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07.08.2020 | Kardiologie | Nachrichten

Toxische Wechselwirkung? Frau klagt nach jahrelanger Statintherapie über Muskelschmerzen

verfasst von: Veronika Schlimpert

Eine 76-jährige Frau leidet plötzlich an schweren Muskelschmerzen, obwohl sie ihre Statintherapie bisher Jahre lang gut vertragen hatte. Die Ärzte vermuten als Ursache eine toxische Medikamentenwechselwirkung – von der man bisher noch nichts wusste.

Bereits seit fünf Jahren nimmt die heute 76-jährige Frau Rosuvastatin in einer 40 mg-Dosis ein, bisher hatte die von den Philippinen stammende Frau nie damit Probleme gehabt. Sie leidet an einer KHK, chronischen Niereninsuffizienz (Stadium 3B) und einem Typ-2-Diabetes.

Frau nimmt schon seit 5 Jahren Statine ein

Doch auf einmal beginnen ihre Oberschenkel zu schmerzen, sie hat Schwierigkeiten beim Gehen und fühlt sich schwach. Nachdem sich die Beschwerden in den nächsten Tagen sogar noch verschlimmerten und Schmerzen in der oberen Extremität hinzukamen, sucht sie ein Krankenhaus auf.

Bei der körperlichen Untersuchung stellen die behandelten Ärzte um Dr. Eugene Brailovski von der Universität Toronto, die über den Fall im „Annals of Internal Medicine“ berichten, eine stark ausgeprägte proximale Muskelschwäche fest.

Doch plötzlich kommt es zu Nebenwirkungen

Die Laborbefunde ergeben einen deutlich erhöhten Kreatinkinase-Wert von 221,48 µkat/L (13.262 U/L) – ein klares Indiz für eine Muskelschädigung. Die Ärzte gehen von einer Rhabdomyolyse aus, die Leberwerte sind deutlich erhöht (Alanin-Aminotransferase: 1.017 U/L, Aspartat-Aminotransferase: 1.126 U/L und Bilirubin: 6 µmol/L [8,4 µg/dl]). Ebenfalls über den Normwert liegen der TSH-Wert und die Kreatinin-Konzentrationen. Ansonsten sind die Werte unauffällig, antinukleäre Antikörper etwa lassen sich nicht nachweisbar.  

Die Ärzte stellen allerdings fest, dass die Plasmakonzentrationen von Rosuvastatin mit 176 ng/ml mehr als 15-mal höher sind, als man es bei Patienten mit einer 40 mg-Dosistherapie erwarten würde. Die Rhabdomyolyse ist somit wahrscheinlich auf die extrem erhöhten Statin-Plasmaspiegel zurückzuführen.

Warum sind die Statin-Plasmaspiegel auf einmal so hoch?

Doch warum kommt es Jahre nach Therapiebeginn plötzlich zu derart hohen Rosuvastatin-Spiegel? Die behandelten Ärzte gehen auf Ursachensuche: Gibt es etwas, was sich in letzter Zeit bei der Patientin verändert hat?

Eine Angabe der Patientin macht sie stutzig: Die Frau hat vor gut zwei Wochen eine SGTL2-Inhibitor-Therapie mit Canagliflozin 100 mg täglich begonnen. Ansonsten hatte sich an ihrer Medikation (Bisoprolol, ASS, Metformin, L-Thyroxin, Risedronat) nichts geändert.

Brailovski und ihre Team veranlassen eine Genanalyse, um zu prüfen, ob die Frau womöglich eine Veranlagung für Statin-induzierte Nebenwirkungen hat. Menschen, die beispielsweise bestimmte Varianten des SLCO1B1-Allels aufweisen, neigen aufgrund veränderter Aktivitäten dieses Anionen-Transporters zu erhöhten Statin-Plasmaspiegeln und Statin-induzierten Myopathien. Diese Genvariante findet sich bei der Frau nicht. Die Patientin weist allerdings heterozygot einen Polymorphismus im ABCG2-Gen auf, welches für den Effluxtransporter BCRP (breast cancer resistance protein) kodiert.

Diese Medikamentenwechselwirkung war bisher nicht bekannt

Die kanadischen Ärzte haben einen Verdacht: Dieser BCRP-Transporter interagiert experimentellen Studien zufolge sowohl mit Rosuvastatin als auch mit Canagliflozin. So vermindert der Transporter die intestinale Absorption des Statins und begünstigt gleichzeitig dessen biliäre und renale Ausscheidung, führt also letztlich zu geringeren Plasmaspiegeln des Medikaments. Canagliflozin wiederum scheint eine hemmende Wirkung auf die Aktivität des Transporters zu haben.

Die gleichzeitige Einnahme beider Medikamente, so vermuten Brailovski und Kollegen, könnte bei dieser Patientin, die ja einen bestimmtem BCRP-Polymorphismus (c421 C˃A) aufweist, eine Akkumulation von Rosuvastatin verursacht haben, da das Statin wegen der verstärkten BCRP-Inhibition vermehrt absorbiert und in geringem Ausmaße eliminiert worden ist.

Die Ärzte stoppen die Behandlung mit Rosuvastatin und Canagliflozin und verabreichen der Patientin eine kristalloide Infusionslösung. Die Muskelschmerzen lassen in der Folge kontinuierlich nach und die Patientin kommt wieder zu Kräften. Nach einem zehntägigen Krankenhausaufenthalt kann die Frau mit fast vollständiger Normalisierung ihrer Laborwerte entlassen werden.   

Bisher nur ein Einzelfall

„Unseres Wissens ist dies der erste publizierte Bericht von einer aufgetretenen Wechselwirkung zwischen Rosuvastatin und Canagliflozin“, ordnen sie ihre Beobachtung ein. Obwohl nur ein Einzelfall, halten es die kanadischen Ärzte für wichtig, sich dieser möglichen Wechselwirkung bewusst zu sein. Diese Medikamente würden millionenfach verschrieben und zunehmend gemeinsam verordnet, begründen sie ihre Vorsicht. So empfiehlt die US-amerikanischen Kardiologie-Gesellschaft ACC mittlerweile SGLT2-Hemmer bei Patienten mit Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen in die Behandlung mit einzubeziehen.

Anderen Ärzten raten Brailovski und Kollegen auf Anzeichen einer Myotoxizität zu achten, falls Canagliflozin und Rosuvastatin gemeinsam verschrieben werden.

Da es sich bis jetzt offensichtlich um einen Einzelfall handelt, ist die Inzidenz dieser potenziellen Medikamentenwechselwirkung bisher völlig unklar, und es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sie im Praxisalltag überhaupt eine Rolle spielt.

Literatur

Brailovski E et al. Rosuvastatin Myotoxicity After Starting Canagliflozin Treatment: A Case Report. Annals of Internal Medicine 2020; DOI: 10.7326/L20-0549

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