Lyme-Borreliose – von Mythen und Tatsachen

Weisen Patienten mit Zeckenbiss in einem endemischen Gebiet ein Erythema migrans auf, ist die Situation klar. Es sollte keine Serologie erfolgen, sondern umgehend eine Antibiotika-Therapie initiiert werden. Weniger klar ist, was bei refraktärer Lyme-Arthritis oder Post Treatment Lyme Borreliose-Syndrome zu tun ist. Die Fallzahlen steigen in der nördlichen Hemisphäre weiterhin parallel zum Anteil der infizierten Zecken an. Das Erythema migrans ist in Europa das häufigste frühe chronische Symptom einer Lyme-Borreliose, in den USA ist es die Lyme-Arthritis, meist als Monarthritis des Kniegelenks, wie Prof. Dr. Joppe Hovius, Multidisziplinäres Lyme-Borreliose Centrum Amsterdam, einleitend berichtete. Das häufigste späte chronische Zeichen sei in Europa die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). Hovius wies explizit darauf hin, dass es sich bei der Lyme-Borreliose um eine klinische Diagnose handelt. Es sollten keine diagnostischen Tests, sondern bei Erythema migrans umgehend eine antibiotische Therapie erfolgen. Eine Serologie bringe zu diesem Zeitpunkt nichts, da die Sensitivität in der Frühphase niedrig sei. Zudem sei zu bedenken, dass IgG-, und auch IgM-Antikörper im Sinne einer immunologischen Narbe noch lange nach Ausheilung der Erkrankung oder antibiotischer Therapie nachweisbar sind. Serologische Daten oder auch der Versuch eines genetischen Nachweises mittels PCR (Polymerase-Chain Reaction) aus Cerebrospinalflüssigkeit sei bei der Neuroborreliose in allen Stadien aufgrund der niedrigen Sensitivität nicht aussagekräftig und allemal nur im Kontext kompatibler klinischer Zeichen sinnvoll, betonte auch Prof. Dr. Beniote Jaulhac vom Nationalen Referenzzentrum für Borellien in Straßburg. Bei der Lyme-Arthritis sei dagegen die Sensitivität der Serologie für IgG, nicht aber IgM, hoch; insgesamt habe sie einen hohen negativ-prädiktiven Wert. Bei atypischem Erscheinungsbild könne eine PCR aus einer Synvialbiopsie, nicht aber aus Synovialflüssigkeit, weiterhelfen; letztere sei nicht ausreichend sensitiv. Umgehende, am Stadium orientierte Antibiotika-Therapie Für die Therapie kommen, basierend auf aktuellen Leitlinien, prinzipiell zwei Alternativen in Frage – neben Doxycyclin 2x 100 mg/d auch Ceftriaxon 2 g/d i.v. Die jeweilige Dauer der Therapie richtet sich laut Hovius nach dem Stadium. Bei frühen Symptomen reiche ein kurzer Zyklus über 10-14 Tage. Bei später Neuroborreliose sollten es 14-28 (Ceftriaxon) bzw. 21-28 Tage (Doxycyclin) sein, bei Lyme-Karditis oder multiplen Erythemen 14-21 bzw. 21 Tage. Bei Lyme-Arthritis werde Doxycyclin über 28 Tage empfohlen, bei ACA über 21 Tage. Mögliche Alternativen seien Amoxicillin, Azithromycin und Penicillin. Refraktäre Lyme-Arthritis – eine fehlgeleitete Immunantwort? Bei den meisten Patienten mit Lyme-Arthritis spricht diese auf eine Antibiotika-Therapie an, die Symptome verschwinden, betonte Prof. Dr. Klemen Strle, Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, MA, USA. Einige Patienten entwickeln allerdings eine chronisch-entzündliche Arthritis, die über Monate bis Jahre persistiert, ohne dass eine prominente systemische Beteiligung oder Zeichen einer weiterhin bestehenden Infektion vorliegen. Diese refraktäre Lyme-Arthritis ist durch eine starke synoviale Hypertrophie und eine dysregulierte Immunantwort in den Gelenken (z.B. autoreaktive T- und B-Zell-Antworten) charakterisiert. Wie inzwischen gezeigt werden konnte, sind die Interferon-gamma-Spiegel in den Gelenken extrem hoch. Sie beeinträchtigen die Gewebereparatur und halten die synoviale Entzündungsreaktion sowie die Hypertrophie in der Post-Antibiotika-Phase am Laufen, auch wenn nur noch wenige bis gar keine Spirochäten mehr vorliegen. Auch wenn die Infektion den initialen Trigger darstellt, beruht die refraktäre Lyme-Arthritis daher laut Strle auf der post-infektiösen, maladaptiven Immunantwort, die zumindest zum Teil auf eine genetische Prädisposition zurückzuführen ist. Chronische Lyme-Borreliose – was tun? Persistiert die B. burgdorferi s.l. Infektion trotz Antibiose, d.h. liegen weiter Lyme-Borreliose typische Manifestationen, insbesondere eine Lyme-Arthritis vor, solle erneut mit Antibiotika behandelt werden, riet Hovius. Dies komme zwar selten, aber doch immer mal wieder vor. Die chronische Lyme-Erkrankung im Sinne des sogenannten Post Treatment Lyme Borreliose-Syndrome (PTLBS) bleibe eine verwirrende Entität. Hier sei, ebenso wie bei der Konstellation aus fortbestehenden unspezifischen Symptomen und positivem diagnostischem Test, weiterhin nicht wirklich klar, was zu tun ist. Zunächst sei die initiale Diagnose zu hinterfragen, eine autoinflammatorische Immunantwort zu diskutieren oder zu erwägen, ob es sich um eine residuale Schädigung (ACA, Neuroborreliose) handeln könne. Weitergehende Informationen können in den aktuellen Empfehlungen für die klinische Praxis von der IDSA, dem American College of Rheumatology und der American Academy of Neurology nachgelesen werden; sie wurden Anfang dieses Jahres publiziert (1). Quelle: EULAR 2021, 02.06. - 05.06.21; Lyme disease: Myths and reality

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