Das wichtigste auf einen Blick
Einleitung und Hintergrund
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die frühzeitige Behandlung von Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (KIS),
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die Wirksamkeit verlaufsmodifizierender pharmakologischer Therapien,
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die Behandlung von Patienten mit schubförmiger sowie auch progredienter Erkrankung,
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die Überwachung des Therapieansprechens,
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Behandlungsstrategien bei unzureichendem Therapieansprechen,
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Therapieabbruch oder -wechsel,
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Langzeiteffekte verlaufsmodifizierender Immuntherapien,
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Behandlung in besonderen Situationen wie Schwangerschaft,
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Behandlungsstrategien im Kontext von Impfungen und COVID-19.
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individuelle Patientencharakteristika (insbesondere MS-Charakteristika, zu erwartende Adhärenz, aber auch Alter und Geschlecht, inklusive Aspekte der Familien- bzw. Lebensplanung),
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bestehende Komorbiditäten,
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Vortherapien,
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Nebenwirkungs- und Risikoprofil des Medikaments, inklusive notwendiger Maßnahmen zum Therapiemonitoring,
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Indikation und Kostenerstattung des Medikaments.
MS-Diagnose, Verlaufsformen und Prognose
Radiologisch isoliertes Syndrom – RIS | – | |
Klinisch isoliertes Syndrom – KIS | Monofokal Multifokal | |
McDonald-MS | Monofokal Multifokal | |
MS, relapsierender/schubförmiger Typ – (RMS, RRMS) | Mild/moderater Verlauf Aktiv/hochaktiver Verlauf | Mit Aktivität (MRT/Schübe) Ohne Aktivität Aktivität unbestimmt |
Mit Progredienz Ohne Progredienz Progredienz unbestimmt | ||
Mit Residuen Ohne Residuen | ||
MS, progredienter Typ – (PMS, PPMS, SPMS) | Primär progredienter Verlauf Sekundär progredienter Verlauf Unklarer Verlauf | Mit Aktivität (MRT/Schübe) Ohne Schübe, mit MRT-Aktivität Ohne Aktivität Aktivität unbestimmt |
Mit Progredienz Ohne Progredienz Progredienz unbestimmt |
Verlaufsmodifizierende pharmakologische Therapien
Substanz | Indikation | Wirkmechanismus | Risiken für das Immunsystem | Andere Risiken | Blutbildkontrollen | Andere Kontrollen | |
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Oral | Cladribin | (Hoch)aktive RMS | Chloriertes Analogon des DNA-Bausteins Desoxyadenosin, reduziert sowohl ruhende als auch sich teilende Lymphozyten | (Erwünschte) Leukopenie/Lymphopenie, Anämie, leicht erhöhtes Infektionsrisiko | In den Zulassungsstudien höhere Erkrankungsrate an Krebserkrankungen als unter Placebo | Alle 2–3 Monate Blutbild und diff. BB, bei Lymphopenien Grad 3 oder 4 ggf. Infektionsprophylaxe erwägen. Bei Lymphozytenwerten unter 800/μl Aussetzen der Medikation im 2. Behandlungsjahr | Alle 2–3 Monate Kontrolle GOT, GPT, y‑GT, Bilirubin, CRP, Kreatinin und U‑Status; Schwangerschaftstest vor jedem Behandlungszyklus. Jährlich cMRT |
Dimethylfumarat | Milde/moderate RMS | Modulation der Zytokinexpression, Hemmung der lmmunzellproliferation, Nrf2-Aktivierung, evtl. Lymphozytenapoptose | Leukopenie/Lymphopenie, seltener Neutropenie, Infektionsrisiko | Flush-Symptomatik, gastrointestinale NW, Leberwerterhöhungen | Vor Therapiebeginn: BB mit diff. BB. Unter Therapie: diff. BB alle 6–8 Wochen im ersten Therapiejahr, anschließend alle 3–6 Monate. Aussetzen der Therapie bei abs. Lymphozyten <500/µl oder Leukozyten <3000/µl, CAVE bei Werten zwischen 500–800/µl | Vor Therapiebeginn: Elektrolyte; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, VZV, ggf. Tbc); Schwangerschaftstest; Leber- und Nierenwerte; CRP. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Keine spezifischen sonstigen Kontrollen, allerdings – wie auch bei anderen Immuntherapien – regelmäßige Kontrollen von Laborwerten weiterhin empfohlen. Jährlich cMRT | |
Fingolimod | (Hoch)aktive RMS | Funktioneller S1P-Modulator; Festhalten von Lymphozyten in lymphatischen Organen | (Erwünschte) Lymphopenie, Herpesvirusinfektionen, VZV-Reaktivierung, hämophagozytisches Syndrom, Kryptokokkenmeningitis, Makulaödem, Impfantworten geringfügig schlechter, leicht erhöhtes Risiko für PML und Basaliome | Kardiale Reizleitungsstörung bei Erstgabe; Leberwerterhöhung, Makulaödem, vereinzelt Hauttumoren, Hypertonie, Reduktion der Diffusionskapazität, Hypercholesterinämie | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff.-BB nach 2–4 Wochen, anschließend alle 3 Monate. Aussetzen der Therapie bei abs. Lymphozyten <200/µl, erneuter Beginn ab 600/µl möglich | Vor Therapiebeginn: EKG; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, ggf. Tbc); Schwangerschaftstest; Lebertransaminasen, Serumbilirubin; Nierenwerte; CRP. Augenärztliche, ggf. dermatologische, ggf. pulmonologische Untersuchung. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Kardiale Überwachung bei Erstgabe; Leberwertkontrollen nach 2–4 Wochen, anschließend alle 3–6 Monate. Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >3 × ULN und Bilirubinerhöhung oder >5 × ULN mit oder ohne Bilirubinerhöhung. Ophthalmologische Untersuchung nach 3 Monaten empfohlen, dermatologische Kontrolle jährlich. Jährlich cMRT | |
Ozanimod | (Hoch)aktive RMS | Funktioneller S1P-Modulator; Festhalten von Lymphozyten in lymphatischen Organen | Leukopenie/Lymphopenie, leicht erhöhtes Risiko für PML (auch Fälle ohne Lymphopenie); grundsätzlich vergleichbares Risikoprofil wie für Fingolimod zu erwarten | Kardiale Reizleitungsstörung bei Erstgabe; Leberwerterhöhung, Makulaödem, vereinzelt Hauttumoren, Hypertonie, Reduktion der Diffusionskapazität, Hypercholesterinämie | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB nach 2 und 4 Wochen, anschließend alle 3 Monate. Aussetzen der Therapie bei abs. Lymphozyten <200/µl, erneuter Beginn ab 600/µl | Vor Therapiebeginn: EKG; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, ggf. Tbc); Schwangerschaftstest; Lebertransaminasen, Serumbilirubin; Nierenwerte; CRP. Augenärztliche, ggf. dermatologische, ggf. pulmonologische Untersuchung. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Kardiale Überwachung nur bei bekannten oder im EKG festgestellten Veränderungen, Leberwertkontrollen nach 2–4 Wochen, anschließend alle 3–6 Monate. Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >3 × ULN und Bilirubinerhöhung oder >5 × ULN mit oder ohne Bilirubinerhöhung. Ophthalmologische Untersuchung nach 3 Monaten empfohlen, dermatologische Kontrolle jährlich. Jährlich cMRT | |
Oral | Ponesimod | Voraussichtlich: (hoch)aktive RMS, SPMS mit Schubaktivität | Funktioneller S1P-Antagonist; Festhalten von Lymphozyten in lymphatischen Organen | (Erwünschte) Lymphopenie; erhöhtes Risiko für Infektionen (obere Atemwege; Harnwege; Herpesvirusinfektionen; Kryptokokkenmeningitis; PML), kutane Malignome; grundsätzlich vergleichbares Risikoprofil wie für Fingolimod zu erwarten | Herzrhythmusstörungen v. a. bei kardialer Vorbelastung, Leberschädigung, Einschränkung der Lungenfunktion, arterieller Hypertonus, Makulaödem, posteriore reversible Enzephalopathie (PRES) | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB nach 2 und 4 Wochen, dann alle 3 Monate. Aussetzen der Therapie bei abs. Lymphozyten <200/µl, erneuter Beginn ab 600/µl | Vor Therapiebeginn: EKG, Impfstatus, Funduskopie, Lebertransaminasen, Serumbilirubin, Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus. Augenärztliche, ggf. dermatologische, ggf. pulmonologische Untersuchung. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: klin.-neurol. Kontrollen (nach Monat 1, dann alle 3–6 Monate); Leberwertkontrollen einschl. Serumbilirubin (nach Monat 1, dann alle 3–6 Monate). Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >3 × ULN und Bilirubinerhöhung oder >5 × ULN mit oder ohne Bilirubinerhöhung. Ophthalmologische Untersuchung nach 3 Monaten empfohlen, dermatologische Kontrolle jährlich. Jährlich cMRT |
Siponimod | SPMS mit Schubaktivität, SPMS ohne Schübe, aber mit MRT Aktivität | Funktioneller S1P-Modulator; Festhalten von Lymphozyten in lymphatischen Organen | (Erwünschte) Lymphopenie, Herpesvirusinfektionen, VZV-Reaktivierung, hämophagozytisches Syndrom, Kryptokokkenmeningitis, leicht erhöhtes Risiko für PML (da bei Fingolimod aufgetreten), Impfantwort geringfügig schlechter, leicht erhöhtes Basaliomrisiko zu erwarten | Kardiale Reizleitungsstörung bei Erstgabe; Leberwerterhöhung, Makulaödem, vereinzelt Hauttumoren, Hypertonie, Reduktion der Diffusionskapazität, Hypercholesterinämie | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB nach 2 und 4 Wochen, anschließend alle 3 Monate. Bei 2 mg Dosierung und bestätigt abs. Lymphozyten <200/µl: Dosisreduktion auf 1 mg; bei 1 mg Dosierung und abs. Lymphozyten <200/µl Aussetzen der Therapie, erneuter Beginn ab 600/µl | Vor Therapiebeginn: CYP2C9 Genotypisierung; EKG, Impfstatus, Funduskopie, Lebertransaminasen, Serumbilirubin, Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus. Augenärztliche, ggf. dermatologische, ggf. pulmonologische Untersuchung. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Kardiale Überwachung nur bei bekannten oder im EKG festgestellten Veränderungen, Leberwertkontrollen nach 2–4 Wochen, anschließend alle 3–6 Monate. Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >3 × ULN und Bilirubinerhöhung oder >5 × ULN mit oder ohne Bilirubinerhöhung. Ophthalmologische Untersuchung nach 3 Monaten, ggf. dermatologische, ggf. pulmonologische Kontrollen | |
Teriflunomid | Milde/moderate RMS | DHODH-Inhibition, hierdurch Hemmung der Proliferation aktivierter Lymphozyten | Lymphopenie, Neutropenie, Infektionsrisiko, Impfantwort geringfügig schlechter, sehr selten Panzytopenie/Agranulozytose | Leberwerterhöhung, Haarausdünnung, periphere Neuropathie, akutes Nierenversagen | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB alle 2 Monate im ersten halben Therapiejahr, anschließend alle 3 Monate. Aussetzen der Therapie bei abs. Lymphozyten <200/µl | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Pankreas‑, Nierenwerte, Impfstatus, Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Blutdruckkontrolle. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Leberwertkontrollen alle 4 Wochen in den ersten 6 Monaten, danach alle 2 Monate, bei Erhöhung der Transaminasen bestätigt über 3 × ULN Absetzen der Therapie; Kontrolle Pankreasenzyme nach Klinik; halbjährlich RR-Kontrolle; ggf. pulmonologische Kontrollen. Jährlich cMRT | |
(Azathioprin) | Milde/moderate RMS (Reservepräparat) | Purinanalogon, hemmt DNA-/RNA-Synthese, schnell teilende Zellen besonders betroffen, Immunsuppressivum | Leukopenie/Lymphopenie, selten Neutropenie/Anämie, sehr selten thrombotische Mikroangiopathie | Erhöhtes Malignomrisiko (2 × nach 5 Jahren; 4,4 × nach 10 Jahren), Leberwerterhöhung, selten Pankreatitis | Diff. BB alle 2 Wochen, im Verlauf alle 4–8 Wochen, Zielwert Lymphopenie von 600–1000/µl | Leberwerte initial alle 2 Wochen, im Verlauf alle 4–8 Wochen. Jährlich cMRT | |
Injektion | Glatirameracetat | Milde/moderate RMS | Th1/Th2-Shift, APZ-Modulation, BDNF-Produktion | Reduzierte CD4/CD8-Ratio im Liquor, milde Leukozytose, Linksverschiebung, PML, leicht erhöhtes Infektionsrisiko, Impfantwort geringfügig schlechter, selten Infusionsreaktion | Sofortige Postinjektionsreaktion (SPIR) bzw. Flush, Leberwerterhöhung | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB alle 3 Monate im ersten Therapiejahr | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Nierenwerte, Impfstatus. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Leber- und Nierenwertkontrollen alle 3 Monate im 1. Therapiejahr. Jährlich cMRT |
β‑Interferon | KIS, Milde/moderate RMS, SPMS mit Schubaktivität | Hemmung T‑Zell-Aktivierung, Treg-Induktion, Inhibition der Immunzellmigration an der BHS | Lymphknotenschwellung, Leukozytose, Leukopenie, Thrombopenie | Leberwerterhöhung, lokale Reaktion Einstichstelle, Depression; sehr selten Schilddrüsenfunktionsstörung | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB einen Monat nach Therapiebeginn, anschließend vierteljährlich. Aussetzen der Therapie bei Leukozyten <3000/µl bzw. Thrombozyten <75.000/µl | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Nierenwerte, Impfstatus. cMRT <3 Monate. Unter Therapie: Leber- und Nierenwertkontrollen einen Monat nach Therapiebeginn, anschließend vierteljährlich. Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >5 × ULN. Jährlich cMRT | |
Ofatumumab | (Hoch)aktive RMS, SPMS mit Schubaktivität | Monoklonaler Antikörper gegen CD20, hierdurch Depletion der mittleren B Zell-Reihe. Vorstufen von B‑Zellen, reife Plasmazellen werden nicht eliminiert | (Erwünschte) B Zell-Lymphopenie, Verminderung von IgM im Serum, T Zell-Lymphopenie; erhöhtes Risiko für Infektionen (obere Atemwege, Harnwege, Lippenherpes), Hep. B Reaktivierung, PML | Injektionsbedingte Reaktionen | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB und Immunstatus. Unter Therapie: Diff. BB, Immunstatus (nach Monat 3, dann alle 6–12 Monate) | Vor Therapiebeginn: IgG und IgM im Serum, Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Impfstatus einschl. Pneumokokkenimpfung, Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel (nicht älter als 3 Monate). Unter Therapie: IgG im Serum sowie Leber‑, Nierenwerte alle 6 Monate. Jährlich cMRT | |
Infusion | Alemtuzumab | (Hoch)aktive RMS | Monoklonaler Antikörper gegen CD52, hierdurch rasche Elimination CD52 Immunzellen in der Zirkulation, „geordnete“ Repopulation und hierdurch Immunregulation | (Erwünschte) Leukopenie/Lymphopenie, Neutropenie, Infektionsrisiko | Autoimmunerkrankungen, kardiovaskul. Risiken | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB monatlich für mind. 5 Jahre. Bei Thrombozyten <30 % des Ausgangswertes oder unterhalb der unteren Normgrenze: wöchentl. Kontrollen, bei Thrombozyten <100.000 hämatologische Abklärung | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Nierenwerte; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Impfstatus, Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel (nicht älter als 3 Monate). Unter Therapie: Nierenparameter (Kreatinin, GFR, U‑Status und Sediment), CRP, Leberwerte monatlich für mind. 5 Jahre, TSH alle 3 Monate. HPV-Screening bei Frauen jährlich. Jährlich cMRT |
Natalizumab | (Hoch)aktive RMS | Monoklonaler Antikörper gegen a4b1-Integrin, hemmt Bindung von Immunzellen an Endothelzellen via VLM-VCAM | (Erwünschte) Leukopenie/Lymphopenie, Infusionsreaktion, sekundäre antikörpervermittelte Autoimmunität (Schilddrüse, ITP, Niere), Infektanfälligkeit, Impfantwort schlechter, hohes Risiko für PML | Leberwerterhöhungen | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff. BB alle 3–6 Monate. JCV-Antikörperstatus bei neg. Patienten alle 6 Monate, ggf. JCV-Antikörper-Index und CD62L im Verlauf | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Nierenwerte; Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel (nicht älter als 3 Monate), empfohlen: Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Impfstatus. Unter Therapie: Leberwertkontrollen nach 3 und 6 Monaten. Aussetzen der Therapie bei Transaminasen >3 × ULN. Absetzen bei Transaminasen >5 × ULN. JCV-AK-Status nach 24 Monaten. Halbjährlich cMRT | |
Infusion | Ocrelizumab | (Hoch)aktive RMS, SPMS mit Schubaktivität, PPMS mit klinischer/MRT-Aktivität | Monoklonaler Antikörper gegen CD20, hierdurch Depletion unreifer und reifer B‑Zellen. Frühe Vorstufen von B‑Zellen, reife Plasmazellen sowie CD20 negative B‑Zellen werden dagegen nicht eliminiert | (Erwünschte) B‑Zell-Lymphopenie, Verminderung von IgM, ggf. auch IgG im Serum, T Zell-Lymphopenie | Infektion der oberen Atemwege, Nasopharyngitis, Influenza, Herpesinfektion | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB; empfohlen: Immunstatus. Unter Therapie: Diff. BB (alle 3 Monate), Immunstatus 3 Monate nach Erstgabe, dann empfohlen alle 6 Monate | Vor Therapiebeginn: IgG und IgM im Serum; Leber‑, Nierenwerte; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Impfstatus einschl. Pneumokokkenimpfung; Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel (nicht älter als 3 Monate). Während und bis zu 1 h nach der Infusion: Überwachung auf Infusionsreaktion. Unter Therapie: IgG im Serum sowie Leber‑, Nierenwerte alle 6 Monate. Jährlich cMRT |
(Mitoxantron) | SPMS mit Schubaktivität (Reservepräparat) | Topoisomerase-II-Inhibitor, hemmt DNA-Synthese, schnell teilende Zellen besonders betroffen, Immunsuppressivum | (Erwünschte) Neutropenie, Verminderung der Lymphozyten, Immunglobulin M im Blut erniedrigt | Übelkeit, Haarausfall, Kardiotoxizität (dosisabhängig), Leukämierisiko (nicht dosisabhängig), Infertilität, Ikterus | Vor Therapiebeginn: BB einschl. diff. BB. Unter Therapie: Diff.-BB vor jeder Gabe sowie anschließend wöchentlich für 4 Wochen. Aussetzen der Therapie bei Neutropenie <1500/ml, Dosisanpassung bei Leukopenie <2000/ml oder Thrombopenie <50.000/ml bei Nadir | Vor Therapiebeginn: Leber‑, Nierenwerte; Infektionsstatus (HBV, HCV, HIV, Lues, VZV, Tbc), CRP, Schwangerschaftstest, Urinstatus, Impfstatus, Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel (nicht älter als 3 Monate). Unter Therapie: Leber- und Nierenwerte, CRP, U‑Status, EKG, TTE (auch bis zu 5 Jahre nach Therapieende). Jährlich cMRT |
Kernfragen und Empfehlungen zur therapeutischen Intervention
(1) Welchen Nutzen hat eine DMT bei Patienten mit KIS, unabhängig davon, ob sie die Kriterien einer definitiven MS erfüllen, im Vergleich zu keiner Behandlung?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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ON ohne zerebrale und/oder spinale MRT-Läsion mit negativen OKB → Diagnose isolierte ON und kein KIS,
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ON ohne zerebrale und/oder spinale MRT-Läsion mit positiven OKB → Diagnose KIS, da die OKB das Risiko für ein 2. Ereignis signifikant erhöhen,
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ON mit 1 MRT-Läsion, aber ohne OKB → Diagnose ON, da nach gegenwärtiger Definition erst ab ≥2 MRT-Läsionen die Definition eines KIS bzw. disseminierter Läsionen bestehen,
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ON mit 1 MRT-Läsion und positiven OKB → Diagnose KIS,
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ON mit ≥2 MRT-Läsionen, aber ohne positive OKB → Diagnose KIS.
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Grundsätzlich soll einem KIS-Patienten (unabhängig davon, ob die Kriterien der örtlichen und zeitlichen Dissemination erfüllt sind), unter Ausschluss anderer differenzialdiagnostischer Ursachen, eine Immuntherapie angeboten werden.
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Die Auswahl der Immuntherapie sollte sich an den prädiktiven Parametern orientieren, wobei aktuell in erster Linie i) der MRT-Befund (Anzahl sowie Lokalisation von Läsionen), aber auch ii) Ausmaß der Rückbildung des Schubes, iii) die multifokale Präsentation und iv) liquorspezifische oligoklonale Banden bzw. chronisch-entzündliche Liquorveränderungen zu nennen sind.
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Insbesondere bei KIS-Patienten mit hoher Läsionslast und/oder infratentoriellen Läsionen in der diagnostischen MRT sollte angesichts der mutmaßlich ungünstigen Prognose aktiv eine Immuntherapie empfohlen werden. Hierbei ist je nach individuellen Gegebenheiten auch eine hochwirksame Therapie bereits initial in Betracht zu ziehen.
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Die Behandlung des KIS sollte nicht unnötig verzögert werden und sollte sich im individuellen (hochaktiven) Fall auch nicht an eine stufenweise Eskalation anlehnen (bitte etwaige Off-label-Nutzung beachten).
(2) Welchen Nutzen hat eine DMT bei Patienten mit schubförmiger MS (RMS) im Vergleich zu keiner Behandlung/Behandlung mit einem anderen verlaufsmodifizierenden Medikament?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Für die Einleitung einer DMT bei der schubförmigen MS spricht das Behandlungsziel der Reduktion entzündlicher Aktivität in Form von Erkrankungsschüben und neuen Läsionen in der MRT. Übergeordneter Fokus gilt dabei dem Erhalt der sog. zerebralen Reserve. Zudem gibt es Hinweise aus verschiedenen Studien (Registerstudien, Open-label-extension-Studien), dass diese Therapien einen positiven Einfluss auf das längerfristige Behinderungsrisiko und die sekundäre Progression haben könnten.
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Grundsätzlich soll Patienten mit diagnostizierter MS eine Immuntherapie angeboten werden, sofern die Therapiebegleitung durch i) adäquate Infrastruktur, ii) adäquates Krankheitsassessment, iii) kontinuierliches Monitorieren der Erkrankung, aber auch der Therapie und iv) Kenntnis, Erkennen sowie Behandlung von Therapienebenwirkungen gegeben ist. Angeboten werden kann das gesamte Spektrum zugelassener Therapien für die schubförmige MS. Für die MS steht ein breites Spektrum an DMTs zur Verfügung (Alemtuzumab, Cladribin, Dimethylfumarat, Fingolimod, Glatirameracetat/Glatirameroide, Interferon-β-1a, Interferon-β-1b, pegyliertes Interferon-β-1a, Natalizumab, Ocrelizumab, Ofatumumab, Ozanimod, Ponesimod, Teriflunomid. Reservemedikamente: Azathioprin, Mitoxantron).
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Die Auswahl der optimalen verlaufsmodifizierenden Therapie auf Basis der aktuellen Kenntnis des jeweiligen Wirkmechanismus verläuft heute nach zwei hauptsächlichen Behandlungsvorgehensweisen. Sie beruhen auf der Evaluation des Risikos des weiteren MS-Verlaufs und von Risiken vs. Wirksamkeit verlaufsmodifizierender Therapien.1.Die erste Variante ist ein sog. Eskalationsansatz. Hier wird mit niedrigpotenteren Medikamenten mit bekanntem und relativ sicherem Risikoprofil begonnen und bei Nachweis von weiterer Erkrankungsaktivität (klinisch oder durch eine MRT) eine Eskalation zu potenteren Medikationen durchgeführt.2.Die alternative Vorgehensweise ist die Initiierung mit einer Medikation höherer Wirkeffizienz, z. B. Alemtuzumab, Cladribin, Natalizumab, Ocrelizumab, Ofatumumab oder S1P-Modulatoren (Fingolimod, Ozanimod, Ponesimod), ggf. schon zum Zeitpunkt der Diagnosestellung.
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Die Auswahl der Immuntherapie soll sich an den Parametern der MS orientieren (Prognose, Erkrankungsaktivität sowie Erkrankungsschwere), wobei aktuell in erster Linie i) die Schubfrequenz, ii) der MRT-Befund (Läsionslast, Läsionslokalisation) und iii) die Rückbildung der/s Schübe/Schubes, die Erkrankungsaktivität sowie die Erkrankungsschwere (gemessen an klinischen sowie radiologischen Parametern) zur Beurteilung herangezogen werden; zusätzlich sind das Alter des Patienten, das Geschlecht, Vorhandensein liquorspezifischer oligoklonaler Banden bzw. chronisch-entzündlicher Liquorveränderungen, seine Komorbiditäten sowie insbesondere das Sicherheitsprofil der DMT in Betracht zu ziehen.
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Als Vorschlag zur Einschätzung einer (hoch)aktiven schubförmigen MS sollte gelten: ≥1 Schub innerhalb der letzten 12 Monate, ≥2 Schübe in den letzten 24 Monaten ODER ≥3 neue T2-Läsionen oder ≥1 neue Gd+-Läsion in einer Verlaufs-MRT (auf die Kontrastmittelgabe kann bei Vorliegen rezenter und qualitativ hochwertiger Verlaufsbilder verzichtet werden) in den letzten 12 Monaten.
(3) Welchen Nutzen hat eine DMT bei Patienten mit progredienter MS (PPMS bzw. SPMS) im Vergleich zu keiner Behandlung?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Patienten mit progredienter MS profitieren insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung von einer DMT und sollen behandelt werden, wenn klinische und/oder bildgebende Aktivität vorliegt. Aber auch in späteren Krankheitsphasen oder nach längerer Krankheitsdauer sollte im individuellen Fall eine Therapie in Erwägung gezogen werden, wenn wichtige Funktionen verloren zu gehen drohen. In der Nutzen-Risiko-Bewertung ist das Alter der Patienten mit einzubeziehen.
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Vor Beginn einer Therapie sollen die Therapieziele besprochen und entsprechend kontinuierlich überprüft werden. Im Falle eines unveränderten Fortschreitens der Erkrankung im Vergleich zur Situation vor Therapieinitiierung, muss von einem nicht ausreichenden Ansprechen auf die Therapie ausgegangen werden. Allerdings ist es wichtig, neben den Endpunkten der MRT-Aktivität, der Schubrate und der Gesamtbehinderung auch auf Veränderungen innerhalb relevanter Funktionssysteme des EDSS zu achten (z. B. Funktion der oberen Extremitäten) sowie auf eine Verbesserung der Lebensqualität, wie sie vom Patienten empfunden wird (QoL), und eine Verringerung des Risikos einer kognitiven Beeinträchtigung.
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Nachdem bei den progredienten Formen Veränderungen häufig nur langsam vonstattengehen, aber auch Fluktuationen zum Erkrankungsbild gehören, sollten positive wie negative Veränderungen bestätigt werden (idealerweise nach 3 oder 6 Monaten).
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Die Entscheidung hinsichtlich einer Wirksamkeit einer Therapie bei progredienten Verläufen sollte idealerweise innerhalb von 2 Jahren möglich sein. Bei fehlender Wirksamkeit einer DMT sollte das Absetzen der Therapie mit dem Patienten besprochen werden.
(4) Welchen Nutzen hat eine frühe Behandlung mit einer DMT vs. keine Therapie bei MS-Patienten?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Eine DMT bei MS soll so früh wie möglich nach Diagnosestellung begonnen werden, damit eine weitere/zukünftige Behinderung vermieden wird. In Einzelfällen kann bei Patienten mit sehr geringer Läsionslast und kompletter Rückbildung einer milden klinischen Symptomatik auch ein abwartendes Vorgehen mit regelmäßigen neurologischen und bildgebenden Kontrollen in Erwägung gezogen werden.
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Die Überlegenheit einer sofortigen Therapie nach erstmaligem Ereignis (KIS) vs. einer frühzeitigen Behandlung (<3 bis 6 Monate nach dem erstmaligen Ereignis) scheint allenfalls gering.
(5) Welchen Vorteil hat bei MS-Patienten der frühe Beginn hochwirksamer DMTs im Vergleich zum späten Beginn?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Für den Langzeitverlauf zeigt sich ein Vorteil des Einsatzes hochwirksamer vs. moderat wirksamer DMTs von Beginn an. Hierfür sprechen Registerdaten, wenn auch prospektive Studien fehlen. Aufgrund möglicherweise erhöhter Risiken für z. T. schwere Nebenwirkungen und in Wichtung individueller Lebensfaktoren sollte der Einsatz hochwirksamer DMTs zu Beginn der Erkrankung individuell und in Abstimmung mit dem Patientenwunsch entschieden werden.
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Innerhalb der hochwirksamen DMTs gibt es das Konzept einer i) dauerhaften Therapie (Wirksamkeit relativ direkt mit Applikation und mit einer Reversibilität nach Absetzen einhergehend: Natalizumab und S1P-Rezeptor-Modulatoren [sowie Ocrelizumab und Ofatumumab mit Einschränkung aufgrund des Wirkmechanismus]) vs. einer ii) gepulsten Therapie (Wirksamkeit aufgrund Immundepletion und Repopulation deutlich über die Halbwertszeit des Medikaments hinausgehend, ggf. auch dauerhafte therapiefreie Erkrankungsstabilität: Alemtuzumab und Cladribin [sowie möglicherweise Ocrelizumab, mit starker Einschränkung aufgrund des Wirkmechanismus]).
(6) Welche Arten von Untersuchungen/Parameter sagen bei MS-Patienten unter einer DMT ein schlechtes Ansprechen auf die Behandlung voraus?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Ziel der MS-Therapie ist die „bestmögliche“ Krankheitskontrolle und die bestmögliche Lebensqualität des Patienten. Praktisch soll die Krankheitskontrolle gemessen werden anhand klinischer Parameter (v. a. Schübe, Behinderung) sowie MRT-Aktivität (sog. NEDA-Konzept, „no evidence of disease activity“). Für die Messung der Lebensqualität stehen verschiedene Messparameter (patientenbasiert, arztbasiert) zur Verfügung.
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Die Überprüfung des Therapieerfolges sollte bei DMT-behandelten Patienten durch klinische Beurteilung alle 3 Monate und durch Vergleich einer standardisierten zerebralen MRT innerhalb von 3 bis 6 Monaten nach Behandlungsbeginn (gewertet als sog. Re-Baseline-MRT/Vergleichs-MRT) sowie mit einer MRT 12 Monate nach Behandlungsbeginn und danach in jährlichen Abständen erfolgen. Ein Nichtansprechen auf eine Therapie kann im Regelfall frühestens nach 6 bis 9 Monaten eingeschätzt werden (siehe Besonderheiten gepulster Therapien).
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Bei behinderungsrelevanten Schüben, rascher Behinderungsprogression oder schweren Nebenwirkungen (Sicherheit, Verträglichkeit) soll die Umstellung der DMT erwogen werden (siehe KKNMS-Qualitätshandbücher zu einzelnen Medikamenten und Umstellungen).
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Der Wechsel von einer DMT für einen mild/moderaten Verlauf zu einer DMT für einen (hoch)aktiven Verlauf sollte bei ≥1 relevantem Schub oder ≥2 bis 3 neuen oder relevant vergrößerten, durch Experten bestätigten MRT-Läsionen oder bei einer Zunahme der Behinderung ≥0,5 bis 1 EDSS-Punkte (bestätigt nach 3 bis 6 Monaten) innerhalb von 1 Jahr (sog. „vertikaler Switch“) vorgenommen werden.
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Ein Wechsel der DMT innerhalb der DMT-Gruppen kann bei Nebenwirkungen (Tolerabilität, Sicherheit) oder einer sehr geringfügigen Krankheitsaktivität (sog. „horizontaler Switch“) erfolgen.
(7) Bei MS-Patienten unter DMT und mit Parametern, die auf ein schlechtes Ansprechen auf die Behandlung hinweisen: Was ist der Nutzen eines Wechsels zu höher wirksamen DMTs (vertikaler Wechsel) im Vergleich zu DMTs mit ähnlicher Wirksamkeit (horizontaler Wechsel)?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Bei MS-Patienten unter DMT für mild/moderate Formen und mit klinischen und/oder radiologischen Anzeichen, die auf ein schlechtes Ansprechen der aktuellen Behandlung hinweisen (siehe Empfehlungen 6), sollte ohne Verzögerung auf eine höher wirksame DMT gewechselt werden.
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Die Wahl der höher wirksamen DMT ist in Absprache mit dem Patienten anhand folgender Faktoren zu treffen:a)Individuelle Patientencharakteristika (insbesondere MS-Charakteristika, aber auch Alter, Geschlecht) inklusive Aspekte der Familienplanung sowie Patientenwunsch.b)Bestehende Komorbiditäten.c)Nebenwirkungs- und Risikoprofil der DMT inklusive notwendiger Maßnahmen zum Therapiemonitoring.d)Indikation und Kostenerstattung des Medikaments.
(8) Ist bei Patienten mit schubförmiger MS, die die Behandlung mit einer hochwirksamen DMT abbrechen, das Risiko für eine Rückkehr oder einen Rebound ihrer Krankheitsaktivität erhöht?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Das Absetzen bzw. Aussetzen einer Medikation für die Therapie der (hoch)aktiven MS, entweder auf Basis von suboptimaler Wirksamkeit oder Sicherheitsbedenken, soll von einem klaren Konzept einer Folgetherapie begleitet sein.
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Bei der Auswahl der Nachfolgemedikation sollten folgende Faktoren berücksichtigt werden:1.Erkrankungsaktivität (klinisch sowie magnetresonanztomographisch). Je höher die Krankheitsaktivität, desto höher die Notwendigkeit für den unmittelbaren Start einer neuen Therapie.2.Erkrankungsschwere.3.Halbwertzeit sowie biologische Aktivität der vorhergehenden Medikation (Unterscheidung zwischen sog. Erhaltungstherapien [Natalizumab, S1P-Modulatoren, z. T. Ocrelizumab] und gepulsten Therapien [Alemtuzumab, Cladribin, z. T. Ocrelizumab]). Entsprechende Empfehlungen finden sich in den Qualitätshandbüchern des KKNMS.4.Darüber hinaus (s. Empfehlungen zu Frage 10) ist das Risiko einer „Carry-over“-PML bestmöglich zu reduzieren. Dabei sind klinische, magnetresonanztomographische, aber auch liquordiagnostische Parameter (Nachweis von HPyV‑2 [JCV]-DNA mittels PCR) heranzuziehen, um den Status Baseline oder Status vor Umsetzung zu bestimmen.
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Die Gefahr eines Wiederauftretens der Erkrankungsaktivität oder sogar eines Rebounds (insbesondere nach Leukozytenmigrationstherapien wie Natalizumab oder S1P-Rezeptor-Modulatoren) soll berücksichtigt werden. Das Wiederauftreten der Erkrankungsaktivität ist bei diesen Substanzen 2 bis 6 Monate nach Absetzen zu erwarten.
(9) Ist bei Patienten mit schubförmiger MS, die unter DMT über einen langen Zeitraum stabil bleiben, eine Weiterbehandlung vorteilhaft im Vergleich zum Absetzen des Medikaments?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Bei MS-Patienten, die unter einer bestimmten DMT und mit klinischem und/oder radiologischem Monitoring stabil sind und bei denen keine Sicherheitsprobleme oder Verträglichkeitsprobleme bestehen, soll die Therapie weitergeführt werden.
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Das Absetzen oder Pausieren einer Therapie ist – abhängig von dem Wirkmechanismus – mit der Gefahr des Wiederauftretens von Erkrankungsaktivität und/oder -progression assoziiert (siehe auch Empfehlungen zu Frage 8).
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Das Absetzen oder Pausieren einer Therapie bei explizitem Patientenwunsch (ohne eine geplante Folgetherapie) kann unter klaren Maßgaben für ein klinisches wie bildgebendes Monitoring erfolgen.
(10) Bei Patienten, bei denen ein Wechsel der DMT geplant ist: Wie sollte die empfohlene Strategie aussehen?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Der Wechsel von Dimethylfumarat, Glatirameracetat/Glatirameroiden und Interferonpräparaten auf eine andere DMT sollte ohne ein Auswaschintervall vollzogen werden. Auch hier ist allerdings – insbesondere bei Dimethylfumarat – eine Kontrolle des Differenzialblutbildes zu empfehlen und bei Lymphopenie ggf. bis zu einer Erholung des Blutbildes vor Umstellung zu warten.
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Bei Substanzen, die regelhaft zu einer Lymphopenie führen, wie Alemtuzumab, Cladribin oder S1P-Rezeptor-Modulatoren, sollte bis zu einer weitgehenden Rückbildung der Lymphopenie gewartet werden, wenn der klinische Zustand des Patienten eine Therapiepause erlaubt (Nutzen-Risiko-Analyse). Für konkrete Empfehlungen wird auf die Handbücher des KKNMS verwiesen.
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Bei Umstellung von Natalizumab auf eine andere hochwirksame Therapie soll das Risiko einer „Carry-over“-PML in Betracht gezogen werden. Daher soll vor Umstellung eine sorgfältige neuroradiologische Diagnostik erfolgen. Bei Bedarf sollte eine Analyse des Liquors auf HPyV-2(JCV)-DNA vorgenommen werden.
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Die potenziellen Wirkzeiten der DMTs sollten bei Umstellung in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn Laborwerte oder sonstige organisatorische Erfordernisse eine Therapiepause bedingen. Die Wiederkehr von Krankheitsaktivität kann für MS-Patienten schwerwiegende Folgen haben und ist bei Natalizumab bereits nach der 6. Woche und bei S1P-Rezeptor-Modulatoren innerhalb der ersten 3 Monate nach Beendigung der Therapie möglich.
(11) Welcher langfristige therapeutische Ansatz ist optimal zur Weiterbehandlung von Patienten, die zuletzt mit Alemtuzumab oder Cladribin behandelt wurden?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Sollte es nach den komplett durchgeführten Therapiezyklen mit Alemtuzumab zu erneuter Krankheitsaktivität im Verlauf kommen, sollte ein 3. Therapiezyklus erwogen werden, wenn es nach den ersten Zyklen zu einer deutlichen Reduktion der Krankheitsaktivität gekommen ist (Jahr 2) und damit von Therapieansprechen bzw. Krankheitskontrolle auszugehen ist.
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Sollte es nach den komplett durchgeführten Therapiezyklen mit Cladribin zu erneuter Krankheitsaktivität im Verlauf kommen, kann ein 3. Therapiezyklus analog zu Alemtuzumab erwogen werden (für Cladribin im 3. und 4. Jahr derzeit „off-label“), allerdings ist hierfür keine ausreichende Datenlage verfügbar.
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Ein Wechsel von Alemtuzumab zu Cladribin oder umgekehrt sollte aufgrund der wenig absehbaren, sequenziell kombinierten Wirkung auf das Immunsystem gut begründet sein. Alle anderen zugelassenen DMTs können prinzipiell unter engmaschiger Kontrolle bei Auftreten von Krankheitsaktivität verabreicht werden.
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Ist unter der Therapie mit Alemtuzumab oder Cladribin im 1. Therapiejahr Krankheitsaktivität zu verzeichnen, so sollte dies einerseits im Kontext der Vortherapie bzw. der Erkrankungsvorgeschichte (vorbestehende Aktivität/Schwere) interpretiert werden, andererseits sollte – sofern die Erkrankung nicht gleichbleibend aktiv oder sogar paradox aktiver geworden ist – der Effekt dieses Therapieprinzips mit Gabe des kompletten weiteren Therapiezyklus abgewartet werden, um das Therapieprinzip zu wahren. Ist die Krankheitsaktivität im Vergleich zur Status vor Therapieinitiierung nach dem 1. Therapiezyklus allerdings klar verstärkt, sollte die Umstellung auf eine andere (hoch)aktive DMT vorgenommen werden.
(12) Wie sollte die therapeutische Strategie bei Patienten mit MS, die mit DMTs behandelt werden, aussehen, um das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) zu minimieren?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Natalizumab ist i) bei positivem HPyV-2(JCV)-AK-Status (≥0,9) und ii) einer Behandlungsdauer von ≥18 Monaten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer PML verbunden. Unabhängig vom HPyV-2(JCV)-AK-Status ist iii) eine vorhergehende Immunsuppression ein Risikofaktor, der zusammen mit der Behandlungsdauer berücksichtigt werden soll.
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Bei stabilem Verlauf sollen Patienten mit niedrigem Risiko (HPyV-2[JCV]-AK negativ, HPyV-2[JCV]-AK-Titer ≤0,9) zur Überwachung der Behandlungssicherheit regelmäßige klinische Untersuchungen erhalten und mindestens einmal jährlich paraklinisch (MRT) untersucht werden. Auch sollen HPyV-2(JCV)-AK-Titer-Kontrollen alle 6 Monate erfolgen.
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Bei Patienten mit einem hohen PML-Risiko (HPyV-2[JCV]-AK-Titer ≥0,9 und Dauer der Behandlung mit Natalizumab >18 Monate, vorhergehende Immunsuppression) sollen im Fall einer Fortsetzung der Therapie häufigere MRT-Kontrollen (alle 3 bis 6 Monate) vorgenommen werden. Parallel dazu sollen zudem höherfrequente klinische Kontrollen (≤ alle 3 Monate) erfolgen. Hier ist die Durchführung von MRT-Kurzprotokollen mit speziellen PML-Sequenzen möglich.
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Für Patienten mit einem hohen PML-Risiko, die das Medikament wechseln, oder bei Patienten mit einem Potenzial für erhöhte Krankheitsaktivität nach Absetzen der Therapie – wie beim Wechsel von Natalizumab auf Fingolimod – sollen insbesondere zum Zeitpunkt des Absetzens der aktuellen Behandlung und nach Beginn der neuen Behandlung eine zerebrale MRT und ggf. eine Liquoruntersuchung erfolgen (HPyV-2[JCV]-PCR), um eine „Carry-over“-PML sicher auszuschließen und die Situation zum Therapieende bzw. nach Therapieinitiierung zu erheben.
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Zur Vermeidung immunologischer Nebenwirkungen – inklusive opportunistischer Infektionen wie PML – soll insbesondere im 1. Jahr unter Dimethylfumarat eine Überwachung der Leukozyten und speziell der absoluten Lymphozyten erfolgen. Sollte die Zahl persistent unter 500/μl liegen, muss das Präparat abgesetzt werden. Bei anhaltenden Werten zwischen 500 und 800/μl – auch über das 1. Jahr hinaus – sind verstärkte Vigilanzmaßnahmen anzuwenden (höherfrequentes klinisches und magnetresonanztomographisches Monitoring). Das Risiko steigt offenbar mit dem Alter der Patienten (≥55 Jahre).
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Für das PML-Risiko unter Fingolimod (und vermutlich den anderen S1P-Modulatoren) gibt es außer einem höheren Patientenalter (≥55 Jahre) keine Risikostratifizierungsparameter.
(13) Für MS-Patientinnen unter einer DMT: Wie ist die Therapie bei Kinderwunsch oder einer ungeplanten Schwangerschaft zu verändern und wie sollte die Behandlung nach der Entbindung während der Stillzeit aussehen?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Patientinnen sollen darüber informiert werden, dass mit Ausnahme von Interferonen und Glatirameracetat/Glatirameroiden die DMTs während der Schwangerschaft keine Zulassung haben.
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Gleiches gilt für die Stillzeit, für die bisher nur für Interferone eine Zulassung besteht.
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Für Frauen mit hoher Krankheitsaktivität sollte die Kontrolle der Erkrankungsaktivität prioritären Stellenwert besitzen, sodass man in diesen Fällen zunächst eine Verschiebung einer geplanten Schwangerschaft anrät.
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Für geplante oder ungeplante Schwangerschaften bei hoher Krankheitsaktivität kann Natalizumab bis zur 32. Woche gegeben werden, unter klarer Besprechung der Nutzen-Risiko-Abwägungen.
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Die Gabe von Dimethylfumarat kann bis zum positiven Schwangerschaftstest erwogen werden.
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Die Behandlung mit immundepletierenden DMTs (Alemtuzumab, Cladribin) kann bei bestehendem Kinderwunsch eine alternative therapeutische Option sein, sofern das Intervall von letzter Gabe bis zur Konzeption ≥4 (Alemtuzumab) bzw. ≥6 Monate (Cladribin, für beide Geschlechter) ist.
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Aus der Kenntnislage der klinischen Routine ist es möglich ≥4 Monate nach einer Behandlung mit Ocrelizumab eine Konzeption zu planen („good clinical practice point“; siehe auch Qualitätshandbücher des KKNMS).
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Für Frauen mit hohem Risiko für eine Erkrankungsaktivierung sollen Interferone oder Glatirameracetat/Glatirameroiden als Therapie bis zum Eintritt oder auch während der Schwangerschaft in Erwägung gezogen werden.
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Grundsätzlich sollte eine Immuntherapie nach Entbindung, unter Berücksichtigung der Vorgaben und Einschränkungen in der Stillzeit, wieder aufgenommen werden.
(14) Wie sollte die Behandlungsstrategie im aktuellen epidemiologischen Kontext von COVID-19 aussehen?
Review zu Evidenzen und entsprechende Empfehlungen
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Auf der Basis der bisher verfügbaren Daten stellen Komorbiditäten und kritische Residuen der MS mit schwerer Behinderung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 dar, nicht aber die MS-Erkrankung selbst oder eine der DMTs. Zu CD20-Antikörpern existieren allerdings Daten, die das Risiko eines möglicherweise schwereren Verlaufs zeigen. Es gibt demnach keinen Grund, jüngeren und ansonsten gesunden MS-Patienten eine Therapie aufgrund der Pandemie vorzuenthalten bzw. eine Therapie zu verschieben. Die Auswahl eines Medikamentes sollte sich weiterhin ausschließlich nach der Aktivität und Schwere der MS richten.
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Bei MS-Patienten mit höherem Lebensalter, höherem Behinderungsgrad und internistischen, insbesondere kardiovaskulären Vorerkrankungen sollte allerdings zu Zeiten der Pandemie intensiver die Erkrankungsaktivität in Trajektorie zum Alter reflektiert werden, insbesondere bei Indikation progredienter MS, und ob eine MS-Therapie/B-Zell-depletierende Immuntherapie wirklich indiziert ist. Eine Kortikosteroidtherapie kann das Risiko für schwerere Verläufe erhöhen, was bei Patienten mit regelmäßig durchgeführten Kortikosteroidpulsen zu bedenken ist.
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Grundsätzlich sollen MS-Patienten geimpft werden – dies schließt die Impfung gegen SARS-CoV‑2 mit ein und gilt für alle gegenwärtig verfügbaren (konzeptuellen Tot‑)Impfstoffe (mRNA, Adenovirusvektor). Auch unter einer DMT sollte die Impfung durchgeführt werden; es besteht auch bei einer laufenden DMT eine berechtigte Aussicht darauf, dass eine suffiziente Impfantwort erreicht wird. Daher wird auch bei den meisten DMTs kein besonderes Timing hinsichtlich der Impfung benötigt. Bei Ocrelizumab existieren Daten zur Impfung 3 Monate nach Gabe der Therapie, daher kann dieses Zeitfenster, wenn möglich, beachtet werden. Wenn dies nicht möglich ist, kann im Sinne der Nutzen-Risiko-Abwägung wann immer möglich gegen SARS-CoV‑2 geimpft werden (siehe Merkblatt Impfen KKNMS Stand 04.03.2021). Ansonsten soll den Empfehlungen der jeweiligen nationalen Impfkommission Folge geleistet werden. Zur Überprüfung der Impfantwort durch Messung von Antikörpern sind zurzeit keine ausreichenden Daten vorhanden und dieses wird auch von den Herstellern nicht empfohlen.