Einleitung
Öffentlich zugängliche Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs (im Folgenden: DSKM)
1 und deren Konsum haben seit Beginn der 1990er-Jahre mit der zunehmenden Etablierung des Internets und der zugrunde liegenden digitalen Speicher- und Kommunikationstechnologie deutlich zugenommen (Knack et al.
2020; Merdian
2012; Schell et al.
2007; Webb et al.
2007; Seto
2013). Laut Bundeskriminalamt (
2022) ist die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Darstellungen in Deutschland von 18.761 im Jahr 2020 auf 39.171 im Folgejahr angestiegen. Bei solchen statistischen Erhebungen wird jedoch weder differenziert, um welche Art von DSKM (Bilder, Videos) es sich handelt, noch über welche Kanäle diese Darstellungen konsumiert wurden (Internet-Messenger-Dienste und Chatgruppen im allgemein zugänglichen Clearnet vs. soziale Netzwerke im durch die Nutzer*innen abgeschirmten Darknet). Nachweislich spielt das Darknet eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von DSKM (Gannon et al.
2023).
Mit einer Gesetzesänderung im Juli 2021 wurden in Deutschland die Strafhöhen für Handlungen, die im Zusammenhang mit „Kinderpornografie“ (§ 184b StGB) stehen, deutlich angehoben. Es wird bei der Bestimmung des Strafmaßes unterschieden zwischen
tatsächlichem oder wirklichkeitsnahem Geschehen2 einerseits (§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4, Abs. 2, Abs. 3) und
fiktivem, nichtwirklichkeitsnahem Geschehen andererseits (§ 184b Abs. 1 S. 2). Bei der ersten Variante sind Inhalte gemeint, in denen ein explizit erkennbarer Bezug zu einer realen Person, also zu dem sexuell missbrauchten bzw. sexualisierten Kind, vorhanden ist oder jedenfalls mit bloßem Auge kein davon unterscheidbarer Inhalt vorliegt. Es geht um bildbasiertes Material (insbesondere in Form von Fotos und Videos) bzw. um authentische Tonaufnahmen. Deren Herstellung, Weitergabe oder Veröffentlichung wird mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und 10 Jahren geahndet (§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1–4). Die anderen, in dem Paragrafen angesprochenen Fälle von Kinderpornografie betreffen die „Fiktivpornografie“, also Inhalte, bei denen erkennbar kein expliziter Wirklichkeitsbezug vorliegt. Darunter fallen etwa pornografische Zeichnungen oder Texte wie Gedichte oder Romane (Eisele
2014). Bei diesen wirklichkeitsfernen Inhalten macht sich gemäß § 184b Abs. 1 S. 2 strafbar, wer solche Inhalte verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht bzw. sie in Veröffentlichungs- oder Weitergabeabsicht herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese ein- oder auszuführen. Entsprechende in Umlauf gebrachte fiktivpornografische DSKM wie Zeichentrickfilme, Comics oder Texte können mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren geahndet werden. Dass in jenen Fällen ein geringeres Strafmaß im Vergleich zu den expliziten Bild- und Tonaufnahmen festgelegt wurde, scheint intuitiv plausibel. Denn eine konkrete Schädigung eines Kindes ist nicht zwingend gegeben. Jene Inhalte könnten reine Fantasieprodukte sein.
Innerhalb Europas divergiert die Strafbarkeit des Konsums von DSKM. Am 25.10.2007 unterzeichnete der Europarat jedoch ein Übereinkommen „zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“. Entsprechend dieser Lanzarote-Konvention gelten bildliche Darstellungen als Kinderpornografie, wenn sie zum Inhalt haben, dass ein Kind an realen oder simulierten sexuellen Handlungen beteiligt ist oder Geschlechtsorgane eines Kindes zu primär sexuellen Zwecken gezeigt werden (Europarat
2007). Diese Vereinbarung bezieht sich aufgrund der gewählten Formulierung der „bildlichen Darstellung“ nur auf visuelle Darstellungsformen (reale sowie fiktive Bilder von sexuellem Missbrauch an Kindern). Demzufolge sind Ton- und Schriftdarstellungen mit denselben Inhalten von einer Strafverfolgung ausgeschlossen. Doch worauf gründet sich die juristische Unterscheidung zwischen bild- und tonbasierten Darstellungsformaten sexualisierter Gewalt an Kindern einerseits und entsprechenden Texten andererseits? Aufschlussreich ist eine Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs vom 19.03.2013 (1 StR 8/13). In dem vorliegenden Fall hatte der Angeklagte den sexuellen Missbrauch an einem Kind in einer Mail an einen Bekannten schriftlich geschildert, ohne jedoch Bilder, Film- oder Tonmaterial mitzusenden. Laut Einschätzung des Gerichts bestehe „die erhöhte Gefährlichkeit bildlicher oder videografischer Darstellungen sowie authentischer Tonaufnahmen“ darin, „dass dem Betrachter das Missbrauchsgeschehen unmittelbar ‚vor Augen geführt‘ wird“. Begründet wird diese Einschätzung wie folgt: „Der von ihnen bei Menschen mit entsprechender Neigung ausgelöste Reiz, solches Geschehen selbst mit Kindern zu wiederholen, dürfte in der Regel schon wegen des unmittelbaren Eindrucks auf den Konsumenten ungleich stärker sein als bei Beschreibungen, Trickfilmen oder Erzählungen, die, selbst wenn sie auf ein wirkliches Geschehen Bezug nehmen, dieses für den Leser, Betrachter oder Zuhörer stets nur mittelbar wiedergeben können.“ Für die in dieser Urteilsbegründung getroffene und mit der Konjunktivform „dürfte“ eingekleidete Vermutungsäußerung über die Beeinflussbarkeit von Konsumenten*innen kinderpornografischer Inhalte wird keine empirisch fundierte Begründung gegeben.
Dieser juristischen Einschätzung widersprechen empirische Erkenntnisse von Seto und Eke (
2017). Sie konnten in ihrer Untersuchung von 286 Straftätern, die wegen des Konsums von DSKM verurteilt wurden, zeigen, dass der Besitz von textbasierten DSKM in 31 % der untersuchten Fälle vorkam und ein Korrelat des selbstberichteten sexuellen Interesses an Kindern war. Vorhergehende Studien im Rahmen der Entwicklung eines kriminalprognostischen Fremdbeurteilungsverfahrens für DSKM-Straftaten zeigten, dass selbstberichtetes sexuelles Interesse an Kindern ein Risikofaktor für sexuelle Rückfälligkeit ist (Seto und Eke
2015). In einer qualitativen Studie befragten Crookes et al. (
2017) Expert*Innen (
n = 11; z. B. Therapeut*Innen) und DSKM-Täter (
n = 11) zur Bedeutung von textbasierten DSKM. Aus beiden Gruppen gab es Hinweise, dass textbasierte (fiktivpornografische) DSKM schädlicher sein könnten als tatsächliches Geschehen abbildende DSKM, da sie „kognitive Verzerrungen“ verstärkten und deviante Fantasien generierten.
Momentan gibt es keine allgemeingültige internationale Definition der Strafbarkeit des Konsums von DSKM. Es wurden jedoch Skalen entwickelt, die bei der Einstufung von entsprechenden Darstellungen helfen sollen. Häufig wird die COPINE-Skala (Combating Paedophile Information Networks in Europa) verwendet (Taylor et al.
2001). Mit den Stufen 1 bis 3 dieser Skala werden nichtsexualisierte Bilder, Nacktaufnahmen, „Erotika“ erfasst, die in Deutschland strafrechtlich nicht relevant sind. Die Stufen 4 bis 6 (Formen des reinen „Posing“) betreffen seit Umsetzung der Vorgaben der Lanzarote-Konvention strafbares Verhalten (Eisele
2014). Mit den Stufen 7 bis 10 der COPINE-Skala werden klare Fälle von DSKM erfasst, insbesondere abgebildete sexuelle Handlungen, Übergriffe, sadistische oder zoophile Handlungen. Fortin und Proulx (
2019) untersuchten die DSKM-Sammlungen von 59 überführten Straftätern im Hinblick auf das Alter der hier dargestellten Kinder und den Schweregrad der Handlungen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Durchschnittalter der Kinder bei 9,9 Jahren und der durchschnittliche COPINE-Wert bei 5 lagen. Tejeiro et al. (
2020) werteten 729 DSKM inhaltsanalytisch aus und konnten zeigen, dass in ihrer Stichprobe das durchschnittliche Alter der Kinder bei 9,5 Jahren lag und der Großteil der DSKM erotisches Posieren in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung enthielt. Explizite Darstellungen von physischer Aggression und Erniedrigung waren gemäß den Autoren sehr selten. Auch zeigten wenige Abbildungen vermeintliche Zuneigung („pseudo-affection“). Nach Kenntnis der Autor*innen des vorliegenden Beitrags sind mit der COPINE-Skala bislang noch keine textbasierten DSKM untersucht worden.
Ergebnisse
Prototypische Storys
Die untersuchten Storys des „Girl-Lover“-Forums unterscheiden sich in ihrem Umfang. Sie reichen von knapp gehaltenen Kurzgeschichten mit ca. 200 Wörtern bis zu längeren Prosatexten mit einem strengen Handlungsverlauf und einem Umfang von ca. 3000 Wörtern. Im Folgenden werden 3 prototypische Plots deskriptiv dargestellt, um eine erste Orientierung über die in den Storys dargestellten Themen zu erlangen.
In einer weiteren Episode der Story führen sich beide Mädchen – nun nackt – Gegenstände vaginal ein und reden dabei über Herrn Meinerts Genital. Nach der nächsten Trainingsstunde werden sie von Herrn Meinert nach Hause gefahren und geküsst.
Bei den 3 Storys handelt es sich insofern um prototypische Geschichten, als sie die gesamte Spannbreite von identifizierbaren Plot-Varianten in dem untersuchten „Girl-Lover“-Forum verdeutlichen. Diese Spannbreite reicht von nichtsexualisierten Darstellungen von Nacktheit bis hin zum massiven sexuellen Missbrauch, einschließlich physischer Gewaltanwendung sowie Zoophilie.
Sexualisierte Apperzeptionen der Autor*innen in den Darknet-Storys
In allen 14 untersuchten Storys kommen Kinder als zentrale Figuren vor, die in einem Zusammenhang mit sexuellen Handlungen gestellt werden, häufig markiert mit dem Adjektiv „young“/„jung“. Insofern ist im Datenmaterial dokumentiert, dass mit den Texten bevorzugt Personen mit pädophilen Neigungen adressiert wurden. Dieser Befund lässt sich noch weiter präzisieren. Die von den Verfasser*innen gewählte Altersspanne für die Kinder liegt zwischen 5 und 13 Jahren, wobei die meisten Kinder als 10-Jährige eingeführt werden. Nur 2 der in den von uns untersuchten Storys vorkommenden insgesamt 18 Kinder sind männlich, alle anderen weiblich. Diese Geschlechtspräferenz ist freilich in einem „Girl-Lover“-Forum erwartbar.
Die Fülle von Passagen mit sexualisiertem Verhalten – insgesamt werden über 400-mal sexuelle Handlungen explizit thematisiert – ist bereits ein eindeutiger Beleg dafür, dass es sich bei den im Stil literarischer Texte verfassten und im Darknet verbreiteten Storys um DSKM mit einem hohen Sexualisierungsgrad handelt. Im Folgenden soll diese Gesamteinschätzung mit einer detaillierten inhaltlichen und formal-textlichen Analyse unterfüttert werden.
Häufig (90-mal) fällt in den „Girl-Lover“-Storys der Begriff „fuck“, und es werden verschiedene penetrative und nichtpenetrative Praktiken zwischen Kindern, zwischen Kind und Erwachsenem oder Kindern mit Sexspielzeug beschrieben. Diese reichen vom „handjob“ und „blowjob“ über „anal“ und „vaginal sex“. Für einige Verfasser*innen ist es offenbar bedeutsam, dass ein Kind mit dem Sperma oder Präejakulat eines Mannes bzw. eines pubertären Jungen in Berührung kommt. Besonders eindrücklich zeigt sich an den entsprechenden expliziten Beschreibungen, dass das Klischee der externen Ejakulation aus der Erwachsenenpornografie („Abspritzens“) bedient wird. Die Rede ist von „started to lick it off of my stomach, even slurping up some of the bigger pool“ (St. 2) und „swallow your semen“ (ebd.) und „my spunk was in her mouth“ (St. 8).
Nicht nur die Wiedergabe sexueller Handlungen ist in Deutschland nach dem Gesetz strafbar. Auch dargestellte aufreizende unbekleidete Genitalien oder ein Gesäß von einem Kind erfüllen laut § 184b, (1) 1 b, c StGB den Tatbestand der Kinderpornografie. Entsprechende, mittels Wörter indizierte Inhalte lassen sich in fast allen der analysierten Storys finden. In 12 von ihnen wird das weibliche Geschlechtsteil insgesamt über 300-mal genannt – wahlweise als „Scheide“, „vulva“, „vagina“, aber ebenso mittels vulgärsprachlicher Ausdrücke wie „cunt“, „twat“ oder „naughty parts“. Selbst die männlichen Geschlechtsteile (Penis, Hoden) finden in den „Girl-Lover“-Storys 50-mal Erwähnung. Von Bedeutung scheinen für die Verfasser*innen auch der Po und der Anus zu sein. Über 150-mal ist von ihnen die Rede. Hierbei gibt es, ähnlich wie bei der Nennung des weiblichen Geschlechtsteils, eine Vielfalt von Synonymen, von „anus“, „ass“; „butt“, über „poop-hole“, „crack“ oder „bum“.
Werden Kleidungsstücke von Kindern beschrieben, ist eine sexuelle Konnotation nicht zu übersehen. Meistens geht es um Unterwäsche und in den anderen Fällen um Schwimmbekleidung. Exemplarisch für die Fokussierung auf diese dünnen Hüllen aus Stoff und Gummi ist die Beschreibung in Story 10 der „skimpiest little shorts“ und eines „pink spandex halter top (…) just a thin strip of pink elastic“. Die hier verwendeten Formulierungen können bei den Rezipient*innen suggerieren, dass entsprechende leichte Bekleidungen von dem Kind sogar bewusst getragen würden, um Männer zu erregen.
Bei den in diesem Abschnitt identifizierten kindbezogenen Anreizen und Handlungen, die in den 14 untersuchten Storys des „Girl-Lover“-Forums bevorzugt dargestellt wurden, wird deutlich, dass sie auf die Erregung sexueller Reize angelegt sind. Im Datenmaterial dokumentiert sind ein überwiegend vergröbernd-reißerische Charakter und eine erotisch-sexualisierte Aufladung.
Verzerrte Darstellungen von kindlichen Intentionen, Empfindungen und körperlichen Reaktionen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch
Neben explizit dargestellten kinderpornografischen Inhalten, die von kindlichen Körperreizen bis zu sexuellen Handlungen von und an Kindern reichen, enthalten die Storys aus dem „Girl-Lover“-Forum vielfach Mutmaßungen der Verfasser*innen darüber, wie Kinder diese sexuellen Handlungen erleben. Hierbei sind gravierende verzerrte Darstellungen unübersehbar. Die typischen verzerrten Darstellungen werden im Folgenden aufgeführt. Es handelt sich um Mutmaßungen über a) das sexuelle Interesse von Kindern, b) einvernehmliche sexuelle Kontakte, c) die romantische Verbundenheit, d) die sexuelle Objektifizierung und e) körperliche Reaktionen des Kindes.
Wie bedeutsam die Vorstellung, Kinder hätten ein großes Interesse an Sex mit Erwachsenen, für die Verfasser*innen tatsächlich ist, lässt sich bereits daran ablesen, dass in allen 14 Storys das Kind mindestens einmal eine sexuell konnotierte Handlung initiiert, die vom Flirten bis zum Geschlechtsverkehr reicht. Diese Handlungsinitiierung wird vielfach sogar als eine vorsätzliche Verführung des Mannes dargestellt – wahlweise, indem der Mann geneckt werde (St. 1; 2; 4) oder mit einem „eindeutigen Bilck [sic]“ bzw., indem Kinder „das ja mehrfach provoziert“ (St. 13) hätten. Nicht selten erfolgt eine Fremdattribution, nach der das Kind die sexuellen Aktivitäten mit dem Erwachsenen kontrolliere bzw. einfordere – exemplarisch in St. 2: „So far she was the one in control of our sexual encounters“ und „Often, I approached him and initiated the sex“.
Indem dem Kind die Kontrolle und Vorsatz zum Sex zugeschrieben werden, wird ihm implizit die Verantwortung für die sexuellen Kontakte übertragen, wohingegen der erwachsene Täter moralisch entlastet zu sein scheint. Aber auch durch subtile Charaktereigenschaften oder Verhaltensmuster, die nur dem Täter aufzufallen scheinen, wird das Kind für das, was geschieht, verantwortlich gemacht. Dies wird deutlich bei folgenden Zitaten aus St. 4 „It’s all your fault. If you weren’t so sexy her [sic] wouldn’t go hard like that.“ und „The girl was playing with fire and tempted me beyond my endurance“ sowie aus St. 10 mit „sexuality that was just begging to be exploited and ruthlessly taken advantage of.“
In Story 2 beeinflusst der als Ich-Erzähler „JR“ eingeführte männliche Erwachsene ein 10-jähriges Mädchen suggestiv mit einer doppelten Unterstellung. Erst erklärt er, 12-Jährige seien zum „informed consent“ in Bezug auf Sex mit Erwachsenen fähig, dann ergänzt er, die hier direkt angesprochene 10-Jährige verfüge bereits über eine solche Reife („people don’t belive young teens and children are mature enough to make what is called informed consent. […] I personally think that most kids can understand by the age of 12. You’re not quite there yet, but you do amaze me by how mature you can be every now and then.“).
In den Storys wird den Lesenden mittels 4 Stilmitteln angezeigt, dass es sich um einvernehmlichen Sex handeln soll. Erstens durch den Hinweis, dass der vollzogene Sex zwischen Täter und missbrauchtem Kind von beiden gleichermaßen positiv erlebt wurde (beispielsweise „Mmmmm, we both intoned, non-verbally enjoying our sex.“ [St. 3]). Zweitens durch eine direkte verbale Rückmeldung des missbrauchten Kindes („I want to keep doing it, and a lot of other things too.“ [St. 2] oder „‚Were you ok with it?‘“; „‚Yes.‘“ [St. 1]). Drittens durch ein als zustimmend gedeutetes Nicken (etwa „‚Is that okay with you, kid?‘ I asked Diana, who simply gave me that same shy nod“ [St. 3]). Viertens durch den Hinweis, dass das Kind den sexuellen Missbrauch ohne erkennbare Gegenwehr geschehen lasse (etwa „I didn’t get much reaction so I moved on“ [St. 2]).
Diskussion
Zielstellung des vorliegenden Beitrages war die qualitative Analyse von Storys, die in Textform DSKM enthalten und im Darknet verbreitet wurden. Die leitende Fragestellung war: Was genau kommt in den „Girl-Lover“-Storys zur Sprache und welche latenten Sinngehalte transportieren sie? Das Konsumieren und der Besitz solcher im Darknet kursierender Texte sind aktuell in Deutschland nicht strafbar. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass dem Leser das Missbrauchsgeschehen – im Gegensatz zu fotografischen und videografischen Darstellungen – nicht unmittelbar vor Augen geführt werde und der Reiz, solches Geschehen selbst mit Kindern zu wiederholen, demgemäß ungleich geringer sei.
Mittels einer empirischen Studie konnte nachgewiesen werden, dass – gemessen an der gesetzlichen Definition von „kinderpornographischen Inhalten“ (§ 184b Abs. 1 Satz 1 StGB) – 13 der 14 untersuchten Storys Darstellungen von sexuellen Handlungen an oder vor einer Person unter 14 Jahren beinhalten. Mit einem Wert auf der COPINE-Skala (Taylor et al.
2001) im Mittel über 8 liegt der Schweregrad des in den „Girl-Lover“-Storys dargestellten Kindesmissbrauchs sogar deutlich höher als bei bislang ausgewerteten bild- und videobasierten DSKM-Sammlungen, in denen Kinder vergleichbaren Alters (mit knapp unter 10 Jahren) abgebildet waren. Der COPINE-Durchschnittswerk lag hier bei 4–6: sexuell konnotiertes Posing von be- und unbekleideten Kindern (Fortin und Proulx
2019; Tejeiro et al.
2020).
Bei den identifizierten sexualisierten Anreizen von Kindern, die in den von vielen Nutzern des „Girl-Lover“-Forums heruntergeladenen Storys bevorzugt dargestellt wurden, zeigt sich, dass hier Minderjährige in einer Art und Weise bloßgestellt wurden, die eigentlich mit dem § 184 b verfolgt werden sollen. Nicht aufklären lässt sich freilich, inwiefern bei diesen Bloßstellungen jeweils tatsächlich ausgeübter sexualisierter Kindesmissbrauch zugrunde lag. Der Befund, dass fast alle der untersuchten „Girl-Lover“-Storys Darstellungen schweren sexuellen Missbrauchs enthielten, ist u. E. angesichts ihrer starken Verbreitung im Internet bedenkenswert. Bereits Crookes et al. (
2017) wiesen in ihrer DSKM-Täter-Studie darauf hin, dass der intensive Konsum von textbasierten DSKM sogar eher zu einem möglichen Kontaktdelikt führen könnte als bild- und videobasierte DSKM. Deren Einschätzung, dass hierbei bei bestimmten Personen die Fantasie zu sexuellem Kindesmissbrauch angeregt werden und ein verzerrtes Normalitätsempfinden für ein entsprechendes Verhalten stärken könne, lässt sich mit den Erkenntnissen unserer empirischen Untersuchung bestätigen und plausibilisieren. Während durch den Konsum von foto- und videobasiertem DSKM in einer Vielzahl der Fälle eine „Chasing-High-Spirale“ in Gang gesetzt wird, bei der die sexuelle Befriedigung an immer expliziteren abgebildeten Child Sex Cues und sexuellen Handlungen – gemessen am Alter der Kinder sowie am COPINE-Score – gekoppelt ist (Fortin und Proulx
2019), bieten die mittels literarischer Erzählungen erstellten DSKM eine ganz anders gelagerte Projektionsfläche für Erwachsene mit einem sexuellen Interesse an Kindern. Die Trigger sind hier nicht sexualisierte Inhalte, die eine visuell (und bei Videos auch auditiv) erlebbare Wirklichkeitsnähe transportieren und etwa als Blaupause für den Akt der Selbstbefriedung nutzbar sind. Vielmehr bieten die „Girl-Lover“-Storys semantische Beschreibungsangebote, an denen die Adressat*innen ihre eigenen Fantasievorstellungen ausrichten können. Entscheidend sind hierbei u. E. die Mutmaßungen der Verfasser*innen über die Sexualität von Kindern. Dokumentiert sind in den untersuchten Storys Annahmen über das sexuelle Interesse von Kindern (ad a), welche die Botschaft vermitteln, Kinder würden (wie Erwachsene) sexuelles Vergnügen wollen und proaktiv danach streben. Weil solche Glaubenssätze existieren, wird etwa in Storys der externen Ejakulation ein hoher Stellenwert zugemessen. Offensichtlich gibt es diesbezüglich Parallelen zum Pornokonsum und Sexpraktiken teleiophiler Personen. Denn aktuelle Forschungsergebnisse (Salmon et al.
2022) weisen darauf hin, dass die externe Ejakulation in pornografischen Inhalten bei Männern v. a. mit dem Vergnügen der weiblichen Pornodarsteller zu diesen Handlungen einhergeht.
Zudem wird in den „Girl-Lover“-Storys mit Rollenzuschreibungen und Beziehungsmustern operiert, die in Übereinstimmung mit Befunden von Martijn et al. (
2022) suggerieren, sexuelle Kontakte von Erwachsenen mit Kindern könnten einvernehmlich stattfinden (ad b) und sogar Ausdruck einer romantischen Verbundenheit zwischen beiden sein (ad c). In diesen beiden Narrativen wird die Idee einer Resonanz auf der emotionalen Beziehungsebene imaginiert. Verschleiert wird hier freilich, dass die vorhandenen ontogenetisch angelegten Unterschiede zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern andererseits im Hinblick auf körperliche und psychische Entwicklungsmerkmale, einschließlich kognitiver, emotionaler und evaluativer Zustände, nivelliert werden. Weder kann sich eine erwachsene Person – entwicklungspsychologisch betrachtet – auf die Stufe eines Kindes begeben noch umgekehrt. Ein solches altersmäßige Down- oder Up-Graden wäre jedoch die Bedingung der Möglichkeit für ein hier herbeigeredete romantisches Beziehungsmuster. Die Forschungsliteratur identifiziert in einer solchen „emotionalen Identifikation mit Kindern“ (McPhail et al.
2018) einen psychologisch-bedeutsamen Risikofaktor für den Rückfall mit einem Sexualdelikt (Mann et al.
2010).
Ein weiteres, in den untersuchten Storys wiederkehrendes narratives Muster ist die Objektifizierung der Kinder (ad d). In Übereinstimmung mit Erkenntnissen von Ward und Keenan (
1999) gibt es klare Hinweise auf die impliziten Theorien der „children as sexual objects“ sowie des „entitlement“. Offensichtlich reklamieren auch die Verfasser*innen der untersuchten „Girl-Lover“-Storys für sich das Recht, sexuelle Bedürfnisse auf Kosten von unterlegenen Personen auszuleben, also Kinder als Mittel zur sexuellen Befriedigung von Erwachsenen zu missbrauchen. Dass in den Storys vielfach
kognitive Verzerrungen (Gannon et al.
2007; Ó Ciardha und Ward
2013; Ward und Keenan
1999) im Spiel sind, zeigt sich an einem weiteren Narrativ, dem der körperlichen Reaktionen des Kindes im Zusammenhang mit sexuellen Akten (ad e). Die in einigen Darstellungen insinuierte Aussonderung von Vaginalflüssigkeit und die Deutung als Indikator (externes Kriterium) einer sexuellen Erregung beim Kind sind biologisch nicht möglich (Levin
2003). Denn dieser physiologische Prozess setzt normalerweise erst mit Beginn der Pubertät ein und der sogenannte Weißfluss ca. ein Jahr vor Menstruationsbeginn (Singleton
1980). Bei präpubertären Kindern kommt es nur im Zusammenhang mit Erkrankungen, wie z. B. Vulvovaginitis, oder nach sexualisierter Gewalt zum Austreten von Flüssigkeiten aus der Vagina (Singleton
1980; Rimsza et al.
1988; Berenson et al.
2000).
Als Fazit lässt sich festhalten, dass in den untersuchten textbasierten DSKM aus dem „Girl-Lover“-Forum mit fünf typischen Vorstellungen über kindliche Intentionen, Empfindungen sowie mit Beziehungs- und Rollenmustern operiert wird, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt werden. Eine grundlegende Differenz zum Common Sense berührt die Mutmaßung, Kinder seien einwilligungsfähig zu sexuellen Handlungen mit Erwachsenen (Finkelhor
1979). Mit anderen Worten: Die Storys transportieren – teils explizit und teils implizit – Annahmen, welche sexualisierte Handlungen von Erwachsenen an und mit Kindern als legitim erscheinen lassen. Im Hinblick auf die theoretische Durchdringung dieser Auffälligkeit der „Girl-Lover“-Storys bietet sich das ursprünglich aus der kognitiven Verhaltenstherapie stammende (Beck
1963) und von Abel et al. (
1984) erstmalig in Bezug auf Sexualstraftäter verwendete Konzept der
kognitiven Verzerrung an, also jener Überzeugungen, welche sich aufgrund der Diskrepanz zwischen (devianten) sexuellen Interessen von Einzelpersonen und gesellschaftlichen Normen entwickeln. Das Konzept der kognitiven Verzerrung ist ein wichtiger Bestandteile ätiologischer Erklärungsmodelle sexuellen Missbrauchs (z. B. Ward und Beech
2006), und weitere empirische Studien belegen einen Zusammenhang mit der Rückfälligkeit von Personen mit einem Sexualdelikt (Mann et al.
2010).
Mittels der durchgeführten inhaltlichen und formal-textlichen Analyse konnte nicht nur nachgewiesen werden, dass der Schweregrad des in „Girl-Lover“-Storys dargestellten sexuellen Kindesmissbrauchs höher liegt als bei durchschnittlichen, bislang bei verurteilten Straftätern beschlagnahmten DSKM-Sammlungen (Fortin und Proulx
2019; Tejeiro et al.
2020). Zudem konnte auf eine Paradoxie der textbasierten DSKM aufmerksam gemacht werden: Einerseits sind die textbasierten Darstellungen nicht in derselben Eindrücklichkeit unmittelbar sexuell erregend für die Konsumenten wie explizite bild- und videobasierte DSKM-Darstellungen. Andererseits enthalten sie Wirklichkeitskonstruktionen, die als Referenz für pädophile oder andere sexuell erregende Fantasievorstellungen fungieren. Wie die Ergebnisse der Studie eindrücklich zeigen, wird die sexualisierte Gewalt an Kindern in allen Storys dargestellt, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Es gibt keinen ernst zu nehmenden Hinweis darauf, dass es sich um illegitimes Verhalten handeln könnte. Das Legitimitätsproblem lässt sich als blinder Fleck bei den Verfasser*innen ausmachen. Zudem lässt sich rekonstruieren, dass sie mit kognitiven Verzerrungen über das sexuelle Wesen von Kindern und über sexuell orientierte Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen operieren. Ihre verzerrten, aber von ihnen offenbar selbst für wahr gehaltenen Glaubenssätze haben in den „Girl-Lover“-Storys die Funktion von
Entschuldungsnarrativen – z. B. als Fremdattribuierung, der Erwachsene sei vom Kind verführt worden. In diesen
permission giving thoughts (Merdian et al.
2020), die in dem Darknet-Forum in Form textbasierter DSKM unkontrolliert und unzensiert kursieren, manifestieren sich Normalitätsannahmen einer Community, die sich über eine pädophile Neigung definiert. Von den
Normalitätsannahmen der „Girl-Lover“-Storys geht womöglich – so eine noch zu prüfende These – eine
normierende Wirkung im Sinne von „
self-fulfilling prophecies“ auf die Verfasser*innen der Storys selbst und deren Adressat*innen aus. Auch wenn es Gründe gibt, den Besitz von textbasierten DSKM nicht zu kriminalisieren (z. B. Fehlen einer identifizierbaren, konkret geschädigten Person), zeigen die im vorliegenden Beitrag präsentierten Untersuchungsergebnisse die Problematik von textbasierten, medial verbreiteten DSKM auf. So sollte u. E. diskutiert werden, ob die Frage nach tatsächlichen oder wirklichkeitsnahen Inhalten wirklich die zielführende Frage im Zusammenhang mit Kinderpornografie als Straftat ist.
Limitationen und Ausblick
Die durchgeführte empirische Studie unterliegt einigen Limitationen. Erstens wurden die von den Nutzer*innen des „Girl-Lover“-Forum am häufigsten gelesenen Storys in das Datenkorpus aufgenommen. Insofern könnte der hohe Schweregrad des in diesen Storys dargestellten Kindesmissbrauchs (COPING-Wert > 8) ein Bias beinhalten. Jene weniger gelesenen Storys könnten durchaus andere inhaltliche Schwerpunkte haben – z. B. Bedürfnisse jenseits sexueller Befriedigung wie etwa nach erfüllter Partnerschaft oder nach Anerkennung. Solche durchaus denkbaren Schwerpunktsetzungen blieben zwangsläufig in der Analyse unberücksichtigt. Dies gilt auch für jene Kippmomente innerhalb der Plots, in denen von der Darstellung legaler und als normal einzuschätzender Umgangsformen zwischen Erwachsenen und Kinder in Schilderungen illegitimer und devianter Verhaltensweisen gewechselt wurde. Gerade die analytische Rekonstruktion solcher thematischen Kippmomente in den Erzählungen könnte u. E. wichtige Hinweise dafür liefern, Risiken für Kindesmissbrauch abzuschätzen sowie wirksame Präventions- und Aufklärungsangebote für mutmaßliche Täter*innen und Opfer zu entwickeln.
Zweitens konnte in der Studie nicht untersucht werden, wie die DSKM in den Storys von den adressierten Lesenden tatsächlich rezipiert wurden. So sind die in dem „Girl-Lover“-Forum geposteten Kommentare nicht in die empirische Analyse eingeschlossen worden. Eine entsprechende Rezeptionsanalyse, die einer interpretativ-rekonstruktiven Vorgehensweise (Ethnomethodologie, Konversationsanalyse) bedarf, könnte ebenfalls ein lohnenswertes Folgeprojekt sein. Denn ermitteln ließen sich das tatsächliche Ausmaß der persuasiven Beeinflussung durch textbasierte DSKM und die perlokutionären Effekte. Wie lesen Personen mit einem sexuellen Interesse an Kindern, die vom Risiko betroffen sind, sexualisierte Gewalt an Kinder auszuüben, solche Texte? Stiften solche Internet-Storys womöglich zu Straftaten im Sinne § 176 oder § 184b an? Oder können das Schreiben entsprechender Storys sowie ihr Konsumieren durch Lesende als Coping fungieren, um das Risiko für solche Straftaten zu mindern?
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