Abrechnungsfachmann: „Nehmen Sie nie eine Rechnung zurück!“

Die hohe Inflationsrate ist kein Grund, für medizinische Leistungen einen höheren Steigerungssatz anzusetzen. Aber es gibt viele andere Anlässe, den Schwellenwert zu überschreiten – bei guter Begründung geht das auch durch. Und wenn nicht? „Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr“ – dieses alte Sprichwort ist zwar grammatikalisch nicht ganz sauber, dennoch hat es einen wahren Kern, zum Beispiel in der Privatabrechnung. Bei sehr hohem Aufwand für eine Leistung sollte kein Arzt und keine Ärztin davor zurückschrecken, auch einen Steigerungssatz in der Rechnung aufzurufen, der über dem sogenannten Schwellenwert liegt – wenn dies gerechtfertigt ist. „Viele Kolleginnen und Kollegen gehen nur selten über den Schwellenwert hinaus, weil sie die Mühe für die Begründung scheuen, aber damit vergeben sie Chancen auf eine angemessene Vergütung“, bedauert Dr. Conrad C. Singe, Vorstand im Verband der Privatärztlichen Verrechnungsstellen und Vorstandsvorsitzender des PVS Kurpfalz e.V. Wenn beispielsweise bei der Diagnostik oder Therapie ein Gespräch deutlich länger als zehn Minuten dauert, aber nicht ganz 20 Minuten, dann sei es schon gerechtfertigt, bei der GOÄ-Nummer 3 für das eingehende Gespräch auch über den 2,3-fachen Satz hinauszugehen. Bewertet ist die Nr. 3 bekanntlich mit 20,11 Euro zum Schwellenwert und mit 30,60 Euro zum Höchstsatz. Faktor Zeit reicht noch nicht „Der Faktor Zeit allein“, räumt der Internist ein, „reicht aber noch nicht für eine Begründung.“ Es müsse darüber nachvollziehbar werden, warum der Zeitbedarf erhöht war: zum Beispiel aufgrund eines „komplexen Therapiegeschehens“ oder einer „schwierigen Differenzialdiagnose bei Mehrfachbefunden“ oder einer „schwierigen medikamentösen Einstellung bei Polymedikation“. Tatsächlich gibt die GOÄ in Paragraf 12 vor, dass bei einem Faktor oberhalb des Schwellenwertes dies „auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen“ sei. „Individuell begründet, verständlich und auf Verlangen der privaten Krankenversicherung auch näher zu erläutern“, fasst Singe die Anforderungen zusammen. Das heißt auch, nicht immer dieselbe Begründung, unabhängig vom vorliegenden Behandlungsfall. Dabei ist durchaus auch der Patient im Blick zu behalten, da er schließlich zuerst die Rechnung liest: „Eine erschwerte Beratung wegen Demenz oder wegen kognitiver Störung sollte erst als Begründung genommen werden, wenn diese Diagnose mit dem Patienten oder der Patientin geklärt ist“, warnt Singe. Ähnlich auch die Begründung „dicke Bauchdecke“ für einen höheren Faktor bei einer Ultraschalluntersuchung, wenn der Patient adipös ist: „Dann lieber „erschwerte technische Durchführung wegen vermehrter Gewebsdichte“, empfiehlt der Internist – um den Patienten nicht zu vergraulen. Der Aufwand für die Begründung hält sich trotz einer individuellen Gestaltung durchaus in Grenzen: Jede Praxis müsse sich einen Vorrat an Textbausteinen für die Begründung zurechtlegen und dann jeweils den passenden für die Rechnung anklicken, so Singe. In einschlägigen GOÄ-Kommentaren sind in der Regel viele mögliche Begründungen für erhöhte Faktoren notiert. Wichtig sei auch, dass die Dokumentation so ausführlich sei, dass bei einer Nachfrage der privaten Krankenversicherung, die Begründung fachlich untermauert werden kann. Die Textbausteine der Versicherer Denn auch wenn es schon Zeiten gab, in denen es mehr Monierungen durch die Krankenversicherer gab, sei es doch wichtig, dass Ärzte darauf vorbereitet seien. Bei der PVS seien zuletzt von 2,68 Millionen Rechnungen 12.600 moniert worden, berichtet Singe. „Das ist ein sehr niedriger Wert, nur jede 200. Rechnung.“ Und wenn dann doch einmal ein Patient mit einem Schreiben seiner Versicherung in die Praxis kommt, in dem die Überschreitung der Regelspanne moniert wird? „Aus den eingereichten Unterlagen können wir die Gründe für die Überschreitung nicht erkennen, wir erstatten daher nur bis zur Regelspanne“, heißt es häufig in Monierungs-Schreiben an den oder die Versicherte(n). „Auch Versicherer arbeiten mit Textbausteinen, manchmal hat vor dem ersten Brief der Versicherung noch nicht einmal ein Sachbearbeiter die Rechnung gesehen“, weiß der Internist. Wegen 20 Euro vor Gericht? Er empfiehlt daher, wenn nicht ein eindeutiger Fehler in der Rechnung ist: „Nehmen Sie nie eine Rechnung zurück, weder dem Patienten oder der Patientin, noch der Versicherung gegenüber!“ Die Sorgen des Patienten wegen der unvollständigen Erstattung seien ernst zu nehmen, und durch eine ausführlichere Begründung könnte die Praxis häufig den Widerspruch unterstützen. Der Weg gehe dann häufig zunächst über den Sachbearbeiter, dann über den Versicherungsarzt und schließlich über den Ombudsmann für die PKV im schlimmsten Fall bis zum Sozialgericht. „Wegen 20 Euro lohnt sich das natürlich nicht“, sagt Singe, das könne man mit dem Patienten besprechen. Am häufigsten moniert werde übrigens die mehrfache Berechnung der GOÄ-Nummern 1 (Beratung) und 5 (Untersuchung) im Behandlungsfall (= im Monat) neben Leistungen der Abschnitte C bis O, das sind die technischen Leistungen. Hier könne eine Praxis auch schwer nachbegründen, weiß Singe. Ebenfalls regelmäßig strittig sei die GOÄ-Nr. 34 (Beratung wegen einer schweren, lebensverändernden Erkrankung, mindestens 20 Minuten, 40,22 Euro zum Schwellenwert). „Auch dagegen muss und kann man sich wehren, wenn man die Leistungsbedingungen der GOÄ 34 erfüllt hat“, betont Singe. Quelle: Ärzte Zeitung

Springer Medizin

Abrechnungsfachmann: „Nehmen Sie nie eine Rechnung zurück!“

Weiterführende Themen

Abrechnung: Die aktuellen Änderungen im Blick

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Abrechnung: Die aktuellen Änderungen im Blick