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2020 | Buch

Alkohol und Tabak

Medizinische und soziologische Aspekte von Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit

herausgegeben von: Prof. Dr. Otto-Michael Lesch, Prof. Dr. Henriette Walter

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Alkohol- und Tabakabhängigkeit treten meist gepaart auf und stellen nach wie vor ein großes medizinisches und soziales Problem dar. Die therapeutischen Möglichkeiten und Motivationsstrategien wurden in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Heute können Untergruppen von Abhängigkeitserkrankungen definiert werden, die mit einer spezifischen Medikation und mit maßgeschneiderter Psychotherapie wesentlich bessere Langzeitergebnisse haben, als die früher üblichen starren Abstinenzprogramme.

Dieses Buch widmet sich diesem neuen therapeutischen Ansatz. Es wurde in zweiter Auflage vollständig überarbeitet und um aktuelle Erkenntnisse erweitert. Neben neuen Strategien zur Prävention und Diagnostik (ICD-11 und DSM-5) werden schwerpunktmäßig psycho- und soziotherapeutische sowie medikamentöse Ansätze mit realistischen Therapiezielen in Bezug auf Untergruppen vorgestellt.

Darüber hinaus wurden zahlreiche neue relevante Aspekte aufgenommen, wie die Temperamentsdiagnostik nach Akiskal, die Bedeutung der individuellen Chronobiologie, Lebensqualität als Therapieziel, „Cut Down“ oder Abstinenzorientierung sowie Entzugsmedikation und die Bedeutung neuer Anticraving-Medikamente.

Das Buch richtet sich an alle Berufsgruppen, die Alkohol- und Tabakkranke therapeutisch begleiten.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Hintergrund zur Entstehung des Buches
Zusammenfassung
Da Alkohol- und Tabakkonsum häufig miteinander vorkommen, hat sich das wissenschaftliche Interesse an beiden Suchtmitteln in den letzten Jahren deutlich erhöht. Das Schädigungspotenzial beim gemeinsamen Gebrauch ist wesentlich höher als das von Alkohol oder Tabak allein. In der Praxis schildern Patienten häufig, dass sie eine der Abhängigkeiten problemlos beenden konnten, aber seit dieser Zeit sich das Einnahmeverhalten gegenüber anderen Substanz deutlich verschlechtert hätte (z. B. gelingt es Patienten, problemlos mit dem Rauchen aufzuhören, aber anschließend wurde der Alkoholmissbrauch deutlich problematischer). Nachdem wir immer mehr über die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen wissen, und die Basisforschung immer besser erklären kann, wie die einzelnen Regelkreise des Gehirns funktionieren, ist es uns ein Anliegen, auch den klinisch Tätigen die Unterlagen zu liefern, die sie in der Therapie oder auch Beratung von Tabak- und Alkoholabhängigen benötigen. Die Differenzierung zwischen Phänomenen wie Belohnungssystem, Suchtgedächtnis, Entzugserscheinungen oder auch dem Verlangen (Craving) nach Tabak und Alkohol ist heute unbedingt notwendig, um eine rationale Therapie und Beratung durchzuführen. In der Literatur (Bleuler 1983; Forel 1930, 1935; Haller 2007; Konsensus-Statement: Substanzbezogene Störungen und psychiatrische Erkrankungen 2007) werden noch immer sehr alte Konzepte vertreten, die dann in allgemeine Regeln zur Therapie von Abhängigen münden, wobei man häufig bemerkt, dass von den Autoren Wertvorstellungen vertreten werden, die heute nicht mehr akzeptiert werden können. Rückfall wird immer als etwas Negatives gesehen, und auch das negative Stigma der Diagnose Abhängigkeit stellt noch immer ein großes Problem dar. Dieses Buch will versuchen, sachliche Informationen zu liefern, die bewusst machen, dass der Verlauf von Abhängigkeitserkrankungen nichts mit Schuld oder persönlicher Schwäche zu tun hat. Die praktisch Tätigen haben sich von diesen allgemeinen Therapierichtlinien meist gelöst und vertreten ein Konzept der „individuellen Therapie“ für jeden Patienten. Diese Therapien heißen dann Therapie nach Dimensionen oder ressourcenorientierte Therapie oder auch Therapie, die nicht veränderbare Variable akzeptiert und veränderbare Variable zu beeinflussen versucht. Prinzipiell ist diesen modernen Ansätzen aus meiner Sicht zuzustimmen, in diesem Buch werden Faktoren dargestellt werden, die allgemeine Gültigkeit haben und in der Therapie von Abhängigkeitserkrankungen bei den meisten Patienten hilfreich sind. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Untergruppen nach der Typologie nach Lesch stellen Grundlagen für die Therapie dar, die individuell oft noch modifiziert werden müssen. Der Veränderungswunsch sollte verstärkt werden und die Verbesserung der Veränderungskompetenz stellt den Anfang jeder Therapie dar. Gerade zur Motivationsarbeit nach den Untergruppen und zur Anticraving Medikation gibt es neue Daten, die eine 2. Auflage notwendig machten. Henriette Walter und ich haben in der 2. Auflage noch andere Experten um Hilfe gebeten, die sich vor allem aus psychologischer und neurophysiologischer Sicht mit dem Thema Motivation beschäftigen.
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter
2. Abhängigkeitserkrankungen – eine Volkskrankheit?
Zusammenfassung
Suchtmittel sind primär meist pflanzlicher Natur, und sie sind sicher älter als die Menschheit. Es sind pharmakologisch wirksame Substanzen, und sie folgen damit natürlich auch den anerkannten pharmakologischen Regeln. Tausende von Jahren wurden sie von der Menschheit verwendet, und man behandelte mit Suchtmitteln die verschiedensten Erkrankungen. Schon seit mehr als 2000 Jahren weiß man, dass man mittels Rauch (Feuer- oder Tabakrauch) und auch mit Alkohol Krankheitserreger vertreiben kann. Noch vor 150 Jahren führte auch in Europa kontaminiertes Wasser häufig zu schweren körperlichen Beschwerden (auch mit Todesfolge). Diese gesundheitsschädigenden Wirkungen konnten beim Alkoholkonsum von Getränken, die nur einen niederen Alkoholgehalt hatten, in keiner Weise beobachtet werden. Alkohol wird nach wie vor als Desinfektionsmittel verwendet, und Schamanen am oberen Amazonas verwenden den Rauch von Tabak auch heute noch, um Krankheitserreger wegzublasen. Die psychopharmakologischen Auswirkungen von Alkohol waren immer schon bekannt, und es gab in praktisch allen Kulturen klare Regeln, in welcher Dosierung und zu welchen Zeitpunkten oder Gelegenheiten Alkohol und Tabak konsumiert werden durften, ja sogar genossen werden sollten (Rituale bei den Indianern [z. B. Friedenspfeife] oder vorgeschriebene Trinkgelage in der mexikanischen Kultur). Wenn man sich an dieseRituale nicht gehalten hat, waren Alkohol- und Tabakkonsum allerdings auch immer mit schwersten Strafen bis zur Todesstrafe verbunden.
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter
3. Ätiologie der Abhängigkeitserkrankungen
Zusammenfassung
Bei allen Erkrankungen werden psychologische, soziale, biologische und genetische Ursachen vermutet. Nur wenige dieser ätiologischen Überlegungen führen jedoch zu praktisch therapeutisch verwertbaren Ansätzen. Auch bei den Abhängigkeitserkrankungen wird immer wieder postuliert, dass psycho-bio-soziologische ätiologische Faktoren zu definieren sind. Die Heterogenität der Abhängigkeitserkrankungen, die heute unbestritten ist, wird in den Kap. 5 und 6 abgehandelt, und natürlich haben die Untergruppen von Abhängigkeitserkrankungen auch alle psycho-bio-soziologische ätiologische Faktoren, aber die Gewichtung und die Bedeutung der einzelnen Faktoren sind je nach Untergruppe sehr unterschiedlich. Alkohol- und Tabakabhängige, die regelmäßig mit Alkohol und Tabak ihre Entzugssymptome bekämpfen, sonst aber von der Persönlichkeit her und seitens des sozialen Umfelds keinerlei Auffälligkeiten zeigen, unterscheiden sich ätiologisch ganz klar von Alkohol- und Tabakabhängigen, die Alkohol und Tabak zur Stressbekämpfung in bestimmten Situationen benützen und keine oder nur milde Entzugserscheinungen haben.
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Michie Hesselbrock, Victor Hesselbrock, Benjamin Vyssoki
4. Präventionsstrategien
Zusammenfassung
Seit Jahrhunderten werden in Mitteleuropa alle Arten von alkoholischen Getränken – Wein, Bier, Most, Spirituosen – erzeugt. Jugendliche wachsen in einem alkoholpermissiven Milieu auf und erleben eine Erwachsenenwelt, in der Trinken durchaus als sozial anerkanntes bis gewünschtes Verhalten demonstriert wird. Der Vorteil frühen Konsums ist, dass Jugendliche frühzeitig lernen, mit alkoholischen Getränken umzugehen. Die Nachteile sind die Risiken frühen Konsums und dabei vor allem die Entwicklung von körperlichen und psychischen Störungen und wohl auch das Erlernen der Einstellung, dass Alkohol fast wie ein Grundnahrungsmittel verwendet werden kann (Boogaerts et al. 2016; Hnilicová et al. 2017; Hagemeister und Kronmaier 2017; de Vocht et al. 2016).
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Michie Hesselbrock, Daniel König
5. Diagnose von Missbrauch und Abhängigkeit
Zusammenfassung
Die Diagnosesysteme in der Psychiatrie versuchen, homogene Gruppen zu definieren, die zu Hypothesen führen, welche spezifische Ätiologie bestimmte Syndrome bewirkt, und aus der Ätiologie sollte abgeleitet werden können, welche spezifische Therapie für diese Krankheitsgruppe zu den besten Ergebnissen führt. Für die Diagnose einer Erkrankung wären folgende Voraussetzungen wünschenswert:
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Michie Hesselbrock, Victor Hesselbrock
6. Typen, Dimensionen und Verläufe
Zusammenfassung
Wie bereits im letzten Kapitel betont, ist seit langem bekannt, dass Alkoholabhängige keine homogene Population darstellen. Studien, die zur Gruppenbildung das DSM-IV verwendet haben, konnten zeigen, dass der größte Teil der Patienten entweder eine zweite Achse-I-Diagnose oder eine Achse-II- oder sowohl eine Achse-I- als auch eine Achse-II-Diagnose hat.
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Daniel König, Benjamin Vyssoki
7. Motive, die Alkohol- und/oder Tabakabhängige zum Arzt führen
Zusammenfassung
60 % der Tabakabhängigen beschreiben sich als dissonante Raucher. Sie versuchen dauernd oder zeitweilig, das Rauchverhalten zu reduzieren oder auch aufzuhören. Sie wissen sehr genau, dass ihr Rauchen zu Folgekrankheiten führt. Sie kennen meist ihre Entzugssymptome, aber die echte Motivation, Hilfe von außen zu suchen, benötigt in dieser Gruppe oft noch einen Anstoß durch die soziale Situation (Partner, Arbeitssituation usw.) oder durch körperliche Symptome (Atemnot bei Belastung, Magenschmerzen, Schwangerschaft usw.). Wenn diese Gruppe einen Therapeuten aufsucht, wissen diese dissonanten Raucher, dass sie ein gewisses Abhängigkeitsproblem haben. Bei einer wirksamen Hilfe sind sie meist leicht zu motivieren, das Rauchverhalten zu reduzieren oder sogar einzustellen (Kunze et al. 2009; Balfour et al. 2000).
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Samuel Pombo, Daniel König, Noureddine Souirti, Benjamin Vyssoki
8. Das Erkennen von Alkohol- und Tabakabhängigkeit
Zusammenfassung
85 % aller Erwachsenen in Mitteleuropa trinken mehr oder weniger regelmäßig Alkohol, und deshalb wird die Frage „Trinken Sie Alkohol?“ fast immer positiv beantwortet. Diese Antwort gibt aber keine Information zur Interaktion der psycho-sozio-biologischen Beschwerden mit der Wirkung des Alkohols, und deshalb sollte diese Frage vermieden werden. Missbrauchende und Abhängige kennen ihr Problem, erleben ihr Problem häufig als eigenes Versagen und haben häufig Schuld- und Schamgefühle. Hervorragend hat diese Situation Antoine de Saint-Exupéry im 12. Kapitel seines Buches „Der kleine Prinz“ (1943) beschrieben (Abb. 8.1):
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Daniel König, Benjamin Vyssoki
9. Therapeutische Strategien bei Alkohol- und Tabakabhängigkeit
Zusammenfassung
Die Antwort der Gesellschaft auf die alte Frage – was einen Suchtkranken dazu verleitet Alkohol, Tabak oder Drogen (erneu) zu konsumieren – auch nachdem ihr Leben bereits signifikant von diesen geschädigt wurde – führt oft zu einer allzu simplen Antwort: Schwacher Wille!
Otto-Michael Lesch, Henriette Walter, Samuel Pombo, Victor Hesselbrock, Michie Hesselbrock
10. Soziotherapie mit Alkohol- und Tabakabhängigen unter Berücksichtigung der Typologie nach Lesch
Zusammenfassung
Forschungsergebnisse belegen mehrfach, was Praktiker immer gewusst haben: Alkohol- und Tabakabhängigkeit treten in der psychosozialen Praxis gemeinsam auf.
Christian Wetschka
Backmatter
Metadaten
Titel
Alkohol und Tabak
herausgegeben von
Prof. Dr. Otto-Michael Lesch
Prof. Dr. Henriette Walter
Copyright-Jahr
2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-60284-3
Print ISBN
978-3-662-60283-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-60284-3

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