Vitamin B12 (Cobalamin) ist für die Entwicklung und Funktion des Nervensystems unverzichtbar. Steht das Vitamin nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, drohen gravierende neuropsychiatrische Störungen.
Bei Vitamin-B12-Mangel beobachtet man eine Demyelinisierung (Entmarkung) von zentralen und peripheren Neuronen [1]. Wird die Demyelinisierung nicht behandelt, kann es zur axonalen Degeneration und zum Untergang der Nervenzelle kommen [3].
Die Angaben zur Häufigkeit neurologischer Manifestationen schwanken: Zwischen 4% und 50% der Patienten mit einem Vitamin-B12-Mangel sollen neurologische Auffälligkeiten zeigen [3]. Diese können die Erstmanifestation des Vitamindefizits darstellen und der Entwicklung hämatologischer Veränderungen vorausgehen oder aber isoliert auftreten, ohne dass sich jemals hämatologische Komplikationen entwickeln [1]. Daher sollte man bei unklaren neurologischen Symptomen immer auch an einen möglichen Vitamin-B12-Mangel denken – denn unbehandelte neurologische Manifestationen können fortschreiten und irreversibel werden [4].
Vielzahl an neurologischen und psychiatrischen Symptomen
Die Demyelinisierung bei Vitamin-B12-Mangel kann die Hinter- und Seitenstränge des zervikalen und thorakalen Rückenmarks betreffen (funikuläre Myelose). Gelegentlich erfasst die Entmarkung aber auch kraniale und periphere Nerven sowie die weiße Hirnsubstanz [2].
Abb. 1
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Zu den häufigsten neurologischen Symptomen bei Vitamin-B12-Defizit zählen symmetrische Parästhesien (periphere Neuropathie bei 25% der Patienten), Taubheitsgefühl und Gangstörungen [3]. Darüber hinaus sind Störungen der Propriozeption (Störung des Lage- und Vibrationsempfindens), Ataxie, Hyperreflexie, Störungen des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotonie, Inkontinenz, Impotenz) und weitere Auffälligkeiten beschrieben [2, 3].
Zu den psychiatrischen Manifestationen des Vitamin-B12-Defizits zählen kognitive Verlangsamung, Gedächtnisstörungen und Demenz. Auch affektive Störungen, Reizbarkeit, Depression, Labilität, Schlafstörungen und psychotische Zustände sind beschrieben (siehe Tabelle), [2, 3].
Neurologische Symptome | Zerebrale/psychische Symptome |
Parästhesien | Kognitive Verlangsamung, Vergesslichkeit |
Periphere sensorische Defizite | Demenz |
Gangunsicherheit, ataktischer Gang | Labilität, Reizbarkeit |
Schwäche bis hin zur Paraplegie | Schlafstörungen |
Gestörte Vibrationswahrnehmung | Affektive Störungen: Depression, Manie |
Gestörtes Lageempfinden | Paranoia, psychotische Zustände |
Spastizität/Hyperreflexie | |
Abnorme tiefe Sehnenreflexe | |
Sehstörungen im Zusammenhang mit einer Optikusatrophie | |
Störungen des autonomen Nervensystems: Inkontinenz, Impotenz, orthostatische Hypotonie |
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Tab. 1: Neuropsychiatrische Symptome bei Vitamin-B12-Mangel (modifiziert nach [2, 3])
Bei Diabetes-Patienten: Vitamin-B12-Status überwachen….
Ein Mangel an Vitamin B12 hat unterschiedliche Ursachen. Das Antidiabetikum Metformin, das zur Behandlung des Typ-2-Diabetes sehr häufig eingesetzt wird, kann einen Vitamin-B12-Mangel begünstigen. Daher empfiehlt die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft (American Diabetes Association, ADA), bei Patienten unter Metformin-Therapie den Vitamin-B12-Spiegel regelmäßig zu kontrollieren [5].
….und bei Bedarf oral supplementieren
Ein Vitamin-B12-Mangel bei Diabetes-Patienten kann eine diabetische Neuropathie imitieren und sollte durch eine orale Supplementierung von 1.000 µg Vitamin-B12 täglich behandelt werden, so die aktuelle Empfehlung eines internationalen Expertenteams [6]. Die Dauer der Supplementierung kann lebenslang erforderlich sein, je nach Ursache des Mangels [6].
Welchen klinischen Nutzen eine orale Vitamin-B12-Behandlung für Patienten mit Typ-2-Diabetes unter Metformin-Therapie bringen kann, belegt eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie [7]. An der Studie nahmen 90 Patienten teil, die seit mindestens vier Jahren mit Metformin behandelt wurden und an einer peripheren und autonomen Neuropathie litten. Darüber hinaus waren sie unzureichend mit Vitamin B12 versorgt. Unter der oralen Gabe von 1.000 µg Vitamin B12 täglich über ein Jahr normalisierten sich die Blutwerte. Zudem besserten sich alle neurophysiologischen Parameter, der Schmerzscore und die Lebensqualität der Patienten unter der Supplementation signifikant [7].
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Schützt Vitamin B12 vor einer demenziellen Entwicklung?
Eine Vitamin-B12-Unterversorgung ist mit einer nachlassenden Gedächtnisleistung assoziiert. Eine Querschnittsstudie, an der 100 Patienten mit leichter kognitiver Störung (mild cognitive impairment, MCI) teilnahmen, ergab, dass bereits Vitamin-B12-Konzentrationen im unteren Normbereich mit einer geringeren Gedächtnisleistung einhergehen und mit einer schlechteren Mikrostruktur des Hippocampus assoziiert sind [8].
Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen Demenz und Vitamin-B12-Versorgung. Bei den meisten Demenz-Patienten liegen Demenzformen vor, die derzeit nur symptomatisch behandelt werden können. Doch weisen 5% der Demenz-Patienten Demenzformen auf, die teilweise reversibel und potenziell behandelbar sind. Zu diesen potenziell therapierbaren Ursachen zählt u.a. der Vitamin-B12-Mangel. In einer retrospektiven Studie wurden die Daten von 160 stationären Patienten einer geriatrischen Station untersucht. Bei 99 Patienten war eine Demenz bereits vor der Klinikaufnahme bekannt, bei 61 Patienten wurde die Demenz neu diagnostiziert. In der Gruppe mit gesicherter Demenz war ein Vitamin-B12-Mangel die häufigste, bei den neu diagnostizierten Patienten war ein Vitamin-B12-Mangel die zweithäufigste behandelbare Demenz-Ursache [9].
Eine aktuelle Studie ging der Frage nach, ob der Vitamin-B12-Spiegel zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei Parkinson-Patienten die Zeit bis zur Entwicklung einer Demenz vorhersagen kann. Höhere Vitamin-B12-Serumspiegel zum Zeitpunkt der Diagnosestellung korrelierten mit einem geringeren Risiko für eine zukünftige Demenzentwicklung [10].
Bei Parkinson-Patienten ist zudem zu beachten, dass eine Therapie mit Levodopa einen Vitamin-B12-Mangel verursachen kann [11].
Zügig diagnostizieren und behandeln
Bei Verdacht auf Vitamin-B12-Mangel sollte umgehend eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden, um irreversible neurologische Schäden zu verhindern [3]. Bestätigt sich der Verdacht, ist eine rasche Therapie erforderlich. Diese sollte bei schwerem Mangel anfangs parenteral erfolgen und kann durch eine hochdosierte orale Therapie fortgesetzt werden.