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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 17.07.2015

Psychopharmakaintoxikationen

Verfasst von: Oliver Sauer
Als Psychopharmaka werden eine Vielzahl von Medikamenten bezeichnet, die zur Behandlung von psychischen Störungen und Erkrankungen eingesetzt werden. Das Spektrum der dabei eingesetzten Wirkstoffe ist sehr breit und die pharmakologischen Wirkweisen sehr unterschiedlich, sodass im Falle von Überdosierungen und gerade bei Mischintoxikationen jede Substanz bzw. jeder Fall individuell betrachtet werden muss. Der therapeutische Einsatz dieser Präparate zeigt eine weite Verbreitung und in den letzten Jahren eine tendenzielle Zunahme.

Definition

Als Psychopharmaka werden eine Vielzahl von Medikamenten bezeichnet, die zur Behandlung von psychischen Störungen und Erkrankungen eingesetzt werden. Das Spektrum der dabei eingesetzten Wirkstoffe ist sehr breit und die pharmakologischen Wirkweisen sehr unterschiedlich, sodass im Falle von Überdosierungen und gerade bei Mischintoxikationen jede Substanz bzw. jeder Fall individuell betrachtet werden muss. Der therapeutische Einsatz dieser Präparate zeigt eine weite Verbreitung und in den letzten Jahren eine tendenzielle Zunahme.
Es lassen sich mehrere Hauptgruppen differenzieren:

Pathophysiologie

Die genannten Psychopharmaka entfalten ihre Wirkungen auf sehr unterschiedliche Weise im zentralen Nervensystem. Im Falle von Überdosierungen resultieren hieraus je nach Wirkweise einerseits überschießende zentral dämpfende Effekte und/oder überschießende zentralstimulierende Effekte oder auch anderweitige neurologische „Dysfunktionen“. Einige der Wirkstoffe zeigen jedoch auch Interaktionen im vegetativen Nervensystem und beeinflussen damit auch mehr oder weniger direkt die Funktionen des Herz-Kreislauf-Systems und anderer Organsysteme. Insbesondere durch teilweise bestehende anticholinerge oder auch antiadrenerge Eigenschaften kann es im Falle von Überdosierungen zu gefährlichen kardialen Symptomen und hämodynamischen Beeinträchtigungen kommen.
Zusammenfassend lassen sich bei Überdosierungen mit Psychopharmaka unterschiedliche Syndrome unterscheiden, in der Praxis bestehen jedoch häufig auch fließende Übergänge und Mischbilder:

Narkotisches Syndrom

Führend ist hierbei eine protrahierte Vigilanzminderung bis hin zum tiefen Koma mit Verlust der Schutzreflexe. Typischerweise führendes Syndrom bei den Sedativa und Hypnotika (z. B. Barbiturate, Benzodiazepine), je nach Ausmaß der Überdosierungen aber auch bei vielen anderen Psychopharmaka zu sehen.

Psychische Alterierung

Bei fast allen Intoxikationen mit Antidepressiva oder Neuroleptika ist eine mehr oder weniger ausgeprägte psychische Alterierung möglich: z. B. Agitation, Aggressivität, delirante bis halluzinatorisch-psychotische Zustände, Krampfanfälle. Es finden sich oft fließende Übergänge zu oder auch wechselhafte Verläufe mit einem narkotischen Syndrom.

Bizarres neurologisches Syndrom/hyperkinetisch dyskinetisches Syndrom

Insbesondere bei Vergiftungen mit verschiedenen Neuroleptika zu beobachtende Symptomatik mit Tremor, Speichelfluss, Sprachstörungen, extrapyramidalen Dyskinesien mit Zungen-, Schlund- und Blickkrämpfen bis hin zu Torticollis und Opisthotonus.

Anticholinerges Syndrom

Eine klassische anticholinerge Symptomatik mit Mydriasis, Mundtrockenheit, Darmatonie, deliranten Zuständen, Krampfanfällen und tachykarden Herzrhythmusstörungen ist insbesondere bei trizyklischen Antidepressiva und bei verschiedenen Neuroleptika zu beobachten.

Epidemiologie

Die Intoxikationen mit Psychopharmaka nehmen gerade im Arbeitsfeld der Giftinformationszentren einen großen Raum ein, da bei einem Großteil der Fälle von suizidalen bzw. parasuizidalen Medikamentenüberdosierungen bei Erwachsenen Psychopharmaka maßgeblich beteiligt sind. Durch ihren mittlerweile breiten Einsatz sind diese Präparate vielen Personen leicht zugänglich.
Nach der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Tab. 1) waren z. B. im Jahr 2012 von ca. 35.000 wegen einer Vergiftung durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen (ICD 10 T36–50) stationär in Krankenhäusern behandelten Patienten alleine mehr als 42 % verursacht durch Vergiftungen mit Psychopharmaka im weiteren Sinne (ICD10 T42 + T43). Insbesondere Vergiftungen mit Benzodiazepinen (3.924, ca. 11 %), Antidepressiva (4.345, ca. 12,2 %) und Neuroleptika (2.208, ca. 6,2 %) machen zusammen schon mehr als ein Viertel dieser Behandlungsfälle aus.
Tab. 1
Vollstationäre Behandlungen in Krankenhäusern wegen Vergiftungen mit Arzneimitteln, Drogen und biologisch aktiven Substanzen 2012. (Nach Gesundheitsberichterstattung des Bundes www.gbe-bund.de)
ICD-10
Bezeichnung
2012
T36–50
Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
35.720
=100 %
   
T42
Vergiftungen durch Antiepileptika, Sedativa, Hypnotika und Antiparkinsonmittel
7.675
21,5 %
   
T42.4
Vergiftung:Benzodiazepine
3.924
11 %
   
T43
Vergiftung durch psychotrope Substanzen, andernorts nicht klassifiziert
7.505
21 %
   
T43.0
Vergiftung: Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
1.744
4,9 %
T43.1
Vergiftung: monoaminooxidasehemmende Antidepressiva
202
0,5 %
T43.2
Vergiftung: Sonstige und nicht näher bezeichnete Antidepressiva
2.399
6,7 %
T43.0–2
Summe T43.0 bis T43.2 – Antidepressiva
4.345
12,2 %
T43.3
Vergiftung: Antipsychotika und Neuroleptika auf Phenothiazinbasis
591
1,7 %
T43.4
Vergiftung: Neuroleptika auf Butyrophen- und Thioxanthenbasis
234
0,7 %
T43.5
Vergiftung: Sonstige und nicht näher bezeichnete Antipsychotika und Neuroleptika
1.383
3,9 %
T43.3–5
Summe T43.3 bis T43.5 – Antipsychotika und Neuroleptika
2.208
6,2 %
Vollstationäre Behandlung in Krankenhäusern in Deutschland: Diagnosedaten nach ICD10 (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2014)
Aus der Sicht eines Giftinformationszentrums zeigt sich gerade bei den suizidalen und parasuizidalen Medikamentenüberdosierungen hinsichtlich der verwendeten Wirkstoffe ein noch prägnanteres Bild: Benzodiazepine sind in ca. 20 %, Neuroleptika in ca. 18 % und Antidepressiva in ca. 32 % dieser Fälle beteiligt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei solchen Fällen meist um Mischintoxikationen mit gleich mehrere Präparaten handelt, muss man insgesamt bei praktisch zwei Dritteln solcher Fälle von einer Beteiligung von Psychopharmaka im weiteren Sinne ausgehen.

Klinik

Barbiturate, Benzodiazepine, benzodiazepinverwandte Mittel

Barbiturate, Benzodiazepine und benzodiazepinverwandte Mittel verstärken auf unterschiedliche Weise inhibitorische GABA-vermittelte Wirkungen im ZNS. Überdosierungen mit diesen Wirkstoffen führen primär zu einer allgemeinen und überschießenden Dämpfung/Depression des zentralen Nervensystems, resultierend insbesondere in einer Vigilanzminderung bis hin zum Koma und möglicherweise auch einer Atemdepression („narkotisches Syndrom“). Zusätzlich kann es gerade bei schweren Intoxikationen zu Kreislaufdepression, Tachykardie, Hypothermie und auch Rhabdomyolyse mit eventuell konsekutivem Nierenversagen kommen. Von besonderer Relevanz bei Überdosierungen sind darüber hinaus die teilweise sehr langen Wirkdauern und Eliminationshalbwertszeiten einiger dieser Substanzen (z. B. Bromazepam, Phenobarbital), die eine entsprechend bis zu mehreren Tagen anhaltende klinische Symptomatik bei Intoxikationen nach sich ziehen können.

Trizyklische Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva entfalten ihre Wirkung im ZNS primär durch eine Wiederaufnahmehemmung der Neurotransmitter Noradrenalin, Dopamin und Serotonin. Zusätzlich zeigen sie jedoch auch noch unterschiedlich ausgeprägte anticholinerge, antihistaminerge und alphablockierende Rezeptorinteraktionen (zentral und peripher). Überdosierungen führen zu einer anticholinerg geprägten Symptomatik, in leichteren Fällen mit Mydriasis, Schwindel, Tachykardie, Mundtrockenheit und wechselhafter Vigilanz zwischen leichter Sedierung aber auch agitiert/delirant/psychotischen Zuständen mit Halluzinationen. Bei schwereren Fällen kommt es zu weiterer Vigilanzminderung bis hin zum Koma mit begleitender Atem-/Kreislaufdepression und metabolischer Azidose. Zusätzlich können protrahierte generalisierte Krampfanfälle, Rhaybdomyolyse und multiple, insbesondere ventrikuläre Herzrhythmusstörungen bis hin zu Torsaden, aber auch AV-Blockierungen auftreten. Die eingesetzten Wirkstoffe zeichnen sich darüber hinaus noch durch eine geringe therapeutische Breite, lange Wirkdauer und für sekundäre Gifteliminationsverfahren ungünstige pharmakokinetische Eigenschaften (hohes Verteilungsvolumen, hohe Plasmaeiweißbindung) aus.

Tetrazyklische Antidepressiva

Wirkweise und Symptomatik ähneln weitgehend der der trizyklischen Antidepressiva, die anticholinerge Prägung ist weniger stark ausgebildet.

Atypische Antidepressiva und Selektive Serotonin-Re-uptake-Hemmer (SSRI)

Atypische Antidepressiva vermitteln ihre Wirkung überwiegend durch eine Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin im ZNS, im Falle der selektiven Serotonin-Re-uptake-Hemmer nur durch eine Wiederaufnahmehemmung von Serotonin aus dem synaptischen Spalt. Weitere Rezeptorwirkungen (z. B. anticholinerg etc.) sind gar nicht oder nur sehr wenig ausgeprägt. Leichte Überdosierungen sind geprägt von einer wechselhaften Vigilanz mit Sedierung bis Agitation, Tremor, Schwindel, Tachykardie. Bei schwereren Intoxikationen werden zusätzlich Koma, Ateminsuffizienz, Herz-Kreislauf-Insuffizienz, insbesondere tachykarde Herzryhythmusstörungen, QT-Zeitverlängerungen, Krampfanfälle und Rhabdomyolysen beobachtet. Gerade bei den SSRI kann es zusätzlich zu einem Serotoninsyndrom mit Vigilanzstörungen, Muskelrigidität, wechselhaften Blutdruckverhalten (Hypo-, Hypertonie) und Tachykardie bis hin zu Delir, Koma, Schock, Hyperthermie, Krampfanfällen, metabolischer Azidose, Rhabdomyolyse und Nierenversagen kommen.

Klassische Neuroleptika und atypische Neuroleptika

In dieser sehr heterogenen Gruppe (Phenothiazinderivate, Butyrophenone u. a.) kommt es neben der primären, zentralen antagonistischen Wirkung an Dopaminrezeptoren noch zu vielen und sehr unterschiedlich ausgeprägten Interaktionen mit Serotonin-, Histamin-, α-Adreno- und Cholinorezeptoren und folglich auch zu unterschiedlichen Ausprägungen an insbesondere sedierenden, anticholinergen und sympatholytischen Effekten (periphere Alphablockade). Bei schweren Vergiftungen drohen somit letztendlich bei praktisch allen Wirkstoffen Komplikationen wie Delir, Koma, Ateminsuffizienz, Kreislaufdepression, Rhabdomyolysen, tachykarde und auch bradykarde Herzrhythmusstörungen und Krampfanfälle. Schon im Normdosisbereich sind darüber hinaus extrapyramidale Nebenwirkungen und selten auch ein maligenes neuroleptisches Syndrom möglich.

Lithium

Das genaue Wirkprinzip von Lithium ist noch nicht abschließend geklärt, bekannt sind jedoch Effekte im Stoffwechsel der Transmitter Noradrenalin und Serotonin. Überdosierungen sind neben gastrointestinalen Symptomen geprägt von neurologischen Symptomen wie Tremor, Nystagmus, Ataxie und lethargischen-sedierenden bis deliranten Vigilanzänderungen. Bei schweren Vergiftungen kommt es darüber hinaus zu protrahierten neurologischen Störungen, Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes sowie Kreislaufdepression, Koma, Ateminsuffizienz, Krampfanfällen und multiplen Herzrhythmusstörungen. Von großer Bedeutung im Rahmen von Vergiftungen sind außerdem die nur geringe therapeutische Breite des Wirkstoffes sowie die überwiegend renale Elimination.

Spezielle Aspekte

Herzrhythmusstörungen

Bei fast allen Antidepressiva und Neuroleptika kann es bei schweren Intoxikationen mehr oder weniger ausgeprägt zu kardialen Reizleitungsstörungen und konsekutiv auch multiplen Herzrhythmusstörungen meist tachykarder aber auch bradykarder Natur kommen. Frühe EKG-Zeichen dieser kardialen Komplikationen sind eine Verbreiterung des QRS-Komplexes auf >160 ms oder Verlängerungen der QTc auf >500 ms, zusätzlich sind schenkelblockartige Bilder, polymorphe ventrikuäre Extrasystolen und verschiedene atrioventrikuläre Überleitungsblockierungen zu beobachten. In schweren Fällen kann es nachfolgend zu lebensbedrohlichen Ereignissen und Herzrhythmusstörungen wie ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern, Torsaden, kompletten AV-Blockierungen, Herzstillstand/Asystolie oder auch Elektromechanischer Dissoziation (EMD) kommen.

Diagnostik

An diagnostischen Mitteln kommt der Anamnese/Fremdanamnese und der klinischen Untersuchung noch die größte Bedeutung zu. Durch diese Maßnahmen und die zusätzliche Inspektion der Umgebung ist gerade bei suizidalen/parasuizidalen Handlungen in den meisten Fällen schon eine Verdachtsdiagnose möglich, die weiteren Maßnahmen an Diagnostik und Monitoring dienen im Wesentlichen der weiteren Risikostratifizierung und zur Erfassung möglicher Komplikationen (Tab. 2).
Tab. 2
Diagnostische Maßnahmen bei Überdosierungen mit Psychopharmaka
Anamnese/Fremdanamnese
Eigenmedikation, Medikamente im näheren Umfeld verfügbar, Vorerkrankungen etc.
Inspektion der Umgebung
Tablettenreste, Blister, Beipackzettel, Verpackungen etc.
Klinische Untersuchung
Vigilanz + Psyche, Herzfrequenz/-rhythmus, Blutdruck, Atemmuster, neurologische Störungen, „Syndrome“ etc.
EKG/Monitoring
Herzrhythmusstörungen, QRS-Verbreiterungen, QT-Zeit-Verlängerungen etc.
Labor
Blutgasanalyse mit Säure-Basen-Haushalt, Elektrolyte, Blutzucker, Kreatininkinase, Organparameter Leber und Niere, Blutbild
Toxikologische Analytik
Screening: Urinschnelltests verfügbar insbesondere für trizyklische Antidepressiva und Benzodiazepine (Cave: falsch-positive/falsch-negative Ergebnisse möglich)
Serumspiegel: quantitative Wirkstoffbestimmungen für einige Wirkstoffe verfügbar, klinisch relevante Grenzkonzentrationen nicht für alle Wirkstoffe etabliert, gut etabliert für z. B. Lithium und Phenobarbital
Große Bedeutung kommt dem EKG bzw. der kontinuierlichen EKG-Rhythmusüberwachung (Monitoring) zu: insbesondere z. B. bei den Vergiftungen mit trizyklischen Antidepressiva oder den Neuroleptika sind die Patienten durch multiple Herzrhythmusstörungen bradykarder und insbesondere tachykarder Natur gefährdet. Auch bei ansonsten nach der Akutphase wieder klinisch unauffälligen Patienten können noch z. B. QT-Zeitverlängerungen oder AV-Blockierungen fortbestehen und eine weitere Überwachung erforderlich machen.

Differenzialdiagnostik

Im Rahmen der Differenzialdiagnostik kommen bei den meist führenden Symptomkomplexen der unklaren Vigilanzminderung, einer unspezifische neurologischen Symptomatik bis hin zu Krampfanfällen und einer unklaren Kreislaufdepression mit möglicherweise auch Herzrhythmusstörungen letztendlich viele internistische und neurologische Krankheitsbilder in Betracht. Da auch eine Tablettenintoxikation mit Psychopharmaka mangels suffizienter Anamnesemöglichkeit initial oft nur eine Verdachtsdiagnose ist und nicht sicher bewiesen werden kann, sollte in diesen Fällen mittels klinischer, laborchemischer und apparativer Methoden nach anderen, insbesondere zerebralen, metabolischen, kardialen und auch septischen Ursachen gesucht werden, um nicht andere therapeutische Optionen zu verpassen. Hinsichtlich des Vorliegens medikamentenbedingter gefährlicher Wirkungen ist die Abgrenzung zum Malignen Neuroleptikasyndrom und dem Serotoninsyndrom wichtig. Beide können ähnliche klinische Mischbilder bewirken, erfordern jedoch ein differentes therapeutisches Management.

Therapie

Primäre Giftelimination

Da alle Psychopharmaka bei Überdosierung letztendlich rasch zu einer Vigilanzminderung führen können, ist das Induzieren von Erbrechen kontraindiziert. Die Option der Magenspülung kann bei großen und potenziell lebensbedrohlichen Mengen in der frühen Phase oder bei bestehender Magendarmatonie sinnvoll sein (s. Kap. Giftelimination (primär und sekundär)), sollte dann jedoch wegen der potenziell rasch fortschreitenden Symptomatik grundsätzlich nur unter Intubationsschutz erfolgen. Auch die Gabe von medizinischer Kohle ist in der frühen Phase bei großen und potenziell lebensbedrohlichen Mengen sinnvoll, jedoch muss hier wegen der ev. rasch fortschreitenden Vigilanzminderung mit Verlust der Schutzreflexe im Einzelfall eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen und ggf. auch eine Schutzintubation durchgeführt werden. Bei reinen Benzodiazepin-Intoxikationen kann in der Regel wegen eines eher „benignen“ Verlaufes auf Maßnahmen der primären Giftelimination verzichtet werden, da die drohenden Hauptgefahren unter intensivmedizinischen Bedingungen gut beherrscht werden können.
Eine weitere Besonderheit stellt eine mögliche Bezoarbildung durch Verklumpung von Tabletten im Magen dar, wie sie z. B. von Lithium und Quetiapin gerade bei retardierten Präparaten beschrieben worden ist. Je nach Größe dieser „Bezoare“ kann dann ein Weitertransport durch den Pylorus erheblich verzögert werden, so dass es konsekutiv auch zu einer deutlich verzögerten und protrahierten Resorption und entsprechend klinischen Symptomatik kommen kann. Die Möglichkeit eines solchen Effektes sollte bei bestimmten Präparaten bedacht werden; Art und Ausmaß des diesbezüglichen Managements (z. B. Endoskopie zur Objektivierung und ggf. mechanischen Intervention, wiederholte Gabe von medizinischer Kohle) werden noch kontrovers diskutiert.

Sekundäre Giftelimination

Aufgrund ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften mit eher hohen Verteilungsvolumina und/oder hohen Plasmaeiweißbindungen sind bei den meisten Psychopharmaka, insbesondere bei den Antidepressiva und Neuroleptika, sekundäre Eliminationsmaßnahmen keine effektive und sinnvolle Option. Ausnahmen hiervon bilden nur das Lithium und allenfalls einige kurzwirksame Barbiturate, die bei sehr hohen Serumspiegeln und einer bedrohlichen klinischen Symptomatik über ein extrakorporales Verfahren (z. B. Hämodialyse bei Lithium, Hämoperfusion bei Phenobarbital) mit einer hinreichenden Effektivität eliminiert werden können.

Intensivmedizinische Überwachung und Therapie

Eine intensivmedizinische Überwachung/Monitoring und ggf. supportive und differenzierte, symptomorientierte intensivmedizinische Therapiemaßnahmen sind als die wichtigsten Eckpfeiler bei der Behandlung von Vergiftungen mit Psychopharmaka zu betrachten. Insbesondere im Hinblick auf die häufigen Komplikationen wie Atem- oder Kreislaufdepressionen, Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen, Rhabdomyolyse, Nierenversagen sowie Störungen des Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes bestimmen die frühzeitige und adäquate Nutzung intensivtherapeutischer Maßnahmen letztendlich maßgeblich die Prognose und den Outcome solcher Vergiftungen.

Spezielle therapeutische Aspekte

Flumazenil als Antidot (siehe auch Kapitel Antidota)

Mit Flumazenil lässt sich insbesondere die sedierende und atemdepressorische Wirkung der Benzodiazepine (und teilweise auch der benzodiazepin-verwandten Wirkstoffe) erfolgreich antagonisieren. Die Wirkdauer nach einmaliger Applikation ist jedoch nur begrenzt (<1 h), so dass im Verlauf mit einer erneuten Vergiftungssymptomatik der ursprünglichen Ausprägung zu rechnen ist. Die wichtigste und lebensrettende Indikation für Flumazenil ist insofern die Überbrückung einer Ateminsuffizienz bei fehlender Intubations-/Beatmungsmöglichkeit. Vermeiden sollte man die Gabe von Flumazenil bei vermuteten oder bestehenden Mischintoxikationen mit anderen, potenziell krampfschwellensenkenden oder krampfauslösenden Wirkstoffen (z. B. Neuroleptika, Antidepressiva), da durch die Antagonisierung auch der antikonvulsiven Wirkung der Benzodiazepine die krampfauslösende Wirkung der anderen Präparate zur vollen Ausprägung kommen kann (s. Kap. Antidote).

Physostigmin als Antidot

Mit Physostigmin können anticholinerge Symptome passager aufgehoben werden, wenn deren Genese wie z. B. bei einigen Neuroleptika auch auf einen direkten anticholinergen Effekt zurückzuführen sind. Durch seine cholinerge Wirkung im vegetativen Nervensystem ist Physostigmin jedoch auch mit einem erheblichen Nebenwirkungs- und Komplikationspotential (insbesondere bradykarde Herzrhythmusstörungen bis hin zur Asystolie) behaftet, die Indikationsstellung sollte deshalb eher zurückhaltend und nur bei anderweitig nicht beherrschbaren lebensbedrohlichen anticholinergen Symptomen als ultima ratio erfolgen. Die Verwendung von Physostigmin bei Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva wird inzwischen sehr kontrovers diskutiert und sogar als kontraindiziert angesehen (s. Kap. Antidote).

Natriumbicarbonat

Bei bestehenden Reizleitungsstörungen (z. B. QRS-Verbreiterungen) und multiformen Herzrhythmusstörungen im Rahmen von Vergiftungen mit trizyklischen Antidepressiva und einigen Neuroleptika hat sich die Blutalkalisierung durch Gabe von Natriumbicarbonat zur Therapie und Vermeidung fortschreitender Rhythmuskomplikationen als wirksam erwiesen. Eine kontrollierte Anhebung des Blut-pH-Wertes auf 7,45–7,55 sollte hierbei erzielt werden, sofern nicht andere relevante Befunde dem entgegen sprechen.

Lipid rescue

Als ultima ratio wird zwischenzeitlich von einigen Autoren auch bei Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva bei lebensbedrohlichen hämodynamisch instabilen Patienten bei Versagen aller anderen therapeutischen Standardmaßnahmen die Durchführung einer Fettemulsionstherapie diskutiert bzw. empfohlen. Vorbild ist dabei das „Lipid rescue“-Verfahren, wie es für lebensbedrohliche hämodynamische Komplikationen bei Überdosierungen durch lipilösliche Lokalanästhetika beschrieben ist. Eine Wirksamkeit bei Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva ist jedoch bisher nicht bewiesen, die Entscheidung für diese Maßnahme bewegt sich somit bisher im Rahmen eines Therapieversuches auf der Basis von Fallberichten.

Verlauf und Prognose

Wichtige Einflussparameter für Verlauf und Prognose relevanter Intoxikationen mit Psychopharmaka sind neben den pharmakodynamischen Eigenschaften und der effektiv resorbierten Dosis insbesondere das Ausmaß an toxischen Effekten auf das vegetative Nervensystem. Wegen überwiegend längeren Eliminationshalbwertszeiten der Wirkstoffe kann die Symptomatik solcher Intoxikationen schnell mehr als 24 h andauern. Gefährdet sind die Patienten in dieser Zeit maßgeblich durch die toxischen Effekte bzw. die Beeinträchtigung von Vigilanz, Schutzreflexen, Atmung, Kreislauf und sehr oft auch Krampfanfällen und malignen Herzrhythmusstörungen. Aus logistischen Gründen kommt der primären Giftelimination in vielen dieser Fälle nur noch eine nachrangige Bedeutung für Verlauf und Prognose zu, da erfahrungsgemäß meist schon bis zu mehrere Stunden nach Einnahme bis zum Einsetzen der medizinischen Maßnahmen vergangen sind (Patienten werden „aufgefunden“). Einem engmaschigen intensivmedizinischen Monitoring und einer rechtzeitigen und adäquaten intensivmedizinischen supportiven bzw. symptomorientierten Therapie kommen in diesen Fällen die größte Bedeutung für den weiteren Verlauf und die Prognose zu. Lassen sich die kritischen und lebensbedrohlichen Phasen intensivmedizinisch rechtzeitig und erfolgreich überbrücken, so können die meisten dieser Intoxikationen ohne protrahierte bzw. bleibende Schädigungen überlebt werden.
Literatur
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Diagnosedaten der Krankenhäuser ab (2000) www.​gbe-bund.​de. Zugegriffen am 16.06.2014
Goldfrank’s toxicologic emergencies, 9. Aufl. McGraw-Hill
Micromedex 2.0 – Poisindex, Toxicological database, TRUVEN Health Analytics. www.​micromedexsoluti​ons.​com (kostenplichtig). Zugegriffen am 18.06.2014