Erschienen in:
01.07.2012 | Leitthema
Teambasierte Gemeindepsychiatrie
Bedeutung von Kontextfaktoren und Übertragbarkeit der Studienevidenz
verfasst von:
S. Weinmann, U. Gühne, M. Kösters, W. Gaebel, Prof. Dr. T. Becker
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 7/2012
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Zusammenfassung
In der S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) erfolgt eine Einschätzung der Übertragbarkeit von Studienergebnissen zu gemeindepsychiatrischen Versorgungsmodellen auf die Situation in Deutschland. Diese Beurteilung muss insbesondere auf die Forschung zu Wirkfaktoren zurückgreifen, da kaum Evidenz aus kontrollierten Studien vorliegt, in denen eine Umsetzung der meist in englischsprachigen Ländern erprobten und evaluierten Modelle in Deutschland untersucht wurde. In diesem Beitrag wird diskutiert, welche Wirk- und Kontextfaktoren die Übertragbarkeit von Studienergebnissen wichtiger gemeindebasierter Modelle psychosozialer Versorgung für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen beeinflussen. Als Grundlage werden die verschiedenen Varianten Team- und gemeindebasierter Versorgung (Case-Management, „assertive community treatment“, gemeindepsychiatrische Teams) herangezogen. Es zeigt sich, dass die Wirkstärken der Versorgungsmodelle stark von der jeweiligen Routineversorgung, gegen die verglichen wird, abhängen. Je mehr Elemente gemeindepsychiatrischer Versorgung diese enthält und je geringer der Druck zur Vermeidung stationärer Aufenthalte ist, desto geringer sind die Wirkstärken „innovativer“ Modelle. Dies bedeutet, dass bei komplexen psychosozialen Interventionen ohne Vorliegen hochwertiger landesspezifischer Evidenz immer eine Prüfung der Übertragbarkeit in andere Gesundheitssysteme erfolgen muss. Mittlerweile liefert die Wirksamkeitsforschung etliche solide Hinweise zu Kontextfaktoren, welche die Wirksamkeit beeinflussen. Die Manualtreue, Hausbesuche und die gemeinsame Verantwortung für die medizinisch-psychiatrische und die soziale Versorgung gehören für die Zielgruppe der schwer psychisch Erkrankten zu den wichtigen Wirkfaktoren. Viele andernorts bewährte, aber auch neue Modelle gemeindebasierter psychiatrischer Versorgung können in angepasster Form unter Beibehaltung ihrer wirksamen Komponenten im Rahmen des bestehenden deutschen Versorgungssystems umgesetzt werden.