Insbesondere bei Patienten mit geplanten neuroaxialen Blockaden
stellt sich immer wieder die Frage, wie mit einer vorbestehenden antithrombotischen Medikation umgegangen werden sollte. Obwohl das Risiko neurologischer Komplikationen aufgrund hämorrhagischer Ereignisse nach neuroaxialen Blockaden insgesamt als sehr niedrig eingeschätzt wird (<1:150.000 bei epiduralen Blockaden und <1:220.000 bei spinalen Blockaden), häufen sich Berichte über erhöhte Risiken in bestimmen Patientenpopulationen [
36]. Hierbei sollte insbesondere eine Risikoabwägung zwischen dem erhöhten Blutungsrisiko und dem Thrombebolierisiko erfolgen. Zur Abwägung des Blutungsrisikos hat sich der
HAS-BLED-Score bewährt [
37]. Elektive Operationen sollten bei kürzlich aufgetretenen akuten Blutungskomplikationen oder Thrombembolien verschoben werden und auch die duale Plättchenhemmung sollte leitliniengerecht eingehalten werden (Kap.
Rückenmarknahe Regionalanästhesie: Anatomie, Physiologie, Kontraindikationen, Komplikationen, Antikoagulation). Im Allgemeinen wird ein Absetzten der antithrombotischen Medikation abhängig von der jeweiligen
Halbwertszeit (HWZ) empfohlen. Hierbei hat sich ein Sicherheitsabstand von etwa 2 HWZ vor der Durchführung einer neuroaxialen Blockade bewährt.
Thrombozytenaggregationshemmer
Sowohl nichtsteroidale Antirheumatika, P2Y12-Hemmer (z. B. Clopidogrel, Ticlopidin, Prasugrel, Ticagrelor), aber auch Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Inhibitoren (GPI) wie z. B. Abciximab, Eptifibatid und Tirofiban hemmen die Thrombozytenaggregation.
Nichtselektive, nichtsteroidale Antirheumatika („non-steroidal anti-inflammatory drugs“, NSAID
) hemmen die Thromboxansynthese und somit die Thrombozytenaggregation sowie die Cyclooxygenase 1 und 2 und damit die Prostaglandinbiosynthese. Sie lassen sich in Acetylsalicylsäurederivate
(Aspirin, ASS
), Arylpropionsäurederivate
(z. B.
Ibuprofen, Naproxen
), Arylessigsäurederivate
(
Diclofenac), Indolessigsäurederivate
(
Indometacin) und Anthranilsäurederivate
(Mefenaminsäure
) sowie Oxicame
(Piroxicam
) einteilen.
ASS hemmt die Cyclooxygenase irreversibel und führt darüber zu einer Thrombozytenaggregationsstörung, sodass sich die Funktion erst nach Erneuerung der Thrombozytenzahl (7 Tage) wieder normalisiert. ASS wird in der Dosierung von 100 mg p.o. sehr häufig zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse eingesetzt. Aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos sollte ASS perioperativ nur dann weitergegeben werden, wenn es leitliniengerecht zur Primär- oder Sekundärprävention eingesetzt wird und es die Art der Operation erlaubt [
38]. Andererseits gibt es Hinweise, dass das perioperative Absetzen von ASS bei bestimmten Patientengruppen mit einer erhöhten Morbidität und Letalität assoziiert ist. Da bislang kein erhöhtes Komplikationsrisiko beobachtet wurde, kann auch unter der niedrigdosierten Gabe von ASS (100 mg) prinzipiell eine neuroaxiale Blockade durchgeführt werden. Eine Kombinationstherapie mit einem anderen Thrombozytenaggregationshemmer ist nicht selten und führt u. U. zu einem
additiven Effekt auf die Blutgerinnung, weshalb vor Durchführung eines rückenmarksnahen Verfahrens die jeweilige 4- bis 5-fache
Halbwertszeit nach Absetzen dieser Medikamente abgewartet werden sollte.
Die perioperative Einnahme von NSAIDs bei Nierengesunden hat nach aktuellem Kenntnisstand keine Auswirkungen auf die perioperative Letalität oder kardiovaskuläre Komplikationen.
Eine Untergruppe der NSAIDs bilden die sog. selektiven Cyclooxygenase-2 (COX-2)-Inhibitoren. COX-2-Inhibitoren
verringern über die Hemmung der Cyclooxygenase-2- Aktivität die Prostacyclinsynthese und hemmen darüber die Thrombozytenaggregation. Selektive COX-2-Hemmer wie z. B. Celecoxib
, Etoricoxib
und Parecoxib
können durch
Arzneimittelinteraktionen den perioperativen Blutverlust erhöhen [
39,
40].
Paracetamol und
Metamizol als weitere Nicht-Opioid-Analgetika können komplikationslos im perioperativen Setting im Hinblick auf Blutungsrisiken verabreicht werden, da keine Auswirkungen auf die Blutgerinnung vorliegen.
Clopidogrel
, Ticlopidin
, Prasugrel
und Ticagrelor
gehören zur Gruppe der ADP-Hemmer
vom Subtyp P2y12 und hemmen die Thrombozytenaggregation. Trotz einer relativen kurzen
Halbwertszeit der aktiven Metabolite von ca. 7–10 Stunden (Ausnahme: Ticlopidin mit 24–32 h) kann es aufgrund der interindividuellen Unterschiede im Metabolismus zu einer Veränderung der Thrombozytenaggregation für deren gesamte Lebensdauer führen. Deshalb sollte nach Absetzen der Medikation 7–10 Tage abgewartet werden, bevor ein neuroaxiales Verfahren durchgeführt wird.
Bei den Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Inhibitoren (GPI) lassen sich Abciximab
auf der einen und Eptifibatid
und Tirofiban
auf der anderen Seite bezüglich ihrer chemischen Struktur und mit den damit verbundenen pharmakologischen Eigenschaften unterscheiden. Allen gemeinsam sind die reversible Thrombozytenaggregationshemmung und die intravenöse Verabreichungsform. Während Eptifibatid und Tirofiban eine
Halbwertszeit von ca. 2 h bei Nierengesunden aufweisen, vermag Abciximab, ein chimärer monoklonaler
Antikörper, sowohl den Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor als auch den Vitronectinrezeptor zu
blockieren, und weist eine biologische Halbwertszeit von 12–24 h (Plasmahalbwertszeit ca. 12 h) auf. Obwohl sich die Thrombozytenfunktion bereits nach 48 h normalisiert hat, ist Abciximab in thrombozytengebundener Form mindestens 15 Tage nachweisbar. Dementsprechend sollte Abciximab 48 h vor einer neuroaxialen Blockade pausiert werden, während bei Eptifibatid und Tirofiban eine Absetzpause von nur 8–10 h notwendig ist (Kap.
Rückenmarknahe Regionalanästhesie: Anatomie, Physiologie, Kontraindikationen, Komplikationen, Antikoagulation).
Heparine
Heparine lassen sich in unfraktioniertes (UFH) und niedermolekulares (NMH) Heparin einteilen. Unfraktioniertes Heparin bindet Antithrombin III und inaktiviert damit aktivierte
Gerinnungsfaktoren wie z. B. den aktivierten Gerinnungsfaktor II (
Thrombin) und Faktor Xa. NMH haben eine deutlich kleinere Molekülgröße (im Mittel <6 kDa im Vergleich zu UFH mit ca. 15 kDa) und inaktivieren hauptsächlich den Prothrombinasekomplex.
Bei präoperativer Gabe von UFH sollte eine 2-fache
Halbwertszeit vor einer neuroaxialen Blockade eingehalten werden. Das Zeitintervall zwischen der letzten Applikation und der Durchführung einer neuroaxialen Blockade sollte bei prophylaktischer Gabe 4 h und bei therapeutischer Dosierung 4–6 h (wegen verzögerter Elimination) betragen.
Bei subkutaner Gabe, häufig bei Schwangeren, sollten wegen der verzögerten Absorption sogar ein Zeitintervall von 8–12 h vor Durchführung einer neuroaxialen Blockade eingehalten werden.
Bereits eine Stunde nach der Katheteranlage kann die Therapie mit UFH fortgeführt werden. Bei präoperativer Gabe von NMH (HWZ 4–6 h, bei
Niereninsuffizienz bis zu 16 h) sollten die 2-fache (bei prophylaktischer Gabe) bzw. 4-fache (bei therapeutischer Gabe) HWZ abgewartet werden. Nach der Punktion muss ein Zeitintervall von mindestens vier Stunden eingehalten werden, bevor erneut mit einer Therapie mit NMH begonnen werden kann. Als Antidot von Heparin steht Protamin zur Verfügung, wobei die Wirkung bei den subkutan applizierten NMH nur unzureichend und zudem schlecht steuerbar ist.
Vitamin-K-Antagonisten
Eine Medikation mit Vitamin-K-Antagonisten (
Cumarine: Phenprocoumon, Warfarin und Acenocumarol) stellt eine Kontraindikation für die Durchführung von neuroaxialen Blockaden dar. Eine Normalisierung der Gerinnung dauert in der Regel mehrere Tage. Sie kann durch die therapeutische Gabe von
Vitamin K oder auch von Prothrombinkonzentrat (PPSB) beschleunigt werden, muss jedoch im Anschluss durch Gerinnungstests verifiziert werden. Der Einsatz von PPSB erfordert wegen des Risikos einer
Thromboembolie eine individuelle Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses. In der Regel ist nach aktueller Studienlage ein perioperatives Bridging
mit niedermolekularem Heparin nicht notwendig [
41]. Ob dies allerdings auch für Patienten mit chronischem
Vorhofflimmern und einem hohen CHADS2-Score von 5 oder 6 und für Patienten vor einer Hochrisikooperation ebenso ratsam ist, ist derzeit noch unklar.
Neue Antikoagulanzien
Zunehmend kommen statt der Vitamin-K-Antagonisten sog. neue Antikoagulanzien (NOAKs
) zum Einsatz. Rivaroxaban
und Apixaban
hemmen den Faktor Xa, während Dabigatran
ein direkter Thrombininhibitor ist. Routinemäßige Kontrollen des therapeutischen Erfolges der NOAKs sind nach aktuellem Kenntnisstand weder notwendig noch sinnvoll, da die üblichen Gerinnungstests meist nicht beeinflusst werden. Dadurch ist die perioperative Handhabung bei Patienten mit dieser Art der Medikation nicht trivial. Erschwerend kommt hinzu, dass es aktuell zu den meisten NOAKS noch keine Antidota
auf dem Markt gibt, auch wenn derzeit von mehreren Firmen intensiv an deren Entwicklung gearbeitet wird. Das erste und bislang einzige spezifische Antidot, für den Ende 2015 eine Zulassung bei der amerikanischen FDA und auch bei der europäischen Prüfkommission erreicht werden konnte, antagonisiert die Wirkung von Dabigatran. Dieser spezifische monoklonale
Antikörper Idarucizumab
, ein vollständig humanisiertes Antikörperfragment, ist seit Anfang 2016 in Deutschland verfügbar.
Auch bei dieser Substanzgruppe ist eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung bezüglich des perioperativen Thrombose-/Blutungsrisikos von Bedeutung. Hierbei müssen sowohl das individuelle klinische Setting (z. B. Alter, Kreatininclearance) als auch die pharmakologischen Grundlagen der einzelnen NOAKs beachtet werden (HWZ: Dabigatran: 11–14 h; Rivaroxaban 5–9 h, bei Älteren 11–13 h; Apixaban 10–15 h), um das Risiko der perioperativen Blutungskomplikationen abschätzen zu können. In der Regel wird bei Nierengesunden ein Absetzen der NOAKs von ungefähr einem Tag (entsprechend 2–3 HWZ) als ausreichend angesehen. Bei
Niereninsuffizienz, einem erhöhten Blutungsrisikos oder einer vorbestehenden höheren Dosierung des NOAK sollte eine 4- bis 5-fache HWZ eingehalten werden [
42]. Nach Punktion/Intervention kann Dabigatran in reduzierter Dosierung nach 4–5 h, Rivaroxaban nach 5 h und Apixaban nach 10–15 h wieder angesetzt werden.