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22.02.2024 | DKK 2024 | Kongressbericht | Nachrichten | In Kooperation mit: Deutsche Krebsgesellschaft e. V. und Stiftung Deutsche Krebshilfe

Nicht alle über einen Kamm

Geschlechtssensibel therapieren in der Onkologie

verfasst von: Philipp Grätzel von Grätz

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Geschlechtsunterschiede nehmen in der Krebsmedizin bisher wenig Einfluss auf Therapieentscheidungen. Zu Unrecht, denn es scheint zumindest teilweise relevante Unterschiede zu geben.

Frauen kriegen Brustkrebs und Zervixkarzinome, Männer Prostata- und Hodenkrebs. Viel mehr fällt vielen Menschen zum Thema Geschlechtsunterschiede in der Krebsmedizin dann auch nicht ein. Dabei, so Prof. Dr. Anne Letsch vom Onkologischen Zentrum Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, nähmen biologisches Geschlecht und auch „Gender“ als soziales Rollenkonstrukt in vielfältiger Weise Einfluss auf Tumorentstehung, Tumorerkennung, Tumorentwicklung und Tumorbehandlung.

Genetische Risikofaktoren können geschlechtsabhängig sein

Letsch ging auf dem Deutschen Krebskongress zum einen auf das große Thema der Risikofaktoren für Tumorentstehung und Tumorprogression ein. So hat Rauchen bei Männern und Frauen zum Teil unterschiedliche Effekte auf lungenkrebsrelevante Signalwege in Bereichen wie Zellproliferation, Immunantwort oder Arzneimittelmetabolismus. Dies impliziert, dass onkogene Mutationen bei rauchenden Männern und Frauen unterschiedlich relevant für die Prognose sind (Saha E et al. bioRxiv 2023; doi: 10.1101/2023.09.22.559001). 

Auch beim Darmkrebs gibt es relevante Unterschiede bei den genetischen Risikofaktoren. Eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI) ist bei Frauen möglicherweise von größerer Bedeutung für Tumorprogression und Tumortherapieauswahl als bei Männern. Auch BRAF-Mutationen und CIMP-high-Konstellationen scheinen bei Frauen wichtiger zu sein als bei Männern. Umgekehrt neigen Männer stärker zu TP53- und APC-Mutationen (Lopes-Ramos CM et al. Front Oncol 2020; 10:597788). 

Immer mehr Hinweise gibt es auch darauf, dass sich die Wirksamkeit und/oder die Verträglichkeit von Antitumortherapien zwischen den biologischen Geschlechtern unterscheiden können. In vielen Untersuchungen treten Nebenwirkungen bei Frauen häufiger auf als bei Männern, es gibt aber auch die umgekehrte Konstellation.

Letsch berichtete u.a. über die ACCENT-Datenbank, die Daten unterschiedlicher Studien und Quellen zusammenführt. Hier lässt sich zeigen, dass hämatologische Toxizität aller Art im Kontext einer adjuvanten Therapie beim Kolonkarzinom bei Frauen signifikant häufiger sind als bei Männern (Wagner AD et al. J Natl Cancer Inst 2021; 113(4):400-7). Eine weitere, aktuelle Untersuchung, eine Subgruppenanalyse der PanaMa-Studie, zeigt, dass Frauen bei der gleichen Indikation und Therapielinie wesentlich häufiger Übelkeit und etwas häufiger Stomatitis und Diarrhoe haben, während es bei der Neuropathie und bei dermatologischen Nebenwirkungen keine Unterschiede gibt (Heinrich K et al. ESMO Open 2023; 8(4):101568).

Unterschiedlich therapieren bei unterschiedlichen Geschlechtern?

Grundsätzlich müssten derartige Daten immer sehr sorgfältig analysiert werden, so Letsch. So erhalten Frauen bei Speiseröhrenkrebs weniger Chemotherapiezyklen als Männer mit gleichem Tumorstadium. Skandalöse, diskriminierende Unterversorgung? Möglicherweise auch einfach eine Folge der höheren Toxizität (Davidson M et al. Eur J Cancer 2019; 121:40-7). Daten, die detailliert genug wären, um solche Fragen definitiv zu beantworten, gäben die meisten klinischen Studien leider nicht her, so die Onkologin.

Klar ist, dass in einigen Konstellationen Sinn machen könnte, geschlechtsdifferenziert zu therapieren. Bisher gebe es allerdings nur ein einziges Anti-Tumor-Medikament, das geschlechtsunterschiedlich verabreicht werde, so Letsch, nämlich Rituximab. Hier erhalten ältere Männer höhere Dosen, weil bei ihnen die Serumspiegel geringer sind und in mehreren klinischen Studien das Outcome schlechter war.

Magenkrebs: Männer leben länger

Die vielfältigen Unterschiede in Tumorbiologie und Krebstherapie, aber auch in „weicheren“ Faktoren wie Lebensstil und Gesundheits-/Krankheitsverhalten, können in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Sterblichkeit von Männern und Frauen bei ein- und derselben Krebsentität unterschiedlich ist. Das ist vielfach gezeigt, auch weil es anhand der Krebsregister relativ leicht zu zeigen ist. Daten geliefert hat kürzlich zum Beispiel das niederländische Krebsregister, in diesem Fall zum Adenokarzinom des Magens. Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern war nach Adjustierung um immerhin ein Drittel höher (Kalff MC et al. Gastric Cancer 2022; 25:22-32).

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