innen mündlich und schriftlich informiert und haben diesen zugestimmt. Die Studienteilnahme war freiwillig, den Studienteilnehmer*innen entstanden daraus weder Vor- noch Nachteile. Die Analyse erfolgte thematisch kodierend im iterativen Prozess mithilfe der Software MAXQDA. Zunächst wurde das Interviewmaterial deduktiv kodiert. Der Interviewleitfaden bildete dafür den Rahmen. In einem nächsten Arbeitsschritt wurde die Analyse iterativ fall- und thematisch vergleichend verfeinert. Zur Sicherung der Datenqualität wurden Datenerhebung und -analyse durch mehrere Personen vorgenommen. Im Folgenden werden die Ergebnisse entlang der Fragestellungen vorgestellt.

Ergebnisse

Situationen der Information und Beratung

Ad-hoc-Informationsvermittlung

Die Pflegefachpersonen betonen, wie wichtig ihnen Information, Aufklärung, Beratung und Schulung von Patient*innen und Angehörigen sind. Zugleich machen sie jedoch darauf aufmerksam, dass sie „kaum Gelegenheiten [haben], solche Maßnahmen durchzuführen“ [I02:12] oder diese praktisch auch noch nie in der gelernten Weise eingesetzt haben:
„… in der Ausbildung hatte ich das [Beratungsmethoden], aber jetzt hier so auf Station konnte ich das so eigentlich noch nie machen.“ [I17:35]
Hier zeigt sich durchweg eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Pflegefachpersonen und der tatsächlichen Umsetzung in ihrem Arbeitsalltag. So haben sie sich in der Konsequenz auf Ad-hoc-Auskünfte spezialisiert, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie spontan, aus dem Augenblick heraus, während anderer Pflegetätigkeiten entstehen und die informierende Wissensvermittlung im Vordergrund steht:
„Na, das ergibt sich so ganz plötzlich, und dann guckt man eben und reagiert dann direkt und bietet da direkt die passende Information an. Das ist ja dann auch die Erwartung vom Patient, dass man dann eine Antwort kriegt, ehm, und manchmal stimmt auch gerade die Atmosphäre […] und später wüsste ich dann gar nicht, ob ich zeitlich noch dazu komme. Dann lieber gleich erledigen.“ [I04:27]
Diese Betrachtungsweise bildet den zentralen Ausgangspunkt für das Informationsverständnis und -handeln der Pflegefachpersonen in den meisten von ihnen beschriebenen Situationen.

Entscheidungsbegleitung

Vereinzelt beschreiben die Interviewpartner*innen, dass sie Patient*innen und Angehörige auch bei Entscheidungen begleiten. Dabei handelt es sich ausschließlich um Pflegefachpersonen, die eine Weiterqualifikation absolviert haben und mit entsprechender Berufserfahrung in beratungsintensiven Arbeitsfeldern wie der Onkologie, Dialyse oder Stomaversorgung arbeiten. Die Übernahme von Aspekten der Entscheidungsbegleitung durch die Pflegefachpersonen erfolgt in den analysierten Situationen erst, wenn sie mit dieser Aufgabe durch den Arbeitgeber explizit beauftragt wurden und sie im Arbeitsablauf etabliert ist:
„Die [Patient und Angehörige] hatten bestimmte Fragen und wollten sich die Dialysetherapie anschauen. Es ging darum, ob eher Bauchfelldialyse in Frage kommt oder Hämodialyse, also verschiedene Verfahren bei einer gleichwertigen Therapieform. Mmmh, ich bin mit dem Patienten und dem Angehörigen über die Station gegangen und habe mit ihnen verschiedene Verfahren angeschaut und […] erklärt. […]. Genau, die sollten oder der Patient wollte sich für ein Verfahren entscheiden, …“ [I03:21]

Fehlende Wahrnehmung als Informationsvermittler

Die Pflegefachpersonen betonen die Bedeutung der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen in ihren Bemühungen, Informationen zu bestimmten Gesundheitsthemen an Patient*innen zu vermitteln. Eine Initiierung von pflegerischen Informationssituationen durch andere Berufsgruppen, etwa durch Ärzt*innen, wird von den Pflegefachpersonen allerdings nicht beschrieben. Zugleich zeichnet sich ab, dass die Pflegefachpersonen aus ihrer Sicht von anderen Berufsgruppen in dieser Rolle oftmals nicht wahrgenommen werden.

Initiierung von Informationssituationen

Die Pflegefachpersonen berichten zwei zentrale Einstiegswege in Informationssituationen: die Initiierung durch Patient*innen oder Angehörige sowie die Initiierung durch Pflegefachpersonen. Dabei zeichnen sich Unterschiede zwischen dem stationären und ambulanten Setting ab.

Initiierung durch Patient*innen oder Angehörige

Pflegefachpersonen aus ambulanten Pflegediensten berichten, dass Patient*innen oder Angehörige regelmäßig aktiv mit Fragen auf sie zukommen. Die Gespräche entstehen zumeist während Körperpflegesituationen. Häufige Themen sind gesundheitliche Beschwerden, Fragen zur Ernährung, Medikamenteneinnahme und -wirkung, Krankheitsbilder und deren Selbstmanagement, z. B. bei Diabetes:
„Bei Diabetes geht’s häufig darum, welche Einheiten verabreicht werden an Insulin. Was für Insulinarten gibt es? Wie wirkt sich Insulin im Körper aus? Muss der Patient eine spezielle Diät einhalten bei der Gabe von Insulin oder auch bevor die Insulingabe nötig ist? Ob die Möglichkeit besteht, mit einer bestimmten Ernährungsweise der Insulingabe vorzubeugen, indem die Patienten so lange wie möglich den Diabetes mit Tabletten behandeln. Das ist ein ganz häufiges Thema.“ [I04:02]
Im Krankenhaus hingegen nehmen Pflegefachpersonen spezifische Fragen von Patient*innen und Angehörigen v. a. in Hinblick auf Auskünfte zu Abläufen im Krankenhausbetrieb und Serviceangeboten wahr (z. B. Uhrzeiten von ärztlicher Visite und Mahlzeiten, Wartezeit bis zur Operation, Umgang mit Telefonkarten). Zudem werden Verständnisfragen von Patient*innen zu ärztlichen Informationen angeführt, beispielsweise nach der Visite. Pflegefachpersonen im Krankenhaus beschreiben jedoch – im Gegensatz zu den Pflegefachpersonen der ambulanten Pflege –, dass Patient*innen weniger gezielt Gesundheitsfragen oder gar einen Beratungswunsch an die Pflegefachpersonen richten. Vielmehr würden Patient*innen ein Problem oder Befinden formulieren, wie z. B. Verstopfung, dass ein Medikament anders als gewohnt aussieht, oder den Wunsch, ein bestimmtes Lebensmittel zu essen, was von den Pflegefachpersonen daraufhin als Anlass für eine Informationsvermittlung aufgegriffen wird:
„Sie [Patientin] erzählte dann halt ’mich drückt das so im Bauch. Ach, ich kann so oft nicht auf’s Klo gehen.’ Und das war für mich dann die Vorlage, da genauer nachzufragen und ihr dann passende Infos zu geben, so, auf was sie achten sollte bei der Ernährung, viel Trinken, Bewegung …“. [I07:15]

Initiierung durch Pflegefachpersonen

Die Initiierung der Informationsvermittlung durch Pflegefachpersonen findet in der Regel nicht strukturiert und vorbereitet oder prozesshaft statt, sondern ebenfalls ad hoc. Damit fallen das Erkennen eines Bedarfs und die Umsetzung der Informationsvermittlung zeitlich zusammen und sind eng miteinander verwoben. Pflegefachpersonen aus dem Krankenhaus und der ambulanten Pflege beschreiben, dass sie Informationssituationen initiieren, indem sie selbst ärztliche Informationen aufgreifen und wiederholen, die unmittelbar zuvor an Patient*innen gegeben wurden. Einen weiteren Anlass zur Informationsvermittlung stellen Problemstellungen dar, die Pflegefachpersonen selbst identifizieren und bei Patient*innen oder Angehörigen adressieren:
„Ja, wenn ich sehe, mmh der [dialysepflichtige] Patient übersteigt deutlich sein Idealgewicht, bedeutet, er hat deutlich zu viel Wasser getrunken mmh, dann fällt mir auch wieder ein, schon mal beratend tätig zu werden, indem ich frage, wie kann man ihm noch helfen, die Trinkmenge einzuschränken oder paar Tipps dazu.“ [I18:24]
Die Initiierung der ad hoc stattfindenden Informationsvermittlung erfolgt in beiden Pflegesettings durch die einzelne Pflegefachperson und nicht oder kaum in strukturierter Abstimmung mit Teamkolleg*innen. Im Rahmen von Schichtübergaben oder in der Pflegedokumentation werden ausgewählte Informationsanlässe berichtet, die einzelne Pflegefachpersonen für besonders zentral halten. Mitunter werden Kolleg*innen gebeten, bestimmte Informationen bei Patient*innen zu wiederholen, eine systematische Nachverfolgung dessen findet jedoch nicht statt. Die Kriterien, nach denen eine Priorisierung der weitergegebenen Informationsthemen getroffen wird, bleiben in der Analyse unscharf. Zugleich betonen die Pflegefachpersonen, dass der Großteil an Informationsvermittlung „nebenbei“ [I20:14] erfolgt, ohne dass dies in der Dokumentation oder der Übergabe festgehalten wird:
„Das macht jede Kollegin für sich, wie viel und was sie da Patienten erzählt. Die eine mehr, die andere weniger. Aufschreiben tun wir das nicht alles.“ [I14:13]

Themenbereiche und Ziele

Die interviewten Pflegefachpersonen sehen sich durchaus in der Verantwortung, Informationen und Kompetenzen an Patient*innen und Angehörige zu vermitteln und Auskunft zu bestimmten Themen zu geben. Sie legen dabei den Fokus v. a. auf Aufklärung und Wissensvermittlung, beratende und schulende Ansätze finden sich hingegen kaum. Deutlich wird das diffuse Abgrenzungsverhältnis zum ärztlichen Aufklärungsauftrag. So verharren die Pflegefachpersonen mitunter in einem Wiederholen von Informationen, begleitet durch die Sorge „zu viel zu verraten“ bzw. „etwas nicht sagen zu dürfen, aus rechtlichen Gründen“ [I12:07]. Vor diesem Hintergrund erfolgen auch regelmäßig Verweise an behandelnde Ärzt*innen. Deutlich wird, dass manche Pflegefachpersonen dabei die Bedeutung ihrer eigenen Informationsarbeit negieren und die „wirklich wichtige Information und Beratung als ärztlichen Auftrag“ [I08:07] und nicht als ihren eigenen verstehen:
„Wenn es so pflegerische Sachen sind wie (..) wie die Patienten sich nach der OP bewegen dürfen, ob die da etwas essen dürfen, dann ja. So Kleinigkeiten. Aber nichts Gravierendes. Also die gravierenden Fragen werden doch an den Arzt verwiesen.“ [I06:15]
Das eigene Fachgebiet für Information und Beratung betrifft aus Sicht der Pflegefachpersonen Themen wie die Durchführung von erkrankungsspezifischen Selbstmanagementaufgaben. Darunter fallen z. B. Verbandswechsel, Injektionen und Spülungen, Umgang mit Kathetern und Gefäßzugängen sowie Stomata. Ebenso zentrale Themen sind die Einhaltung krankheitsspezifischer Ernährungs- und Trinkempfehlungen (z. B. bei Dialysepatient*innen) und gesundheitsförderliches Verhalten wie Ernährung, Rauchen und Sport bzw. Bewegung, aber auch der Umgang mit Schmerzen, Verdauung und Ausscheidung oder erkrankungsspezifischen Aspekten wie Diabetes und insbesondere in der ambulanten Versorgung der Einsatz von Hilfsmitteln. Auch die Themen Medikation sowie Umgang mit Nebenwirkungen von Medikamenten werden von einigen Pflegefachpersonen als wichtige Informationsaspekte hervorgehoben und in ihrer Bedeutung für die Patientensicherheit unterstrichen. Zudem nehmen bei den im Krankenhaus tätigen Pflegefachpersonen Erklärungen zum Verhalten und zu Abläufen bei Untersuchungen und Operationen einen großen Raum ein. Letztere werden von den Pflegefachpersonen als besonders einfach in der Informationsvermittlung beschrieben. Die anderen Themen stufen die Pflegefachpersonen hingegen als schwieriger in der Informationsvermittlung ein. Dies machen sie v. a. an der Einsicht, der Motivation sowie der Bereitschaft der Patient*innen, den Empfehlungen zu folgen, fest, teilweise aber auch an der Komplexität der Informationen. Inhaltlich führen Pflegefachpersonen hier Themen an, die mit erheblichen Einschränkungen und Umstellungen der Lebensgewohnheiten sowie großer Emotionalität einhergehen:
„…, dass er [Patient] den Joghurt und die Suppe in die Trinkmenge einrechnen muss, da hat er sich schwer mitgetan. Also, das zu verstehen und das dann halt auch umzusetzen. Er isst gerade, eehm, gerade den Joghurt, den isst er halt gern. Und hat dann immer gesagt, dass der doch stichfest sei und nicht flüssig. Das war schwer für ihn.“ [I09:22]
Als primäres Ziel ihrer Informationstätigkeiten sehen die interviewten Pflegefachpersonen, dass Patient*innen die angebotenen Hinweise umsetzen. Bleibt dies – auch nach wiederholten Informationsversuchen – aus, wird den Patient*innen von den Pflegefachpersonen, mitunter auch in der Dokumentation, eine mangelnde Einsicht attestiert. Hier zeichnet sich eine traditionelle Compliance-Erwartung an Patient*innen und weniger eine partizipative Haltung ab. Nur vereinzelt wird angedeutet, dass Patientenwünsche zu berücksichtigen sind. Als weitere, nebengeordnete Informationsziele werden sowohl angeführt, dass Beratungsinhalte verstanden werden, als auch, dass Patient*innen sich verstanden fühlen und Beruhigung finden sollen. Dabei werden die letzten beiden Aspekte von einigen Interviewteilnehmer*innen auch als unterstützende Vorbedingungen verstanden, damit Patient*innen den Informationsinhalten folgen.

Methoden der Informationsvermittlung

Wie bereits aufgezeigt, erfolgt die Informationsvermittlung zumeist spontan und mutet dabei statisch an. Eine prozesshafte Planung der Informationsvermittlung, ggf. aufgeteilt über mehrere Zeitpunkte und orientiert an den Ausgangsvoraussetzungen der Patient*innen und Angehörigen, findet nahezu nicht statt. Manche Pflegefachpersonen beschreiben, dass sie durchaus Vorwissen der Patient*innen oder Angehörigen berücksichtigen. Allerdings bleibt es bei einer unsystematischen Einschätzung, die spontan im Gespräch aus dem persönlichen Eindruck der Pflegefachpersonen gewonnen wird:
„Also, so Instrumente oder dass wir da was aufschreiben, wie jetzt beim Dekubitus zum Beispiel, das machen wir nicht. Also, ich frag nach und verlass mich da auf mein Gefühl. Da kriegt man schon einen Eindruck, ob da einer schon was zu weiß.“ [I17:46]
Während die Pflegfachpersonen einerseits befürworten, dass sich Patient*innen und Angehörige bereits ein eigenes Vorwissen aneignen, sich mit Gesundheitsfragen beschäftigen und selbst aktiv Fragen stellen, stehen manche andererseits mitunter skeptisch oder auch überfordert Situationen gegenüber, in denen Patient*innen und Angehörige umfänglich vorinformiert sind oder gar aktiv auf eigene Erkenntnisse aus dem Internet verweisen. Ein Aufzeigen spezifischer anderer Wissensquellen durch Pflegefachpersonen, z. B. bestimmter Internetseiten oder örtlicher Beratungsstellen, findet hingegen nicht statt – auch, wie manche Interviewpartner*innen betonen, in Ermangelung von Kenntnissen geeigneter Informationsquellen für Patient*innen und Angehörige.
Bei der sprachlichen Informationsaufbereitung sind die Pflegefachpersonen bemüht, die jeweiligen Aspekte möglichst einfach zu erklären. Dafür greifen sie v. a. auf bisherige Erfahrungen und ein allgemeines Alltagsverständnis sowie (bildliche) Vergleiche mit Alltagssituationen zurück. Spezifische Techniken, die als solche benannt werden können, scheinen ihnen dazu nicht bekannt. Einzelne Interviewpartner*innen, die in beratungsintensiven Arbeitsbereichen tätig sind, beispielsweise auf Stationen, in denen häufig Stomaanlagen vorgenommen werden, berichten von (teil)standardisierten Informations- und Anleitungsabläufen. Um Patient*innen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, deuten sich in der Informationsvermittlung der interviewten Pflegefachpersonen zwei zentrale Strategien an: zum einen Furchtappelle, die die negativen Folgen einer Erkrankung oder eines Verhaltens betonen, zum anderen das Aufzeigen von Ressourcen, welches unterstreicht, was trotz Erkrankung mit einer Verhaltensanpassung weiterhin möglich ist. Mit zunehmender Berufserfahrung gewinnt aus Sicht der interviewten Pflegefachpersonen auch das „Ermutigen und Motivieren“ [I19:12] der Patient*innen und Angehörigen als Teil der angewandten Informationsstrategien an Bedeutung, obgleich es auch hier an strukturierten Methoden fehlt.
Um herauszufinden, ob Informationen wie intendiert verstanden wurden, berichten die Interviewpartner*innen, dass sie dies direkt erfragen. Dabei verlassen sie sich darauf, dass Patient*innen und Angehörige von sich aus signalisieren, dass sie etwas nicht verstanden haben. Darüber hinaus versuchen die interviewten Pflegefachpersonen, die Mimik von Patient*innen und Angehörigen zu beobachten und auf Hinweise zu achten, die Verständnis oder Unverständnis signalisieren:
„Also, wenn die gezielt so Nachfragen stellen und das quasi mit den eigenen Worten wiedergeben können, dann merkt man ja, ob sie es verstanden haben oder nicht. Also es gibt dann Situationen, wo die Leute dann einfach sagen, „ah ja, o.k.“ oder so gucken und dann merkt man also man merkt ja so ein bisschen, ob der mir noch so folgen kann oder nicht …“ [I21:25]
Auch beschreiben die Pflegefachpersonen die Umsetzung von Empfehlungen durch Patient*innen als Hinweis darauf, ob Informationen verstanden wurden. Vereinzelt wird von Pflegefachpersonen, die in komplexen Versorgungsgebieten arbeiten, berichtet, dass sie Patient*innen und Angehörige Erklärtes wiederholen lassen. Erkennen die Pflegefachpersonen Verständnisschwierigkeiten, setzen sie auf Wiederholung der Information und versuchen, eine einfachere Ausdrucksweise zu finden.
Hilfsmittel, wie Broschüren und Zeigetafeln, sind den Pflegefachpersonen bekannt. Allerdings berichten die Interviewpartner*innen, dass ihnen solche Hilfsmittel in der Regel nicht zur Verfügung stehen, sie veraltet seien oder nicht die Themen adressieren, die für sie im Arbeitsalltag relevant sind. Vereinzelt unternehmen sie Kompensationsversuche, indem z. B. Erklärungen durch eigene Zeichnungen ergänzt werden oder sie sich mit Abbildungen auf zweckentfremdeten Aufklärungsbögen behelfen:
„I: Und nutzen Sie irgendwelche von solchen Materialien, um so die Informationsvermittlung erleichtern zu können?
B: Leider nicht. Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist so eine uralte Broschüre, um das eine Thema schematisch darzustellen. Aber ansonsten haben wir keine spezifischen Materialen zur Wissensvermittlung.“ [I16:25]

Erwerb von Informationsvermittlungskompetenz

Das Wissen und die Fähigkeiten zum Informieren und Beraten erlernen die Pflegefachpersonen während der Ausbildung, so die Interviewpartner*innen. Nach Abschluss der Ausbildung haben keine Fortbildungen zu diesen Themen stattgefunden, hiervon ausgenommen sind in Einzelfällen thematische Einheiten in Fachweiterbildungen. Einige Interviewpartner*innen monieren, dass das Erlernte in der Ausbildung nicht ausreiche, um langfristig mit den Herausforderungen, die sich bei der Informationsvermittlung und Beratung in der Praxis stellen, umzugehen. Das angeeignete Können, so die Interviewpartner*innen, werde v. a. über die Jahre durch Versuch- und Irrtum-Erfahrungen in der Praxis gesammelt:
„… das ist Teil der pflegerischen Ausbildung. Da habe ich im Rahmen von verschiedenen Modulen gelernt, dass Beratung, Schulung und Anleitung wichtig ist und in Rollenspielen wird dies auch regelmäßig im Rahmen der Ausbildung durchgeführt, so dass ich gut auf diese Situationen vorbereitet war. […] Aber wenn man erstmal im Beruf ist, gibt es dazu nichts mehr, in den ganzen Jahren. Das kommt mit der Erfahrung in den ganzen Jahren, die du sammelst. […] Das ist irgendwie so ein Prozess, wo man an sich selbst wirklich tatsächlich merkt, am Anfang ist es einem manchmal nicht so gut gelungen, wie dann einfach mit der Übung, die mit der Zeit und mit der Erfahrung auch kam.“ [I12:31]
Neben den Fähigkeiten zur Informationsvermittlung ist das Fachwissen, das die Pflegefachpersonen benötigen, ein wichtiges Thema für die Interviewpartner*innen. Die Pflegefachpersonen beschreiben, dass als Informationsquellen v. a. Informationen aus der Ausbildung, Praxisroutinen, eigene Erfahrungen und ihre eigenen Sichtweisen dienen. Manche versuchen selbst, im Internet passende Informationen zu finden. Die bewusste Nutzung von evidenzbasierten Wissensquellen wird nicht beschrieben. Die gezielte Suche und Auswahl von Informationen, aber auch die kritische Bewertung und Übersetzung in den eigenen Arbeitsalltag, fallen den interviewten Pflegefachpersonen schwer bzw. finden nahezu nicht statt. Manche Pflegefachpersonen bemängeln das eigene Fachwissen, sie fühlen sich selbst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse. Ihnen mangelt es jedoch an Strategien und zeitlichen Ressourcen, dieses aufzubessern. Übergreifend betonen die Interviewpartner*innen zugleich, dass ihnen der Zugang zu Informationsquellen wie Fachdatenbanken und Fachzeitschriften fehlt, bereits vorhandene Informationsquellen beim Arbeitgeber werden als unzureichend beschrieben.

Diskussion

Die Studie zielt auf die Betrachtung der Ausgangslage pflegerischer Informations- und Beratungssituationen hinsichtlich der Förderung organisationaler Gesundheitskompetenz ab. Der Fokus liegt auf den Situationen, Themenbereichen, Methoden und Zielen gesundheitskompetenzunterstützender Information und Beratung sowie dem Qualifikationserwerb der Pflegefachpersonen. Die Ergebnisse geben einen settingübergreifenden Einblick in die aktuelle Praxis gesundheitskompetenzfördernder Ansätze von Pflegefachpersonen. Sie zeigen auf, dass eine Ad-hoc-Informationsvermittlung, mit dem Bemühen, Wissen weiterzugeben und aufzuklären, im Vordergrund steht. Beratende und schulende Ansätze, aber auch ein prozesshaftes Vorgehen mit systematischem Rückgriff auf spezifische Methoden, finden hingegen nahezu nicht statt. Diese Befunde stehen im Einklang mit anderen Erhebungen [4, 7, 12, 14]. Die Themenbereiche, zu denen die interviewten Pflegefachpersonen bereits informieren, sind vielfältig und reichen von Gesundheitsförderung und Prävention bis zu Fragen der Behandlung, Koordination und des Selbstmanagements und sind passfähig mit den Kernthemen der Gesundheitskompetenzförderung [1, 18, 19]. Perspektivisch lässt sich hier im Ausbau organisationaler Gesundheitskompetenz direkt anknüpfen.
Hervorzuheben sind die unterschiedlichen Einstiegswege in Informationssituationen. So adressiert der erste Schritt im Gesundheitskompetenzmodell das Finden von Informationen [19]. Die Erfahrungen der interviewten Pflegefachpersonen zeigen, dass die Informationssuche durchaus auch indirekte Züge aufweisen kann, indem Patient*innen von Situationen oder einem Befinden berichten, jedoch ohne daraus direkt selbst eine Frage an die Pflegefachperson zu stellen. Solche bislang nicht beschriebenen Situationseinstiege sollten perspektivisch nähere Betrachtung finden. Sie bieten durchaus die Möglichkeit, insbesondere bei Patient*innen und Angehörigen Bedarfe besser zu erkennen und zu adressieren, bei denen Schwierigkeiten vorliegen, direkte Anliegen zu formulieren.
Zugleich ist eine deutliche Kluft zwischen dem Anspruch an Information, Beratung und Schulung von Patient*innen und Angehörigen und der tatsächlichen Umsetzung zu verzeichnen, die auch in anderen Studien beschrieben wird [5, 14, 15]. So gelingt es den Pflegefachpersonen nicht, die angestrebte Rolle tatsächlich vollumfänglich auszufüllen. Hinderlich ist insbesondere, wenn Gesundheitseinrichtungen nicht die benötigten Bedingungen und Qualifikationsangebote schaffen [3, 17] und andere Professionen, wie Ärzt*innen, Pflegefachpersonen nicht als Informationsvermittler wahrnehmen. Umso kritischer zu hinterfragen ist die berichtete Praxis der fehlenden Fortbildungsangebote im Kommunikationsbereich und der alleinige Kompetenzerwerb im Berufsleben durch Erfahrungslernen. Dies sollte insbesondere bei der Entwicklung und Implementierung von Konzepten zu gesundheitskompetenzfördernden Organisationen Berücksichtigung finden. So sollten Pflegefachpersonen gezielt im strukturierten Erwerb von Kommunikationskompetenzen im Berufsleben unterstützt werden – auch im Hinblick auf die Nutzung digitaler Informationsangebote und evidenzbasierten Handelns [4, 11, 23]. Dabei erscheinen zwei Ansatzpunkte bedeutsam. Zum einen ist zu erwägen, Konzepte der organisationalen Gesundheitskompetenz so anzulegen, dass sie zumindest in Teilen der praktizierten Ad-hoc-Informationsvermittlung entgegenkommen und diese qualitativ verbessern. Dies könnte die Aufnahme des Konzepts in die Praxis in einem ersten Schritt erleichtern. Zum anderen bedarf es zugleich der Schaffung von Bedingungen, in denen auch komplexere, prozesshafte Beratung und Schulung, ausgerichtet am Bedarf von Patient*innen und Angehörigen, stattfinden kann. Dabei sollte auch der Haltung der Pflegefachpersonen und deren Zielen bei der Informationsvermittlung mehr Beachtung geschenkt werden, was auch andere Befunde unterstreichen [4, 12]. So sind die Erwartungen der interviewten Pflegefachpersonen an Patient*innen durchaus paternalistisch und compliance-orientiert geprägt. Die Schaffung eines Bewusstseins für patientenzentrierte Gesundheitskompetenzförderung, die Spielraum für eine partizipative Gesprächsgestaltung und ergebnisoffene, informierte Entscheidung von Patient*innen lässt, sollte in zukünftigen Konzepten gezielt adressiert werden [1]. Dies schließt auch die Stärkung des professionellen Selbstverständnisses hinsichtlich des eigenen Beratungsauftrags ein, auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu ärztlichen Informationsaufgaben [10]. Bestätigt wird dies durch Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass Pflegefachpersonen, die in beratungs- und anleitungsintensiven Bereichen tätig sind und eine Weiterqualifikation erfahren haben, eine komplexere Betrachtung von Informationssituationen und des Informationsverhaltens und der -bedarfe von Patient*innen und Angehörigen zeigen. Gerade für hochkomplexe Informations‑, Beratungs- und Schulungsaufgaben sollte zudem spezifiziert werden, welches Qualifikationsniveau benötigt wird. Besonderes Potenzial bietet hier perspektivisch der Einsatz von Advanced Practice Nurses und Community Health Nurses [7, 20]. Darüber hinaus sind für die Förderung organisationaler Gesundheitskompetenz in der Versorgungspraxis, so legen die Befunde nahe, die Bereitstellung von benötigten Ressourcen wie Zeit, Assessment-Tools und Hilfsmitteln zur Information und Kommunikation sowie die explizite Erteilung eines Beratungsauftrags durch die Gesundheitseinrichtung an Pflegefachpersonen erforderlich [14, 17].

Stärken und Limitationen

Die Stärke der Studie ist die settingübergreifende Herausarbeitung der Perspektive der Pflegefachpersonen. Insbesondere die Erhebungsmethode der Einzelinterviews erwies sich als geeignet, um sich dem Thema explorativ zu nähern. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Gelegenheitsstichprobe der Interviewstudie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt und Verzerrungen begünstigt. Auch können keine Aussagen zur Heterogenität innerhalb der Zielgruppe der Pflegefachpersonen getroffen werden. In der weiteren Forschung wäre es wünschenswert, hier anzusetzen und die Ergebnisse innerhalb der Gruppe der Pflegefachpersonen weiter ausdifferenziert zu analysieren.

Fazit für die Praxis

  • Die Studie zeigt, dass Pflegefachpersonen sich in der Praxis auf Ad-hoc-Informationsvermittlung spezialisiert haben, bei der Aufklärung und Wissensvermittlung im Vordergrund stehen. Beratende und schulende Ansätze finden sich kaum.
  • Pflegefachpersonen adressieren in der Versorgung bereits ein breites Themenfeld an Informationsthemen, an welche die organisationalen Gesundheitskompetenzkonzepte anknüpfen können.
  • Es mangelt an strukturierten Qualifikationsmöglichkeiten für Pflegefachpersonen nach dem Berufseinstieg, um patientenzentrierte Kommunikationskompetenzen zu stärken.
  • Organisationale Gesundheitskompetenzkonzepte sollten die Ausgangsbedingungen pflegerischer Versorgungspraxis stärker in den Blick nehmen, um eine hohe Passfähigkeit und Rezeption zu erreichen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Messer und T. Murau geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Prävention und Gesundheitsförderung

Print-Titel

  • Aktuelles Fachwissen aus allen Bereichen der Prävention
  • Fort- und Weiterbildungsforum mit festen Themengebieten
  • Wissenschaftliche Publikationen ergänzt durch aktuelle Kommentare

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

Literatur
3.
Zurück zum Zitat Brach C, Dreyer B, Schyve P, Hernandez LM, Baur C, Lemerise AJ, Schillinger D (2012) Attributes of a health literate organization. Discussion Paper. Institute of MedicineCrossRef Brach C, Dreyer B, Schyve P, Hernandez LM, Baur C, Lemerise AJ, Schillinger D (2012) Attributes of a health literate organization. Discussion Paper. Institute of MedicineCrossRef
7.
Zurück zum Zitat Evers M, Schaeffer D (2017) „Teach more, do less“ – Förderung von Health Literacy als Aufgabe der Pflege. In: Schaeffer D, Pelikan JM (Hrsg) Health Literacy. Forschungsstand und Perspektiven. Hogrefe, Bern, S 237–258 Evers M, Schaeffer D (2017) „Teach more, do less“ – Förderung von Health Literacy als Aufgabe der Pflege. In: Schaeffer D, Pelikan JM (Hrsg) Health Literacy. Forschungsstand und Perspektiven. Hogrefe, Bern, S 237–258
9.
Zurück zum Zitat Igl G (2021) Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG), Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV), Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungsverordnung (PflAFinV), 3. Aufl. medhochzwei, Heidelberg (Praxiskommentar) Igl G (2021) Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG), Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV), Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungsverordnung (PflAFinV), 3. Aufl. medhochzwei, Heidelberg (Praxiskommentar)
10.
Zurück zum Zitat Köpke S, Meyer G (2011) Vom „Schweigegelübde“ in der Pflege. „Das darf ich Ihnen nicht sagen, fragen Sie den Arzt“! Pflege Z 64(5):307PubMed Köpke S, Meyer G (2011) Vom „Schweigegelübde“ in der Pflege. „Das darf ich Ihnen nicht sagen, fragen Sie den Arzt“! Pflege Z 64(5):307PubMed
12.
Zurück zum Zitat Messer M (2018) Patientenpartizipation aus Sicht der Pflege. Beltz Juventa, Weinheim, Basel Messer M (2018) Patientenpartizipation aus Sicht der Pflege. Beltz Juventa, Weinheim, Basel
14.
Zurück zum Zitat Nantsupawat A, Wichaikhum O‑A, Abhicharttibutra K et al (2020) Nurses’ knowledge of health literacy, communication techniques, and barriers to the implementation of health literacy programs: a cross-sectional study. Nurs Health Sci 22(3):577–585. https://doi.org/10.1111/nhs.12698CrossRefPubMed Nantsupawat A, Wichaikhum O‑A, Abhicharttibutra K et al (2020) Nurses’ knowledge of health literacy, communication techniques, and barriers to the implementation of health literacy programs: a cross-sectional study. Nurs Health Sci 22(3):577–585. https://​doi.​org/​10.​1111/​nhs.​12698CrossRefPubMed
17.
Zurück zum Zitat Pelikan JM, Dietscher C (2014) Gesundheitskompetenz im System der Krankenversorgung. J Gesundheitsförderung 28(2):28–33 Pelikan JM, Dietscher C (2014) Gesundheitskompetenz im System der Krankenversorgung. J Gesundheitsförderung 28(2):28–33
18.
Zurück zum Zitat Schaeffer D, Hurrelmann K, Bauer U, Kolpatzik K (Hrsg) (2018) Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. KomPart, Berlin Schaeffer D, Hurrelmann K, Bauer U, Kolpatzik K (Hrsg) (2018) Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. KomPart, Berlin
Metadaten
Titel
Förderung organisationaler Gesundheitskompetenz aus Sicht von Pflegefachpersonen. Ergebnisse einer qualitativen Studie
verfasst von
Prof. Dr. Melanie Messer
Tatjana Murau
Publikationsdatum
11.11.2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Schlagwort
Pflege
Erschienen in
Prävention und Gesundheitsförderung / Ausgabe 4/2023
Print ISSN: 1861-6755
Elektronische ISSN: 1861-6763
DOI
https://doi.org/10.1007/s11553-022-00993-7

Weitere Artikel der Ausgabe 4/2023

Prävention und Gesundheitsförderung 4/2023 Zur Ausgabe

Leitlinien kompakt für die Allgemeinmedizin

Mit medbee Pocketcards sicher entscheiden.

Seit 2022 gehört die medbee GmbH zum Springer Medizin Verlag

Facharzt-Training Allgemeinmedizin

Die ideale Vorbereitung zur anstehenden Prüfung mit den ersten 24 von 100 klinischen Fallbeispielen verschiedener Themenfelder

Mehr erfahren

Neue S3-Leitlinie zur unkomplizierten Zystitis: Auf Antibiotika verzichten?

15.05.2024 Harnwegsinfektionen Nachrichten

Welche Antibiotika darf man bei unkomplizierter Zystitis verwenden und wovon sollte man die Finger lassen? Welche pflanzlichen Präparate können helfen? Was taugt der zugelassene Impfstoff? Antworten vom Koordinator der frisch überarbeiteten S3-Leitlinie, Prof. Florian Wagenlehner.

Schadet Ärger den Gefäßen?

14.05.2024 Arteriosklerose Nachrichten

In einer Studie aus New York wirkte sich Ärger kurzfristig deutlich negativ auf die Endothelfunktion gesunder Probanden aus. Möglicherweise hat dies Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit.

Intervallfasten zur Regeneration des Herzmuskels?

14.05.2024 Herzinfarkt Nachrichten

Die Nahrungsaufnahme auf wenige Stunden am Tag zu beschränken, hat möglicherweise einen günstigen Einfluss auf die Prognose nach akutem ST-Hebungsinfarkt. Darauf deutet eine Studie an der Uniklinik in Halle an der Saale hin.

Klimaschutz beginnt bei der Wahl des Inhalators

14.05.2024 Klimawandel Podcast

Auch kleine Entscheidungen im Alltag einer Praxis können einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die neue Leitlinie zur "klimabewussten Verordnung von Inhalativa" geht mit gutem Beispiel voran, denn der Wechsel vom klimaschädlichen Dosieraerosol zum Pulverinhalator spart viele Tonnen CO2. Leitlinienautor PD Dr. Guido Schmiemann erklärt, warum nicht nur die Umwelt, sondern auch Patientinnen und Patienten davon profitieren.

Zeitschrift für Allgemeinmedizin, DEGAM

Update Allgemeinmedizin

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.