Zähes Ringen um das Recht auf Sterben

Nach dem Aus der allgemeinen Corona-Impfpflicht wird sich der Bundestag jetzt mit einem anderen heiklen Thema beschäftigen müssen: der Suizidassistenz. Drei fraktionsoffene Anträge liegen bislang vor. Es geht um nicht mehr als um 15 Gramm. Dennoch wiegt die Sache so schwer, dass sie hohe Gerichte und in Kürze erneut den Deutschen Bundestag beschäftigt. Zu entscheiden ist schlussendlich über ein Thema, das Ethik-Professoren entzweit und über das auf Ärztetagen gerungen wird: Es geht um die Frage nach einem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Und es geht um die Rolle, die Ärztinnen und Ärzte dabei spielen sollen. Der Reihe nach: Weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster im Februar die Klage mehrerer schwerkranker Patienten auf 15 Gramm des todbringenden Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital abgewiesen, die Angelegenheit zugleich zur Revision zugelassen hat, ist der Fall jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht gelandet. Die Richter am OVG hatten betont, das Betäubungsmittelgesetz sehe kein Anrecht auf ein todbringendes Medikament vor. Somit sei auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht verpflichtet, suizidwilligen Schwerkranken den Erwerb des Mittels zu erlauben. Die Politik ist am Zug „Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten gewährleisten, sieht das Betäubungsmittelgesetz nicht vor. Sie können auch nicht in das Gesetz hineingelesen werden“, heißt es in der Pressemitteilung des OVG. Ob ein Zugang zu Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden solle, habe der Gesetzgeber zu entscheiden, der auch ein „diesbezügliches Schutzkonzept“ entwickeln müsse, so das OVG. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für „nichtig“ erklärt. Begründung der Karlsruher Richter: Das im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das schließe die Freiheit ein, „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“.Bei der Neuregelung der Suizidhilfe sei daher sicherzustellen, „dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt“. Die drei Entwürfe zur Suizidassisten Unterscheidung nach den Gründen des Suizidwunsches; Ärzte spielen zentrale Rolle. Staatliche Beratung an erster Stelle; Schaffung eines flächendeckenden Beratungsnetzes. Strafrechtlicher Ansatz – geschäftsmäßige Suizidassistenz bleibt grundsätzlich strafbar. Der Bundestag müht sich seither, eine Regelung zu finden. In der vergangenen Legislatur hatte es „nur“ für eine Orientierungsdebatte gereicht – auch wegen der Anfang 2020 einsetzenden Corona-Krise. Jetzt ist die Debatte erneut im Gange. Drei fraktionsoffene Anträge liegen bislang vor: Vorschlag Künast/Keul: Die Grünen-Politikerinnen setzen in ihrem Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ beim „sicheren Zugang“ zu Betäubungsmitteln wie Natrium-Pentobarbital an, mit denen Menschen ihren Suizidwunsch erfüllen möchten. Dabei soll danach unterschieden werden, ob Betroffene ihren Tod wegen schwerer Krankheit anstreben oder „aus anderen Gründen“. Im ersten Fall sollen Ärzte bei der Prüfung, ob das Hilfsmittel bereitgestellt wird, eine zentrale Rolle spielen. Andernfalls sollen höhere Anforderungen wie Dokumentation der „Dauerhaftigkeit“ eines selbstbestimmten Entschlusses erfolgen und Ärzten keine zentrale Rolle zugewiesen sein. In jedem Fall müsse die „Autonomie der Entscheidung gesichert und beachtet“ werden. Vorschlag Helling-Plahr/Sitte: Diesem Antrag zufolge soll jeder Mensch das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf selbstbestimmtes Sterben haben. Beratungsmöglichkeiten für Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, sollen dem Entwurf zufolge ausgebaut und professionalisiert werden. Das soll über eine Beratungsinfrastruktur, verbunden mit aufsuchenden Beratungsangeboten, sichergestellt werden. Suizidprävention und „liberale Sterbehilferegelung“ stünden nicht im Widerspruch zueinander, sagt FDP-Rechtsexpertin Katrin Helling-Plahr. Der Antrag wurde ursprünglich auch von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) unterstützt – in seiner Funktion als Abgeordneter. Vorschlag Castelucci/Kappert-Gonther: Der Antrag um die Abgeordneten Lars Castelucci (SPD) und Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) gilt als bisher „schärfste“ Lösung. Demnach soll es keine staatliche Infrastruktur zur Suizidförderung geben. Geschäftsmäßige Suizidassistenz soll grundsätzlich strafbar sein. Vulnerable Personen, die sich bedrängt fühlten, sollen so vor übereilten Entscheidungen beschützt werden. „Suizidgedanken sind volatil“, sagt Kappert-Gonther. Daher sei die Suizidprävention zu stärken. Empfehlung der Redaktion Medikamentenfläschchen 26.04.2022 | Recht für Ärzte | Nachrichten Kein Recht auf assistierten Suizid Ärzte und Ärztinnen dürfen bestraft werden, wenn sie aktiv bei einer Selbsttötung helfen oder Ratschläge geben, stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klar. Auf die Meinungsfreiheit können sich die Angeklagten nicht berufen. Nach dem Aus der allgemeinen Corona-Impfpflicht, zu der im Bundestag auch zwei fraktionsoffene Anträge zur Abstimmung standen, ist die Verunsicherung groß: Könnte es bei der geplanten Regelung zur Suizidassistenz ähnlich ausgehen und sich am Ende keiner der Entwürfe durchsetzen? Einen Unterschied gibt es aber: Bei der Impfdebatte lag – anders als bei der zur Suizidhilfe – kein Auftrag der Verfassungsrichter vor, eine Gesetzeslücke zu schließen. Quelle: Ärzte Zeitung

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