Hepatitis B: Virologie, antivirale Resistenz und neue Therapien

Polymerasetherapien bei chronischer Hepatitis B sind als Dauertherapie sehr wirksam und klinisch sicher. Neue Substanzen, mit einer begrenzten Therapiedauer, befinden sich bereits in klinischen Studien und werden in den nächsten Jahren ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen. Derzeit verfügbare Therapien der Hepatitis B mit Nukleos(t)idanaloga (NUC) sind in der Langzeitbeobachtung weiterhin sehr sicher und sehr wirksam. Bezüglich der langfristigen biochemischen und virologischen Kontrolle zeigen Patienten unter Entecavir und Tenofovir in der großen Mehrheit normale Transaminasen, und HB-Viren sind zumeist auch langfristig unter die Nachweisgrenze supprimiert. Allerdings findet sich auch weiterhin nur eine sehr geringe HBsAg-Verlustrate oder eine noch geringere Rate an Patienten mit Serokonversion zu Anti-HBs-Antikörper-Status. Darüber hinaus bleibt die NUC-Therapie in der Regel eine Dauertherapie, zumindest in Regionen, wo Budgetgrenzen nicht zu einer limitierten Therapiedauer zwingen. Insbesondere gilt dies für die Mehrheit unserer Patienten in der täglichen Praxis in Deutschland, die sich mit einer HBeAg-negativen Verlaufsform der chronischen Hepatitis B präsentieren. Resistenzen stellen, wenn regelhaft Entecavir oder Tenofovir eingesetzt werden, kein relevantes Thema in der täglichen Arbeit mehr dar. Lediglich in Regionen, wo die neueren Polymerasehemmer nicht verfügbar sind und ältere Substanzen wie Lamivudin oder Adefovir eingesetzt werden müssen, können Resistenzen ein Problem werden. Treten doch Resistenzen auf, beispielsweise beim Entecavir, ist ein Wechsel auf Tenofovir meist völlig ausreichend (1). Bei allen Vorteilen und Erfahrungswerten, die die moderne NUC-Therapie mittlerweile bietet, eines kann sie jedoch nicht leisten: den vollständigen Abbau der zentralen viralen Matrize im Zellkern des infizierten Hepatozyten, die cccDNA. Auf der EASL-Tagung konnte dieses Grundproblem in einer neuen Arbeit wieder einmal bestätigt werden (2). Neues NUC-Präparat Für HBV-monoinfizierte Patienten wurden auf der EASL-Tagung die beiden Phase-III-Studiendaten für Tenofovir-Alafenamid (TAF), dem Nachfolger von Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF), bei HBeAg-positiven und HBeAg-negativen Patienten vorgestellt. In der Interimsanalyse nach 48 Wochen (3) fand sich in beiden Phase-III-Studien eine vergleichbare Wirkung von TDF und TAF (angelegt als Nicht-Unterlegenheitsstudien für TAF). Nach einem Jahr wurden weniger Nebenwirkungen im Hinblick auf Knochenmineralisation und Niere detektiert, wobei die Sicherheitsdaten für Tenofovir bei monoinfizierten Patienten auch in vielen Real-Life-Studien über viele Jahre exzellent ausfielen (4). Für einige Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion oder Patienten mit Knochendemineralisation könnte ein Wechsel auf TAF allerdings ratsam sein, ansonsten sind natürlich auch merkantile Interessen zu berücksichtigen, denn Tenofovir wird in Kürze in vielen Ländern den Patentschutz verlieren. Neue therapeutische Ansätze Aus den Tagungen und Kongressen der letzten Jahre lässt sich eine deutliche Entwicklung ablesen, nämlich der Suche nach einer Therapie der Hepatitis B, die eine funktionelle Heilung ermöglicht. Durch verbesserte In-vitro- und In-vivo-Testsysteme sowie die im Jahr 2012 veröffentlichte Identifizierung des HBV-Rezeptors (NTCP) werden zunehmend neue Substanzklassen mit direkter antiviraler Wirkung publiziert sowie weitere, vor allem immunologische, Modulatoren für zukünftige HBV-Therapien. Auf der linken Seite von Abbildung 1 sind die verschiedenen neuen Substanzklassen in Beziehung zum HBV-Replikationszyklus dargestellt, rechts in der Tabelle die Zielstrukturen der Substanzen und ihre augenblickliche klinische Studienphase. Die meisten dieser Therapien zielen auf einen HBsAg-Verlust bei zeitlich limitierter Therapiedauer, was letztlich einer immunologischen Kontrolle der Hepatitis B entspricht, auch ohne Entwicklung von neutralisierenden Anti-HBs-Antikörpern. Die Entwicklung von Anti-HBs-Antikörpern stellt im Rahmen der funktionellen Heilung das ideale Ergebnis dar. Das mittelfristige ultimative Ziel dieser Bemühungen könnte in einer klinischen Anwendung von Kombinationen verschiedener, bislang noch nicht vereinter Wirkstoffklassen zur langfristigen Kontrolle der chronischen Hepatitis B mit HBsAg-Verlust liegen. Langfristig könnte vermutlich erst in einem zweiten Schritt ein ernsthafter Versuch zur Eradikation der viralen Matrize, der nukleären cccDNA, erfolgen. Interessant erscheint derzeit in diesem Zusammenhang, dass keine Einigkeit besteht, wie viel „Heilung“ denn zur Kontrolle der Hepatitis B nötig wäre. Hier ergeben sich noch viele Notwendigkeiten zu weiteren Studien für ein besseres Verständnis (vor allem der immunologischen Aspekte) für die Bekämpfung der chronischen Hepatitis B. Zu den derzeit interessantesten Substanzen zählen sicherlich die direkt antiviral wirkenden Substanzklassen wie Entry-Inhibitoren (5), Nukleokapsidinhibitoren (6), Assembly-Inhibitoren (7) und HBsAg-Release-Inhibitoren (8). Daneben werden auch viele Substanzen untersucht, die gegen Wirtsstrukturen gerichtet sind, wie etwa RNA-Interferenzmoleküle (9-10), TLR-Agonisten, Aktivatoren von Interferonsignalwegen (11), Anti-PD1-Substanzen und therapeutische Vakzine (12). Allerdings wurden nicht zu allen Substanzklassen neue Daten auf der ILC2016 präsentiert. Insgesamt bewegt sich das Feld langsam vorwärts, viele Substanzen sind schon in der klinischen Erprobung an Patienten in Phase-I- und -II-Studien angelangt, zum Teil in Monotherapie und zum Teil bereits in Kombinationen mit NUC oder auch mit Peg-IFN. Praxisrelevanz und Fazit Für die tägliche Praxis erscheint wichtig, dass die derzeitigen Polymerasehemmertherapien mit Entecavir und Tenofovir weiterhin sehr sicher und klinisch wirksam sind – unter Dauertherapie mit diesen Substanzen ist die chronische Hepatitis B ausgezeichnet zu kontrollieren. Resistenzen spielen bei leitliniengerechtem Einsatz der Substanzen keine Rolle mehr, und mit TAF kommt für einige Patienten mit Nieren- oder Knochenaffektionen eine vermutlich noch besser verträgliche Substanz in Kürze auf den Markt. Neue Substanzen mit dem Ziel des HBsAg-Verlusts (funktionelle Heilung, idealerweise mit Entwicklung von Anti-HBV-Antikörpern) in einer limitierten Therapiedauer befinden sich bereits in den ersten klinischen Studienphasen. Allerdings wird die langfristige Sicherheit in der Anwendung dieser Substanzen am Patienten vermutlich noch vor der Wirksamkeit in den nächsten Jahren die entscheidende Rolle spielen, ob einige dieser Substanzen für den Einsatz bei chronischer Hepatitis B in Betracht gezogen werden könnten. Weiterhin zielen die allermeisten direkt antiviralen Substanzen auf eine konsekutive Hochregulation immunologischer Reaktionen bei Therapieende, welche im Einzelnen aber noch nicht genauer charakterisiert und nachweisbar sind. Daher wird es vermutlich bis zum Einsatz einiger dieser neuen, sehr interessanten Substanzen noch einige Jahre dauern. Literatur: Chung KS et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S163 (PS055). Boyd A et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S161 (PS051). Buti M et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S135 (GS06). Petersen J. J Hepatol. 2015; 62: 505–507. Blank A et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S163 (PS054). Bassit L et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S162 (PS050). Yuen M-F et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S210 (LBO6). Bazinet M et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S584 (FRI-105). Yuen M-F et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S390 (THU-193). Michler T et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S148 (PS026). Korolowicz K et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S601 (FRI-143). Corti D et al. J Hepatol. 2016; 64(Suppl 2): S510 (FRI-219). Daten, Ergebnisse und Kommentare zu den genannten Quellen (1-12) werden auf der Homepage der Hepatitis Akademie unter EASL 2016: Virologie, antivirale Resistenz und neue therapeutische Ansätze bei der Hepatitis B ausführlich vorgestellt. Mehr Beiträge vom EASL-Kongress 2016 finden sie in unserem Kongressdossier. Weitere Informationen Mehr zum Thema finden Sie auch unter www.hepatitis-akademie.de. Auf www.hepatitis-akademie.de finden Sie darüber hinaus weitere Beiträge der Hepatitis Akademie zu anderen hepatologischen Themen von der EASL2016 und früheren Kongressen, teilweise auch als eBook verfügbar. Alle Angebote sind kostenfrei.

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