Einleitung
Betrachtete Freud (
1910) die Gegenübertragung (GÜ) noch als Störvariable, avancierte sie im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Wirkfaktor im psychoanalytischen Prozess (Dreher et al.
2023). Die Studienlage zeigt, dass GÜ beide Potenziale in sich trägt (Bouchard et al.
1994): Gegenübertragungsgefühle können Aufschluss über interpersonelle Muster des/r Patient:in bieten (Kernberg
1965), aber auch schwierige Therapiesituationen (Missverständnisse, Sackgassen) und Brüche im Arbeitsbündnis bedingen (Kantrowitz
2002). Entscheidend für den konstruktiven Nutzen von GÜ ist der Umgang mit den entsprechenden Gefühlen. Gelingt dieser, kann das einen positiven Einfluss auf Therapieergebnis und therapeutische Beziehung haben (Hayes et al.
2011; Dahl et al.
2017; Faller
2000; Mang
1990; Obbarius
2012; Ligiero und Gelso
2002).
Im „klassischen“, auf Freud zurückgehenden Verständnis wird GÜ als „unbewusste Reaktion des Analytikers auf die Person des Analysanden und insbesondere auf dessen Übertragungen“ begriffen (Quindeau
2008, S. 40). Die dabei angenommene passive Rolle des/r Analytiker:in wird aus intersubjektiver Perspektive scharf kritisiert (Ogden
2004). Moderne intersubjektive bzw. interaktionelle und systemtheoretische Konzepte gehen davon aus, dass es Therapeut:innen nicht möglich ist, sich Verwicklungen in der therapeutischen Begegnung zu entziehen (Dreher et al.
2023). Die Vergangenheit des/der Patient:in aktualisiert sich diesen Konzepten nach nicht unabhängig von der/dem Therapeut:in, sondern Therapeut:innen werden in das aktuelle Beziehungsgeschehen – und so auch in schwierige Beziehungsmuster – unmittelbar involviert und verstrickt (Gumz
2020; Bettighofer
2022; Gumz et al.
2014). So betonen Jacobs (
1986) und andere relationale Psychoanalytiker:innen, dass es sich um eine Verwicklung zwischen beiden Beteiligten handelt (Enactment), dass also die Persönlichkeit, die Gefühle und Beziehungsrepräsentanzen des/der Therapeut:in bei der Entwicklung der jeweiligen Szenen mitwirken, dass die beiden Beteiligten verbal und nonverbal verstrickt sind, auch wenn die Szenen primär von der/dem Patient:in initiiert sind. Eine breite bis heute gültige, „totalistische“ (Mertens
1991) Definition fasst unter GÜ „all the feelings which the analyst experiences towards his patients“ (Heimann
1950, S. 81). In Abkehr von einer Einperson- zu einer Zweipersonenpsychologie wird der/die Therapeut:in dabei zum/r aktiv Mitgestaltenden der therapeutischen Situation (Gill
1982; Thomä
1984). Unklar bleibt jedoch, inwieweit die Gefühle ihren Ursprung im/der Patient:in oder im/der Therapeut:in selbst haben. Mit diesem Aspekt beschäftigte sich Winnicott (
1949) und prägte die Unterscheidung zwischen objektiver GÜ (durch interpersonelle Muster des/r Patient:in ausgelöst) und subjektiver GÜ (eigene maladaptive Tendenzen des/r Therapeut:in fließen ein). Heuft (
1990) schlug für Letztere den Begriff der Eigenübertragung vor. Die wenigen empirischen Studien dazu legen nahe, dass der subjektive Anteil der GÜ deutlich größer zu sein scheint als der objektive, auch wenn zumeist beide Anteile bedeutsam sind (Hafkenscheid
2012; Hafkenscheid und Kiesler
2007; Löffler-Stastka et al.
2019). So werden nicht nur bei Patient:innen, sondern auch bei Therapeut:innen neurotische Strukturen und Selbstschutzmechanismen sichtbar (Bettighofer
2022). Rosenberger und Hayes (
2002, S. 264) greifen in ihrer „moderaten“ Definition den subjektiven Aspekt auf, indem sie GÜ als „the counselors reactions to the client that are based on the counselors unresolved conflicts“ verstehen und deutlich bei der Person des/r Therapeut:in verorten.
Zum Thema GÜ liegt insgesamt eine noch recht begrenzte Anzahl empirischer Studien vor. Die Mehrheit dieser Studien beschäftigt sich mit der Untersuchung der objektiven GÜ und dem Zusammenhang zwischen GÜ-Gefühlen und Störungsbildern (unter anderem Howard et al.
1970; Rossberg et al.
2007; Obbarius
2012). Zunehmend rückt jedoch auch die subjektive GÜ und damit die Person des/r Therapeut:in, die durch ihre Persönlichkeit und eigene biografische Hintergründe die Behandlung mitgestaltet, in den Fokus wissenschaftlichen Interesses (Jacobson
2010; Kuchuck
2014; Thompson
1956; Wilson
2003). Die zur subjektiven GÜ publizierte Literatur beruht in erster Linie auf der therapeutischen Erfahrung der zumeist klinisch tätigen Autor:innen und dieser entnommenen Fallbeispielen. Hier mangelt es stark an empirischen Studien, die den Eigenanteil des/r Therapeut:in am Übertragungsgeschehen fokussieren. Mögliche Gründe dafür könnten in einem Widerstand liegen, sich gegenüber Forscher:innen mit eigenen Anteilen auseinanderzusetzen, aber auch in einem Operationalisierungsproblem.
Bettighofer (
2022) vermutet, dass Eigenanteile ich-synton seien und sich durch ihre unbewusste Natur der Erfassung entzögen. Dass auch GÜ unterschiedlich definiert und operationalisiert wird, erschwert die Beforschung des Themas zusätzlich. Rosenberger und Hayes (
2002) begegnen dieser Problematik durch die Formulierung eines theoretischen Bezugsrahmens, der eine einheitlichere Erfassung des Konstrukts ermöglichen soll. Demnach umfasst GÜ fünf Komponenten: „origins“ (ungelöste Konflikte), „triggers“ (Auslöser der ungelösten Themen), „manifestations“ (kognitiv, affektiv und verhaltensbezogene Erscheinungsformen), „effects“ (Auswirkungen auf Prozess und Ergebnis der Therapie) und „management“ (Strategien im Umgang; Hayes
1995). Die Autoren geben vor diesem Hintergrund einen Abriss über die Studienlage zur GÜ von 1977 bis 2002. Unseres Wissens war dies die letzte Übersichtsarbeit, die sich mit Anteilen des/r Therapeut:in an der GÜ beschäftigte. Das vorliegende Review stellt diese in das Zentrum. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen systematischen Überblick über die Forschungsergebnisse zu dem Thema der Eigenanteile von Therapeut:innen am Übertragungsgeschehen zu geben und dabei folgende Fragen zu beantworten:
1.
Welche Eigenanteile des/r Therapeut:in am Übertragung-Gegenübertragung(Ü-GÜ)-Geschehen werden in der empirischen Literatur untersucht?
2.
Wie wird der Eigenanteil des/r Therapeut:in am Ü‑GÜ-Geschehen in der empirischen Literatur erfasst?
3.
Wie wird GÜ in der empirischen Literatur definiert und messbar gemacht?
4.
Welche empirischen Befunde gibt es zu Eigenanteilen des/r Therapeut:in am Ü‑GÜ-Geschehen?
Diskussion
Das Review zielte darauf ab herauszufinden, welche therapeutischen Eigenanteile am GÜ-Geschehen in der empirischen Literatur untersucht und wie diese operationalisiert werden. Zudem sollten das den Studien zugrunde liegende begriffliche Verständnis von GÜ sowie die Operationalisierung derselbigen beleuchtet werden.
Die empirischen Befunde zeigen, dass Eigenanteile sowohl einen positiven als auch einen negativen Einfluss auf die therapeutische Beziehung haben können: Biografische Parallelen zum/r Patient:in können eine stärkere emotionale Verbundenheit erzeugen, wenn aber aufgrund eigener Konflikte der Umgang mit aversiven GÜ-Gefühlen misslingt, kann ein Rückzug aus der Beziehung resultieren. Die Studien unterscheiden sich deutlich darin, was unter therapeutischem Eigenanteil verstanden sowie ob und inwiefern GÜ definiert und erfasst wird. Dass Eigenanteile und GÜ begrifflich nicht unbedingt trennscharf sind, zeigt die Studie von Haarhoff (
2006). Er betrachtet das Phänomen der GÜ aus einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Perspektive und betont aus dieser heraus, dass die therapeutischen Reaktionen dem/der Therapeut:in bewusst zugänglich sind. Als alternativen Begriff für GÜ spricht er von „therapeutischen Schemata“ als persönliche Überzeugungen der Therapeut:innen.
Diese sind aber nicht nur ein Synonym für GÜ, sondern stellen ebenso einen therapeutischen Eigenanteil dar, nämlich hohe Ansprüche bezüglich Therapiestandards, sich selbst als überlegene besondere Person betrachten und übermäßige Selbstaufopferung. Zieht man die eingangs erwähnte und von Rosenberger und Hayes (
2002) geprägte Unterscheidung zwischen „klassischer“ (unbewusste neurotische Reaktion des/r Therapeut:in auf die Übertragung des/r Patient:in), „totalistischer“ (alle Reaktionen des/r Therapeut:in, ob bewusst oder unbewusst, auf Übertragung des/r Patient:in oder durch andere Aspekte ausgelöst) und „moderater“ (Reaktion des/r Therapeut:in als Ausdruck ungelöster Konflikte) Definition von GÜ heran, zeigt sich in den Studien folgendes Muster: In den 7 Studien, in denen eine Begriffsbestimmung von GÜ stattfand, wurde 4‑mal ein moderates (Cain
2000; Gelso et al.
1995; Hayes und Gelso
1991; Yulis und Kiesler
1968) und 2‑mal ein totalistisches (Haarhoff
2006; Rosenfield
2020) Begriffsverständnis zugrunde gelegt. Connery und Murdock (
2019) verstehen GÜ als Ergebnis der Interaktion zwischen Patient:in und Therapeut:in und beziehen sich auf die Interaktionshypothese von Gelso und Hayes (
2007). Einzig der „Verliebtheitstyp“ in der Studie von Rhyn und von Wyl (
2020), der seine Verliebtheit als GÜ-Reaktion und als vom/n Patient:in „übertragen“ verstand, kann im Sinne einer klassischen GÜ-Definition gedeutet werden. Keine/r der Autor:innen definierte GÜ im „klassischen“ Freud’schen Sinne, wonach diese als „unbewusste Reaktion“ des/r Therapeut:in konzeptualisiert wurde. Dies ist insofern wenig überraschend, als dass die Beschäftigung mit Eigenanteilen bereits die Annahme eines therapeutischen Anteils impliziert, der sich durch seine bewusste Wahrnehmung empirisch erfassen lässt.
Folgt man der Konzeptualisierung von Hayes (
1995, S. 265) liegt es nahe, Eigenanteile als
Origins („areas of unresolved conflict within the counselor“) zu bezeichnen und als eine bestimmte GÜ mitverursachend zu verstehen.
Betrachtet man nun die therapeutischen Eigenanteile der in das Review eingegangenen Studien, wird jedoch deutlich, dass die Begriffsbestimmung von
Origins zu kurz greift, da es sich bei den Eigenanteilen nicht ausschließlich um konflikthafte, ungelöste Themen handelt. Die Studie von Cain (
2000) zeigte, dass die Erfahrung eines eigenen Psychiatrieaufenthaltes dazu führen kann, dass sich der/die Therapeut:in eher mit dem/der Patient:in identifiziert und sich dadurch auch sein/ihr Verständnis für den/die Patient:in verbessert. In eine ähnliche Richtung weist die Studie von Rosenfield (
2020), die Therapeut:innen mit kaukasischer Abstammung hinsichtlich ihrer Überzeugungen, ihrer Gefühle und ihrer Verbundenheit mit Patient:innen mit asiatischem Migrationshintergrund befragt hat. Auch hier wird deutlich, dass die geteilte Migrationserfahrung eine stärkere Einfühlung in den/die Patient:in ermöglichen kann, jedoch auch konflikthafte Inhalte (zum Beispiel Vorurteile) auftauchen können. Nah an dem Verständnis von Hayes bewegt sich die Studie von Plotkin (
2000), die zeigt, dass ungelöste Konflikte mit elterlichen Selbstobjekten bei der Arbeit mit älteren Patient:innen reaktiviert werden können. Ebenso lässt sich die von Gelso et al. (
1995) untersuchte Homophobie als konflikthaftes Thema betrachten, das die Autor:innen wie folgt definieren: „prejudicial attitudes and negative stereotypes toward gay men and lesbian women, generally seen as arising from fear, dislike, or hatred of homosexuality“ (S. 357) (vgl. Daly
1990; Fassinger
1991; Martin
1982). Diese Studie weist deutliche Parallelen zu den Publikationen von Bandura et al. (
1960), Hayes und Gelso (
1991) sowie Yulis und Kiesler (
1968) auf, die unterschiedliche Ausprägungen von Ängstlichkeit untersuchten. Zum einen ist der Affekt der Angst auch bei der Homophobie basal, zum anderen scheint es sowohl bei ängstlichen als auch bei homophoben Therapeut:innen eine Tendenz zu geben, sich bei aversivem Patient:innenverhalten aus dem therapeutischen Geschehen zurückzuziehen. Das Patient:innenverhalten dient diesen Studien als
Trigger („actual counseling events that touch upon or elicit counselors’ unresolved issues“, Hayes
1995). Ob und inwiefern das Gegenüber des/r Therapeut:in berücksichtigt wurde, stellt einen weiteren Punkt dar, in dem sich die Publikationen unterscheiden. In 3 Studien wurde das Patient:innenverhalten als
Trigger für ein bestimmtes Verhalten betrachtet, in 3 weiteren bestimmte Merkmale von Patient:innen definiert (Alter, Homosexualität, asiatischer Migrationshintergrund), in 4 Studien spielte die Patient:innenseite keine Rolle. Wie schon die verschiedenen den Studien zugrunde liegenden GÜ-Definitionen gezeigt haben, deutet auch dieser Aspekt darauf hin, dass die Autor:innen eine unterschiedliche Haltung dazu zu haben, wie bedeutsam Patient:innenvariablen hinsichtlich der GÜ sind.
Die uneinheitliche Studiengestaltung verdeutlicht, dass es an einem Konzept, das Eigenanteile im Kontext des GÜ-Geschehens begreift, mangelt. Wir schlagen vor, das Konzept von Hayes (
1995) um den Aspekt der Eigenanteile zu erweitern. Diese als
Origins zu konzeptualisieren erscheint, wie bereits festgestellt, problematisch, da eine derartige begriffliche Einengung der Komplexität und Vielgestaltigkeit dieser nicht gerecht wird.
Sinnvoller ließen sich Eigenanteile als eigenen Unterpunkt fassen und in folgende drei Aspekte aufteilen: Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen, soziodemografische Merkmale, biografische Erfahrungen (subjektive Einschätzungen vs. objektive Informationen).
Eine GÜ würde sich demnach zusammensetzen aus: Eigenanteilen, Triggern/Auslösern, kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Manifestationen, Auswirkungen auf Prozess und Ergebnis der Therapie und Strategien im Umgang.
Die geringe Anzahl der in das Review eingegangenen Studien lässt sich damit begründen, dass viele Studien Fallberichte darstellen und es, wie einleitend vermutet, an empirisch hochwertigen Untersuchungen zu dem Thema mangelt.
Stärken und Limitationen
Positiv ist hervorzuheben, dass die vorliegende Arbeit auf einer systematischen Suche und Auswahl von Studien beruht, die nicht auf eine zeitliche Spanne begrenzt war. Die therapeutischen Eigenanteile und deren Einfluss auf das Übertragungsgeschehen sind ein bislang noch zu wenig (systematisch) betrachtetes Thema, obgleich Übertragung zu den wichtigsten psychodynamischen Konzepten gehört. Eine weitere Stärke besteht darin, dass Therapeut:innenfaktoren in den Blick genommen wurden. Wie Studien der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben, unterscheiden sich Therapeut:innen hinsichtlich der durchschnittlichen Qualität ihrer Therapiebeziehungen, der Wahrscheinlichkeit von Therapieabbrüchen und der Therapieergebnisse ihrer Patient:innen und hinsichtlich ihrer individuellen interpersonellen Fähigkeiten (Anderson et al.
2009; Baldwin und Imel
2013; Del Re et al.
2012; Gries et al.
2020; Gumz
2020). Es lässt sich vermuten, dass der Umgang mit GÜ-Gefühlen ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Therapeut:innen ist, das die Qualität der therapeutischen Arbeit maßgeblich beeinflusst. Die Befunde aus dem Review deuten zudem darauf hin, dass Eigenanteile und GÜ sinnvollerweise assoziiert betrachtet werden sollten.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Studiensuche auf englische und deutsche Artikel begrenzt war.
Zudem stellte bereits die Formulierung der Suchstrategien eine Herausforderung dar, da die Eigenanteile von Therapeut:innen am Ü‑GÜ-Geschehen mit unterschiedlichen und nicht zwangsläufig vom Deutschen ins Englische zu übersetzenden Begrifflichkeiten gefasst werden (zum Beispiel Begriff der Eigenübertragung). Auch, dass an den ausgewählten Studien nur relativ wenig ausgebildete Analytiker:innen teilgenommen haben, kann kritisch angemerkt werden. Weitere Limitationen stellen die uneinheitliche Studiengestaltung sowie der in einigen Studien unklare fachliche Hintergrund dar, was die Vergleichbarkeit der Studien deutlich einschränkt. Vier Studien erfassten GÜ nicht explizit. Die 6 Studien, die GÜ berücksichtigten, operationalisierten diese sehr unterschiedlich (qualitativ durch Selbstauskunft, quantitativ durch Fragebogen bzw. Reaktionen auf Tonbänder).
Auch die untersuchten Eigenanteile waren – trotz inhaltlicher Überschneidung in Bezug auf die Ängstlichkeit von Therapeut:innen – eher heterogen.
Fazit und Ausblick
Das Review hat gezeigt, dass es noch einigen Forschungsbedarf auf dem Gebiet der Eigenanteile gibt. Hinsichtlich unserer vorgeschlagenen Modifikation der Konzeption von Hayes (
1995) könnten sich Forscher:innen mit der Frage beschäftigen, ob therapeutische Eigenanteile noch weitere Unterpunkte umfassen und das theoretische Modell um diese erweitern. Zudem erscheint es wichtig, die Zusammenhänge von Eigenanteilen und GÜ besser zu verstehen.
Wie reflektieren Therapeut:innen über Eigenanteile am Ü‑GÜ-Geschehen, welche Haltung wird hierzu vertreten? Wie stark ist eine GÜ-Reaktion bzw. ein GÜ-Gefühl durch Eigenanteile des/r Therapeut:in bestimmt? In welchen Konstellationen haben Eigenanteile eine größere Bedeutung am Ü‑GÜ-Geschehen? Gibt es so etwas wie „harte“ und „weiche“ Eigenanteile?
Zukünftige Forschungsvorhaben sollten auch Kontextbedingungen miterfassen und somit das Thema, in welchen Therapiesituationen welche Eigenanteile aktiviert werden, beleuchten.
Um die komplexe therapeutische Beziehung besser zu verstehen und um berufsethische Prinzipien einzuhalten (zum Beispiel Vermeidung von Machtmissbrauch durch den/die Therapeut:in) erscheint es von hoher Relevanz, die therapeutischen Eigenteile weiterzubeforschen. Voraussetzung dafür ist eine konsistente und eindeutige Definition, was unter Eigenanteilen im Kontext der GÜ verstanden wird. Für die Operationalisierung der Konzepte, aber auch für die theoretische und klinische Vermittlung der Inhalte im Psychotherapiestudium wird es nützlich sein, die Begriffe zu vergleichen, zu systematisieren und einen Konsens zu finden (Gumz
2020; Gumz et al.
2014; Gumz und Geyer
2021). Wie Hayes et al. (
2011) betonen, sind nicht GÜ-Gefühle problematisch, sondern ein misslungener Umgang mit diesen. Dementsprechend sollte bereits in der Psychotherapieausbildung im Rahmen von Selbsterfahrung und Supervision besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, welche eigenen Anteile die therapeutische Situation mitgestalten.
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