Neuer Stellenwert der Radioembolisation mit Yttrium-90-Mikrosphären

Seit Kurzem wird die selektive interne Strahlentherapie (SIRT) mit Yttrium-90-Mikrosphären auch als Therapiealternative zur transarteriellen Chemoembolisation bei Patient*innen mit erhaltener Leberfunktion im frühen und intermediären Stadium in der S3-Leitlinie genannt. Die Evidenzlage für die SIRT hat sich durch die Ergebnisse neuerer Studien deutlich verbessert. Die DOSISPHERE-01-Studie hat gezeigt, dass sich die klinischen Ergebnisse der SIRT durch eine personalisierte Dosimetrie deutlich verbessern lassen. In der LEGACY-Studie konnten bei Patient*innen mit nicht resezierbarem hepatozellulärem Karzinom (HCC) unter einer SIRT mit Yttrium-90-Mikrosphären eine hohe objektive Ansprechrate, eine sehr gute und dauerhafte Tumorkontrolle und eine hohe Gesamtüberlebensrate gezeigt werden. In der im Juni 2021 erschienenen, aktualisierten S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Hepatozellulären Karzinoms und biliärer Karzinome“ wird die SIRT zur Therapie des HCC im intermediären BCLC (Barcelona Clinic Liver Cancer)-Stadium B bei Patient*innen mit erhaltener Leberfunktion jetzt als gleichwertige Alternative zur transarteriellen Chemoembolisation (TACE) genannt (Empfehlungsgrad 0, Evidenzlevel 2) [1]. SIRT-Therapie jetzt leitliniengestützt Als Voraussetzung für ihren Einsatz ist ein Beschluss des Tumorboards essenziell. Angewendet werden kann die SIRT ebenfalls in den frühen Stadien A1 und A2 des HCC für das Bridging (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 1) sowie das Downstaging in kurativer Intention (Expertenkonsens) [1]. Somit ist die SIRT in diesen Indikationen anderen lokalen Verfahren gleichgestellt. Ebenfalls genannt wird die Methode als Option bei Patient*innen mit fortgeschrittenem intrahepatischem Cholangiokarzinom ohne extrahepatischen Befall ab der Zweitlinie oder additiv zur Chemotherapie nach Vorstellung im Tumorboard (Expertenkonsens) [1]. Lokoregionäre Therapien wie die SIRT haben damit in frühen Stadien des HCC mittlerweile einen großen Stellenwert. Durch die Aufnahme und Empfehlung der SIRT in den S3-Leitlinen sollten auch die in der Vergangenheit regional vorgekommenen Kostenträger-Prüfungen obsolet werden, sofern leitliniengerecht ein Tumorboardbeschluss vorliegt. HCC-Inzidenz steigt Mit einem Anteil zwischen 75% und 85% ist das hepatozelluläre Karzinom (HCC) weltweit die bei weitem häufigste Form primärer Lebertumoren, weitere 10–15% entfallen auf intrahepatische Cholangiokarzinome [2]. Aktuell gehört Leberkrebs in Deutschland zu den wenigen Tumorarten mit steigender Inzidenz und Mortalität [3]. Einer der wichtigsten Gründe für diese Entwicklung liegt in der deutlichen Zunahme an Fettlebererkrankungen, insbesondere der nicht alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFL) [4]. Kann der Tumor nicht frühzeitig vollständig entfernt werden, ist die Prognose bei HCC in der Regel schlecht. Durch lokal wirksame oder systemische Behandlungsansätze lässt sich die Prognose jedoch deutlich verbessern. So beträgt das mediane Gesamtüberleben (OS) von Patient*innen in den potenziell kurativen BCLC-Stadien 0 und A unter geeigneten Therapien über fünf Jahre. Im intermediären Stadium B liegt das mediane OS bei 26 Monaten und sinkt im fortgeschrittenen Stadium C auf unter ein Jahr. Im Endstadium D beträgt die Lebenserwartung weniger als drei Monate [5]. Partikelbasierte Strahlentherapie Die selektive interne Radiotherapie (SIRT; Synonyme: Radioembolisation=RE oder transarterielle Radioembolisation=TARE) zählt zu den lokoregionären Therapiekonzepten beim HCC. Sie setzt an der starken arteriellen Neovaskularisation der Tumoren an: Während das gesunde Leberparenchym weitgehend über die Pfortader versorgt wird, beziehen hypervaskuläre HCC-Läsionen ihre Blutversorgung über die Leberarterien. Damit sind transarterielle Therapieverfahren zur Behandlung des HCC gut geeignet. Für Patient*innen mit auf die Leber begrenzten Malignomen, die nicht operativ entfernt werden können, hat die SIRT mit Yttrium-90(90Y)-Glasmikrosphären (TheraSphere™) inzwischen einen wachsenden Stellenwert als alternative Therapieoption in palliativen, aber auch kurativen Therapiekonzepten [6]. Geeignet ist die SIRT darüber hinaus auch zur Behandlung von Lebermetastasen verschiedener solider Tumoren. Beim HCC, aber auch beim Cholangiokarzinom, kommt die SIRT sowohl in der Erst- als auch der Zweitlinientherapie zum Einsatz, bei Patient*innen mit Lebermetastasen anderer Tumoren zumeist dann, wenn die Metastasierung unter Chemotherapie progredient und auf die Leber beschränkt oder dominant ist [6]. Innovative, endovaskuläre minimalinvasive Therapie Die SIRT ist eine innovative, minimalinvasive, gezielte Therapie mit geringer Toxizität, bei der kleinste radioaktiv beladene Glaskügelchen die so genannten Mikrosphären (Durchmesser: 20–30μm), direkt in die leberversorgenden Arterien appliziert werden. Für die Radioembolisation sind die Mikrosphären mit radioaktivem 90Y, einem β-Strahler beladen [6]. β-Strahler besitzen eine geringe Reichweite von nur wenigen Millimetern im Gewebe, sodass sich der therapeutische Effekt unmittelbar am Ablagerungsort entfaltet. Über 95% der Strahlung wird in den ersten beiden Wochen nach der Behandlung an den Tumor abgegeben [6]. Die Mikrosphären werden nicht metabolisiert oder ausgeschieden, sondern verbleiben in der Leber. Aufgrund ihrer geringen Größe reichern sie sich besonders gut in hypervaskularisierten präkapillären Tumorgeweben an, wodurch eine Maximierung der inneren Bestrahlung im Zielvolumen erreicht wird. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Tumoren auf eine absorbierte Tumordosis von >205Gy gut ansprechen, dass diese Dosis gut vertragen wird, und dass sich unter der Therapie das OS der Patient*innen verbessert. Die SIRT ist somit eine wirksame Behandlungsoption, die die Lebensqualität durch Maximierung der Tumordosis bei geringer Toxizität für das normale Gewebe aufrechter-hält [7–12]. Neue Daten zur personalisierten Dosimetrie Nachdem randomisierte Phase-III-Studien zum Einsatz der SIRT beim fortgeschrittenen HCC unter Standard-Dosierungen bislang keine Überlegenheit demonstrieren konnten, wurde in der offenen Phase-II-Multizenterstudie DOSISPHERE-01 ein personalisierter Therapieansatz mit 90Y-Glasmikrosphären bei Patient*innen im BCLC-Stadium B oder C (ein Tumor oder mehrere Tumoren ≥7cm) untersucht [9]. Die Studienteilnehmer*innen erhielten randomisiert eine SIRT mit 90Y-Glasmikrosphären entweder bei Standard-Dosimetrie (120Gy mittlere Zieldosis; n=31) oder bei personalisierter Dosimetrie (>205Gy mittlere Tumordosis; n=29). Ein objektives Ansprechen der Index-Läsion drei Monate nach der SIRT (primärer Endpunkt) zeigten 71,4% der Patient*innen der modifizierten Intention-to-Treat (mITT)-Population unter der personalisierten Dosimetrie und nur 35,7% der Patient*innen des Standardtherapie-Arms (p=0,0074). Das mediane OS betrug in den beiden Behandlungsgruppen 26,6 versus 10,7 Monate (Hazard Ratio 0,421; 95%-Konfidenz-intervall 0,215–0,826; p=0,0096; Abb. 1). Bei 36% der Patient*innen unter der personalisierten Dosimetrie war letztendlich eine Resektion möglich (Downstaging), im Standardtherapie-Arm dagegen nur bei 4% der Patient*innen [9]. Zur Implementierung der personalisierten 90Y-SIRT bzw. der Therapieplanung steht eine speziell entwickelte Dosimetrie-Software (Simplicit90Y™, Mirada Medical, Oxford, UK) zur Verfügung. Die personalisierte Dosimetrie, welche das medizinische Outcome verbessern kann, wird auch von einer multidisziplinären Expertengruppe explizit empfohlen [11]. Abb. 1 DOSISPHERE-01-Studie, sekundärer Endpunkt: Gesamtüberleben in der modifizierten Intention-to-Treat-Population in Abhängigkeit von der Therapie (modifiziert nach [9]) Springer Medizin Verlag GmbH × LEGACY: hohe Tumorkontrolle Das Ziel der retrospektiven, einarmigen Multizenterstudie LEGACY bestand in der Evaluation der objektiven Ansprechrate (ORR) und der Dauer des Ansprechens (DoR) bei Patient*innen mit solitärem, nicht resezierbarem HCC (≤8 cm; BCLC-Stadien A und C) unter der Therapie mit 90Y-Glasmikrosphären [13]. 96,8% der Patient*innen, die eine und 100% der Patient*innen, die zwei Behandlungen erhalten hatten, sprachen auf die Therapie an. Nach drei Jahren betrug die OS-Rate von Patient*innen, die nach der SIRT transplantiert oder reseziert worden waren, 92,8%. Die ORR lag bei 88,3%. 84,0% der Studienteilnehmer*innen erreichten eine Komplettremission, 4,3% eine partielle Remission (Abb. 2). Eine DoR ≥6 Monate konnte bei 62,2% beobachtet werden [12]. Die Dosis lag bei median >400Gy bezogen auf das Zielgewebe, wobei hier selektiv die singulären Tumoren behandelt wurden [13]. Abb. 2 LEGACY-Studie: größte Reduktion der Zielläsion gegenüber dem Ausgangsbefund und bestes Tumoransprechen nach mRECIST bei den auswertbaren Patien*innen (n=143) (modifiziert nach [13]) Springer Medizin Verlag GmbH × Fazit für die Praxis Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die neuen Daten zur 90Y-SIRT deren Position im Behandlungsalgorithmus in den frühen (LEGACY) und intermediären (Dosisphere-01) Stadien des HCC stärken. Dies spiegelt sich in der neuen S3-Leitlinie wider, in der die SIRT den etablierten Verfahren in den Stadien A1/2 und B gleichgestellt wird, wenn dies der Beschluss der Tumorkonferenz ist. Auch beim intrahepatischen Cholangiokarzimon weist die neue Leitlinie der SIRT einen Stellenwert in Kombination mit oder nach Chemotherapie zu. Literatur S3-Leitlinie Hepatozelluläres Karzinom und biliäre Karzinome, 2021, AWMF-Registernummer 032–053OL Bray F et al., CA Cancer J Clin 2018, 68:394–424 RKI, Krebs in Deutschland für 2015/2016, https://bit.ly/3sxcouo (letzter Aufruf: 16. August 2021) Johnston MP, Khakoo SI, World J Gastroenterol 2019, 25:2977–2989 Forner A et al., Lancet 2018, 391:1301–1314 Teichgräber U, Gebauer B, Onkologe 2017, 23:609–618 Sundram FX, Buscombe JR, Clin Med (London) 2017, 17:449–453 Garin E et al., J Nucl Med 2015, 56:339–346 Garin E et al., Lancet Gastroenterol Hepatol 2021, 6:17–29 Garin E et al., Eur J Nucl Med Mol Imaging 2013, 40:1057–1068 Salem R et al., Eur J Nucl Med Mol Imaging 2019, 46:1695–1704 Salem R et al., Gastroenterology 2016, 151:1155–1163 Salem R et al., Hepatology 2021, Online ahead of print Impressum „Aktualisierte S3-Leitlinie zu hepatozellulären und biliären Karzinomen: Neuer Stellenwert der Radioembolisation mit Yttrium-90-Mikrosphären“ Literaturarbeit Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a.M. Artikel gedruckt in „FORUM“ Band 36, Heft 5, Oktober 2021 Mit freundlicher Unterstützung der Boston Scientific Medizintechnik GmbH, Ratingen Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Andrea Krahnert Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Aktualisierte S3-Leitlinie zu hepatozellulären und biliären Karzinomen - Neuer Stellenwert der Radioembolisation mit Yttrium-90-Mikrosphären

Klimawandel und Gesundheit: Was Sie in der Hausarztpraxis wissen müssen und tun können

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten