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Erschienen in: Orthopädie und Unfallchirurgie 3/2023

01.06.2023 | Aus unserem Fach Zur Zeit gratis

Mutterschutz absurd?

Operieren in der Schwangerschaft

verfasst von: Dr. med. Maya Niethard

Erschienen in: Orthopädie und Unfallchirurgie | Ausgabe 3/2023

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Seit dem Jahr 2015 nimmt die DGOU mit der Initiative "Operieren in der Schwangerschaft" die Vorreiterrolle ein, um einen sinnvollen Umgang mit dem Thema Mutterschutz voranzutreiben. Nach wie vor ist die Bekanntgabe einer Schwangerschaft gleichbedeutend mit einer sofortigen Umstrukturierung des Arbeitsplatzes, häufiger noch mit einem unmittelbaren Beschäftigungsverbot.
Laut einer Umfrage des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie (BDC) und der Initiative Operieren in der Schwangerschaft (OPidS) unter fast 2.300 Chirurginnen im Jahr 2020 ist die Hauptmotivation von schwangeren Frauen, ihre Tätigkeit auch während dieser Zeit fortzuführen, mit über 90 % die Freude am Operieren. Aber dem steht der Mutterschutz entgegen. Auch schwergewichtige berufspolitische Organisationen fordern mittlerweile medienwirksam ein Umdenken. Im August 2022 informierten der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB), die Initiative OPidS der DGOU und der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK) in einem Brief an alle Klinikleitungen über die zuständigen Verantwortlichkeiten bei der Aussprache eines Beschäftigungsverbots. Oft ist nicht bekannt, dass die Antwort der Landesaufsichtsbehörden nach Meldung der Schwangerschaft nicht abgewartet werden muss und diese einen rein empfehlenden Charakter hat.
Fakt ist: Laut § 10 Mutterschutzgesetz (MuSchG) sind die Arbeitgeberin, der Arbeitgeber bei der Mitteilung einer Schwangerschaft verpflichtet, den Arbeitsplatz der Schwangeren individuell zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Dabei ist nach § 13 MuSchG folgende Rangfolge der Anpassungen des Arbeitsumfelds einzuhalten:
1.
Umgestaltung durch Schutzmaßnahmen,
 
2.
Einsatz an einem anderen geeigneten, zumutbaren Arbeitsplatz,
 
3.
betriebliches Beschäftigungsverbot.
 
Doch bedeutet die geforderte Umgestaltung nicht automatisch die Versetzung etwa in die Ambulanzsprechstunde, sondern vielmehr ein kluges Reflektieren, wie Schwangere weiter an ihrem eigentlichen Arbeitsplatz eingesetzt werden können. Auch ist eindeutig zwischen einem betrieblichen und einem ärztlichem Beschäftigungsverbot zu unterscheiden. Ersteres bezieht sich alleinig auf die Sicherheit am Arbeitsplatz. Es ist nur dann auszusprechen, wenn dieser nicht sinnvoll angepasst werden kann und "unverantwortbare Gefährdungen" vorliegen, eine Definition, die mit der Neufassung des MuSchG im Jahr 2018 eingeführt wurde. Das ärztliche Beschäftigungsverbot umfasst alle medizinischen Aspekte in der Schwangerschaft. Dazu gehören neben physiologischen Risiken auch psychosoziale Faktoren im privaten oder beruflichen Umfeld. Im individuellen Fall kann es durchaus sinnvoll sein, ein solches zum Schutz von Mutter und Kind zu erteilen.

Karriereknick befürchtet

Für viele Ärztinnen bedeutet die Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft weiterhin einen großen Einschnitt in ihrem beruflichen Fortkommen, ein Zustand, dem ein Zusammenschluss ärztlicher Organisationen auf den Grund gehen will. Es hat sich ein schlagkräftiges Bündnis gebildet, dem der Marburger Bund, der DÄB, die Initiative OPidS, Die Chirurginnen e. V. und der VLK angehören. Im November 2022 hat dieses Netzwerk eine Online-Umfrage zum Thema Mutterschutz angeschoben. Mit 4.800 Rückläufen innerhalb von vier Wochen war das die größte und repräsentativste bisher. Das Pressegespräch zur Präsentation der Ergebnisse erfolgte am 23. März 2023 unter der Überschrift "Karriereknick durch Schwangerschaft: Junge Ärztinnen unter Druck". Die Resonanz vor Ort und in den Medien war enorm.

Kernaussagen der Umfrageergebnisse

  • Etwa die Hälfte der befragten Ärztinnen hatte Bedenken, ihre Schwangerschaft dem Vorgesetzten zu melden. Gründe dafür sind vor allem die Sorgen, Einschränkungen bei der Weiterbildung zur Fachärztin hinnehmen zu müssen, ein Operations- oder sonstige Tätigkeitsverbote. Viele Ärztinnen möchten in der Schwangerschaft weiterarbeiten, werden aber daran gehindert. Zu den meisten Beschäftigungsverboten kam es in der COVID-19-Pandemie zwischen den Jahren 2020 und 2022: bei knapp der Hälfte der Umfrageteilnehmerinnen zum betrieblichen Beschäftigungsverbot, bei mehr als einem Drittel zu Tätigkeitseinschränkungen (Abb. 1).
  • Bei den Gefährdungsbeurteilungen leitete sich in den zurückliegenden zwei Jahren der Pandemie in etwa der Hälfte der Fälle ein betriebliches Beschäftigungsverbot ab, in einem Drittel eine Einschränkung der ärztlichen Tätigkeit (keine Operationen).
  • Die meisten Einschränkungen gab es bei Operationen: Durchschnittlich 60 % durften vor der Pandemie gar nicht und ein Viertel nur reduziert operieren. Mehr als drei Viertel der Teilnehmerinnen konnten in der Pandemie keine Operationen durchführen und 13 % nur reduziert. In den untersuchten Gebieten Innere Medizin und Chirurgie gab es ein ausgeprägtes Verbot, wobei die Innere Medizin stärker betroffen war. Pandemiebedingt waren in der Chirurgie über 70 % und in der Inneren Medizin über 80 % der Befragten keine Eingriffe erlaubt (Abb. 2).
  • Mehr als 50 % der Befragten gaben für die Zeiträume 2016/2017 und 2018/2019 an, durch Schwangerschaft und Tätigkeitseinschränkungen in ihrer weiteren ärztlichen Karriere behindert worden zu sein. In der COVID-19-Pandemie stieg der Anteil derer, die sich in ihrer Karriere zurückgeworfen sahen, sogar auf zwei Drittel (66 %) (Abb. 3).
"Corona wird uns weiter begleiten. Der aktuelle Wissensstand in der Pandemie muss stets in die individuelle Gefährdungsbeurteilung einfließen. Aktuell finden Sie kaum einen sichereren Arbeitsplatz als den einer Chirurgin im OP", so Dr. Maya Niethard, Projektleiterin der Initiative OPidS.
Und die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, kritisierte: "Oftmals machen sich Vorgesetzte nicht die Mühe zu ermitteln, wie und in welchem Umfang eine Weiterarbeit während der Schwangerschaft möglich sein kann. Stattdessen werden Kolleginnen, die arbeiten wollen, Steine in den Weg gelegt. Das ist inakzeptabel. So wird unnötig ärztliche Arbeitskraft verschwendet - zum Nachteil für die Kolleginnen und die Gesundheitsversorgung insgesamt."
Ich wünsche mir für die Zukunft eine transparente Kommunikation zum Thema Mutterschutz und Elternschaft, denn ein sinnvoller Umgang bedeutet eine gehörigen Schritt nach vorne, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken und gut ausgebildete Ärztinnen motiviert im Beruf zu halten. Nur so können wir unsere hervorragenden ärztlichen Ressourcen sinnvoll schützen und auch nutzen.
Literatur bei der Verfasserin

Dr. Maya Niethard

Leitende Oberärztin Klinik für Tumor-orthopädie, Helios Klinikum Berlin-Buch,
Leiterin Initiative OPidS der DGOU
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Metadaten
Titel
Mutterschutz absurd?
Operieren in der Schwangerschaft
verfasst von
Dr. med. Maya Niethard
Publikationsdatum
01.06.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Orthopädie und Unfallchirurgie / Ausgabe 3/2023
Print ISSN: 2193-5254
Elektronische ISSN: 2193-5262
DOI
https://doi.org/10.1007/s41785-023-3854-7

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