Periphere Fazialisparese: Sollte immer eine MRT durchgeführt werden?

Die weitaus meisten peripheren Fazialisparesen sind idiopathischer Genese. Aber eben nicht alle: Forschende aus Frankreich haben in einer aktuellen Untersuchung in 6,7% der Fälle mit klinischem Verdacht auf idiopathische Parese im MRT abnorme Befunde identifiziert. Sie plädieren deshalb für eine routinemäßige MRT-Untersuchung bei allen Patientinnen und Patienten. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die routinemäßige Durchführung einer Magnetresonanztomografie (MRT) der Gesichtsnerven bei Patientinnen und Patienten mit vermuteter Fazialisparese ist umstritten. Die MRT kann eine isolierte Neuritis des Gesichtsnervs aufzeigen, die sich als nicht knotige Kontrastmittelanreicherung zeigt. Diese asymmetrische Anreicherung ist der einzige objektive Marker für eine Fazialisparese. Sie findet sich bei etwa 60–90% der Patienten mit Lähmung des VII. Hirnnervs. Hauptziel einer aktuellen Studie aus Frankreich war es, den Anteil der Patientinnen und Patienten abzuschätzen, bei denen die MRT zur Korrektur einer klinischen Erstdiagnose von Fazialisparese führt. Denn die Französische Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Kopf- und Halschirurgie empfiehlt seit 2020 bei Verdacht auf Lähmung des Nervus facialis eine MRT durchzuführen, um zu vermeiden, dass eine zugrunde liegende Ursache übersehen wird. In der retrospektiven, multizentrischen Kohortenstudie, angeleitet von Thibault Savary vom Hospices Civils de Lyon, wurden die klinischen und radiologischen Daten von 120 Personen analysiert, bei denen zwischen Januar 2018 und April 2022 in der Notaufnahme von drei Zentren in Frankreich erstmals ein Verdacht auf Fazialisparese gestellt wurde. Bei allen Patientinnen und Patienten wurde eine MRT des gesamten Verlaufs des Nervus facialis durchgeführt, wobei alle Bilder doppelblind ausgewertet wurden. Das mittlere Alter der Erkrankten lag bei 51 Jahren, 46,7% waren Frauen und 53,3% Männer. Die MRT des Nervus facialis führte bei acht Patientinnen und Patienten (6,7%) zu einer Korrektur der Diagnose „Fazialisparese“; darunter wurden bei drei der Betroffenen potenziell lebensbedrohliche Zustände festgestellt, die eine Änderung der Behandlung erforderlich machten. Zwei Patienten wiesen multiple Läsionen der weißen Substanz auf, davon eine im Nucleus des Nervus facialis auf der betroffenen Seite, was zur Diagnose einer multiplen Sklerose führte. In einem Fall waren mehrere Hirnnerven beteiligt, die Verdachtsdiagnosen lauteten: Sarkoidose oder Wegener-Granulomatose. Empfehlung der Redaktion Fazialisparese – Themenseite Eine Fazialisparese kann vielfältige Ursachen haben: TIA, Schlaganfall, aber auch andere Störungen im zentralen und peripheren Nervensystem. Hier finden Sie Übersichten, News, kommentierte Studienreferate und Kasuistiken. Ein Patient wies ein Schwannom des Nervus facialis auf der betroffenen Seite auf. Dieser Patient hatte vier Jahre zuvor eine Episode mit mutmaßlicher Fazialisparese gehabt, die jedoch wieder vollständig wegging. In einem weiteren Fall mit unauffälliger Anamnese wurde die Diagnose eines ipsilateralen Vestibularis-Schwannoms gestellt. Beim letzten Patienten, ebenfalls mit unauffälliger Anamnese, wurde eine unregelmäßige Läsion beobachtet, was sich als ein intraossäres Hämangiom des Nervus facialis herausstellte. Mehrheitlich Neuritis zu beobachten Bei 112 Patientinnen und Patienten (93%) wurde im MRT die Diagnose der Fazialisparese bestätigt, von denen 106 (94,6%) Anzeichen einer Neuritis des Nervus facialis auf der betroffenen Seite aufwiesen. Dies war das einzige objektive Zeichen, das den idiopathischen Charakter der Bell-Parese bestätigte. Bei sechs Patientinnen und Patienten war im MRT keine Neuritis zu sehen, die Fazialisparese wurde in diesen Fällen als Ausschlussdiagnose gestellt. Bei den Patientinnen und Patienten in der Gruppe mit bestätigter Fazialisparese war die Wahrscheinlichkeit eines unvollständigen Augenschlusses höher als bei den Erkrankten in der Gruppe mit nicht idiopathischer Lähmung. Der Anteil der Personen mit Typ-2-Diabetes war in der Gruppe der nicht idiopathischen Fazialisparese signifikant höher, ebenso wie der Anteil an Betroffenen (2/8; 25,0%), die bereits eine idiopathische, periphere Fazialisparese in der Vorgeschichte hatten, verglichen mit der Gruppe mit bestätigter Bell-Parese (6/112; 5,4%). Kein Unterschied zwischen den Gruppen war in Bezug auf das Alter, Geschlecht, betroffene Seite, Ergebnisse des Audiogramms, verstrichene Zeit bis zum MRT, Behandlung in der Notaufnahme und besuchte Rehabilitation zu beobachten. Nach Meinung der Studiengruppe um Savary untermauern die Ergebnisse die Empfehlung der französischen Leitlinie, wonach bei allen Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Fazialisparese zusätzlich zur klinischen und Laboruntersuchung zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen eine MRT innerhalb eines Monats nach Auftreten der Symptome durchgeführt werden sollte. Im Gegensatz dazu wird in den US-amerikanischen Leitlinien von 2014 empfohlen, die MRT nur bei Patienten mit peripherer Fazialisparese einzusetzen, die nicht auf die Behandlung ansprechen. Und was sagt die deutsche Leitlinie? In der Leitlinie „Therapie der idiopathischen Fazialisparese (Bell’s palsy)“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird die Bedeutung der Differenzialdiagnosen hervorgehoben, da 25–40% aller Fazialisparesen nicht idiopathischer Genese sind. Bei atypischer Klinik mit akzessorischen Symptomen (z. B. Hypakusis, Tinnitus, sensible Ausfälle, Doppelbilder) sei eine differenzierte Untersuchung mittels MRT angezeigt und es sollte der Frage nach Kleinhirnbrückenwinkel- oder Felsenbeinprozess, Parotis- oder Hirnstammläsion nachgegangen werden. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hoch ist der Anteil an Patientinnen und Patienten, bei denen es durch die Ergebnisse eines MRT zur Korrektur der klinischen Erstdiagnose „idiopathische Fazialisparese“ kommt? Antwort: Nach der MRT kam es bei 6,7% der Personen mit Bell-Parese zu einer Korrektur der Diagnose; darunter waren potenziell lebensbedrohliche Zustände. Bedeutung: Eine routinemäßig durchgeführte MRT bei Fazialisparese sollte in Betracht gezogen werden. Einschränkung: Retrospektive Studie mit einer kleinen Anzahl von Probanden, bei der viele Daten fehlten, insbesondere in Bezug auf die Verfügbarkeit eines MRT, was einen Bias darstellen könnte.

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