Ursache kann ein hereditäres Angioödem sein

Chronische oder immer wieder auftretende Abdominalschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen, weswegen Patientinnen und Patienten die hausärztliche Praxis aufsuchen. Ursache der Schmerzen können einerseits völlig unproblematische Störungen, andererseits aber auch potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen sein. Daher sollte bei der differenzialdiagnostischen Abklärung immer auch an seltene Krankheiten wie das hereditäre Angioödem (HAE), bei dem fast alle Betroffenen unter schweren abdominellen Schmerzen leiden, gedacht werden. Neu definierte Therapieziele für das HAE sind eine vollständige Krankheitskontrolle und ein normales Leben für die Betroffenen, die allerdings nur unter einer Langzeitprophylaxe, z.B. mit Lanadelumab, erreicht werden können. Bauchschmerzen zählen zu den Symptomen, die Menschen am häufigsten dazu veranlassen, sich ärztliche Hilfe zu suchen. „In der gastro-enterologischen Praxis ist der Abdominalschmerz sogar sicher in der Hälfte der Fälle der Grund für die Konsultation“, ergänzte PD Dr. Christoph Jochum, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Bei Menschen mit chronischen oder immer wieder auftretenden Oberbauchschmerzen ist für die diagnostische Aufarbeitung zunächst die Differenzierung zwischen viszeralen und somatischen Schmerzen wichtig, so Jochum [1]. Während somatische Schmerzen scharf lokalisiert und brennend sind, schnell auftreten und auch wieder verschwinden, werden viszerale Schmerzen als dumpf, unscharf, krampfend, kolikartig, beißend, bohrend und nagend beschrieben [1]. Organische Ursachen viszeraler Schmerzen Spätestens dann, wenn sich die Ursache des Problems nicht mithilfe von Laboruntersuchungen, Sonographie oder Endoskopie mit ggf. Biopsie, aufdecken lässt, muss eine systematische Abklärung erfolgen. „Hierbei kann das Ursachenspektrum der Schmerzen als Basis dienen“, erläuterte Jochum (Abb. 1) [1, 2]. Wie der Gastroenterologe weiter ausführte, lassen sich viszerale Schmerzen differenzialdiagnostisch entweder auf organische, funktionelle oder psychische/psychosomatische Erkrankungen zurückführen. „Insbesondere bei den organischen Erkrankungen sollten oft übersehene oder fehlinterpretierte und seltene Ursachen mit in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden“, forderte Jochum. Abb. 1 Algorithmus zur differenzialdiagnostischen Abklärung chronischer Abdominalschmerzen auf Basis des Ursachenspektrums (modifiziert nach [1, 2]) Springer Medizin Verlag GmbH × Zu diesen gehören u.a. die gastroösophageale Refluxkrankheit, die biliäre Mikrolithiasis und verschiedene Lebererkrankungen. Gedacht werden sollte darüber hinaus an seltene Erkrankungen wie das familiäre Mittelmeerfieber, die eosinophile Gastroenteritis oder ein HAE [1]. Bradykinin – der zentrale Mediator bei HAE-Attacken Das HAE ist eine seltene und zugleich schwerwiegende, autosomal-dominant vererbte Erkrankung. Auslöser ist ein genetischer Defekt, der in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einem Mangel (HAE Typ 1) oder einer Fehlfunktion (HAE Typ 2) des C1-Esterase-Inhibitors (C1-INH) im Kallikrein-Kinin-System führt [3, 4]. Durch die mangelhafte Kontrolle der Kallikrein-Aktivität kommt es zu einem übermäßigen Anstieg der Bradykinin-Konzentration in den Blutgefäßen und in der Folge zu einer Vasodilatation und einer erhöhten vaskulären Permeabilität sowie nachfolgend zu rezidivierenden Ödemen der Haut und Schleimhäute. Bradykinin ist somit der zentrale Mediator der HAE-Attacken [3]. Daher versagen antiallergische Therapien mit H1-Antihistaminika oder Omalizumab sowie Kortison bei Bradykinin-vermittelten Schwellungsattacken wie dem HAE [3]. Das HAE lässt sich in der Regel über mehrere Generationen zurückverfolgen, weshalb eine sorgfältige Familienanamnese wichtig ist. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Mutation im C1-INH-Gen bei 25% der Patientinnen und Patienten spontan auftritt, sodass auch Menschen betroffen sein können, bei denen zuvor keine familiären Fälle bekannt geworden sind [3]. Das häufigste und auffälligste Symptom beim HAE sind Hautödeme, nahezu alle Betroffenen leiden aber auch an schweren Schwellungsattacken im Magen-Darm-Bereich, die zu einer hohen Krankheitslast führen [3, 5]. Erhebliche Symptome und sekundäre Folgen „Die abdominellen Manifestationen sind mit zum Teil kolikartigen Schmerzen verbunden“, berichtete PD Dr. Emel Aygören-Pürsün, Universitätsklinikum Frankfurt/Main. Die Internistin stellte die Ergebnisse einer retrospektiven Analyse vor, für die 17.444 unbehandelte Attacken bei 75 HAE-Patientinnen und -Patienten ausgewertet worden waren: „In 84% der Fälle wurden die Schmerzen als schwer beschrieben, der maximale Schmerzscore lag bei 8,6 von 10 möglichen Punkten [5]. Einige betroffene Frauen äußerten, dass diese abdominellen Schmerzen schwerer als Geburtsschmerzen sind“, so Aygören-Pürsün. Zusätzlich zu den Schmerzen treten häufig Übelkeit, Erbrechen, Meteorismus, Durchfall, Schwindel und Schwäche auf. Manche Betroffene zeigen Prodromalsymptome wie z.B. Erythema marginatum, Reizbarkeit oder verstärkten Durst. Die meisten Attacken entstehen spontan, ein Teil kann aber auf bestimmte Trigger zurückgeführt werden: „Dies können operative Eingriffe, verschiedene Stress- und Belastungssituationen, bestimmte Medikamente und hormonelle Veränderungen bei Frauen sein“, informierte Aygören-Pürsün. Viszerale Schmerzen – könnte ein HAE die Ursache sein? Laut der Leitlinie der WAO/EAACI* zum Management des HAE erhärtet sich der Verdacht auf ein HAE, wenn neben rezidivierenden Ödemen einige oder alle der folgenden Kriterien zutreffen [3]: wiederholte und schmerzhafte abdominale Symptome, Beginn der Symptome im Kindes- und Jugendalter, eine positive Familienanamnese (Cave: bei etwa 25% der Betroffenen liegt eine Keimbahn-Neumutation vor), Auftreten von Ödemen der oberen Atemwege, fehlendes Ansprechen auf Antihistaminika, Kortikoide, Omalizumab oder Adrenalin, Vorkommen von Prodromal-Symptomen und/oder keine Quaddeln. Lange diagnostische Latenz Da das HAE wenig bekannt ist und die einzelnen Symptome denen anderer, häufigerer Krankheiten ähneln, dauert es oft Jahre oder Jahrzehnte, bis die richtige Diagnose gestellt wird – selbst bei positiver Familienanamnese [6]. Bei Betroffenen mit wiederkehrenden abdominellen Schmerzattacken werden oft nicht indizierte explorative Laparotomien auf der Basis eines vermuteten akuten Abdomens bzw. einer vermuteten Appendizitis vorgenommen [3, 7]. „Neben der Angst vor der nächsten Attacke, die im Fall einer Larynxbeteiligung potenziell lebensbedrohlich sein kann, erschweren Fehltage in Ausbildung und Beruf, Behinderungen der schulischen und beruflichen Laufbahn und Einschränkungen von Alltagsaktivitäten das Leben der Menschen mit HAE“, berichtete Aygören-Pürsün [8, 9]. Depressionen und Angstzustände sind eine häufige Folge [8, 10]. Nachweis durch einfachen Labortest Besteht der Verdacht auf ein HAE, kann dieser mit einem einfachen Labortest abgeklärt werden. Dazu werden die Konzentrationen des C1-INH und des Komplementfaktors C4 sowie die Aktivität von C1-INH im Plasma bestimmt. Niedrige C1-INH- und C4-Konzentrationen sowie eine niedrige C1-INH-Aktivität deuten auf ein HAE Typ 1 hin, normale bis erhöhte C1-INH-Konzentrationen bei gleichzeitig niedriger C1-INH-Aktivität und erniedrigten C4-Werten lassen auf ein HAE Typ 2 schließen [3]. Neue Therapieziele Im Januar 2022 wurde ein Update der internationalen WAO/EAACI*-Leitlinie zum Management des HAE publiziert und darin neue Behandlungsziele festgelegt [3]. Aufgrund der enormen Krankheitslast wird empfohlen: eine vollständige Krankheitskontrolle und den Patientinnen und Patienten ein normales Leben zu ermöglichen [3]. Für die Betroffenen bedeutet eine vollständige Krankheitskontrolle, langfristig frei von Schwellungsattacken zu sein. Erreicht werden kann dieses Ziel den Autorinnen und Autoren der Leitlinie zufolge nur mit einer Langzeitprophylaxe, wie z.B. mit Lanadelumab (Takhzyro®). Mit dem gegen Plasma-Kallikrein gerichteten monoklonalen Antikörper in der Dosierung 300mg alle zwei Wochen wurde in der offenen Verlängerung der HELP (Hereditary Angioedema Long-term Prophylaxis)-Zulassungsstudie HELP-OLE (Open Label Extension) eine Reduktion der Attackenrate um 87,4% und eine attackenfreie Zeit von durchschnittlich 14,8 Monaten erreicht [11]. Fazit: Frühe Diagnose wichtig Die Therapiemöglichkeiten sind gegeben – und nur eine frühe Diagnose ermöglicht den Betroffenen einen rechtzeitigen Zugang zu spezifischen Therapien, die den enormen Leidensdruck erheblich mindern können.” PD Dr. Emel Aygören-Pürsün, Universitätsklinikum Frankfurt/Main privat × Weitere Informationen zu Symptomen, Ursachen und der Diagnose HAE finden Sie auf der Website: www.hae-im-fokus.de. *WAO = World Allergy Organization; EAACI = European Academy of Allergy and Clinical Immunology Takhzyro® 300mg Injektionslösung in einer Fertigspritze ▼Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Hinweise zur Meldung von Nebenwirkungen, siehe Abschnitt 4.8 der Fachinformation. Wirkstoff: Lanadelumab. Zusammensetzung: Eine Fertigspritze enthält 300mg Lanadelumab* in 2ml Lösung. *Lanadelumab wird in der Ovarienzelllinie des chinesischen Hamsters (Chinese Hamster Ovary, CHO) mittels rekombinanter DNA-Technologie hergestellt. Sonstige Bestandteile: Dinatriumphosphat-Dihydrat, Citronensäure-Monohydrat, L-Histidin, Natriumchlorid, Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Routinemäßige Prophylaxe von wiederkehrenden Attacken des hereditären Angioödems (HAE) bei Patienten ab 12 Jahren. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Reaktionen an der Injektionsstelle wie Schmerzen, Hautrötung, blaue Flecken, Unbehagen, Schwellung, Blutung, Juckreiz, Verhärtung der Haut, Kribbeln, Wärme und Ausschlag. Häufig: Allergische Reaktionen einschließlich Juckreiz, Unbehagen und Kribbeln auf der Zunge; Schwindelgefühl, Ohnmachtsgefühl; erhabener Hautausschlag; Muskelschmerz; anomale Leberenzymwerte. Weitere Angaben: s. Fach- und Gebrauchsinformation. Verschreibungspflichtig. Takeda Pharmaceuticals International AG Ireland Branch, Block 3 Miesian Plaza, 50-58 Baggot Street Lower, Dublin 2, Irland. Stand der Information: November 2021. Literatur Labenz J et al., Dtsch Med Wochenschr 2015, 140:723–727 Drossman DA, Hasler WL, Gastroenterology 2016, 150:1257–1261 Maurer M et al., Allergy 2022, 77:1961–1990 Banerji A et al., Allergy Asthma Proc 2015, 36:213–217 Bork K et al., Transfusion 2005, 45:1774–1784 Zanichelli A et al., Ann Allergy Asthma Immunol 2016, 117:394–398 Zanichelli A et al., Allergy Asthma Clin Immunol 2013, 9:29 Aygören-Pürsün E et al., Orphanet J Rare Dis 2014, 9:99 Caballero T et al., Allergy Asthma Proc 2014, 35:47–53 Mendivil J et al., Orphanet J Rare Dis 2021, 16:94 Banerji A et al., Allergy 2022, 77:979–99 Impressum „Symptom Abdominalschmerz – Ungewöhnlichen Auslösern auf der Spur“ Lunchsymposium anlässlich des 128. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) Wiesbaden, 1. Mai 2022 Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt/Main Artikel gedruckt in „Die Innere Medizin“ Band 63, Heft 9, September 2022 Mit freundlicher Unterstützung der Takeda Pharma Vertrieb GmbH & Co. KG, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Andrea Krahnert Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF-Download: Chronische Abdominalschmerzen - Ursache kann ein hereditäres Angioödem sein C-APROM/DE/HAE/0104

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