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Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie 5/2024

Open Access 29.02.2024 | Nintedanib | Literatur kommentiert

Nintedanib zur Therapie der radiogenen Pneumonitis

verfasst von: Dr. med. Cas Stefaan Dejonckheere, Ulrike Höller, Lukas Käsmann

Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie | Ausgabe 5/2024

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Originalpublikation

Rimner A, Moore ZR, Lobaugh S, Geyer A, Gelblum DY, Abdulnour REE et al. (2023) Randomized Phase 2 Placebo-Controlled Trial of Nintedanib for the Treatment of Radiation Pneumonitis. Int J Radiat Oncol Biol Phys 116:1091–9. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​ijrobp.​2023.​02.​030.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund
Abhängig von der Bestrahlungsdosis und -technik entwickeln bis zu 20% der Patienten ein bis sechs Monate nach thorakaler Strahlentherapie eine Grad-≥ 2-Pneumonitis, klinisch charakterisiert durch Husten, Dyspnoe, Fieber und/oder respiratorische Insuffizienz [1]. In der Mehrheit der Fälle kann dies außerdem zu einer irreversiblen Fibrose führen, was mit hoher Morbidität und potenzieller Mortalität einhergehen kann. Obwohl das Risiko bei der definitiven Radiotherapie von primären oder sekundären Lungentumoren am höchsten ist, sind auch Patienten mit Ösophagus‑, Mediastinal- oder sogar Brustbestrahlung (wenn z. B. die Lymphabflusswege mitbestrahlt werden) gefährdet. Präventive oder therapeutische Maßnahmen sind nach wie vor deutlich limitiert. Nach vielversprechenden Ergebnissen von Nintedanib bei verschiedenen Lungenerkrankungen (z. B. idiopathische Lungenfibrose) führten Rimner und Mitarbeiter eine prospektive, randomisierte Phase-II-Studie durch, um die therapeutische Effektivität dieses Tyrosinkinaseinhibitors (Anti-FGF-R1 und -3, Anti-PDGF-Ra und b, Anti-VEGF-R1-3) bei der strahleninduzierten Pneumonitis zu untersuchen [2, 3].
Methodik und Ergebnisse
In dieser doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie wurden Patienten eingeschlossen mit einer klinisch neu diagnostizierten radiogen induzierten Grad-≥ 2-Pneumonitis (d. h. symptomatisch; mit Einschränkungen der iADL). Ein thorakales Malignom sollte dabei vor 1–9 Monaten in definitiver Intention bestrahlt worden sein. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert zwischen Nintedanib + Standardtherapie mit Prednison in wöchentlichem Abbau oder einem identischen Placebo + Prednison. Insgesamt wurden 34 Patienten randomisiert, wovon 30 mindestens 4 Wochen Therapie erhielten und somit analysiert wurden (18 in der Nintedanibgruppe). Nach einem medianen Follow-up von 13 Monaten war der Anteil ohne akute Exazerbation nach einem Jahr 72% versus 40% (p = 0,037). Bei den „patient-reported outcomes“ konnten keine Signifikanzen erreicht werden, jedoch ergab sich ein Trend Richtung Verbesserung des Schweregrads für Husten und Keuchen sowie eine schnellere Verbesserung des SGRQ (eines für Lungenerkrankungen validierten Fragebogens) in der Nintedanibgruppe bei Abschluss dieser Therapie. In der objektiven Lungenfunktionsmessung ergaben sich allerdings keine signifikanten Unterschiede. Im experimentellen Arm traten 16 Grad-≥ 2-Nebenwirkungen auf, die möglich oder wahrscheinlich mit Nintedanib in Verbindung gebracht werden (versus 5 im Kontrollarm). Diarrhö und Dyspnoe traten am häufigsten auf (jeweils 17% in der experimentellen Gruppe).

Kommentar

Die Datenlage bezüglich Prophylaxe und Therapie der radiogenen Pneumonitis ist deutlich limitiert, obwohl Symptome zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität bei Krebspatienten führen können [1, 4]. Die langfristige Einnahme systemischer Kortikoide lindert zwar in vielen Fälle die Symptome, geht allerdings mit den üblichen Nebenwirkungen einher, wobei während der Abbauphase außerdem ein Risiko für Resistenz besteht. In der gegenwärtigen Immuntherapieära (z. B. Durvalumab-Erhaltung beim NSCLC) sollten diese aufgrund möglicher Wechselwirkungen auch eher restriktiv eingesetzt werden [5]. Der Tyrosinkinaseinhibitor Nintedanib ist seit 2015 zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose sowie bestimmter interstitieller Lungenerkrankungen zugelassen, ferner in Kombination mit Docetaxel zur Behandlung des Adeno-NSCLCs. Aufgrund der pathophysiologischen Ähnlichkeiten von Lungenfibrose und radiogener Pneumonitis sind Studien zur Pneumonitisbehandlung grundsätzlich sinnvoll.
Die größte Einschränkung der aktuellen Studie ist das kleine Kollektiv. In der Poweranalyse wurden initial 64 Patienten geplant, aber trotz multizentrischen Vorgehens (vier amerikanische Kliniken mit hohem Volumen) und Rekrutierungszeit von knapp fünf Jahren konnte nur die Hälfte davon eingeschlossen werden, weswegen die Studie auch frühzeitig geschlossen wurde; das kann als indirekter Hinweis auf eine durch verbesserte Technik rückläufige Zahl relevanter Pneumonitiden gedeutet werden. Obwohl der primäre Endpunkt das Signifikanzniveau erreichte, war dies für die sekundären Endpunkte (QoL und LuFu) nicht der Fall, trotz eines Trends Richtung Verbesserung mit Nintedanib. Dass mehr Patienten in die Nintedanibgruppe eingeschlossen wurden, die eine Grad-3-Pneumonitis hatten (4 versus 2), spricht ebenfalls für die Wirksamkeit von Nintedanib. Das doppelblinde und placebokontrollierte Studiendesign sowie das Heranziehen von „patient-reported outcomes“ und objektiven Messverfahren erlauben eine umfassende Beurteilung der Wirkung vom Nintedanib.
Für die Interpretation der Daten sind allerdings einige Schwächen zu beachten. Die wichtigsten Risikofaktoren der radiogenen Pneumonitis sind die Bestrahlungsdosis, das bestrahlte Lungenvolumen und konkomitante Systemtherapien [6]; Angaben diesbezüglich hätten etwas detaillierter sein können. Weitere dosimetrische Angaben neben MLD wären ebenfalls sinnvoll gewesen (z. B. V5Gy, V20Gy; [7]). Obwohl die Rate an Nie- und Ex-Rauchern angegeben wurde, fehlen Informationen über Patienten, die im Zeitraum der Studie geraucht haben, was auch eine Verbesserung der Symptome erklären könnte [6]. Auch die Abweichungen im vorgeschriebenen Schema für die Dosisreduktion der Kortikoide, laut Studienprotokoll erlaubt, wurden nicht angegeben. Da die Lungenfunktion 18–24 Monate nach Abschluss der Strahlentherapie noch weiter absinken kann, wäre außerdem ein längeres Follow-up sinnvoll [8]. Als weitere Endpunkte wären der Schweregrad der einzelnen Exazerbationen (bzw. ob dies in der Nintedanibgruppe reduziert wurde) und die Rate an pneumonitisbedingten Hospitalisierungen auch wertvoll gewesen.
Das Nebenwirkungsprofil vom Nintedanib war ähnlich wie bei den anderen Indikationen, mit hauptsächlich Diarrhö und Dyspnoe [2]. Nintedanib ist ein Angiogeneseinhibitor, aber Blutungszeichen wurden nicht beobachtet. Vorsicht ist allerdings geboten bei Patienten, die parallel eine Erhaltungssystemtherapie bekommen. Bei einem Patienten, der den TKI Afatinib erhielt, trat eine Grad-3-Diarrhö auf, was eine Dosisreduktion und das Absetzen von Nintedanib erforderlich machte. In einer Ära von routinemäßig angebotenem „next generation sequencing“ und bei starker Zunahme der Anwendung zielgerichteter Therapien ist hierbei zukünftig Vorsicht geboten.
Trotz der kritischen Würdigung möglicherweise verzerrender bzw. fehlender Faktoren wird auf eine mögliche Effektivität von Nintedanib hingewiesen, sodass dies eine erste Studie mit hoffnungsvollen Ergebnissen bei der Therapie der radiogenen Pneumonitis darstellt. Phase-III-Studien mit besserer Rekrutierung sind allerdings zwingend erforderlich, bevor Nintedanib routinemäßig eingesetzt werden kann. Insbesondere bei der jüngsten Zunahme an stereotaktisch-ablativen Bestrahlungen und konkomitanten Immuntherapien besteht ein Bedarf, prophylaktische und therapeutische Optionen zu entwickeln.
Cas Stefaan Dejonckheere, Bonn
Ulrike Höller, Berlin
Lukas Käsmann, München

Interessenkonflikt

C.S. Dejonckheere, U. Höller und L. Käsmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Strahlentherapie und Onkologie

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Literatur
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Zurück zum Zitat (2020) S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. In: Leitlinienprogr Onkol. Dtsch Krebshilfe, AWMF, Deutsche Krebsgesellschaft (2020) S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. In: Leitlinienprogr Onkol. Dtsch Krebshilfe, AWMF, Deutsche Krebsgesellschaft
Metadaten
Titel
Nintedanib zur Therapie der radiogenen Pneumonitis
verfasst von
Dr. med. Cas Stefaan Dejonckheere
Ulrike Höller
Lukas Käsmann
Publikationsdatum
29.02.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Schlagwort
Nintedanib
Erschienen in
Strahlentherapie und Onkologie / Ausgabe 5/2024
Print ISSN: 0179-7158
Elektronische ISSN: 1439-099X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00066-024-02216-8

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