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Erschienen in: Rechtsmedizin 2/2024

Open Access 30.01.2024 | Originalien

Evaluation der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald durch die Betroffenen

verfasst von: Dr. med. J. Wudtke, B. Bockholdt, A. Fokuhl, F. Stobbe, M. Dokter

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 2/2024

Zusammenfassung

Nach über 12 Jahren Untersuchungserfahrung in der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald entstand das Bedürfnis nach einer Bewertung des aus ärztlicher Sicht etablierten Untersuchungssettings durch die Betroffenen. Es wurden in einer freiwilligen, anonymisierten Studie die von den Betroffenen subjektiv wahrgenommenen Untersuchungsbedingungen anhand eines dafür entwickelten Fragebogens kategorisiert erfragt. Erfasst wurden neben den persönlichen Angaben (Lebensalter/Geschlecht) Analysekriterien wie die Gestaltung der Terminvergabe, die Wahl des Untersuchungsortes und die im Rahmen der Untersuchung empfundene fachliche und kommunikative Kompetenz des Untersuchers. Eingeschlossen wurden alle Betroffenen von Gewalt, die sich im Zeitraum vom 14.07.2021 bis 13.07.2022 vorstellten (n = 108). Die Bereitschaft hinsichtlich einer freiwilligen Teilnahme (onlinebasiert oder per Papierfragebogen) wurde erfragt. An der Studie nahmen 23 Personen (13 w., 9 m., 1 n. b.) teil, was einer Rücklaufquote von 21 % entspricht. Die Probanden befanden sich in 36 % im Alter von 46 bis 55 Jahren, ein weiterer Altersschwerpunkt lag mit 27 % im Bereich von 36 bis 45 Jahren. In der überwiegenden Anzahl der Fälle (69 %) wurde der Termin selbst vereinbart. Die Terminvereinbarung wurde von 77 % der Probanden als einfach eingestuft. Als Untersuchungsort wurde in 73 % der Fälle das Institut für Rechtsmedizin Greifswald angegeben. Bei außerhalb des Instituts stattgefundenen Untersuchungen gaben 36 % der Probanden an, dass keine Möglichkeit bestanden hätte, nach Greifswald zu kommen. Die rechtsmedizinische Untersuchung und auch das Einfühlungsvermögen des Untersuchers wurden in über 70 % der Fälle als ausgezeichnet bewertet. Eine erneute Vorstellung in der Opferambulanz wurde von 80 % der Probanden mit „eindeutig ja“ beantwortet. Die anhand der Studie erhobenen Daten zeigen, dass die rechtsmedizinische körperliche Untersuchung von den untersuchten Personen als ein wertvolles Element empfunden wurde. Die Opferambulanz stellt ein gutes Konzept dar, welches durch seine flexible Gestaltung der Terminvergabe und der Wahl des Untersuchungsortes den Bedürfnissen eines Flächenlandes und auch den Wünschen der Betroffenen gerecht wird.
Hinweise

Zusatzmaterial online

Die Online-Version dieses Beitrags (https://​doi.​org/​10.​1007/​s00194-023-00683-4) enthält einen Fragebogen zur Gewaltopferambulanz.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Rahmen der 102. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (11.–15.09.2023 in Jena) als Vortrag vorgestellt.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in dieser Publikation das generische Maskulinum als geschlechtsneutrale Form verwendet.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die vom Bundeskriminalamt vorgelegte Auswertung der Häufigkeit der häuslichen Gewalt (Bundeslagebild 2022) berichtet für das Jahr 2022 von 240.547 erfassten Fällen, 71,1 % der Opfer waren weiblichen Geschlechts [5]. Die Deliktstruktur reichte von vorsätzlicher „einfacher“ Körperverletzung (59,3 %) über Bedrohung, Stalking, Nötigung (24,2 %), gefährliche Körperverletzung (11,7 %) bis hin zu Vergewaltigung und sexueller Nötigung (2,5 %). Diese Zahlen lassen ganz klar erkennen, dass dem Opferschutz eine immens hohe Bedeutung beizumessen ist. Um in Fällen von häuslicher Gewalt ein rechtskonformes und einheitliches Vorgehen sicherzustellen, wurden in Mecklenburg-Vorpommern polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt (HG-Erlass) [7] im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift (aktuelle Version vom 05.04.2022) formuliert. Darin findet sich auch der Hinweis, dass dem Opfer Informationsmaterial hinsichtlich des Beratungs- und Hilfenetzes auszuhändigen ist, über Interventionsstellen oder auch durch die Polizei selbst wird in diesem Rahmen der Weg zur Untersuchung in einer Gewaltopferambulanz angebahnt.
Auch in Fällen häuslicher Gewalt ohne Polizeipräsenz ist eine rechtsmedizinische Untersuchung der Betroffenen unbedingt anzustreben. Vor diesem Hintergrund ist ein niederschwelliges, präsentes Untersuchungsangebot zur Dokumentation von Verletzungen als Beweismittel und deren später erforderliche forensisch-gutachterliche Bewertung unabdingbar. In Deutschland verfolgen die rechtsmedizinischen Institute, angelehnt an eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (2014), hinsichtlich der Gewaltopferversorgung ein insgesamt ähnliches Vorgehen [1, 2, 10].

Die Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin in Greifswald

Im Dezember 2010 wurde die Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald eröffnet [4, 8]; untersucht wurden bis einschließlich 2019 Kinder sowie Erwachsene. Ab dem Jahr 2020 fällt die Untersuchung Betroffener bis einschließlich 17 Jahre in die Zuständigkeit der eigens etablierten Kinderschutzambulanz. Über die Jahre war zunächst ein insgesamt kontinuierlicher Anstieg der Untersuchungszahlen zu verzeichnen [4]; nach einem Rückgang in den Jahren 2019 und 2020 steigen die Untersuchungszahlen wieder an. Die in Abb. 1 aufgeführten Untersuchungszahlen beziehen sich auf die untersuchten Erwachsenen im Zeitraum von 2010 bis 2022.
Bei dem Einzugsgebiet der Rechtsmedizin Greifswald handelt es sich um den östlichen Teil Mecklenburg-Vorpommerns mit den Landkreisen Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen und Mecklenburgische Seenplatte mit einer Einwohnerzahl von ca. 725.000 Menschen [9]. Im Gegensatz zu (groß-)städtischen Einzugsgebieten, in denen oftmals eine zentrale Anlaufstelle mit Untersuchungsangebot ausreichend ist, ist in diesem ländlichen Gebiet eine mobile, 24 h erreichbare Gewaltopferambulanz Voraussetzung für einen hinreichenden Opferschutz. Im Rahmen einer telefonischen Terminvereinbarung werden der Untersuchungstermin sowie der Untersuchungsort unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Betroffenen unkompliziert festgelegt, was nicht selten mit einem hohen Fahr- und Zeitaufwand für den Untersucher verbunden ist [4]. Vor der Untersuchung wird der Betroffene über den Untersuchungsablauf sowie die Fotodokumentation aufgeklärt. Aufgrund der Freiwilligkeit der Untersuchung legt der Betroffene das Ausmaß der Dokumentation fest. Sämtliche Angaben unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Die erhobenen Daten (Papierakte, Fotodokumentation, ggf. erhobene Spuren) werden zeitlich unbegrenzt aufbewahrt. Im Anschluss kann der Betroffene über weiterführende Maßnahmen oder Möglichkeiten der Unterstützung beraten werden. Die etablierte rechtsmedizinische Ganzkörperuntersuchung sichert eine gerichtsfeste Dokumentation der sichtbaren Verletzungen in einem geschützten Rahmen und somit eine juristische Absicherung des Betroffenen.

Neuer Ansatz: eine Bewertung des Untersuchungssettings durch die Betroffenen

Die von Gewalt Betroffenen befinden sich in einer emotional belastenden, da traumatisierten Situation. Im Untersuchungssetting sollten neben der exakten Dokumentation somit unbedingt auch die subjektiven Wünsche, Empfindungen und Bedürfnisse der Betroffenen Berücksichtigung finden. Um eine Vorstellung von diesen individuellen Ansprüchen zu bekommen, wurde ein kategorisierter Fragebogen zur Bewertung des Untersuchungssettings entwickelt. Ziel war es, Anhaltspunkte für eine Optimierung des Umgangs mit Betroffenen von Gewalt zu erlangen, um somit auch das notwendige Vertrauensverhältnis zum Untersucher von der ersten Kontaktaufnahme an positiv zu stärken.

Material und Methode

Zur Evaluation des etablierten Untersuchungssettings wurde eine monozentrische, deskriptive Fragebogenstudie durchgeführt; ein positives Votum der Ethikkommission der Universitätsmedizin Greifwald (BB 045/21) liegt vor.
Als Grundgesamtheit dienten alle Betroffenen von Gewalt, die sich im Zeitraum vom 14.07.2021 bis 13.07.2022 in der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald vorstellten (n = 108). An der Studie nahmen 23 Betroffene teil, was einer Rücklaufquote von 21,3 % entspricht.
Nach abgeschlossener Untersuchung wurde der Betroffene hinsichtlich einer freiwilligen Bereitschaft zur Teilnahme befragt. Es bestand die Möglichkeit einer onlinebasierten (QR-Code bzw. Link-gestützten) Studienteilnahme; ein Zettel mit den notwendigen Zugangsdaten wurde ausgehändigt. Auch eine papierbasierte Teilnahme war möglich; neben dem Fragebogen (Zusatzmaterial online: Abb.) wurde ein frankierter Rückumschlag ausgehändigt. Die durch 23 Studienteilnehmer erzielte Rücklaufquote von 21,3 % setzte sich aus 43 % Onlinerückläufern sowie 57 % Papierrückläufern zusammen.
Die Realisierung des onlinebasierten Datenerhebungsverfahren wurde durch den Geschäftsbereich Patientensicherheit & Qualität der Universitätsmedizin Greifswald technisch unterstützt und anhand der Befragungssoftware EvaSys® (Electric Paper Evalutationssysteme GmbH, Lüneburg, Deutschland) durchgeführt. Die anhand von EvaSys® generierten und mit einem Barcode versehenen Papierfragebogen wurden nachträglich per Scan in den aus den Onlinerückläufern generierten Datensatz eingepflegt. Das onlinebasierte Datenerhebungsverfahren bietet die Vorteile der Flexibilität, Ökonomie und Objektivität der Durchführung sowie insbesondere eine Minimierung von Eingabefehlern aufgrund der automatisierten Speicherungsprozesse [3]. Die elektronischen Daten wurden auf einem gesicherten Server der Universitätsmedizin Greifswald gespeichert und einer durch MS Excel (Fa. Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) gestützten statistischen Auswertung unterzogen.
Der für die anonyme Umfrage entwickelte Evaluationsbogen umfasst 17 Items. Neben persönlichen Angaben (Alter/Geschlecht) wurden Analysekriterien wie die Gestaltung der Terminvergabe, die Wahl des Untersuchungsortes sowie die empfundene Qualität der Untersuchung kategorisiert erfragt.

Ergebnisse

Die im Evaluationsbogen erhobenen Analysekriterien lassen sich 4 Auswertungsschwerpunkten zuordnen, welche im Folgenden dargestellt werden. Zu berücksichtigen ist, dass nicht alle Fragen von sämtlichen Probanden beantwortet wurden und die dadurch entstandenen Datenlücken itemspezifisch zu unterschiedlichen Antwortsummen führen.

Stichprobenzusammensetzung

Die Altersverteilung der Stichprobe im Vergleich zur Grundgesamtheit veranschaulicht Abb. 2. Erkennbar ist in beiden Gruppen ein Altersschwerpunkt bei 18 bis 25 Jahren bzw. 36 bis 45 Jahren. Die Altersgruppe der 26- bis 35-Jährigen ist in der Stichprobe etwas unterrepräsentiert, die der Altersgruppe von 46- bis 55-Jährigen etwas überrepräsentiert, im Vergleich zur Grundgesamtheit.
Das Geschlechtsverhältnis der Stichprobe war in Anbetracht der 13 (59 %) weiblichen und 9 (41 %) männlichen Teilnehmer (1 n. b.) mit dem der Grundgesamtheit (67 % w.; 41 % m) vergleichbar.

Allgemeine Fragen

Bei der Frage nach der verletzungsverursachenden Person wurden in 27 % (n = 6) der (Ehe‑)Partner bzw. fester Freund und in 23 % (n = 5) andere Verwandte angegeben. Somit sind 50 % der Fälle der Kategorie „häusliche Gewalt“ zuzuordnen. In der übrigen Anzahl der Fälle wurde angegeben, die Gewalt durch Freunde, Bekannte, eine fremde oder anderweitige Person erfahren zu haben (Abb. 3).
Die Vermittlung des Angebots einer Untersuchung in der Gewaltopferambulanz erfolgte in 32 % (n = 7) der Fälle über den behandelnden Arzt bzw. zu 23 % (n = 5) über den Rettungsdienst oder die Notaufnahme. Abb. 4 veranschaulicht zudem, dass jeweils 18 % (n = 4) der Betroffenen von der Polizei oder einer Interventionsstelle zugewiesen wurden.

Gestaltung der Terminvergabe

Die Terminvereinbarung wurde von 77,8 % der Betroffenen (n = 14) als „einfach“ und von 22,2 % (n = 4) als „in Ordnung“ eingestuft.
69 % (n = 16) der Betroffenen vereinbarten den Termin selbst, in 13 % (n = 3) erfolgte die Terminvereinbarung über eine Interventionsstelle1 (Abb. 5). In 9 % der Fälle (n = 2) wurde der Termin über den behandelnden Arzt vereinbart.
Auf die Frage, ob der Termin, wenn er nicht selbst vereinbart wurde, auch hätte selbst vereinbart werden können, antworteten 73 % (n = 11) mit „ja“, 27 % (n = 4) mit „nein“.

Wahl des Untersuchungsortes

Die Untersuchung fand in 73 % der Fälle (n = 16) im Institut für Rechtsmedizin Greifswald statt, in 14 % (n = 3) in einer dem Einzugsgebiet zugehörigen Klinik. Weitere 9 % (n = 2) der Betroffenen wurden in einer Interventionsstelle und 4 % (n = 1) an einem anderen Ort (z. B. Frauenhaus, Beratungsstelle, Arztpraxis) untersucht (Abb. 6).
Auf die Frage, ob die Möglichkeit bestanden hätte, für die Untersuchung nach Greifswald zu kommen, antworteten 64 % (n = 7) mit „ja“, 36 % (n = 4) mit „nein“.

Empfundene Qualität der Untersuchung (fachliche/kommunikative Kompetenz des Untersuchers)

Befragt nach der empfundenen Empathie des Untersuchers bewerteten 73 % (n = 16) der Befragten diese als ausgezeichnet, 18 % (n = 4) als gut und 9 % (n = 2) als ausreichend.
Die Möglichkeit, in der Untersuchung Fragen stellen zu können, wurde von 95,7 % (n = 22) der Betroffenen mit „ja“ beantwortet; die gegebene Antwort wurde in 55 % der Fälle (n = 11) als „ausgezeichnet“, in 45 % (n = 9) als „gut“ bewertet.
Die Beratung hinsichtlich weiterer Hilfsangebote wurde von 33 % (n = 7) der befragten Betroffenen als „ausgezeichnet“ bewertet, 38 % empfanden diese als „gut“, weitere 29 % der Befragten als „ausreichend“.
Die notwendige gerichtsfeste Fotodokumentation wurde von 57 % (n = 13) der Befragten als „sehr unangenehm“, von weiteren 22 % (n = 5) als „unangenehm“ empfunden (Abb. 7). 17 % (n = 4) schätzten diese als „akzeptabel“ ein.
Zusammenfassend wurde die rechtsmedizinische Untersuchung in 71,4 % (n = 15) der Fälle als „ausgezeichnet“, in 28,6 % (n = 6) als „gut“ bewertet. 81 % (n = 17) der Befragten beantworteten die Frage, ob sie sich erneut in der Gewaltopferambulanz vorstellen würden, wenn sie Hilfe bräuchten, mit „eindeutig ja“, 19 % (n = 4) mit „ich glaube ja“. Hinsichtlich der Lebenssituation der Betroffenen hat die Vorstellung in der Gewaltopferambulanz den Betroffenen in 47 % (n = 7) der Fälle „gut“, in 41 % (n = 7) „ausgezeichnet“ und in 12 % (n = 2) „ausreichend“ geholfen.

Diskussion

Zunächst muss festgestellt werden, dass die Bewertung des Untersuchungssettings einer Gewaltopferambulanz an einem Institut für Rechtsmedizin durch die Betroffenen einen neuartigen Untersuchungsansatz darstellt. In der den Autoren zugänglichen Literatur konnte keine vergleichbare Studie gefunden werden.
Die vorliegende Untersuchung nutzte ein einfaches (automatisiertes) Datenerhebungs- und Auswertungsverfahren. Die einfachen Teilnahmebedingungen führten zu einer Rücklaufquote von 21 %, die allerdings mit 23 Teilnehmern eine eher kleine Stichprobe darstellt. Die dadurch bedingte eingeschränkte Aussagefähigkeit stellt eine Limitation der vorliegenden Studie dar. Es konnte jedoch unter Berücksichtigung der Alters- und Geschlechtsverteilung der Grundgesamtheit (n = 108) eine repräsentative Stichprobe erzielt werden. Die unterschiedlichen Teilnahmemodalitäten (online vs. Papier) dürften positiv zur Teilnahmebereitschaft beigetragen haben. Dass trotz des digitalen Zeitalters 57 % der Antworten in Papierform eingegangen sind, verwundert zunächst, macht jedoch deutlich, dass diese Art der Datenerhebung dennoch genutzt werden sollte. Die in der Auswertung aufgetretenen Datenlücken könnten in zukünftigen gleichartigen Datenerhebungen durch eine ausschließliche Online-Datenerhebung mit festgelegten Eingabemodi minimiert werden. Dagegen würde jedoch die gemessene hohe Quote an Papierrückläufern sprechen.
Im Hinblick auf die Zuweiser konnte festgestellt werden, dass medizinische Einrichtungen den überwiegenden Anteil ausmachten (55 %). Es ist somit anzunehmen, dass diese über das Angebot der Gewaltopferambulanz hinreichend informiert sind, es betont aber auch die Wichtigkeit, das Angebot der Gewaltopferambulanz in medizinischen Einrichtungen publik zu machen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern [6]. Die Terminvergabe wurde von 78 % der Befragten als „einfach“ eingestuft; dieses Ergebnis zeigt, dass die beabsichtigte Niederschwelligkeit des Untersuchungsangebotes erreicht wurde.
Die Terminvereinbarung für die Untersuchung erfolgte in 69 % der Fälle durch die Betroffenen selbst und in 31 % der Fälle durch eine andere Person (Ärzte, Interventionsstelle, andere). Die darauf aufbauende Frage nach der generellen Möglichkeit, den Termin selbst zu vereinbaren, wurde zum einen nur durch etwa die Hälfte der Teilnehmer beantwortet und ist zum anderen hinsichtlich des Antwortverhaltens nicht schlüssig, da mehr Personen diese Frage beantwortet haben, als Betroffene Hilfe bei der Terminvereinbarung angaben. Dies wäre bei einer reinen Onlineerhebung durch standardisierte Eingabemodi vermeidbar gewesen.
Besonders hervorgehoben werden muss die Wahl des Untersuchungsortes. 27 % der Befragten gaben an, außerhalb des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald untersucht worden zu sein. Im Hinblick auf die Grundgesamtheit (n = 108) liegt der diesbezügliche Anteil bei 46 %. Es kann somit festgestellt werden, dass die Fragebogenstudie hinsichtlich des Untersuchungsortes nicht ganz repräsentativ ist. Auf die Frage, ob generell die Möglichkeit bestanden hätte, nach Greifswald zu kommen, antworteten 36 % der Befragten mit „nein“. Somit kann gesagt werden, dass bei fehlender heimatnaher Untersuchung ca. ein Drittel der Betroffenen das Angebot einer rechtsmedizinischen Untersuchung nicht hätte wahrnehmen können und somit eine zeitnahe Beweissicherung durch Verletzungsdokumentation nicht erfolgt wäre.
Die im Rahmen der Untersuchung notwendige Fotodokumentation wurde in 57 % der Fälle als „sehr unangenehm“ und in 22 % der Fälle als „unangenehm“ empfunden. Diese negative Empfindung verwundert aus Sicht der Autoren nicht. Die komplette Entkleidung des Körpers, auch wenn sie schrittweise und in einer ruhigen und möglichst vertrauensvollen Atmosphäre erfolgt, stellt eine unangenehme Gesamtsituation dar. Praktikable Ansätze zur Änderung dieser Umstände bestehen aus Sicht der Autoren nicht.
In Anbetracht der in 91 % als „ausgezeichnet“ bzw. „gut“ empfundenen Empathie des Untersuchers, hat die vermehrt unangenehm bewertete Fotodokumentation die Gesamtbewertung des Untersuchungssettings nicht negativ beeinflusst. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen somit, dass sich das etablierte Untersuchungssetting der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald bewährt hat; die rechtsmedizinische Untersuchung wurde zusammenfassend von 100 % der Teilnehmer als „ausgezeichnet“ bzw. „gut“ bewertet. In diesem Zusammenhang könnte es eine Rolle spielen, dass möglicherweise weniger zufriedene Betroffene nicht an der Studie teilgenommen haben. Diese Möglichkeit stellt eine Limitation der Studie dar. Die flexible Gestaltung der Terminvergabe sowie der Wahl des Untersuchungsortes wird den Ansprüchen des Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommern gerecht. Das niederschwellige Angebot führt zu einer hohen Zufriedenheit und wird von den Betroffenen als wertvolles Element empfunden. Dafür spricht das Ergebnis, dass eine nochmalige Vorstellung in der Ambulanz von 80 % der Betroffenen mit „eindeutig ja“ beantwortet wurde.

Fazit für die Praxis

  • Durch das mobile, flexible und niederschwellige Angebot der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald können Verletzungen zeitnah und gerichtsverwertbar auch außerhalb eines strafprozessualen Rahmens dokumentiert werden. Das positiv evaluierte Untersuchungssetting der Gewaltopferambulanz trägt durch seine individuelle Ausrichtung (flexible Gestaltung der Terminvergabe sowie Wahl des Untersuchungsortes) entscheidend zur Opferhilfe und zur Stärkung der Rechtssicherheit der Betroffenen bei.
  • Die Erweiterung einer derartigen Studie um offene Antwortmöglichkeiten könnte wertvolle Hinweise für die Verbesserung der Arbeit in den Gewaltopferambulanzen bringen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J. Wudtke, B. Bockholdt, A. Fokuhl, F. Stobbe und M. Dokter geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die durchgeführte anonyme Studie wurde mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Interventionsstellen sind Teil des Beratungs- und Hilfenetzes in Mecklenburg-Vorpommern für Betroffene von häuslicher Gewalt. Sie sind vom Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz anerkannt und erhalten nach § 52 SOG M‑V von der Polizei Kontaktdaten der betroffenen Person. Sie nehmen dann Kontakt mit dem Opfer auf und bieten proaktiv Beratung an.
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Banaschak S, Gerlach K, Seifert D et al (2011) Forensisch-medizinische Untersuchung von Gewaltopfern. Rechtsmedizin 21:483–488CrossRef Banaschak S, Gerlach K, Seifert D et al (2011) Forensisch-medizinische Untersuchung von Gewaltopfern. Rechtsmedizin 21:483–488CrossRef
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Zurück zum Zitat Banaschak S, Gerlach K, Seifert D et al (2014) Forensisch-medizinische Untersuchung von Gewaltopfern. Rechtsmedizin 24:405–411CrossRef Banaschak S, Gerlach K, Seifert D et al (2014) Forensisch-medizinische Untersuchung von Gewaltopfern. Rechtsmedizin 24:405–411CrossRef
3.
Zurück zum Zitat Batinic B (2000) Internet für Psychologen. Hogrefe Verlag, Göttingen Batinic B (2000) Internet für Psychologen. Hogrefe Verlag, Göttingen
4.
Zurück zum Zitat Brackrock D, Dokter M, Eckhoff C et al (2020) Violence against women—an evaluation of 7 years of the outpatient clinic for victims of violence at the greifswald institute for forensic medicine (2011–2017). Rechtsmedizin 30:153–160CrossRef Brackrock D, Dokter M, Eckhoff C et al (2020) Violence against women—an evaluation of 7 years of the outpatient clinic for victims of violence at the greifswald institute for forensic medicine (2011–2017). Rechtsmedizin 30:153–160CrossRef
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6.
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Metadaten
Titel
Evaluation der Gewaltopferambulanz des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald durch die Betroffenen
verfasst von
Dr. med. J. Wudtke
B. Bockholdt
A. Fokuhl
F. Stobbe
M. Dokter
Publikationsdatum
30.01.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 2/2024
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-023-00683-4

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