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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

7. Angehörigenbefragung in der stationären Langzeitpflege

verfasst von : Johannes Strotbek, Daniel Tucman

Erschienen in: Pflege-Report 2023

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Zusammenfassung

Im Jahr 2019 entwickelte das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP) im Auftrag der Weissen Liste, einer Transparenzinitiative der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit Patienten- und Verbraucherverbänden, eine Angehörigenbefragung für Einrichtungen der vollstationären Langzeitpflege. Mit dem Instrument soll die Qualitätsberichterstattung in der Pflege um die Perspektive der Betroffenen erweitert werden. Zur Unterstützung der konzeptionellen Entwicklung konnte die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz der Stadt Hamburg (heute Sozialbehörde) als begleitender Kooperationspartner gewonnen werden. Die Stadt Hamburg hat im 2018 novellierten Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz die jährliche Durchführung und Veröffentlichung einer einrichtungsbezogenen Angehörigenbefragung zum Zwecke der Qualitätsberichterstattung und Verbraucherinformation verankert.
Zusammenfassung
Seit 2019 hat das Land Hamburg eine jährliche Angehörigenbefragung für alle Pflegeheime gesetzlich vorgeschrieben. Eingesetzt wird ein Fragebogen, den das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung im Auftrag der Weissen Liste entwickelt hat. Mit ihm ist es gelungen, Befragungsergebnisse einrichtungsbezogen zu veröffentlichen. Mit der Befragung wird die Betroffenenperspektive in den Methodenmix der Qualitätsbewertung eingebunden. Bei der Entwicklung galt es allerdings, methodische Herausforderungen bei der Definition von Qualität und Qualitätsdimensionen pragmatisch zu lösen. Der Beitrag ordnet das Projekt in die Debatte um die Qualitätsberichterstattung ein und beschreibt die Entwicklung des Fragebogens. Diskutiert werden methodische Fragen, Erkenntnisse aus der praktischen Anwendung sowie die Aussagekraft der Ergebnisse.
Since 2019, the state of Hamburg legally requires an annual survey of relatives for all nursing homes. A questionnaire developed by the Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung on behalf of Weisse Liste is used. It has made it possible to publish survey results on a facility-by-facility basis. The survey integrates the perspective of those affected into the method mix of quality assessment. During development, however, methodological challenges had to be solved pragmatically. The article places the project in the debate about quality reporting and describes the development of the questionnaire. Methodological issues, findings from practical application, and the significance of the results are discussed.

7.1 Einleitung

Im Jahr 2019 entwickelte das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e. V. (DIP) im Auftrag der Weissen Liste, einer Transparenzinitiative der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit Patienten- und Verbraucherverbänden, eine Angehörigenbefragung für Einrichtungen der vollstationären Langzeitpflege. Mit dem Instrument soll die Qualitätsberichterstattung in der Pflege um die Perspektive der Betroffenen erweitert werden. Zur Unterstützung der konzeptionellen Entwicklung konnte die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz der Stadt Hamburg (heute Sozialbehörde) als begleitender Kooperationspartner gewonnen werden. Die Stadt Hamburg hat im 2018 novellierten Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz die jährliche Durchführung und Veröffentlichung einer einrichtungsbezogenen Angehörigenbefragung zum Zwecke der Qualitätsberichterstattung und Verbraucherinformation verankert.
In der Debatte um die Qualitätsberichterstattung zu Pflegeeinrichtungen stößt man auf vielfältige Argumente gegen den Versuch, Pflegequalität zu bewerten und Betroffene darüber zu informieren. Sie gehen in zwei Richtungen: Die eine stellt mögliche Erhebungsmethoden infrage. Theoriedefizite werden ebenso angeführt wie methodische Hürden sowie die Subjektivität des Qualitätsbegriffs. Die zweite Stoßrichtung stellt die Zulässigkeit der Nutzung oder Veröffentlichung der Bewertungsergebnisse infrage. Argumentiert wird, dass Pflegequalität multikausal und folglich nicht allein einer Pflegeeinrichtung zuschreibbar sei, dass Pflegebedürftige und Angehörige Pflegequalitätsdaten nicht interpretieren könnten oder dass eine Veröffentlichung in Anbetracht fehlender Pflegeplätze aus Verbrauchersicht keinen Mehrwert habe (siehe hierzu auch den Beitrag von Meyer und Berg, Kap.​ 6 in diesem Band).
Einige der Argumente haben einen wahren und diskussionswürdigen Kern. Gebündelt werden sie jedoch gern weit über ihren sachlichen Kern hinaus als Narrativ gegen eine systematische, möglichst datengestützte Qualitätsentwicklung und Qualitätsberichterstattung verwendet, das deren Sinnhaftigkeit grundsätzlich infrage stellt.
Für die hier vorgestellte Entwicklung eines Instruments zur Angehörigenbefragung sehen wir den genannten Argumenten zum Trotz zwei zwingende Treiber, die auch generell für Qualitätsberichterstattung und Public Reporting mit einem möglichst breit gefächerten Instrumentenpool sprechen: Das sind zum einen unsere Fürsorgepflicht als Gemein- und Gesundheitswesen und zum anderen die Rechenschaftspflicht der Pflegeeinrichtungen.
Unsere Fürsorgepflicht gegenüber Pflegebedürftigen hat sowohl eine staatliche (Aufsichtsbehörden, Kostenträger) als auch eine individuelle Dimension (Betreuer, Pflegefachkräfte, Zivilgesellschaft). Die Fürsorge durch andere wird umso wichtiger, je mehr die Fähigkeit der Pflegebedürftigen zur Selbstsorge eingeschränkt ist. Die öffentliche, quasi amtliche Fürsorgepflicht wird dann entscheidend, wenn zivilgesellschaftliches Engagement und „Qualitätssicherung“ im Sinne von Hinsehen und Füreinander da sein, Nachbarschaftshilfe oder Besuche im Heim kaum oder gar nicht mehr greifen.
Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen haben gegenüber den sie finanzierenden Steuer- und Beitragszahlern eine Rechenschaftspflicht. Steuerzahler und Versicherte erwarten bestmögliche Leistung und Qualität sowie den Ausschluss von Missbrauch. Auch wenn man auf das privatrechtliche Verhältnis von Pflegeheimbewohnern und Pflegeeinrichtungen fokussiert, gibt es keinen vernünftigen Grund, weshalb die zahlenden Kunden über die Qualität der Dienstleistung im Unklaren gehalten werden sollen.
Die Herausforderung des hier beschriebenen Projekts war es, den wahren Kern der genannten Argumente zu berücksichtigen und einen sachgerechten, bei Zielkonflikten durchaus auch pragmatischen Umgang mit ihnen zu finden, um vorrangig den Interessen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu folgen. Die berechtigten Interessen der Stakeholder, insbesondere der Einrichtungen auf eine faire Veröffentlichung, galt es zu berücksichtigen.
Entstanden ist die erste Angehörigenbefragung in Pflegeheimen, die in einem Bundesland flächendeckend ein- und durchgeführt wurde und deren Ergebnisse einrichtungsbezogen veröffentlicht werden.

7.2 Angehörigenbefragung im Kontext von Qualitätssicherung und -berichterstattung

7.2.1 Paradigmenwechsel im Qualitätsverständnis

Beim komplexen „Produkt Gesundheit und Pflege“ fällt es naturgemäß besonders schwer, messbare Anforderungen zu stellen, denn es hat nahezu unendlich viele denkbare Ausprägungen, die in sich gegenseitig konstituierendem Verhältnis stehen. Es gibt multilaterale Faktoren, die auf die Qualität Einfluss nehmen. Nicht zuletzt sind die Pflegebedürftigen selbst Einflussfaktoren ihrer Pflegequalität.
Unserer Ansicht nach erleben wir in der Qualitätsdebatte einen schrittweisen Paradigmenwechsel von einem mechanistischen Qualitätsverständnis mit einem Input und einem Output und den Qualitätsdimensionen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität hin zu einem multiperspektivischen Qualitätsverständnis und dem Bemühen, Outcomes stärker als bislang aus Patienten-/Klientensicht zu definieren.
Eine Befragung der Pflegebedürftigen zur Erhebung von Pflegequalität war bereits in der vor 2019 geltenden Pflege-Transparenzvereinbarung für die stationäre Pflege nach § 115 Abs. 1a Satz 6 SGB XI vorgesehen. Befragt wurde eine begrenzte Stichprobe der Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime. Die Ergebnisse wurden in Schulnoten umgerechnet und veröffentlicht und ergaben im bundesweiten Durchschnitt regelmäßig die Note 1,0. Die veröffentlichten Ergebnisse waren damit für einen einrichtungsbezogenen Qualitätsvergleich ungeeignet, da diese Noten ganz offensichtlich keine Differenzierung erreichten. Seither stellt § 113b SGB XI neue Anforderungen an die Qualitätsberichterstattung in der Pflege. Neben Prüfergebnissen des Medizinischen Dienstes und durch die Einrichtungen selbst erhobenen Indikatoren sollen „ergänzende Instrumente zur Ermittlung und Bewertung von Lebensqualität“ entwickelt werden, wobei letzteres noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde.
Drei Erkenntnisse lassen in diesem Zusammenhang den Einsatz einer Angehörigenbefragung prinzipiell sinnvoll erscheinen:
1.
Erfahrungsberichte und systematische Befragungen sind in vielen Lebensbereichen gängige Praxis und werden von Verbrauchern nachgefragt und genutzt. Verstünde man die Information der Öffentlichkeit allein als Abfallprodukt der Daten, die zum Zwecke der Qualitätssicherung erhoben wurden, schränkte dies zwangsläufig den Raum der von der Berichterstattung umfassten Qualitätsdimensionen und Kriterien ein – und zwar ohne Rücksicht auf das Nutzerinteresse. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, die auf der Suche nach einer geeigneten Pflegeeinrichtung sind, suchen und erwarten die Erfahrungen anderer als wichtige und vertrauenswürdige Informationsquelle. Laut einer repräsentativen Befragung durch Emnid stimmen 74 % der Bürger ab 18 Jahren der Aussage „voll und ganz“ bzw. „eher“ zu, dass Bewohnerinnen und Bewohner oder Angehörige regelmäßig über ihre Erfahrungen mit dem Pflegeheim befragt und die Ergebnisse veröffentlicht werden müssen (Strotbek et al. 2017a, S. 13). Im Jahr 2018 beschloss auch die Landesgesundheitsministerkonferenz, Patientenbefragungen in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens einzuführen (GMK 2018). Allerdings wurde dieser Anspruch jenseits von Einzelinitiativen wie der Patientenbefragung zu Krankenhäusern der Weissen Liste mit dem AOK-Bundesverband und der BARMER sowie der KKH nicht konsequent verfolgt.
 
2.
Erfahrungsberichte und systematische Befragungen sind vor allem deshalb ein geeigneter Baustein zur Qualitätsbewertung von Gesundheitseinrichtungen, weil sie Qualitätsaspekte jenseits der gesundheitlich-pflegerischen Versorgung im engeren Sinne abdecken können. So sind personalbezogene Kriterien, darunter auch Aspekte wie die Freundlichkeit des Personals, im Vergleich zu anderen Kriterien besonders wichtige Beurteilungskriterien für die Auswahl einer Pflegeeinrichtung (Geraedts et al. 2011). Dies zeigte auch eine Nutzerbefragung auf der Online-Pflegeheimsuche der Weissen Liste mit über 1.000 Teilnehmenden. Kernergebnis: „Personalbezogene Kriterien (sind) extrem wichtig, das umfasst die Aspekte ‚Würde- und respektvoller Umgang‘, ‚Ausreichend Zeit für die Pflege‘, ‚Freundlichkeit des Personals‘ und ‚Qualifikation der Pflegekräfte‘“ (Strotbek et al. 2017b, S. 26).
 
3.
Bestimmte, aus Patientensicht durchaus wesentliche Endpunkte der Qualitätserhebung lassen sich sogar nur durch die Befragung der Betroffenen selbst erheben. Das gilt z. B. bei der Versorgung am Lebensende, bei der maßgeblich der Patientenwille und unmittelbar die ansonsten üblichen Leitlinien im Vordergrund stehen.
 
Patient Reported Outcome Measures (PROMs) sind hier ein Lösungsansatz, der bisher in der Pflege kaum Verbreitung findet. Mit PROMs können die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die wahrgenommene Gesundheit anhand spezifischer Merkmale wie Mobilität, Schmerzen etc. durch Befragung der Patienten erhoben werden. Patient Reported Experiences Measures (PREMs) haben daneben eine eigenständige Berechtigung – hier geht es um Erfahrungen im Versorgungskontext, etwa mit Behandlungsabläufen. Hier werden Patienten nach erlebten Handlungen befragt und geben Auskunft über Wartezeiten, Aufklärungsverhalten oder Hygienemaßnahmen. PREMs und PROMs sind abzugrenzen von erwartungsbasierten Befragungen (weiterführend: Grote-Westrick und Wehling 2023). PROs und PREs werden eigentlich ausschließlich von den Betroffenen selbst berichtet. Mit entsprechenden Instrumenten könnten Angehörige von Pflegebedürftigen in solchen Befragungskontexten als „Proxy“ dienen. Die in diesem Beitrag diskutierte Befragung hatte allerdings nicht zum Ziel, PROM für die Pflege zu entwickeln.

7.2.2 Angehörige als Befragungspersonen

Bereits im Jahr 2017 hatte die Bertelsmann Stiftung im Rahmen ihres Projekts „Weisse Liste“ Vorschläge für ein neues Qualitätsprüfungs- und -veröffentlichungssystem für die Altenpflege in den fachlichen und politischen Diskurs eingebracht (Strotbek et al. 2017b).
Einer der sechs übergeordneten Reformvorschläge des vorgelegten Reformkonzepts war, das Erfahrungswissen der an der Pflege Beteiligten zu erschließen und zu veröffentlichen.
Hierzu waren zwei Kernerergebnisse leitend:
  • „Nutzer wollen wissen, welche Erfahrungen andere bei dem jeweiligen Pflegeanbieter gemacht haben und ob sie ihn daraufhin weiterempfehlen würden.“
  • „Die Ergebnisse systematischer Befragungen von Angehörigen und/oder Mitarbeitern stellen wichtige Informationsquellen dar. Für eine bessere Aussagekraft können gezielt kritische Ereignisse sowie Aussagen zur Weiterempfehlung erhoben werden.“
Prinzipiell kommen verschiedene Gruppen in Betracht, die als von der Pflege betroffene oder beteiligte Personen über ihre jeweils beobachtete oder erlebte Pflegequalität Auskunft geben könnten:
  • die Pflegebedürftigen selbst
  • ihre Zugehörigen und als Spezialfall ihre gesetzlichen Vertreter
  • Mitarbeitende der Einrichtung, insbesondere Pflegefach- und -hilfskräfte
  • behandelndes medizinisches Personal
  • weitere Personen mit unmittelbarem oder mittelbarem Einblick in die Einrichtung, etwa von Bestattern, aus der Pflegeberatung usw.
Bei der Befragung der Pflegebedürftigen selbst sind bestimmte Hürden denkbar, etwa wenn Bewohnerinnen und Bewohner aufgrund demenzieller Erkrankungen nicht teilnehmen können oder falls es Bewohnern angesichts ihrer Abhängigkeit von der Einrichtung schwerfällt, Kritik zu äußern.
Die Befragung von Mitarbeitenden der Einrichtung hat zwar das Potenzial, sehr belastbare und pflegefachlich fundierte Erfahrungen aus der alltäglichen Arbeit zu erfassen und entsprechend positive oder negative Aspekte ans Licht zu bringen; allerdings bringt man mit einem solchen Ansatz Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einen Loyalitätskonflikt und Arbeitgeber könnten versucht sein, Einfluss auf die Bewertung auszuüben.
Betrachtet man das medizinisch-therapeutische Personal und die übrigen infrage kommenden Personengruppen, so zeigt sich, dass das Ausmaß ihrer Urteilsfähigkeit nicht verlässlich kalkulierbar scheint und damit kaum belastbare Ergebnisse zu erwarten sind. Von Hörensagen bis zum täglichen Besuch vor Ort sind sie unterschiedlich stark involviert.
In der Gesamtschau liegt es damit nahe, Zugehörige zu befragen. Sie entsprechen zahlenmäßig weitgehend der Anzahl der Pflegebedürftigen. Sie haben einen vergleichsweise tiefen und belastbaren Einblick in den Pflegealltag und sind vergleichsweise unabhängig von der Einrichtung und können ihre Einschätzung frei äußern, sofern gängige Standards der Anonymisierung gewährleistet sind.

7.3 Entwicklung einer Angehörigenbefragung – Projektvorstellung

7.3.1 Projektziele

Ziel des eingangs benannten Projektes der Weissen Liste und des DIP war es, ein wissenschaftlich fundiertes und praktikables Instrument zur Befragung von Angehörigen zu entwickeln. Die Befragungsmethodik sollte so angelegt sein, dass die Befragungsergebnisse drei Zwecke erfüllen:
1.
Die Ergebnisse sollen anderen Pflegebedürftigen und Angehörigen helfen, ein passendes und gutes Heim zu finden.
 
2.
Die Ergebnisse sollen es den Einrichtungen ermöglichen, offen und systematisch Lob und Kritik zu erhalten, sich mit dem Wettbewerb hinsichtlich diverser Qualitätsaspekte zu vergleichen und konkrete Anhaltspunkte für Qualitätsverbesserungen zu gewinnen.
 
3.
Die Ergebnisse sollen zuständigen Aufsichtsbehörden helfen, Hinweise auf Schwachpunkte und Verbesserungsmöglichkeiten der Einrichtungen zu erhalten und damit die kontinuierliche Beratung und Prüfung der Einrichtungen zu unterstützen.
 
Die Befragung sollte zudem geeignet sein, deren Ergebnisse einrichtungsbezogen möglichst umfänglich, sachgerecht und rechtssicher zu veröffentlichen. Die Entwicklung des Befragungsinstruments sollte daher sowohl Erkenntnisse zum Verbraucherinteresse als auch die wissenschaftliche Debatte um die Definition von Qualität in der Pflege sowie (landesrechtliche) Qualitätsvorgaben berücksichtigen.

7.3.2 Vorgehensweise zur Instrumentenentwicklung

Folgende Schritte wurden zur Entwicklung des Fragebogens unternommen:
1.
Wissenschaftliches Gutachten
Im ersten Schritt erstellte das DIP ein wissenschaftliches Gutachten, das als Grundlage der Instrumentenentwicklung diente.
 
2.
Entwicklung des Fragebogens in einer Ursprungsfassung in einem iterativen Prozess mit Fachleuten und Betroffenen
 
3.
Entwicklung eines Handlungsleitfadens zum Fragebogen
Der Handlungsleitfaden enthält Vorschläge des DIP zur statistischen Auswertung und Darstellung der Ergebnisse und deren Grenzen sowie zu Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation und Nutzung der Ergebnisse.
 
4.
Auswertung und Revision des Fragebogens unter Expertenbeteiligung
Anhand der Ergebnisse der in Hamburg 2019 durchgeführten Befragung wurde 2023 eine umfassende Revision des Fragebogens vorgenommen. Fragen, die von einem großen Teil der Befragten nicht beantwortet werden und solche, die in der Praxis ungeeignet sind, unterschiedliche Qualitätseinschätzungen der Einrichtungen wiederzugeben, sollten ausgesondert werden. Zum anderen schien es wünschenswert, den umfangreichen Fragebogen möglichst zu verkürzen, um damit die Bereitschaft zum Ausfüllen und damit den Rücklauf zu erhöhen und gleichzeitig Durchführungskosten (Druck, Porto) zu senken – hierbei allerdings so vorzugehen, dass kein maßgeblicher Erkenntnisverlust entsteht.
 

7.3.3 Qualität und Qualitätsdimensionen

Die Qualität pflegerischer Versorgung beruht auf der Vorstellung eines Qualitätsmodells. Das wohl bekannteste Modell ist das Struktur-Prozess-Ergebnis-Modell (SPE) von Donabedian, dass 1966 erstmals definiert wurde (Donabedian 2005). Dies wird jedoch dem komplexen Charakter von pflegeprofessionellem Handeln nicht gerecht, weshalb für das hier beschrieben Projekt dem Quality-Health-Outcomes-Modell (QHOM) von Mitchell der Vorzug gegeben wurde. Mitchell et al. (1998) definierten in ihrem Modell die Dimensionen „System“, „Intervention“, „Klient“ und „Ergebnis“. Das QHOM geht nicht von einer linearen und unikausalen Wirkungskette aus, in der die Strukturqualität die Prozessqualität bedingt und letztere schließlich die Ergebnisqualität, so wie das SPE häufig fälschlicherweise interpretiert wird. Beim QHOM liegt der Gedanke zugrunde, dass die einzelnen Dimensionen sich gegenseitig beeinflussen. Damit ist die Ergebnisqualität das Resultat der miteinander interagierenden Dimensionen, wobei die Ergebnisqualität selbst wieder Einfluss auf die anderen Dimensionen nimmt.
Im Rahmen der Fragebogenentwicklung wurden jene Qualitätsdimensionen gesucht, für die die Angehörigen, aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner bestimmte Ansprüche formulieren. Dafür wurden deutschsprachige sowie internationale, qualitative Studien recherchiert, um die geäußerten Anforderungen zu sammeln und aus ihnen heraus eigene Qualitätsdimensionen und dazu passende Indikatoren zu bilden. Daraus ergaben sich die in Tab. 7.1 abgetragenen Teilkonstrukte von pflegerischer Versorgungsqualität und deren Dimensionen.
Tab. 7.1
Pflegequalität: Teilkonstrukte und deren Dimensionen
Teilkonstrukte von Pflegequalität
Dimensionen der Teilkonstrukte
Autonomie und Würde
Selbstbestimmung und Selbständigkeit
Respektvoller Umgang
Sicherheit
Bedürfnisse und Gesundheit
Essen und Trinken
Fachspezifische Versorgung
Personal
Wohnen
Wohnen und Hygiene
Pflege-Report 2023
Für die in der Tabelle abgetragenen Teilkonstrukte und Dimensionen wurden aus der Literatur Kriterien zusammengetragen und entsprechend operationalisiert, um letztlich Einschätzungen über die qualitätsbedingenden Facetten vornehmen lassen zu können.

7.3.4 Herausforderungen und Entscheidungen zur Operationalisierung

Im Zuge der Entwicklung des Fragebogens und des Abgleichs mit Experten wurden Problemstellung und Herausforderungen bei der Operationalisierung diskutiert, zu denen Festlegungen getroffen werden mussten. Folgende Beispiele sollen einen Einblick in die Debatte geben:
1.
Die Fragen werden so gestellt, dass mit den Ergebnissen auch die Ausweisung von Exzellenz möglich ist. Deshalb wird beispielsweise nicht nur erfragt, ob Erwartungen erfüllt werden, sondern auch, ob sie übertroffen wurden. Zwar fällt es den Einrichtungen aus strukturellen Gründen häufig schwer, Exzellenz „herzustellen“, etwa aufgrund von Personalmangel oder begrenzter Vergütung, wie Experten anmerkten. Dennoch wurde mehrheitlich festgestellt, dass Exzellenz durchaus möglich sei und besonders herausragende Leistungen – gerade und trotz schwererer Rahmenbedingungen – auch besonders herausgestellt werden sollten und für die Verbraucherinformation von hoher Relevanz sind. Der Fragebogen stellt damit keine typische Zufriedenheitsbefragung dar.
 
2.
Der Fragebogen ist nicht defizitorientiert formuliert. Die Fragen werden gegenüber den Einrichtungen und deren Mitarbeitenden wertschätzend formuliert.
 
3.
Der Fragenblock zu kritischen Ereignissen soll nicht veröffentlicht werden. Hier können einzelne Antworten den Ruf einer Einrichtung nachhaltig schädigen, während gleichzeitig Missbrauch oder Fehlinterpretation von Sachverhalten nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Um dennoch das Schutzinteresse der Betroffenen zu berücksichtigen, werden die Ergebnisse zur Weiterverwendung durch die Aufsichtsbehörden empfohlen.
 
4.
Es werden nur Fragen aufgenommen, die von der überwiegenden Zahl der Angehörigen prinzipiell eingeschätzt werden können (sofern sie den fraglichen Aspekt erlebt haben bzw. eine Meinung dazu haben).
 
5.
Zur leichteren Lesbarkeit wird im Fragebogen in der Regel die weibliche Form genutzt. Hintergrund ist, dass sowohl die meisten Mitarbeiter/-innen als auch die meisten Bewohner/-innen weiblich sind.
 
6.
Die Fragen werden so gestellt, dass sie allein die Perspektive der Angehörigen erfragen – nicht beispielsweise die berichtete Erfahrung oder Meinung der Pflegebedürftigen, die die Angehörigen wiedergeben könnten.
 
7.
Diverse Qualitätsmerkmale und -kriterien, die zwar aus Verbrauchersicht relevant und durchaus operationalisierbar wären, jedoch bereits von bestehenden (bzw. geplanten) Qualitätsprüf- und Messverfahren auf Landes- und Bundesebene umfasst oder womöglich von diesen präziser bewertet werden können, wurden nicht in den Fragebogen aufgenommen. Ein Beispiel ist die Quantität und fachliche Qualifikation des Personals. Der Fragebogen ist also als komplementäres Instrument der Qualitätsberichterstattung konzipiert.
 
8.
Auf Fragen zu bestimmten Bedarfsgruppen oder auf solche, die sich auf Merkmale wie Herkunft, Alter, Religion oder soziale bzw. gesundheitsbezogene Merkmale beziehen, wurde bewusst verzichtet. Gründe dafür sind sowohl pragmatischer als auch konzeptioneller Art: Erstens würde diese Berücksichtigung den Umfang des Fragebogens deutlich erweitern und damit den Rahmen eines handhabbaren Fragebogens sprengen. Zweitens wäre dabei auf eine Gleichberechtigung der spezifischen Anspruchsgruppen zu achten, während die Anzahl der verschiedenen Gruppen und Gruppenkombinationen nahezu unendlich groß ausfällt. Drittens bezieht sich der Fragebogen schwerpunktmäßig auf generelle Qualitätsdimensionen wie etwa die Förderung der Selbstbestimmung, die letztlich für alle Bewohnerinnen und Bewohner einschlägig sind. Sie mögen bei besonders vulnerablen Gruppen zwar von besonderer Relevanz sein, verwirklichen sich jedoch bei ihnen nicht „anders“ – umgekehrt gelten gerade bei diesen Gruppen dieselben Qualitätskriterien erst recht und in gleicher Form, sind also mithin in gleicher Weise zu erfragen.
 
9.
In wenigen Fällen, in denen die Einrichtung nicht vollumfänglich für das erfragte Qualitätskriterium verantwortlich gemacht werden kann, dennoch aber zur entsprechenden Qualität beiträgt, werden entsprechende Hinweise ergänzt, um eine ungerechtfertigt negative Bewertung der Einrichtung zu vermeiden, falls den Befragten dieser Umstand nicht bewusst ist.
 

7.3.5 Operationalisierung im Fragebogen

Die Operationalisierung der Items erfolgte in mehreren Iterationen, die zu einem – hier nicht dargestellten – Originalfragebogen führten, der wiederum nach erstem Einsatz im Feld revidiert wurde. Im Zuge der Revision konnte der Original-Fragebogen durch Zusammenfassungen, Streichungen und Überarbeitungen unter Expertenbeteiligung von insgesamt 61 qualitätsbezogenen Fragen auf 31 Fragen gekürzt werden (Tab. 7.2).
Die Revision zeigte, dass eine deutliche Reduktion auf wesentliche Fragen möglich war, weil mehrere Fragen im Antwortverhalten gleichliefen. Daraus muss man den Schluss ziehen, dass der bei der Fragebogenentwicklung unternommene Versuch, ein möglichst facettenreiches und begrifflich präzises Bild von Pflegequalität abzufragen, bei den befragten Angehörigen im Feld nicht verfängt. Beispielsweise macht es für sie keinen Unterschied, ob nach der Privat- oder der Intimsphäre gefragt wird. Der ausdifferenzierte Qualitätsbegriff, der die Fachdebatte prägt, muss also auf ein vereinfachtes Schema heruntergebrochen und gleichzeitig mit möglichst anschaulichen, verständlichen Fragen operationalisiert werden.
Nach der Revision stellte sich die Operationalisierung wie folgt dar:
Im nun deutlich kürzeren Fragebogen (Tab. 7.2) wurde die Antwortskala „Meine Erwartungen wurden … übertroffen – erfüllt – teilweise erfüllt – nicht erfüllt – weiß nicht“ eingesetzt.
Tab. 7.2
Gekürzter Fragebogen (Revisionsfassung)
Teilkonstrukt
Qualitätsdimension
Kapitel im Fragebogen
Frage
Autonomie und Würde
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit
Alltagsleben
– wie vielfältig die Angebote der Wohneinrichtung für die Bewohnerin sind (Beschäftigung, Ausflüge, Feiern usw.)
– wie stark sich die Angebote der Wohneinrichtung nach den individuellen Wünschen und Fähigkeiten der Bewohnerin richten (Beschäftigung, Ausflüge, Feiern usw.)
– wie gut die Bewohnerin dabei unterstützt wird, dass sie an sozialen, kulturellen oder religiösen Ereignissen teilhaben kann
– wie stark die Bewohnerin in alltägliche Abläufe und Aktivitäten (z. B. hauswirtschaftliche Tätigkeiten) einbezogen wird
Respektvoller Umgang
Versorgung durch das Personal
– wie wertschätzend sich das Personal verhält
– wie das Personal auf Bitten und Wünsche eingeht
– wie die Privatsphäre der Bewohnerin gewahrt wird (z. B. anklopfen, Türen schließen usw.)
Sicherheit
– wie gut auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohnerin geachtet wird
– wie schnell und einfach die Bewohnerin Unterstützung oder Hilfe erhält, wenn sie diese benötigt
Bedürfnisse und Gesundheit
Fachspezifische Versorgung
– wie sehr sich das Personal bemüht, dass ggf. benötigte Hilfsmittel der Bewohnerin funktionstüchtig sind (z. B. Brillen, Hörgeräte, Rollstühle, Prothesen) [Hinweis: Die Wohneinrichtung ist dafür in vielen Fällen nicht verantwortlich, kann aber beispielsweise eine Wartung oder Reparatur veranlassen oder jeweils Zuständige informieren.]
Personal
– wie reibungslos das Personal arbeitet
– wie respektvoll das Personal mit verwirrten Bewohnerinnen umgeht
– wie verlässlich Absprachen mit dem Personal sind
– wie beständig das Stammpersonal ist, das die Bewohnerin versorgt
– wie verlässlich eine Haupt-Ansprechpartnerin unter den Pflegefachkräften (sog. Bezugspflegekraft) für die Bewohnerin und mich ansprechbar ist
– wie einfühlsam das Personal ist
– wie sehr sich das mir bekannte Personal insgesamt engagiert
Essen und Trinken
Wohnen und Hauswirtschaft,
Speise- und Getränkeangebot
– wie vielfältig die Auswahl an Speisen und Getränken ist
– wie gut die Speisen der Bewohnerin schmecken
– dass die Bewohnerin stets ausreichend mit Essen und Trinken versorgt wird
Wohnen
Wohnen und Hygiene
 
– wie für Sauberkeit und Hygiene gesorgt wird
– wie angenehm die Atmosphäre der Wohneinrichtung ist
Pflege-Report 2023
In einem integrierten Fragenblock werden kritische Ereignisse erfragt. Die Antwortskala lautet „nie – einmal – mehrfach – häufig – weiß nicht“. Folgende Fragen werden gestellt:
Wie häufig kam es vor, …
  • dass Sie Mängel in der Körperpflege der Bewohnerin feststellen mussten?
  • dass die Bewohnerin vom Personal körperlich grob behandelt wurde?
  • dass die Bewohnerin vom Personal mit Worten grob behandelt wurde?
  • dass die Bewohnerin von anderen Bewohnerinnen körperlich angegriffen wurde?
  • dass sich die Bewohnerin ungeklärte Verletzungen zugezogen hat?
  • dass schwerwiegende Ereignisse (z. B. Stürze, Verletzungen) nicht in die Pflegedokumentation aufgenommen wurden? [Hinweis: Die Pflegedokumentation darf nur von dazu bevollmächtigten Angehörigen oder Personen eingesehen werden.]
Abschließend werden drei gesamthafte Fragen gestellt, die mit der (gegenüber der Originalversion konkretisierten und vereinheitlichten) Antwortskala „auf jeden Fall – eher ja – eher nein – auf keinen Fall“ beantwortet werden kann:
  • Fühlt sich die Bewohnerin in der Wohneinrichtung so, dass sie diese als eine Art Zuhause betrachten kann?
  • Wenn Sie heute (noch mal) wählen könnten – würden Sie sich wieder für diese Wohneinrichtung entscheiden?
  • Würden Sie diese Wohneinrichtung Ihrem besten Freund/Ihrer besten Freundin weiterempfehlen?
Die Fragebögen umfassen jeweils abschließend zwei Freitextfragen zu Lob und Kritik an die Einrichtung sowie elf Fragen zu soziodemographischen Merkmalen des Befragten und der Bewohnerin bzw. des Bewohners.

7.3.6 Anwendung des Fragebogens

Die Befragung kam im November 2019 in Hamburg erstmals landesweit zum Einsatz. Bei diesem ersten Befragungsdurchlauf wurden Angehörige von rund 18.000 Bewohnerinnen und Bewohnern – das entsprach ungefähr der Anzahl verfügbarer Heimplätze – adressiert. Den Einrichtungen wurden dazu Pakete mit Fragebögen und Rückumschlägen bereitgestellt, die diese an die von den Bewohnern zu bestimmenden Angehörigen weiterleiten sollten. Zu 150 Einrichtungen wurden insgesamt 5.216 ausgefüllte Fragebögen erfasst. Je nach Abschätzung der tatsächlich unbekannten Auslastungsquote kann eine Rücklaufquote von etwa 32 % oder mehr angenommen werden. Der Befragungsrücklauf wurde vom Statistischen Landesamt unter Berücksichtigung der Handlungsempfehlungen zur Datenanalyse ausgewertet und in zwei Fassungen, einem Forschungsdatensatz sowie einem zur Veröffentlichung bestimmten Datensatz, bereitgestellt.
Nach einer Unterbrechung der Befragungsreihe aufgrund der Corona-Pandemie fand die nächste Erhebung dort im Frühjahr 2023 statt. Zum Einsatz kommt die 2023 revidierte Fassung des Fragebogens als Online-Befragung.
Die Befragungsergebnisse werden auf dem Online-Angebot „Pflegekompass“ der Hamburger Sozialbehörde einrichtungsbezogen veröffentlicht. Die Weisse Liste nutzt die Ergebnisse ebenso und veröffentlicht sie gemeinsam mit weiteren Qualitätsdaten sowohl vollständig als auch in aggregierter Form in ihrer Online-Pflegeheimsuche. Als Interpretationshilfe werden evaluative Symbole (Sterne) genutzt, die Stärken und Schwächen visualisieren.

7.3.7 Befragungsergebnisse

Eine Vorstellung von Befragungsergebnissen ist an dieser Stelle und zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Das hat zwei Gründe:
Erstens ist die Befragung kein Messinstrument (siehe „Diskussion und Ausblick“), dessen Ergebnisse eine Ist-Beschreibung der Qualität der in die Befragung eingeschlossenen Pflegeheime insgesamt zuließe. Zulässig ist hingegen ein Vergleich der Einrichtungen untereinander mit ihren Stärken und Schwächen. Hier zeigt sich in der Auswertung, dass es Unterschiede in der Einschätzung der Qualität durch die befragten Angehörigen zwischen diesen Einrichtungen gibt. Diese jedoch hier quantifiziert darzulegen, führte wiederum in die Irre. Anders gesagt: Wie groß diese Unterschiede sind, lässt sich nicht ermessen. Derzeit helfen die Ergebnisse also bei einem konkreten Einrichtungsvergleich durch interessierte Pflegebedürftige und Angehörige sowie bei der Einzelfallbetrachtung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden. Auch die Einrichtungen selbst können einen Abgleich mit dem Benchmark, der auf Ebene der einzelnen Items ermittelt wird, vornehmen, um Verbesserungspotenziale zu ermitteln. Die notwendigen Daten werden den Einrichtungen durch die Hamburger Sozialbehörde zur Verfügung gestellt. Ob und wie viele Meldungen zu kritischen Ereignissen im Rahmen der Befragung gemeldet wurden, wird nicht veröffentlicht. Diese Informationen liegen jedoch den Behörden vor.
Zweitens ist eine relevante Auswertungsoption erst in der Zukunft möglich, sobald nämlich mindestens zwei Befragungsdurchgänge mit demselben Fragebogen vollendet wurden. Dann können womöglich Qualitätsentwicklungen zum Positiven oder Negativen identifiziert werden, die sich nicht nur auf einzelne Einrichtungen, sondern auf alle einbezogenen Einrichtungen beziehen, hier also für das gesamte Bundesland Hamburg. Ermittelbar ist dann, ob die Einschätzung der Angehörigen hinsichtlich einzelner Fragen oder Qualitätsdimensionen gesamthaft besser oder schlechter ausfiel. Auch hier wird eine Quantifizierung, also wie stark eine Verbesserung oder Verschlechterung ausfiel, nicht zielführend sein, jedoch kann allein die Richtung wertvolle Hinweise für Beobachtungs- oder Handlungsbedarf geben.

7.4 Diskussion und Ausblick

Im Projektverlauf wurde frühzeitig deutlich, dass es in Deutschland an einer breiten und fundierten Grundlagenforschung zur Qualität von Pflegeeinrichtungen, genauer zur Definition von Qualität von Pflegeeinrichtungen mangelt. Dieser Mangel konnte im Kontext dieses Projektes naturgemäß nicht ausgeglichen werden. So entstand bewusst ein wissenschaftlich fundiertes und durch Expertenmeinung hinterfragtes und optimiertes Instrument zur Einschätzung der Qualität durch Angehörige, jedoch kein testtheoretisch abgesichertes Messinstrument, das beispielsweise die Bildung von quantitativen Summenscores zu Qualitätsdimensionen zuließe.
Dieser Umstand ist beim Umgang mit dem Instrument und seinen Ergebnissen zu beachten. Er führt einerseits zu Limitationen, beispielsweise wäre die unmittelbare Ableitung von behördlichen Anordnungen allein wegen schlechter Befragungsergebnisse unzulässig. Die Ergebnisse sind auch nicht unmittelbar als Ausdruck von Qualität oder eine Verlaufsdarstellung von Befragungsergebnissen als Qualitätsentwicklung zu interpretieren, wohl aber als ernst zu nehmende Anhaltspunkte.
Gleichwohl sind die Befragungsergebnisse wertvoll und aussagekräftig: Sie liefern Anhaltspunkte für die Qualität von Einrichtungen – nicht mehr, aber auch nicht weniger –, die von Betreibern, Aufsichtsbehörden und Verbrauchern sinnvoll genutzt werden können. Die Befragungsdaten können Auskunft auch zu solchen Aspekten geben, die in den bisherigen und auch auf absehbare Zeit geplanten Instrumenten der Qualitätsberichterstattung nicht berücksichtigt werden. Dazu zählen auch Kriterien, die für eine große Zahl von Interessenten besonders entscheidungsrelevant sind, wie beispielsweise der würde- und respektvolle Umgang des Personals mit den Bewohnern, wie Befragungsergebnisse aus dem Reformkonzept zeigen (Strotbek et al. 2017a, S. 27). Letztlich ist eine Angehörigenbefragung auch die gegenwärtig einzige angewandte Methode, um die Betroffenenperspektive in die Qualitätsbewertung einzubringen.
Mit dem jetzt vorliegenden Konzept wurde ein wissenschaftlich fundiertes, praxisorientiertes Instrument zur Befragung von Angehörigen Pflegebedürftiger in der stationären Langzeitpflege entwickelt, dessen Ergebnisse einrichtungsbezogen veröffentlicht werden können. Mit ihm ist es möglich, die zunächst abstrakte Anforderung an die Qualitätsberichterstattung, Erfahrungswissen als Informationsquelle und -instrument zu integrieren, in die Praxis umzusetzen und damit Verbraucher besser über die Qualität von Pflegeheimen zu informieren.
Das Instrument ist zunächst darauf ausgerichtet und dazu geeignet, von Bundesländern als Element der Qualitätssicherung sowie zur Verbraucherinformation und damit zur Förderung der Qualitätstransparenz in der Pflege eingesetzt zu werden. Perspektivisch ist auch der Einsatz auf Bundesebene möglich und wünschenswert. Das würde die Aufnahme der Angehörigenbefragung in die Instrumente zur Qualitätssicherung und Verbraucherberatung, konkret in die Pflege-Transparenzvereinbarung, bedeuten.
Im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wäre ein flächendeckender Einsatz dieser Befragung zum Zwecke der Qualitätsentwicklung, Qualitätsberichterstattung und insbesondere zur Verbraucherinformation wünschenswert.
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Literatur
Zurück zum Zitat Geraedts M, Brechtel T, Zöll R, Hermeling P (2011) Beurteilungskriterien für die Auswahl einer Pflegeeinrichtung. In: Böcken J, Braun B, Repschläger U (Hrsg) Gesundheitsmonitor 2011. Bertelsmann, Gütersloh, S 155–170 Geraedts M, Brechtel T, Zöll R, Hermeling P (2011) Beurteilungskriterien für die Auswahl einer Pflegeeinrichtung. In: Böcken J, Braun B, Repschläger U (Hrsg) Gesundheitsmonitor 2011. Bertelsmann, Gütersloh, S 155–170
Zurück zum Zitat Mitchell PH, Ferketich S, Jennings B (1998) American academy of nursing expert panel on quality health care. Quality health outcomes model. J Nurs Scholarsh Vol 30(1):43–46CrossRef Mitchell PH, Ferketich S, Jennings B (1998) American academy of nursing expert panel on quality health care. Quality health outcomes model. J Nurs Scholarsh Vol 30(1):43–46CrossRef
Zurück zum Zitat Strotbek J, Etgeton S, Palmowski S, Schuhen A, Schmuhl M, Schwenk U (2017a) Befragungsergebnisse zum Reformkonzept – Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege: Anforderungen und Lösungsvorschläge mit besonderem Blick auf Lebensqualität, Personalausstattung und Erfahrungswissen. Bertelsmann, Gütersloh, S 13 (www.weisse-liste.de/public-reporting-pflege) Strotbek J, Etgeton S, Palmowski S, Schuhen A, Schmuhl M, Schwenk U (2017a) Befragungsergebnisse zum Reformkonzept – Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege: Anforderungen und Lösungsvorschläge mit besonderem Blick auf Lebensqualität, Personalausstattung und Erfahrungswissen. Bertelsmann, Gütersloh, S 13 (www.​weisse-liste.​de/​public-reporting-pflege)
Zurück zum Zitat Strotbek J, Etgeton S, Palmowski S, Schuhen A, Schmuhl M, Schwenk U (2017b) Reformkonzept – Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege: Anforderungen und Lösungsvorschläge mit besonderem Blick auf Lebensqualität, Personalausstattung und Erfahrungswissen. Bertelsmann, Gütersloh, S 26 (www.weisse-liste.de/public-reporting-pflege) Strotbek J, Etgeton S, Palmowski S, Schuhen A, Schmuhl M, Schwenk U (2017b) Reformkonzept – Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege: Anforderungen und Lösungsvorschläge mit besonderem Blick auf Lebensqualität, Personalausstattung und Erfahrungswissen. Bertelsmann, Gütersloh, S 26 (www.​weisse-liste.​de/​public-reporting-pflege)
Metadaten
Titel
Angehörigenbefragung in der stationären Langzeitpflege
verfasst von
Johannes Strotbek
Daniel Tucman
Copyright-Jahr
2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-67669-1_7