Die seit langem geführte Diskussion über die kardiovaskulären Folgen einer Testosteron-Ersatztherapie wird durch zwei aktuelle Studien erneut befeuert – und wegen widersprüchlicher Ergebnisse mit Sicherheit auch diesmal nicht zu einem Ende gebracht.
Die Studienlage zu den kardiovaskulären Effekten einer Testosteron-Behandlung ist ebenso widersprüchlich wie die darauf gründende Positionierung der großen Arzneimittelbehörden. In Europa sieht die EMA bei der Testosteron-Ersatztherapie „keine einheitlichen Anhaltspunkte für ein erhöhtes Risiko für Herzprobleme". In den USA verfügte die FDA dagegen im Jahr 2015, dass in die Fachinformation von Testosteron-Präparaten auch Warnhinweise auf mögliche kardiale Risiken gehören.
Einig ist man sich in der Forderung nach weiteren Studien von möglichst hoher methodischer Qualität, um an zuverlässige Informationen zur Wirksamkeit und Sicherheit der TRT vor allem bei Männern beim altersbedingt erniedrigten Testosteronspiegeln (Hypogonadismus) zu gelangen.
Das „Testosterone Trials“-Projekt
Dieser Forderung ist man in den USA in einem von den National Institutes of Health (NIH) unterstützen Studienprojekt (Testosterone Trials oder TTrials) nachgekommen. Es besteht aus sieben randomisierten placebokontrollierten Studien, an denen jeweils Männer im Alter über 65 Jahre teilnahmen. Alle hatten erniedrige Testosteron-Blutspiegel, wofür als Erklärung augenscheinlich primär ihr Alter infrage kam. Sie erhielten jeweils ein Jahr lang eine transdermale Behandlung mit einem Testosteron- oder Placebo-Gel.
Maßstäbe für die Beurteilung der Wirksamkeit waren sieben unterschiedliche Studienendpunkte (Sexualfunktion, körperliche Funktion, Vitalität, Kognition, Anämie, Knochenstatus und die kardiovaskuläre Gesundheit). Wer gehofft hat, dass sich die Testosteron-Therapie diesbezüglich als „Jungbrunnen“ für alternde Männer mit Hypogonadismus erweisen würde, wird durch ernüchternde Ergebnisse enttäuscht.
Gemischte Ergebnisse
Positiv ist immerhin zu vermerken, dass es vorübergehend zu einer mäßigen Verbesserung der Sexualfunktion kam, dass bei Männern mit Anämie die Hämoglobin-Spiegel erhöht wurden und dass eine Zunahme der Knochendichte und geschätzten Knochenstärke vor allem in Wirbelkörpern und trabekulären Knochen zu beobachten war. Mit Blick auf die Endpunkte körperliche Funktion, Vitalität sowie Gedächtnis und kognitive Funktion ergaben sich hingegen keine relevanten Unterschiede im Vergleich zu Placebo.
Vier TTrials sind aktuell in den US-Fachjournalen JAMA und JAMA Internal Medicine veröffentlicht worden. Darunter ist auch die Studie zum Einfluss einer Testosteron-Ersatztherapie auf das kardiovaskuläre Risiko. Zusätzlich haben die JAMA-Herausgeber noch eine nicht zum TTrials-Programm zählende Beobachtungsstudie mit aufgenommen, in der es ebenfalls um die Testosteron-Ersatztherapie unter kardiovaskulärem Aspekt ging.
Diskrepante Ergebnisse zu kardiovaskulären Effekten
Die Ergebnisse der beiden kardiovaskulären Studien sind nur schwer in Einklang zu bringen. In der placebokontrollierten Studie aus dem TTrials-Projekt wurde bei 138 Männer primär danach geschaut, welchen Einfluss die Testosteron-Substitution auf die Progression der Atherosklerose hatte. Parameter dafür war die Veränderung des „nicht kalzifizierten koronaren Plaque-Volumens“.
In der mit dem Testosteron-Gel behandelten Gruppe wurde im Vergleich zur Placebo-Gruppe innerhalb eines Jahres eine signifikante Zunahme des entsprechenden Plaque-Volumens als Zeichen für eine beschleunigte Atherosklerose-Entwicklung beobachtet. Bei den Kalkscore-Messungen war hingegen kein Unterschied zwischen beiden Gruppen auszumachen.
In der retrospektiven Beobachtungsstudie sind die Daten von 8808 Männern im Alter über 40 Jahre, die jemals in ihrem Leben ein Rezept für ein Testosteron-Präparat erhalten hatten, mit den Daten von rund 35.000 Männer, denen nie ein solches Rezept ausgestellt worden war, verglichen worden. Die Verordnung von Testosteron-Präparaten war im Vergleich zur Nicht-Verordnung mit einem relativ um 33% niedrigeren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert.
Studienlage bleibt unbefriedigend
So weit, so widersprüchlich. An der unbefriedigenden Studienlage änderte sich durch beide Studien somit nichts. Die placebokontrollierte Studie erfüllt zwar höhere methodische Ansprüche, erlaubt aber nur eine Beurteilung anhand eines Surrogatparameters. Darüber, welche klinischen Konsequenzen die dokumentierte Zunahme des Plaque-Volumens hat, lässt sich nur spekulieren.
Die zweite Studie verlängert die eh schon langen Liste retrospektiver Beobachtungsstudien zur Frage der kardiovaskulären Effekte von Testosteron. Bei allen besteht aufgrund der fehlenden Randomisierung die Gefahr, dass in den Ergebnissen wegen unerkannter Einflussfaktoren eine Schieflage zum Ausdruck kommt. Kausale Beziehungen lassen sich damit nicht objektivieren.
Etwas ändern an der unbefriedigenden Situation könnten nur große angelegte prospektive randomisierte Studien mit „harten“ Endpunkten in Form von kardiovaskulären Ereignissen. Dass Hersteller von Testosteron-Präparaten sich zur Realisierung eines solchen Großprojekts der klinischen Herzforschung entschließen, ist eher unwahrscheinlich. Und ob öffentliche Sponsoren sich in Anbetracht der bisherigen Ergebnisse dazu animiert fühlen, bleibt abzuwarten.