Neue Einblicke in die Alzheimerentstehung

Einige Tau-Hypothesen sind wohl falsch und Beta-Amyloid wird immer noch viel zu spät ins Visier genommen: Neue Erkenntnisse zur Alzheimerpathologie wecken Zweifel an den bisherigen Therapiestrategien. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Wogegen sollten sich wirksame Alzheimermedikamente richten? Diese Frage ist weiter ungeklärt, und nach den vielen Fehlschlägen mit Medikamenten gegen Beta-Amyloid sieht es auch nicht so aus, als gebe es in nächster Zeit eine klare Antwort. Zwar ist Beta-Amyloid noch immer der Liebling der Medikamentenentwickler, aber Anti-Amyloid-Medikamente, sollten sie tatsächlich wirken, müssen vermutlich so früh im Krankheitsverlauf gegeben werden, dass sich ganz neue Probleme ergeben: Mit 50 Jahren eine Antikörpertherapie beginnen, weil man sonst mit 70 Jahren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an einer Demenz erkrankt – das klingt nach keiner sehr praktikablen Strategie. Praktikabel wäre schon eher eine Therapie gegen Tau-Protein: Dessen Aggregation im Gehirn korreliert mit den klinischen Symptomen und könnte also auch noch bei den ersten Gedächtnisproblemen wirken. Rückschlag mit Tau-Antikörper Allerdings gibt es auch hier erste Rückschläge: Ende September wurden Top-Line-Resultate der Phase-II-Studie TAURIEL mit dem Tau-Antikörper Semorinemab veröffentlicht. Beteiligt waren immerhin über 450 Patienten mit ersten kognitiven Symptomen und nachgewiesener Amyloidpathologie. Der Antikörper konnte die Krankheitsprogression aber nicht verlangsamen. Zuvor sind schon zwei weitere Tau-Antikörper gegen progressive supranukleäre Blickparese gescheitert. Mit den Tau-Antikörpern hatte man sich unter anderem erhofft, die Ausbreitung von pathologischem Tau im Gehirn zu unterbinden. Tau verklumpt zwar intrazellulär, einer Hypothese zufolge springt es aber von Zelle zu Zelle und „infiziert“ über einen Prion-artigen Mechanismus die Nachbarneurone. Antikörper, die nicht an das zelluläre Tau herankommen, sollen das Protein beim Überspringen abfangen. Empfehlung der Redaktion Podcast - Demenzen 25.09.2020 | Morbus Alzheimer | Podcast | Nachrichten Was gibt es Neues zur Demenzprävention und Frühdiagnostik? Die Ursachen von Demenz sind vielfältig. Wir sprechen über Grundlagen der Krankheitsentstehung, über Symptome verschiedener Demenz-Formen und wieso Blutbiomarker so wegweisend für eine flächendeckende Diagnostik und zukünftige Therapien sind. Und wir fragen, wie das Demenzrisiko allgemein vermindert werden kann. Möglicherweise ist jedoch schon die Hypothese falsch, erläuterte Professor Eckhard Mandelkow vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn auf dem virtuellen DGN-Kongress. Sie basiert auf den Braak-Stadien, die eine sukzessive Ausbreitung der Taupathologie im Gehirn zeigen. Die Frage sei jedoch, was die räumliche Ausbreitung der Pathologie bedinge, so Mandelkow, und das müsse nicht das fehlgefaltete Protein selbst sein. In-vitro-Analysen, die das nahelegten, basierten zum Teil auf Fehlinterpretationen. In solchen Experimenten wird aggregiertes Tau auf Zellen mit hohen Konzentrationen an normalem, löslichem Tau gegeben. Spezielle Fluoreszenzmarker sollen dann an aggregiertes Tau binden und dieses anzeigen. Allerdings verhindern diese Marker gerade die Bildung pathologischer Taufibrillen und verklumpen mit diesen zu anders geformten Aggregaten – ein Prozess, der sich auch mit vielen weiteren Proteinen induzieren lasse. Das Signal sei daher weder Tau-spezifisch noch deute es auf eine induzierte Aggregation durch das zugeführte Tau, erläutere der auf Molekülstrukturanalyse spezialisierte Physiker. Ob sich pathologisches Tau über einen Prion-Mechanismus im Gehirn ausbreitet, sei also offen, und damit auch, ob Tau-Antikörper wirken können. Phosphorylierung nicht das Problem An einer weiteren Hypothese ließ Mandelkow ebenfalls kein gutes Haar: So soll vor allem die Hyperphosphorylierung von Tau zur Aggregation führen. Proteinkinase-Hemmer, die das verhindern, könnten dann ein guter Ansatz sein. Doch auch diese Annahme basiert nach Ansicht des Experten auf falsch interpretierten Experimenten. In den 1990er-Jahren konnte gezeigt werden, dass Tau aus Alzheimergehirnen hoch phosphoryliert ist, solches aus post mortem untersuchten Gehirnen von zuvor kognitiv Gesunden dagegen kaum Phosphatgruppen enthält. Dies sei erstaunlich, da Tau sehr viele Phosphorylierungsstellen enthält. In eigenen massenspektrometrischen Untersuchungen konnten die Forscher um Mandelkow belegen, dass Tau eigentlich immer hoch phosphoryliert ist – sowohl bei Gesunden als auch bei Alzheimerkranken. Bei Gesunden wird das physiologische Tau post mortem aber rasch dephosphoryliert, wohingegen das aggregierte Tau von Alzheimerkranken seine Phosphatgruppen behält – die Phosphatasen kommen an diese in der aggregierten Form schlicht nicht heran. „Phosphorylierung erzeugt keine Aggregation“, so Mandelkows Fazit. Therapie gegen Aggregationskeime Dennoch könnte es sich lohnen, phosphoryliertes Tau (pTau) im Blick zu haben – und zwar im Blut als präsymptomatischen Marker. Dort kommt es bereits 20 Jahre vor einer klinischen Demenz zu einem Anstieg der löslichen pTau-Varianten pT181 und pT217, erläuterte Professor Mathias Jucker von der Universität Tübingen auf der DGN-Tagung. Das Erscheinen von pTau im Blut habe aber nichts mit der Tau-Aggregation zu tun, sondern stehe erstaunlicherweise im Zusammenhang mit der frühen Amyloid-Verklumpung. Ähnliches hatten die Forscher um Jucker auch schon in Tiermodellen beobachtet: Sobald Beta-Amyloid verklumpt, steigen die pTau-Werte im Blut, obwohl die Tiere keine Tau-Aggregate bilden. pTau scheint damit ein sehr guter Marker für eine beginnende Amyloidpathologie zu sein. In ähnlicher Weise deutet auch der Anstieg der Werte für Leichtkettenneurofilament (NFL) im Blut auf eine beginnende Demenz – diese werden etwa 16 Jahre vor den klinischen Symptomen auffällig. Nach Ansicht von Jucker wäre dies ein guter Zeitpunkt, etwas gegen Beta-Amyloid zu unternehmen, denn die pathologischen Prozesse beginnen schon vor der Amyloidaggregation: In Tierexperimenten konnten die Forscher schon lange vor den histologisch sichtbaren Amyloidablagerungen die Bildung von „Aggregationskeimen“ nachweisen, also kleineren noch löslichen Aggregaten, die in Laborversuchen eine Aggregation auslösen können. Mit Amyloid-Antikörpern ließen sich solche Keime immerhin gut beseitigen, mit Aducanumab am besten, mit anderen weniger gut. Die Experten um Jucker wollen nun mit ihrem Assay gezielt nach neuen Antikörpern schauen, welche sehr effektiv die ganz frühen Aggregationsformen binden. Der Hirnforscher sprach hier von einem Ansatz in der „Prä-Amyloid-Phase“, die präklinische Phase mit massiver Amyloidakkumulation sei möglicherweise für eine Behandlung schon zu spät. Mit NFL und pTau lasse sich immerhin die frühe präklinische Phase nachweisen, noch besser wären gute Marker für die Prä-Amyloid-Phase. Solche Erkenntnisse lassen natürlich einige Fragen offen: Wie viele Menschen kommen in die Prä-Amyloid-Phase, entwickeln aber nie eine Demenz? Vielleicht sind wir ab einem bestimmten Alter alle in dieser Phase, wen sollte man also wann behandeln? Zu zeigen wäre jedoch erst einmal, dass eine frühe Anti-Amyloid-Therapie überhaupt etwas nützt. Dieser Beweis steht noch aus. Empfehlung der Redaktion DGN 2020 – das Kongressdossier Neue Ansätze in der Alzheimertherapie und prädiktive Marker, ein Ausblick auf die neue Klassifikation chronischer Schmerz im ICD-11 und was Neurologen zu neuen Krebstherapeutika wissen sollten – zu diesen und weiteren Themen lesen Sie in unseren Berichten vom virtuellen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. basierend auf: Virtueller DGN-Kongress 2020 vom 4. bis 7. November 2020, Sitzung: Pathophysiologie und Klinik der Demenzen. Aktuelle Forschungsergebnisse zur TauHypothese, www.dgnvirtualmeeting.org

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