Herausforderung Antibiotikaresistenzen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt anti-mikrobielle Resistenzen (AMR) zu den zehn größten Gesundheitsbedrohungen der Welt. Gefordert werden von Infektiologinnen und Infektiologen, pharmazeutischen Verbänden und Unternehmen sowie von der Gesundheitspolitik stringentere Maßnahmen zur Eindämmung von AMR sowie zur Förderung der Entwicklung neuer Antibiotika. Seit Jahren wächst die Gefahr von antibiotikaresistenten Bakterien. Besonders bei gramnegativen Bakterien haben AMR stark zugenommen. Laut einer Analyse für das Jahr 2019 wurden weltweit fast 1,3 Millionen Todesfälle direkt durch antibiotikaresistente Bakterien verursacht. Geschätzt knapp fünf Millionen Todesfälle wurden mit AMR in Verbindung gebracht [1]. Damit gehören Infektionen durch resistente Erreger zu den häufigsten Todesursachen weltweit. In Deutschland erkranken nach Daten des Europäischen Antibiotikaresistenz-Surveillance-Netzwerks (EARS-Net) aus dem Jahr 2015 jedes Jahr mehr als 55 .000 Menschen an Infektionen mit Bakterien, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind – mehr als 2000 Betroffene sterben an den Folgen [2]. AMR – die „stille Pandemie“ Die Bedrohung durch AMR ist auch von der Politik erkannt worden, aber zu zögerlich erfolgen Gegenmaßnahmen, lautet eine häufige Kritik. Unter der aktuellen deutschen G7-Präsidentschaft zählt im Bereich Gesundheit die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen zu den obersten Prioritäten. Im kürzlich veröffentlichten Abschlusskommuniqué der G7-Gesundheitsminister zum Gipfel im Mai 2022 in Berlin werden AMR als „stille Pandemie“ bezeichnet. „Die Auswirkung von Antibiotikaresistenzen könne jeden treffen“, wird betont. Besonders gefährdet seien aufgrund der größeren Gefahr von Infektionen Menschen in einkommensschwachen Regionen. Auch wirtschaftliche Einbußen als Folge von AMR werden als Bedrohung genannt. „Wir sind überzeugt, dass jetzt die Zeit zum Handeln ist“, lautet das abschließende Statement [3]. Die Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie (DART 2020) wurde bereits im Mai 2015 verabschiedet. Zu den Schwerpunkten zählt die Bündelung von Maßnahmen zur Reduktion von AMR wie sachgerechter Antibiotikaeinsatz, die Stärkung der Implementierung von Leitlinien/Empfehlungen sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika und alternativer Therapieoptionen [4]. DART soll mit einer Laufzeit von weiteren zehn Jahren fortgeführt werden. Neue Therapieoptionen erforderlich Als größtes Problemfeld gelten multiresistente Erreger, die nosokomiale Infektionen auslösen. Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) nennt als wichtigste Keime: Enterococcus faecium, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter-Spezies [5]. Um solche multiresistenten Problemkeime noch effektiv behandeln zu können, ist eine kontinuierliche Entwicklung neuer Therapieoptionen und Wirkstoffklassen essenziell. Dass Bakterien Resistenzen gegenüber Antibiotika bilden, ist ein natürlicher Prozess der Evolution. Bei Penicillin gab es erste Berichte über Resistenzen bereits vor der Markteinführung. Sehr rasch kam es zu Resistenzbeobachtungen auch bei Ceftarolin und Levofloxacin. Bei Tetrazyklin, Gentamicin, Imipenem, Erythromycin und Vancomycin vergingen immerhin fast zehn bis zu 15 Jahre bis zu den ersten Resistenzbeobachtungen (s. Abb.) [6]. Springer Medizin Verlag GmbH × Die von Bakterien erworbenen Resistenzmechanismen verbreiten sich zunehmend schneller. Gefördert wird dies durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft, mangelnde Hygienemaßnahmen im Gesundheitswesen und die unsachgemäße klinische Anwendung von Antibiotika, z. B. bei Virusinfektionen. Auch Reserveantibiotika werden nicht immer gezielt und nach diagnostischer Abklärung eingesetzt. In einigen europäischen Ländern nehmen seit 2010 Resistenzen gegen Carbapeneme zu [7]. Daher ist schnelles Handeln nötig. Es wurden bereits einige Allianzen gebildet, um die Entwicklung neuer Antibiotika zu fördern. Im Deutschen Netzwerk gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR) arbeiten u. a. die BEAM-Alliance (Biotech companies in Europe combatting AntiMicrobial resistance), das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), der Global AMR R&D Hub, die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI), die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie e. V. (PEG) sowie der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) zusammen [8]. Ziel ist, durch Verknüpfung von Forschungsförderung und Marktanreizen die Entwicklung, Implementierung und Anwendung neuer Wirkstoffe zu beschleunigen. Im AMR Action Fund, gegründet im Juli 2020 von mehr als 20 Pharma-Unternehmen, werden Finanzmittel in kleinere Unternehmen, die antibakterielle Medikamente entwickeln, investiert [9]. Das Ziel: zwei bis vier neuartige Antibiotika bis 2030. Interview Antibiotikaresistenzen – Achillesferse der Versorgung Wie überlebenswichtig es ist, angesichts steigender Antibiotikaresistenzen die Entwicklung neuer Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen voranzutreiben, erläutert John McGinley, Hospital Business Unit Lead bei Pfizer Deutschland. John McGinley Jonathan Constant × Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation von Antibiotikaresistenzen in Deutschland? John McGinley: Wir schlafwandeln uns in eine unvermeidliche Krise globalen Ausmaßes, wenn wir jetzt nicht aktiv etwas gegen die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen tun. Antimikrobielle Resistenzen (AMR) sind eine weltweite Bedrohung. Eine Infektion durch resistente Erreger kann jeden von uns treffen. Wenn wir jetzt nicht handeln und AMR sich weiter ausbreiten, ist die moderne Medizin auf dem Weg zurück ins medizinische Mittelalter. Dann könnte eine einfache Wundinfektion oder Lungenentzündung tödlich sein. Global gesehen sind Antibiotikaresistenzen die Achillesferse der Gesundheitsversorgung. Antibiotika werden auch bei Transplantationen und anderen komplexen Operationen eingesetzt. Diese Therapien sind durch weitere Resistenzen in Gefahr. Es ist dringendes Handeln erforderlich. Die Bekämpfung von AMR steht nicht umsonst seit zehn Jahren auf den politischen Agenden. Auch wenn gute Vorschläge auf dem Tisch liegen, werden bisher nur kleine Schritte hin zu einer Lösung unternommen. Ich hoffe, dass wir das Positive aus der Corona-Pandemie mitnehmen. Diese hat gezeigt, dass wir zu Veränderungen fähig sind und dass wir lebensrettende Impfstoffe und Arzneimittel in Rekordzeit entwickeln und auf den Markt bringen können. Das Momentum muss genutzt werden. Dieser Herausforderung können wir nur gemeinsam begegnen. Gibt es derzeit genug Reserveantibiotika? Und sind Neueinführungen von Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen in den nächsten Jahren zu erwarten? In den letzten zehn Jahren wurde keine einzige neue Antibiotika-Klasse mit neuem Wirkmechanismus auf den Markt gebracht. Neueinführungen gab es nur von Antibiotika oder -Kombinationen innerhalb der bekannten Klassen. Diese Entdeckungen helfen uns kurzfristig. Auf lange Sicht sind Neuentwicklungen nötig, die gegen Problemkeime wirksam sind. Im Februar 2017 veröffentlichte die WHO eine Liste mit zwölf Bakterienstämmen, die nach ihrer Einschätzung die größte Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. Im Fokus stehen vor allem multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN). Wie schwierig die Entwicklung neuer Antibiotika ist, verdeutlicht die Initiative des AMR Action Funds. Hier unterstützt Pfizer gemeinsam mit anderen pharmazeutischen Unternehmen, Organisationen und Stiftungen kleinere Biotech-Unternehmen mit insgesamt fast einer Milliarde US-Dollar, um die klinische Entwicklung neuer Antibiotika voranzutreiben. Ziel ist es, gemeinsam die Pipeline für antimikrobielle Arzneimittel zu stärken und bis 2030 zwei bis vier neue Antibiotika bereitzustellen. Gelingt dies, wäre es ein Hoffnungsschimmer für lebensbedrohlich erkrankte Menschen mit schwer therapierbaren Infektionen. Klar ist: Die Eindämmung von Antibiotikaresistenzen gelingt nur über die Kooperation verschiedener Akteure im Gesundheitswesen. Gibt es weitere Initiativen von Pfizer gegen Antibiotikaresistenzen? Pfizer hat sich klar dazu bekannt, sich trotz der genannten Herausforderungen weiter in dem Bereich zu engagieren und verfügt über antimikrobielle Kandidaten in unterschiedlichen Phasen der klinischen Entwicklung. Gemeinsam mit anderen Unternehmen engagieren wir uns, über den AMR Aktionsfonds hinaus, in weiteren internationalen und nationalen Initiativen. Wir wollen dazu beitragen, der „stillen Pandemie“ von Antibiotikaresistenzen eine noch stärkere Stimme zu geben. Nachdem das Problembewusstsein geschärft worden ist, müssen mutige Handlungen folgen. Seit 2017 stellt Pfizer mit der Antimicrobial Testing Leadership and Surveillance (ATLAS)-Datenbank den Zugang zu In-vitro-Wirksamkeitsdaten verschiedener Antibiotikabehandlungen und sich abzeichnender Resistenzmuster aus mehr als 60 Ländern zur Verfügung (www.atlas-surveillance.com). Auch für neue Antibiotika, die von vielen nationalen Surveillance-Programmen noch nicht erfasst werden, wird hier die Resistenzentwicklung dokumentiert. Die Datenbank ist für Ärztinnen und Ärzte sowie Mikrobiologinnen und Mikrobiologen frei zugänglich. Welchen Stellenwert hat die Verbesserung des Impfschutzes zur Vorbeugung von Infektionen und dem Auftreten von Antibiotikaresistenzen? Niedrige Impfraten sind ein wesentlicher Faktor für das Entstehen von lebensbedrohlichen Infektionen. Durch eine verbesserte Hygiene und durch Impfungen können Infektionen verhindert werden. Beispielsweise hat sich gezeigt, dass durch eine hohe Inanspruchnahme von Grippeimpfungen die Anzahl der Tage mit Antibiotikagebrauch bei Erwachsenen um 28 Prozent reduziert werden kann. Neben der Impfprävention gibt es vier weitere wichtige Bausteine im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen: die schnelle diagnostische Abklärung von Infektionen, den rationalen und verantwortlichen Einsatz von Antibiotika , den besseren Zugang zu neuen Antibiotika und neue Anreize für Forschung und Entwicklung von Antibiotika. Das macht es komplex, aber es gibt gute Lösungsvorschläge. Sie müssen nur umgesetzt werden! Literatur Nhagavi M et al., Lancet 2022, 399: 629–655 Cassini A et al., Lancet Infect Dis 2019, 19: 56–66 https://www.g7germany.de/resource/blob/974430/2042058/5651daa321517b089cdccfaffd1e37a1/2022-05-20-g7-health-ministers-communique-data.pdf?download=1 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/antibiotika-resistenzen/antibiotika-resistenzstrategie.html https://www.dzif.de/de/glossar/eskape Kloß F, Gerbach S, Bundesgesundheitsbl 2018, 61: 595–605 Brolund A et al., Euro Surveill 2019, 24: pii=1900123, https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2019.24.9.1900123 https://www.dzif.de/de/deutsches-netzwerk-gegen-antimikrobielle-resistenzen-gegruendet https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/antibiotika/investitionsprogramm-der-pharmaindustrie-bringt-neue-hoffnung-fuer-antibiotikaforschung Impressum „Herausforderung Antibiotikaresistenzen“ Bericht und Interview: Roland Fath, Hamburg Artikel gedruckt in „Ärzte Zeitung“ Nr. 43, 15. Juni 2022 Mit freundlicher Unterstützung der Pfizer Pharma GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Ulrike Maronde Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. 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