Einführung
Derzeit leiden 10 % der Weltbevölkerung an einer chronischen Nierenerkrankung (CKD), davon sind etwa 2 Mio. Menschen dialysepflichtig [
5]. Bei dialysepflichtigen Patienten ist ein gut funktionierender AV-Zugang von großer Wichtigkeit, um eine optimale Dialysetherapie zu gewährleisten. Patienten mit einem AV-Zugang haben außerdem eine bessere Prognose als Patienten, die über einen Dialysekatheter hämodialysiert werden. Eine sorgfältige Punktionstechnik und ein regelmäßiges Monitoring des AV-Zugangs sind notwendig, um den Zugang lange zu erhalten. Die Analyse von Registerdaten ermöglicht es, die Behandlungsqualität zu steigern. Doch was beinhaltet Qualität? Gemäß Swanwick [
19] muss Qualität im Gesundheitswesen sechs Bereiche abdecken: Sicherheit für Patienten, patientenzentrierte Behandlung, Wirksamkeit, zeitliche Koordinierung, Effizienz und Gerechtigkeit. Eine retrospektive Studie von Jann [
11] hat die Qualität der vaskulären Dialysezugänge untersucht. Etwa die Hälfte der arteriovenösen Fisteln (AVF) bzw. arteriovenösen Grafts (AVG) musste innerhalb von 2 Jahren revidiert werden. Die Autoren empfahlen, dass zur Qualitätssicherung der Dialysezugänge eine registerbasierte Datenbank nötig sei.
Um Qualität zu vergleichen, müssen Patientendaten analysiert werden
Zur Erfassung der Ergebnisqualität wird in der Schweiz seit 1999 das Online-Register „Swissvasc“ geführt. Das Register wurde 2019 auf die Version 2.0 aktualisiert mit einem zusätzlichen Modul zur Erfassung aller primär und neu angelegten AVF/AVG inklusive Verlaufskontrollen nach 3, 6 und 12 Monaten [
1]. In Deutschland werden seit 2006 die Qualitätssicherungsrichtlinien „Dialyse des gemeinsamen Bundesausschusses“ eingehalten. Diese umfassen eine datengestützte Qualitätssicherung und die Dokumentation von Auffälligkeitsparametern (u. a. Dialysedauer, Dialysefrequenz) sowie laborchemischen Daten von Komplikationen [
6]. Im Vergleich zu früheren Daten beschreibt Büchtemann [
6] eine Verbesserung des Patientenmanagements bei der ambulanten Dialyse. Ziel dieser Studie ist es durch die Auswertung von Swissvasc-Register‑2.0‑Daten, die Behandlungsqualität zu erfassen und diese mit internationalen Ergebnissen zu vergleichen und allfällige Behandlungsrichtlinien zu optimieren.
Methodik
Es handelt sich um eine monozentrische retrospektive Auswertung von prospektiven erfassten Daten aller neu angelegten AVF/AVG zwischen 01.01.2019 und 31.12.2020. Der Nachkontrollzeitraum betrug 12 Monate. Entsprechend war die letzte Datenerfassung am 31.12.2021. Eingeschlossen wurden alle Patienten über 18 Jahre, die eine Einwilligungsformular zur Datenerfassung unterschrieben hatten. Im Oktober 2021 hat die Ethikkommission des Kantons Bern dieser Studie zugestimmt (Project-ID 2021-01553).
Der Nachkontrollzeitraum betrug 12 Monate
Die Daten wurden aus dem Swissvasc‑2.0-Register retrospektiv extrahiert. Es bestand kein Gesundheitsrisiko für die Patienten. Die Nachverfolgungsdaten wurden von den behandelnden Nephrologen und teils durch die Autoren eingegeben. Bei Patienten/Patientinnen, die nicht regelmäßig dialysiert worden sind oder bei denen die Nachkontrollen in externen Spitälern durchgeführt worden waren, wurden die behandelnden Nephrologen telefonisch kontaktiert.
Die statistische Analyse wurde mit dem Programm REDCap (REDCap Software, Version 10.06.2009 Vanderbilt University) durchgeführt. Die Kaplan-Meier-Methode wurde für die primäre Offenheit sowie die Abschätzung der Zeit zwischen der Shuntanlage und einer möglichen Reintervention benutzt.
Der primäre Endpunkt war die primäre Offenheitsrate der AVF und/oder AVG. Die sekundären Endpunkte waren Reinterventionen, die primär-assistierte und sekundäre Offenheit, funktionelle Offenheit und Tod. Dabei wurde der Berichtsstandard von Sidawy [
18] berücksichtigt. Die primäre Offenheit ist die Zeit zwischen der Anlage des vaskulären Zugangs und der ersten Reintervention. Die primär-assistierte Offenheitsrate ist das Intervall zwischen der Anlage und des ersten Verschlusses. Die sekundäre Offenheit ist das Intervall zwischen der Anlage und der Aufgabe des Zugangs nach einem/mehreren Eingriffen oder dem Eintreten eines zensierten Ereignisses (Tod, Wechsel der Hämodialysemodalität, Verlust der Nachkontrolle). Weiter wurden erfasst: die Art der Fistelanlage resp. Erstanlage versus Neuanlage, postoperative Komplikationen (Infekte, Nervenläsionen, Handischämien, demografische Daten: Alter, Raucheranamnese, koronare Herzkrankheit, COPD [„chronic obstructive pulmonary disease“], glomeruläre Filtrationsrate [GFR]).
Diskussion
Es wurden 76 Patienten in diese Studie eingeschlossen, welche 2019/2020 an einem tertiären Zentrum einen AV-Zugang erhalten haben. Ziel dieser Studie ist es durch die Auswertung von Swissvasc-Register‑2.0‑Daten, die Behandlungsqualität zu erfassen und diese mit internationalen Ergebnissen zu vergleichen und allfällige Behandlungsrichtlinien zu optimieren. Bei den meisten Patienten (69,7 %) erfolgte die AV-Zugangsanlage im CKD-Stadium G 5 nach KDOQI (GFR < 15 ml/min/1,73m
2). Entsprechend war die Rate an prä- und perioperativ angelegten Dialysekathetern mit 48,7 % sehr hoch. Weshalb die Anlage bei so vielen Patienten zu spät erfolgt ist, lässt sich aus den Registerdaten nicht ableiten. Der optimale Zeitpunkt zur Anlage eines AV-Zugangs ist ein viel diskutierter Punkt. Die Empfehlung vieler Leitlinien ist die Anlage des AV-Zugangs bei einer GFR von 15–20 ml/min [
9,
17]. Jedoch sollte auch die Dynamik des GFR-Abfalls sowie das Alter berücksichtigt werden. Insbesondere ältere Patienten sind polymorbider, was zu gehäuften negativen Effekten eines AV-Zugangs führen kann wie Stealphänomen oder Herzinsuffizienz. Bei zu frühzeitiger AV-Zugangsanlage bei alten Patienten ist der Anteil an Patienten relevant, die mit funktionierender AV-Fistel versterben.
Die Shuntanlage sollte bereits bei einer GFR um 15–20 ml/min erfolgen
Die primäre Offenheitsrate liegt bei 56,6 %. Die Resultate von Jann [
11] zeigten eine primäre Offenheit von 46 % bei AVF und 30 % bei den AVG. In den „European Society for Vascular Surgery (ESVS) Guidelines“ liegen die angegebenen primären 1‑Jahres-Offenheitsraten für native Fisteln zwischen 52 bis 83 % [
17]. Somit sind unsere Daten international vergleichbar. Die primär-assistierte (82,9 %) und sekundäre Offenheitsrate (76,3 %) ist im ersten Jahr hoch. Um eine bessere Indikationsstellung für die Anlage einer AVF zu erreichen und dadurch die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, eine bessere primär-assistierte Offenheitsrate [
10] zu erlangen, sollte der/die Gefäßchirurg/-in den präoperativen Ultraschall selbst durchführen. Der gezielte präoperative Ultraschall erhöht die primär-assistierte Offenheitsrate.
Nebst der optimalen präoperativen Untersuchung der Gefäße, ist eine engmaschige interprofessionelle Zusammenarbeit mit den Kollegen der Nephrologie und Angiologie elementar. Das regelmäßige Zugangsmonitoring bei den Dialysevisiten ermöglicht die frühzeitige Erkennung von AV-Zugangsdysfunktionen, welche dann zur raschen Zuweisung zur Abklärung führt.
Die funktionelle Offenheitsrate (51,3 %) sowie die sekundäre Offenheitsrate (76,3 %) war im Vergleich zu bereits publizierten Daten gleichwertig 42–89 % [
3,
13,
16]. Eine intraoperative Bildgebung sowie die Supervision der angehenden Fachärzte/Fachärztinnen durch erfahrene Operateure/Operateurinnen wird empfohlen [
17]. Zudem sollte, wenn immer möglich, die Anlage nativer AVF bevorzugt werden, um die postoperativen Komplikationen gering zu halten [
2,
4,
15,
17]. Die Rate einer postoperativen Infektion liegt weltweit geschätzt bei 2 % [
7]. Die gefäßzugangsbedingte Extremitätenischämie betrug 1,3 %. Die Literatur zeigt, dass weiter distal angelegte Fisteln ein geringeres Risiko für eine Handischämie haben als solche mit einem proximaleren Inflow. Das Risiko einer Handischämie beträgt je nach Literatur und Lokalisation zwischen 1 % im Handgelenksbereich und bis 6 % im Ellbogenbereich [
8,
14,
20]. Bei der Anlage von Oberarm-AVF ist ein Anastomosendurchmesser von 4 bis max. 5 mm anzustreben und ggf. bei einer Risikokonstellation die Anastomose anstelle der A. brachialis auf die proximale A. radialis resp. die A. ulnaris zu platzieren.
Interprofessionelle Zusammenarbeit erhöht die Qualität der Shuntchirurgie
Die Sensibilisierung für eine engmaschige Nachkontrolle von Patienten/Patientinnen mit neu etablierten Dialysezugängen erlaubt es, frühzeitig und nach interdisziplinärer Diskussion erfolgsversprechende Interventionen zu planen. Die Qualitätssicherung in der Shuntchirurgie kann nur gewährleistet werden, wenn die Patientendaten lückenlos erfasst und die Nachkontrollen dokumentiert werden. In Deutschland hat sich ein System etabliert, das die Qualitätssicherung gewährleistet [
6]. Dazu werden Behandlungsdaten erhoben, die den Vergleich unter den Dialysezentren erlauben. Die Schweiz strebt das gleiche Ziel an, und zwar mit der systematischen Datenerfassung im Swissvasc‑2.0‑Register. Nach Kellersmann [
12] hat eine hohe Struktur- und Prozessqualität unmittelbaren Einfluss auf die Ergebnisqualität. Dazu gehört auch, dass der Shuntchirurgie in den Gefäßzentren Raum und Ressourcen gegeben werden und die Weiterbildung in dieser Subspezialität mehr Gewicht bekommt.
Eine hohe Struktur- und Prozessqualität hat Einfluss auf die Ergebnisqualität
Die Studie hat Limitationen. So war der Aufwand unverhältnismäßig groß zur vollständigen und exakten Erfassung von Nachkontrolldaten, vor allem weil die Patientinnen und Patienten in Institutionen extern dialysiert wurden. Es war deshalb notwendig, diese Daten nochmals systematisch und z. T. vor Ort zu überprüfen. Auch die Erfassung von Folgeeingriffen war nicht standardisiert möglich, weil etliche Eingriffe in externen Spitälern und durch verschiedene Anbieter (Chirurgen/Chirurginnen und Interventionalisten/Interventionalistinnen) durchgeführt wurden. Diese Arbeit basiert auf retrospektiven Daten eines einzelnen Zentrums mit relativ kleiner Patientenzahl. Das Risiko einer Verzerrung bleibt somit relevant. Zudem ist der Nachkontrollzeitraum mit 12 Monaten mittelfristig, längere Nachkontrollperioden wären von Vorteil. Zudem wäre es sinnvoll, die Daten der Dialysezugänge besser und standardisierter zu monitorisieren.
Die hohe Anzahl an prä- und perioperativ eingelegten HD-Kathetern mit ihren ungünstigen Nebenwirkungen wie zentrale Stenosen und Infekten sollten zum Anlass genommen werden, den Zeitpunkt der Shuntanlage zu optimieren. Auch müssen künftig postoperativ eingelegte HD-Katheter konsequent in der Datenbank dokumentiert werden, um eine Aussage über die Fistelreifung und indirekt über die funktionelle Offenheit machen zu können.
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