Ein 41-jähriger aus Syrien stammender Patient stellte sich mit einer Schwellung der unteren rechten Gesichtshälfte in der zentralen Notaufnahme (ZNA) vor. Die zentrale Notaufnahme ist eine Abteilung in einem Krankenhaus, die rund um die Uhr medizinische Versorgung für Patienten in akuten Notfällen bietet. Nach einer Ersteinschätzung durch das Pflegepersonal der Notaufnahme wurde der Patient bei Verdacht auf einen odontogenen Abszess in der Klinik für Mund-, Kiefer und Plastische Gesichtschirurgie vorgestellt. Im Anamnesegespräch berichtete der Patient von einer schmerzhaften Schwellung der rechten Wange seit einigen Tagen mit einer zunehmenden Beteiligung des Mundbodens. Vor 4 Monaten sei er in Istanbul gewesen, dort habe er schon einmal etwas Ähnliches gehabt. Dies sei durch eine Eigenbehandlung mit einer Salbe rückläufig gewesen. In der Anamnese ergaben sich Hinweise auf stattgehabten Drogenkonsum. Es bestünden keine Vorerkrankungen. Fieber und Schluckbeschwerden wurden verneint.
Diagnostik
Klinische Untersuchung
Die extraorale Inspektion zeigte einen 10 mm großes Ulkus des rechten Mundwinkels in enger Lagebeziehung zu einer oberflächlichen Schwellung der bärtigen Wange rechts mit vier pustulösen Läsionen von 8–12 mm (Abb. 1). Die Haut an Körperstamm und den Extremitäten war unauffällig. In der Palpation stellten sich die Wange und der Mundboden druckschmerzhaft und verhärtet dar. Die Halslymphknoten waren beidseits vergrößert tastbar. Die intraorale Inspektion zeigte ein konservierend und prothetisch suffizient versorgtes Gebiss sowie eine reizlose Mundschleimhaut. Zur Komplementierung der Diagnostik erfolgten eine laborchemische und mikrobiologische Untersuchung sowie eine radiologische Diagnostik.
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Aufnahmelabor und Infektiologie
Das C‑reaktive Protein (3,5 mg/dl) und Procalcitonin (0,49 ng/ml) waren erhöht, die Leukozytenzahl (4,8 × 1000/µl) befand sich im Normalbereich. Kreatinkinase (984 U/l) und Laktatdehydrogenase (339 U/l) lagen oberhalb des Referenzintervalls. Die übrigen laborchemischen Parameter zeigten keine relevanten Auffälligkeiten. Im Rahmen der molekularen Diagnostik konnte keine virale DNA von Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), HSV‑2 oder Varicella-zoster-Virus nachgewiesen werden. Die Serologie auf Treponema pallidum fiel negativ aus.
Radiologische Diagnostik
Die Panoramaschichtaufnahme gab radiologisch keinen Hinweis auf einen dentalen Fokus. Die dreidimensionale computertomographische Aufnahme des Kopfes und des Halses mit Kontrastmittel zeigte entzündliche Veränderungen der Kutis und Subkutis mit begleitender Lymphadenopathie und einem solitär eingeschmolzenen Lymphknoten. Radiologisch ergab sich kein Anhalt für einen Abszess.
Differenzialdiagnosen
Folgende Differenzialdiagnosen galt es abzuklären:
Entzündung der Haut und Hautanhangsgebilde: Atherom, Folliculitis barbae
Logenabszess mit odontogenem Fokus
Kutane Leischmaniose
Da sich diese Verdachtsdiagnosen nach erfolgter Diagnostik nicht erhärteten, stellten wir den Patienten konsiliarisch in der Klinik für Dermatologie vor.
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Wie lautet Ihre Diagnose?
Die Kolleg*innen der Dermatologie äußerten nach erneuter Anamnese und vollständiger körperlicher Inspektion den Verdacht auf Affenpocken, der sich durch einen Nukleinsäurenachweis aus dem Abstrich der Effloreszenzen bestätigte.
Mpox/Affenpocken
Im November 2022 führte die Weltgesundheitsorganisation den bevorzugten Begriff „Mpox“ als Synonym für „Affenpocken“ ein. Beide Bezeichnungen werden für ein Jahr synonym verwendet, bis die Bezeichnung „Affenpocken“ ausläuft. Die Mpox-Erkrankung ist eine virale Zoonose. Das Mpox-Virus zählt zu der Gattung der Orthopoxviren. Es existieren eine west- und eine zentralafrikanische Variante, die sich in ihrer Pathogenität unterscheiden. Afrikanische Nagetiere gelten als natürlicher Wirt des Virus, wohingegen die namensgebenden Affen als Fehlwirt interpretiert werden. Die erste Übertragung des Virus auf den Menschen wurde 1970 in der Demokratischen Republik Kongo beschrieben. Seither tritt das Virus endemisch in Zentral- und Westafrika in Form von sporadischen Infektionen und lokalisierten Ausbrüchen auf. Infektionen außerhalb der afrikanischen Endemiegebiete beschränkten sich bis dato auf infizierte Reiserückkehrer und Tierimporte aus zentral- und westafrikanischen Ländern [1]. Seit Mai 2022 häufen sich jedoch nichtimportierte Fälle von Mpox weltweit im Sinne eines internationalen Ausbruchgeschehens [2]. Dem Robert Koch-Institut (RKI) sind in Deutschland (mit Stand vom 25.10.2022) 3662 bestätigte Mpox-Fälle bekannt. Im aktuellen Ausbruchsgeschehen scheinen Männer, die Sex mit Männern haben, vornehmlich betroffen zu sein [3].
Die Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch erfolgt im Infektionsstadium durch direkten Kontakt zu Effloreszenzen, Körperflüssigkeiten und Schleimhäuten sowie durch kontaminierte Gegenstände. Die Möglichkeit einer Tröpfcheninfektion sowie die vertikale Übertragung von der Mutter auf den Fötus werden ebenfalls beschrieben [2].
Die Erkrankung beginnt nach einer Inkubationszeit von 5 bis 21 Tagen i. d. R. mit unspezifischen Krankheitssymptomen, z. B. Fieber, Kopfschmerzen und ausgeprägter Lymphadenopathie. Daran anschließend zeigt sich ein Hautausschlag mit typischen Stadien aus Makula, Papeln, Vesikeln, Pusteln und Krusten. Diese betreffen vornehmlich das Gesicht inkl. Mundschleimhaut, die Handinnenflächen, die Fußsohlen sowie den Genitalbereich. Als infektiös gilt ein Patient von den ersten Krankheitssymptomen an bis zum Abfallen der Krusten nach bis zu 4 Wochen [4].
Im immunkompetenten Wirt verläuft die Mpox-Erkrankung normalerweise leicht und selbstlimitierend. Die Hauteffloreszenzen heilen i. d. R. narbenlos aus. Komplizierte Verläufe werden bei Kindern und immungeschwächten Personen beobachtet. Mögliche Komplikationen sind bakterielle Superinfektionen, Narbenbildung, Enzephalitis, Pneumonie sowie eine Augenbeteiligung mit Gefahr der Erblindung [4]. Die Letalität einer Mpox-Infektion der vorherrschenden westafrikanischen Variante beträgt 2–6 % [1].
Therapie und Verlauf
Die symptomorientierte Behandlung der Mpox-Erkrankung steht im Vordergrund. Zu den therapeutischen Maßnahmen zählen lokal desinfizierende Maßnahmen, Flüssigkeitsgaben, Sauerstofftherapie sowie die Behandlung von bakteriellen Superinfektionen [4]. Als antiviraler Wirkstoff ist Tecovirimat in der EU zur Behandlung von Mpox zugelassen [5]. Nach bestätigter Mpox-Infektion ist eine häusliche Isolation bis zum Abheilen der Effloreszenzen, aber mindestens für 21 Tage vorgesehen. Seit dem 22.07.2022 ist in Europa der Pockenimpfstoff Imvanex auch für die Bekämpfung von Mpox zugelassen. Aufgrund der genetischen Ähnlichkeit zeigte sich die Pockenimpfung in 85 % der Fälle wirksam gegen Mpox [6].
Das RKI empfiehlt zudem Maßnahmen zur Infektionsprävention von Mpox im Gesundheitswesen. Hierzu zählen neben der Basishygiene eine Einzelunterbringung infizierter Patienten, das Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung sowie eine gründliche Desinfektion von Flächen und Medizinprodukten.
Diagnose: Mpox/Affenpocken
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Nach der Diagnosesicherung wurde der Patient unter Quarantäneauflagen in die Häuslichkeit entlassen. Eine strenge Isolation für 21 Tage sowie tägliche lokal antiseptische Maßnahmen wurden veranlasst. Mit dem Patienten wurde eine sofortige Wiedervorstellung bei Befundverschlechterung vereinbart. Im Verlauf der häuslichen Quarantäne zeigten sich die Hautveränderungen rückläufig und waren nach 3 Wochen nicht mehr sichtbar (Abb. 2).
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Fazit für die Praxis
Eine Infektion mit Mpox sollte als Differenzialdiagnose bei Hauteffloreszenzen auch ohne Reiseanamnese erwogen werden.
Der Hautausschlag durch Mpox ist abhängig vom Krankheitsstadium und imitiert kutane Infektionen unterschiedlicher Genese. Üblicherweise beginnt er im Gesichtsbereich und kann auch die Mundschleimhaut betreffen.
Im Umgang mit pockenähnlichen Hautveränderungen sollte eine persönliche Schutzausrüstung getragen werden, da die Übertragung über Kontakt zu den Hauteffloreszenzen erfolgt.
Die Hautveränderungen heilen i. d. R. narbenlos ab.
Ein respektvoller Umgang ohne Stigmatisierung ist bei der Behandlung von Patienten mit Affenpocken besonders wichtig.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Surmann und L. Schorn geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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