Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat vier Jahre nach dem letzten Update ihre Leitlinien zum Management bei Herzinsuffizienz erneut aktualisiert. Neuerungen sind unter anderen die Aufnahme einer neuen Pharmakotherapie (Valsartan/Sacubitril) und die Einführung einer modifizierten Klassifikation.
Die ESC hat ihre diesjährige Tagung „Heart Failure 2016“ in Florenz genutzt, um ihre gemeinsam mit der Heart Failure Association (HFA) überarbeiteten Leitlinien zur akuten und chronischen Herzinsuffizienz der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Publikation erfolgt simultan im European Heart Journal.
Zur selben Zeit veröffentlichten auch die kardiologischen Fachgesellschaften ACC und AHA in den USA einen Teil ihrer aktualisierten Guidelines in Form eines „Focused Update“, das sich zunächst ausschließlich mit der veränderten Pharmakotherapie bei Herzinsuffizienz befasst. Beide Updates erfolgten diesmal in enger Abstimmung der Leitlinien-Komitees in Europa und den USA. Dennoch sind unterschiedliche Nuancen zu erkennen.
Jetzt gibt es auch eine „Mittelklasse“
Schon bisher kannte man die Unterscheidung zwischen systolischer und diastolischer Herzinsuffizienz. Die systolische Herzinsuffizienz (Heart Failure with reduced Ejection Fraction oder HFrEF) ist durch eine typische Symptomatik in Kombination mit einer deutlich erniedrigten Auswurffraktion charakterisiert. Eine diastolische Herzinsuffizienz (Heart Failure with preserved Ejection Fraction oder HFpEF) besteht dann, wenn bei entsprechender Symptomatik die Auswurffraktion ≥ 50 % ist, die natriuretischen Peptide erhöht sind und zusätzlich echokardiografische Hinweise auf eine diastolische Dysfunktion vorliegen.
Diese Differenzierung reicht zumindest den europäischen Leitlinien-Verfassern offensichtlich nicht mehr. Sie haben sich für Patienten, deren Auswurffraktion in dem Bereich zwischen 40 und 49 % liegt, eine neue Klassifizierung einfallen lassen. Bei ihnen liegt gemäß neuer Einteilung eine „Mittelklasse“ der Herzinsuffizienz (Heart Failure mid-range Ejection Fraction oder HFmrEF) vor – vorausgesetzt, dass ebenso wie bei HFpEF die natriuretischen Peptide erhöht und echokardiografisch strukturelle oder funktionelle Störungen des linken Ventrikels objektivierbar sind.
Die so definierte Klasse soll bei 10 bis 20 % aller Patienten mit Herzinsuffizienz vorliegen. Bislang habe Unsicherheit bestanden, ob die Behandlung dieser Patienten eher der bei HFrEf oder der bei HFpEF entsprechen sollte, argumentieren die Leitlinien-Autoren.
Wie sinnvoll ist die neue Klasse?
Sind aber Unsicherheit und mangelnde Kenntnis allein schon ein ausreichendes Klassifizierungsmerkmal? Der Nutzen der neuen „Mittelklasse“ für die Praxis dürfte sich vielen wohl nicht so leicht erschließen.
Begründet wird ihre Einführung vor allem damit, der Forschung „einen starken Impuls“ zu verleihen. Allerdings könnte die Gefahr bestehen, dass sie, statt Forscher zu beflügeln, eher für Verwirrung sorgen wird. Dringender Forschungsbedarf lässt sich genauso gut mit Blick auf HFpEF reklamieren, wo es ebenso an evidenzbasierten Therapien mit prognostischem Nutzen nach wie vor mangelt. Vielleicht wäre es logischer, erst einmal intensiver zu forschen, um dann auf der Grundlage gewonnener Erkenntnisse besser entscheiden zu können, ob die Abgrenzung einer neuen Krankheitsentität bei Herzinsuffizienz sinnvoll ist oder nicht.
ARNI als neuer „shooting star“
Als 2012 die jetzt überarbeiteten Herzinsuffizienz- Leitlinien erschienen, waren Begriffe wie LCZ696 oder Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) nur wenigen Experten geläufig. Dass es sich dabei um eine duale wirksame Kombination aus dem AT1-Rezeptorblocker Valsartan und dem Neprilysin-Hemmer Sacubitril in einer Tablette handelt (Warenzeichen: Entresto), ist breiteren Kreisen erst mit den Ergebnissen der PARADIGM-HF-Studie bekannt geworden.
Sie belegen, dass der duale Therapieansatz mit Sacubitril/Valsartan der ACE-Hemmung mit Enalapril bei symptomatischen Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien II–IV, überwiegend Stadium II) und linksventrikulärer Dysfunktion (Auswurffraktion < 35 %) sowie erhöhten BNP-Werten in puncto Reduktion von Morbidität und Mortalität klar überlegen ist.
Basismedikation bleibt die gleiche
Die Transformation der PARADIGM-HF-Ergebnisse in Empfehlungen für die Praxis ist die wichtigste Neuerung in den aktualisierten ESC-Leitlinien. Bei der Einordnung von Sacubitril/Valsartan in den Therapiealgorithmus hat man sich relativ eng an die Vorgaben durch die Einschlusskriterien dieser Studie gehalten.
Grundpfeiler jeder Pharmakotherapie bei HFrEF bleiben demnach auch künftig ACE-Hemmer (bei Unverträglichkeit: AT1-Rezeptorblocker) und Betablocker. Bei weiterhin bestehenden Symptomen soll dann ein Mineralkortikoid-Rezeptorantagonist (MRA) wie Spironolacton oder Eplerenon als dritter neurohumoraler Wirkansatz dem Therapieregime hinzugefügt worden.
Wenn Symptome auch unter dieser Dreier-Kombination persistieren, rückt auf der nächsten Stufe bei Patienten mit einer Auswurffraktion unter 35 % nun die ARNI-Therapie in den Blickpunkt: Mit höchstem Empfehlungsgrad (Klasse I) sehen die neuen Leitlinien in diesem Fall den Austausch eines ACE-Hemmers/AT1-Blockers gegen eine Therapie mit Sacubitril/Valsartan vor. Damit berücksichtigten die neuen ESC-Leitlinien, dass in der PARADIGM-HF-Studie alle mit Sacubitril/Valsartan behandelten Patienten zuvor einen ACE-Hemmer vertragen haben mussten.
US-Leitlinien schon weitreichender
Im Vergleich dazu geht die im zeitgleich publizierten Update der US-Leitlinien gegebene Empfehlung schon einen Schritt weiter: Dort wird die klinische Strategie der RAAS-Blockade mit einem ACE-Hemmer oder einem AT1-Rezeptorblocker oder einem ARNI mit Klasse-I-Status zur Reduktion von Morbidität und Mortalität bei Patienten mit HFrEF empfohlen, die gleichzeitig einen Betablocker und einen MRA erhalten. Damit ist die ARNI-Therapie neben ACE-Hemmern und AT1-Blockern quasi in den Rang einer First-Line-Option erhoben worden – auch wenn dies nicht explizit so ausgesprochen wird.
Ein gradueller Unterschied wird noch – ebenso wie in den ESC-Leitlinien – beim Evidenzgrad gemacht, der im Fall von ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorblockern mit „A“ (Daten aus mehreren klinischen randomisierten Studien oder Metaanalysen) und im Fall von Sacubitril/Valsartan mit „B“ (Daten aus nur einer randomisierten Studie) bewertet wird.
Wann CRT, wann Ivabradin?
Auf gleicher Studie mit der ARNI-Therapie stehen in den neuen ESC-Guideline noch zwei weitere Therapieoptionen, die bei Vorliegen adäquater Indikationskriterien genutzt werden können.
Das ist zum einen die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) durch biventrikuläre Schrittmacherstimulation. Empfohlen wird ein CRT-Device für Patienten mit einer Auswurffraktion ≤ 35 % und einer QRS-Dauer ≥ 130 ms und Linksschenkelblock, wenn trotz optimaler medikamentöser Therapie noch Symptome bestehen. Eine QRS-Dauer < 130 ms gilt nach den negativen Ergebnissen der EchoCRT-Studie jetzt als Kontraindikation für eine CRT.
Wenn bei Patienten mit Sinusrhythmus unter einer Betablocker-Therapie in optimaler oder maximal verträglicher Dosierung die Ruheherzfrequenz weiter ≥ 70 Schläge/min beträgt oder der Betablocker nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist, empfehlen die Leitlinien die additive Gabe des If-Kanal-Blockers Ivabradin (Empfehlungsgrad IIa). Die Basistherapie sollte wenn möglich immer einen ACE-Hemmer/AT1-Rezeptorblocker und einen MRA enthalten.