Asthma oder COPD? „Bitte genau hinschauen!“

Welche neuen Entwicklungen und Trends bei obstruktiven Atemwegserkrankungen gibt es? Wir haben Professor Christian Taube aus Essen, Präsident des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin 2023, dazu befragt. Herr Professor Taube, Sie haben vor einigen Monaten in einem Fachbeitrag auf Entwicklungen und Fortschritte bei obstruktiven Lungenerkrankungen hingewiesen. Zu Beginn Ihres Beitrags heben Sie ausdrücklich hervor, dass Asthma und COPD unterschiedliche Erkrankungen sind. Warum haben Sie das betont, ist das nicht längst klar? Professor Christian Taube: Hinter Asthma und COPD stehen unterschiedliche Ursachen, was sich entsprechend auf die Therapien auswirkt. Asthma tritt meist bereits in jüngeren Lebensjahren auf und geht mit einer chronischen Entzündungsreaktion einher, mit oder ohne Allergien. Deshalb ist die antientzündliche sowie gegebenenfalls antiallergische Behandlung Basis der Therapie. COPD dagegen bedeutet, dass die Lunge dauerhaft strukturell verändert ist, hervorgerufen vor allen Dingen durch inhalatives Tabakrauchen. Therapeutisch steht hier die Bronchodilatation im Vordergrund und der Versuch, die zunehmende Überblähung der Lunge zu mindern. Und deswegen ist es so wichtig und notwendig, beide Krankheiten von Anfang an diagnostisch sauber zu unterscheiden. Da vermissen wir Pneumologen teils die notwendige Differenzialdiagnostik. Zum anderen gibt es Patienten, die in der Kindheit Asthma hatten, als Erwachsene dann keine mit Gesunden vergleichbare Lungenfunktion entwickelt haben und bei denen dann im Seniorenalter eine COPD diagnostiziert wird, obwohl sie in ihrem Leben keine einzige Zigarette geraucht haben. Deshalb mein Plädoyer, bitte genau hinzuschauen und zu differenzieren – auch wenn es gelegentlich Patienten gibt, die Komponenten beider Erkrankungen aufweisen. Nun wird aber offenbar bei beiden Erkrankungen die Messung der Entzündungsaktivität immer wichtiger. Welchen Hintergrund hat das? Das stimmt. Bei Asthma tritt vermehrt der Typ-2-Entzündungstyp auf, der mit einem verstärkten Anfall einer Reihe von proinflammatorischen Botenstoffen sowie einem erhöhten Anteil an eosinophilen Granulozyten im peripheren Blut einhergeht. Dieser Umstand ist heute für die Steuerung der antientzündlichen Therapie bedeutsam. Menschen mit ausgeprägtem Entzündungssignal sprechen gut auf inhalative Kortikosteroide an, bei Patienten mit schwerem Asthma gibt uns die Messung der Entzündungsparameter Hinweise darauf, welchen der neuartigen monoklonalen Antikörper wir bevorzugt geben können. Auch bei Patienten mit COPD können die Eosinophilen im peripheren Blut ein Anhalt dafür sein, ob sie von einem inhalativen Kortisonpräparat profitieren oder nicht. Deshalb ergibt ein einfaches Differenzialblutbild sowohl bei Asthma- als auch bei COPD-Patienten Sinn. Dabei fällt auf, dass die Eosinophilen-Schwellenwerte, die eine entsprechende Therapie induzieren, bei Asthma und COPD unterschiedlich definiert sind. Heißt das, dass die Eosinophilen allein kein umfassendes Bild der Entzündungssituation liefern? Die Inflammation bei Asthma ist komplex, verschiedene Zelltypen spielen hierbei eine Rolle: Strukturzellen, Epithelien, dendritische Zellen, T- und B-Lymphozyten, Granulozyten. Die eosinophilen Granulozyten nutzen wir derzeit als Marker. Sie erklären nicht die gesamte Pathologie der Erkrankung. Bedeutet das, dass man künftig womöglich weiter differenzieren wird, wenn praktikable diagnostische Methoden verfügbar sind – mit dann auch differenzialtherapeutischen Unterschieden? Dem ist so. Wir orientieren uns da auch an anderen internistischen Disziplinen. So haben es die Onkologen geschafft, durch Nachweis von bestimmten Genmutationen oder spezifischen Biomarkern herauszuarbeiten, welche Therapie bei welchen Patienten eingesetzt werden sollte. Für unsere Asthma- und COPD-Patienten verfügen wir derzeit hauptsächlich über den Marker der Eosinophilen, hoffen aber auf künftig genauere Marker, die die Differenzialtherapie unterstützen werden. Bislang waren entsprechende Bemühungen wie die Messung des extrazellulären Matrixproteins Periostin leider noch nicht erfolgreich, weil sie nicht den erhofften Informationsgewinn ergeben haben. Die Forschung für eine genauere Klassifizierung der Patientinnen und Patienten geht aber weiter. Was denken Sie, wo die differenzialtherapeutische Reise bei Asthma hingeht? Für schweres Asthma sind bereits mehrere monoklonale Antikörper zugelassen, die bereits in verschiedenen Konstellationen eingesetzt werden, etwa bei schwerem allergischen Asthma mit erhöhten IgE-Werten. Andere Indikationskriterien sind die eosinophilen Granulozyten oder erhöhte FeNO (fraktioniertes exhaliertes Stickoxid)-Werte. Besonders vor dem Hintergrund der Adhärenz-Problematik wird pragmatisch auf Fixkombis gesetzt, bei Asthma wie bei COPD. Steht das einer künftig verstärkt individualisierten Therapie entgegen? In der Praxis hat sich gezeigt, dass es oft schwierig umzusetzen ist, alle Einzelsubstanzen in gewünschter Art und Weise inhalativ zu applizieren. Fixkombinationen der inhalativen Therapeutika erhöhen eindeutig die Einnahmewahrscheinlichkeit und die Adhärenz der Patientinnen und Patienten. Zugleich stehen uns alle Möglichkeiten der Differenzialtherapie mit den Einzelsubstanzen zur Verfügung, wenn wir das möchten. Die monoklonalen Antikörper werden jedoch immer Einzelsubstanzen bleiben, nicht zuletzt, weil es sich um teure Therapien handelt. Da möchten wir vorab relativ sicher sein, dass die Patienten von diesen Behandlungen profitieren können. Lässt sich aus den Erkenntnissen bei schwerem Asthma etwas lernen für Patienten mit leichtem bis mittelschwerem Asthma? Wichtig ist zu lernen, wie ein schweres Asthma entsteht, um ein solches langfristig möglichst verhindern zu können. Dazu sind zwei Botschaften bedeutsam. Erstens: Eine schlecht kontrollierte Entzündung ist ein Risikofaktor für eine irreversible Verengung der Atemwege. Zweitens ist es notwendig, Triggerfaktoren zu vermeiden. So entwickeln rauchende Asthmapatienten schwere Verläufe, häufig ist dann eine COPD-Komponente mit dabei. Für die COPD hat ein internationales Gremium in einem umfangreichen Positionspapier eine Art Neustart hinsichtlich Charakterisierung der Patienten und der Differenzialtherapie vorgeschlagen. Auf der anderen Seite kommen viele Kolleginnen und Kollegen in der Primärversorgung noch nicht mal mit der Umsetzung der aktuellen Leitlinien klar. Bewegen wir uns hier in unterschiedlichen Welten? COPD ist eine Volkserkrankung und die aktuellen Zahlen aus Deutschland belegen leider einen weiteren Anstieg des Anteils der Raucher in der Bevölkerung: ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland raucht. Das ist ein erschreckendes Signal! Damit wird COPD noch lange ein gesundheitliches Problem bleiben, das wir Pneumologen nicht allein werden lösen können. Die meisten COPD-Patienten müssen von hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen versorgt werden, vor denen ich großen Respekt habe, weil sie tagtäglich alle möglichen nicht nur internistischen Leiden managen müssen. Deshalb müssen Leitlinien zur Versorgung von COPD-Patienten gut handhabbar und nicht zu komplex sein. Es ist zudem schwierig, in kurzen Intervallen stattfindende Leitlinienänderungen in der Praxis zu implementieren. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Pneumologen, solche Informationen an wichtige Arztgruppen wie die primärärztlichen Kolleginnen und Kollegen weiterzuleiten. Zugleich ist es wichtig, dass Gremien wie die von Ihnen genannte „Lancet Commission on COPD“ neue Denkanstöße geben, um langfristig Forschungs- und Versorgungsansätze weiterzuentwickeln. Hier werden wissenschaftliche Fundamente für neue Konzepte gelegt. Ich bin sehr froh, dass dieses Papier nun erschienen ist, weil auf dieser Grundlage neu diskutiert werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt sind jedoch keine tiefgreifenden Veränderungen der COPD-Therapie in der alltäglichen Praxis zu erwarten. Diese „Lancet Commission“ unter deutscher Beteiligung hat das Ziel ausgegeben, die COPD vollständig von diesem Planeten zu eradizieren. Hört sich das in Ihren Ohren überambitioniert an? Dieses ist natürlich ein sehr wichtiges und zentrales Ziel, aber ich fürchte, ich werde das bis zu meiner Pensionierung nicht erleben. Gefordert wird eine sehr viel frühere Diagnostik, die Spirometrie ist letztlich zu wenig sensitiv, weil große Teile des Lungengewebes längst dauerhaft geschädigt sind, wenn pathologische Werte gemessen werden. Gibt es Hinweise, dass wir zu einer früheren Diagnosestellung der COPD kommen können? Frühes Erkennen einer Erkrankung muss auch Konsequenzen haben. Die einzige Intervention für die gezeigt worden ist, dass sie den stetigen Verlust an Lungenfunktion bei COPD aufhalten kann, ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Daran müssen wir arbeiten, damit das auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Im Zusammenhang mit dem Lungenkarzinom-Screening per CT werden wir wahrscheinlich verstärkt Informationen über emphysematöse Veränderungen als Anhaltspunkt für eine COPD bekommen. Die Bildgebung wird also für die Früherkennung eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Auch dann stellt sich die Frage nach den therapeutischen Konsequenzen eines solchen Befundes. Solange keine Obstruktion der Atemwege vorliegt, bringen Bronchodilatatoren nichts. Die zentrale Botschaft ist immer wieder, dass das Rauchen beendet werden muss, wenn man verhindern will, dass die Lungenfunktion sukzessive abnimmt. Die „Lancet Commission“ schlägt neben der Klassifikation als Raucher-/Dampfen-assoziierte COPD weitere COPD-Typen vor, etwa die genetisch determinierte COPD, frühkindliche Ereignisse, die Infektions- und die Umweltassoziierte COPD ... In unseren Breiten ist die Raucherassoziierte COPD dominierend, andere Ursachen sind deutlich seltener zu finden. Das Lancet-Papier des internationalen Gremiums hat die COPD vor allem global in den Blick genommen und vor diesem Hintergrund Vorschläge gemacht. So kommt der Luftverschmutzung in einigen Schwellenländern oder in manchen Ländern das Kochen von Mahlzeiten an offenem Feuer eine größere Bedeutung als Ursache obstruktiver Lungenerkrankungen zu als bei uns in Mitteleuropa. Herr Professor Taube, vielen Dank für das Gespräch! Quelle: Ärzte Zeitung

Springer Medizin

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