Knie > Osteotomie

(Philipp Schuster) Bei isolierten tibialen oder kombinierten Valgusfehlstellungen ist die schließende Osteotomie an der medialen Tibia eine verhältnismäßig einfache Option. Diese Technik wurde bereits in den 1980er Jahren von Coventry beschrieben [1, 2]. In einer großen Serie von über 400 Valgusknien konnte gezeigt werden, dass in mehr als 40% eine tibiale Fehlstellung zum resultierenden Valgus beiträgt [3]. Eine öffnende Osteotomie der lateralen Tibia hat die großen Risiken der Peroneusaffektion und der Kompartmentproblematik. Auch gibt es hierfür keine speziellen Implantate. Die medial schließende Tibiaosteotomie ist die Technik der Wahl für die Korrektur dieser Fehlstellungen. Der Zugang entspricht dem der öffnenden HTO und ist in einem der vorangegangenen Kapitel beschrieben. Das Prinzip der schließenden Osteotomie wurde ebenfalls bereits im Kapitel über die DFO beschrieben. Einige Besonderheiten der schließenden Osteotomie der Tibia sollen im Folgenden dargestellt werden. Bei der Planung ist zu berücksichtigen, dass proximal noch genug Knochensubstanz vorhanden ist, um die Schrauben sicher verankern zu können. Ein MPTA von 85° sollte nicht unterschritten werden. Die Osteotomie sollte so geplant werden, dass vom Hinge-Point (identisch zur HTO) aus ein gleichschenkliges Dreieck resultiert (gleich lange Schnitte). So kann ein Offset (Überstand des Knochens) vermieden werden, und medial steht dann bei geschlossener Osteotomie Kortikalis auf Kortikalis. Oftmals besteht bei valgischen Tibiae auch eine (zusätzliche) Valgusfehlstellung in der oberen Schafthälfte (Abb. 1a–d). Da dies auf kurzen Röntgenaufnahmen nicht mitabgebildet ist, sehen postoperative Aufnahmen daher häufig überkorrigiert aus. Hier gilt es, im Zweifelsfall eine Ganzbeinaufnahme oder eine Aufnahme des ganzen Unterschenkels anzufertigen, um die mechanischen Winkel entsprechend bemessen zu können. Abb. 1a bis 1d Ganzbeinröntgenaufnahme (a) mit Valgusachse von 7° und isolierter tibialer Fehlstellung (b; MPTA 93°). Planung einer medial schließenden HTO (c; 8 mm Keilbasishöhe) und postoperative Ganzbeinaufnahme mit 1 Grad Varus (d). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 1a bis 1d Ganzbeinröntgenaufnahme (a) mit Valgusachse von 7° und isolierter tibialer Fehlstellung (b; MPTA 93°). Planung einer medial schließenden HTO (c; 8 mm Keilbasishöhe) und postoperative Ganzbeinaufnahme mit 1 Grad Varus (d). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 1a bis 1d Ganzbeinröntgenaufnahme (a) mit Valgusachse von 7° und isolierter tibialer Fehlstellung (b; MPTA 93°). Planung einer medial schließenden HTO (c; 8 mm Keilbasishöhe) und postoperative Ganzbeinaufnahme mit 1 Grad Varus (d). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 1a bis 1d Ganzbeinröntgenaufnahme (a) mit Valgusachse von 7° und isolierter tibialer Fehlstellung (b; MPTA 93°). Planung einer medial schließenden HTO (c; 8 mm Keilbasishöhe) und postoperative Ganzbeinaufnahme mit 1 Grad Varus (d). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Relevant ist die Anatomie der Tibia in der axialen Ebene. Hier ist die Konfiguration bekanntermaßen ähnlich einem Dreieck. Bei der öffnenden HTO folgt daraus, dass die Öffnungshöhe dorsal höher sein muss als ventral nahe der Tuberositas (s. vorangegangenes Kapitel), um den Slope nicht zu verändern. Ist diese gleich hoch, führt dies zu einer stärkeren Öffnung ventral mit konsekutiver Slope-Erhöhung. Bei der schließenden Osteotomie an der Tibia gilt dies genauso: Es ist daher darauf zu achten, dass der herausgesägte Keil dorsal etwas höher ist als ventral, um den Slope nicht zu verändern. Dies ist anders als bei der schließenden DFO, bei der idealerweise zwei ganz parallele Schnitte durchgeführt werden. Technisch ist dies einfach durchzuführen (Abb. 2a–g): Es werden unter Röntgenkontrolle 4 Kirschner-Drähte so gesetzt, dass sich die zwei proximalen und die zwei distalen im Strahlengang jeweils ganz korrekt überlagern, oder indem der Sägeschnitt an jeweils einem Kirschner-Draht entlang so durchgeführt wird, dass sich die Säge bei beiden Schnitten im Röntgenbild jeweils als dünne Linie darstellt. Damit wird projektionsradiografisch ein passender Keil herausgesägt, auf der Tibia zeigt sich dies dann weiter ventral mit geringerer Höhe als dorsal. Abb. 2a Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1) mit zunächst Festlegung von Osteotomiebene und Höhe. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2b Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Einbringen von insgesamt 4 K-Drähten, wobei sich die beiden proximalen und distalen jeweils röntgenologisch komplett überdecken sollten. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2c Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Herausgesägter Knochenkeil. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2d Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Geschlossene Osteotomie. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2e Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Kontrolle mittels Ausrichtstange. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2f Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Applikation der Platte sowie Vorspannung und Kompression mittels monokortikaler Zugschraube. Diese ist fakultativ und wird bei größeren Korrekturen, Doppelkorrekturen und hohem JLCA empfohlen. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 2g Intraoperative Röntgenaufnahmen (gleicher Patient wie Abb. 1). Fertige Osteotomie. 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Es erfolgt analog zur öffnenden HTO eine biplanare Osteotomie mit Hintersägung der Tuberositas tibiae. Dabei kann sowohl nach proximal als auch nach distal auslaufend osteotomiert werden. Da es sich um eine schließende Osteotomie handelt, führt eine Ausleitung nach proximal tendenziell zu einer Patella alta. Eine Ausleitung nach distal ist biomechanisch etwas ungünstiger (Zug auf die Tuberositas), führt aber nicht zu einer Änderung der Patellahöhe. Das zu wählende Verfahren hängt letztlich vom individuellen Fall ab. Mittlerweile sind auf dem Markt spezielle Implantate für diese Osteotomie verfügbar. Die Korrektur ist aber auch mit den gängigen Standardimplantaten für die öffnende HTO durchzuführen. Hier gilt es, die Schraubenrichtung zu beachten, da die Angulation für öffnende Verfahren gerechnet ist, und daher das Risiko besteht, dass die proximalen Schrauben durch die Osteotomie gehen. Gegebenenfalls kann die Platte daher angepasst (gebogen) werden, oder durch die temporäre Zugschraube so angespannt, dass die Schraubenrichtung passt. Eine Zugschraube sollte generell zur Kompression der geschlossenen Osteotomie zur Anwendung kommen. Einer der Key-Points der schließenden medialen HTO ist der Umgang mit dem oberflächlichen Innenband (sMCL). Dieses muss in der Regel analog zur öffnenden HTO zumindest teilweise distal gelockert werden. Es kann aber auch durch eine Inzision hinter dem Innenband und Einbringen des Retraktors an dieser Stelle auf eine Ablösung nahezu komplett verzichtet werden [4]. In diesem Fall muss es dann aber beim Sägen zusätzlich geschützt werden. Der herausgesägte Keil liegt metaphysär, also proximal der distalen sMCL-Insertion. Dies bedeutet, dass dieser Anteil des Innenbands abhängig von der Osteotomiehöhe an Spannung verlieren und so zu einer Laxizität führen kann. In einer prospektiven Studie konnte gezeigt werden, dass sich die mediale Laxizität in 30° und 70° Flexion signifikant erhöhte [6]. In einer großen Studie der gleichen Arbeitsgruppe mit über hundert Fällen zeigte etwa ein Viertel der Patienten Instabilitätssymptome unterschiedlichen Ausmaßes, mit auch schlechteren Scores und funktionellem Outcome [5]. Es wird daher generell empfohlen, noch intraoperativ die Stabilität zu prüfen und im Zweifel eine Raffung des distalen sMCL durchzuführen [1]. Abhängig von der verwendeten Platte sollte dies noch vor dem Einbringen derselben erfolgen. Alternativ besteht die Möglichkeit, distal der IB-Insertion zu osteotomieren und damit die Bandspannung zu belassen. Hierfür sind aber derzeit noch keine standardisierten Techniken oder Ergebnisse verfügbar, und die Osteotomie liegt weiter Richtung Schaft, was für die Heilung eher nachteilig ist. Drainagen sind in der Regel bei dieser Osteotomie nicht notwendig. Da es sich um eine sehr stabile Osteotomie mit schneller Heilung und Konsolidierung handelt (Abb. 3a und 3b) ist eine zügige Vollbelastung nach ca. 2 Wochen in der Regel möglich. Abb. 3a Postoperative Röntgenaufnahmen nach 6 Wochen mit praktisch konsolidierter Osteotomie (gleicher Patient wie Abb. 1 und 2). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee × Abb. 3b Postoperative Röntgenaufnahmen nach 6 Wochen mit praktisch konsolidierter Osteotomie (gleicher Patient wie Abb. 1 und 2). 2022 AGA-Knie-Arthrose/Gelenkerhalt-Komitee ×

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