Diskussion
Über
Google Trends lässt sich im Verlauf der letzten 10 Jahre eine exponentielle Zunahme der Generation-Z-bezogenen Suchanfragen aufzeigen. Zeitgleich sank zumindest in Bezug auf die Suchanfragen das Interesse an der Generation Y. Schon Shatto et al. resümierten 2016 folgerichtig: „Much has been written about teaching Millennials; however, little has been discussed about Generation Z“ [
16]. Bereits 2008 wurde die voraussichtliche Einstellung von nach 1995 geborenen Ärztinnen und Ärzten ab dem Jahr 2017 erwartet [
11]. Somit bestand ausreichend Zeit, sich mit dieser Generation auseinanderzusetzen und auf das gesteigerte Interesse zu reagieren. Der Anteil dieser Generation an der deutschen Erwerbsbevölkerung im Jahr 2020 wird auf 9,5 % geschätzt [
17] – in akademisierten Berufen dürfte dieser deutlich niedriger ausfallen. Im Gesundheitswesen und deren akademisierten Spezialisierungen müssen wir uns derzeit damit begnügen, durch Erhebung des gegenwärtigen Zustandes überwiegend anhand der Generation Y Erkenntnisse auf deren Nachfolger zu antizipieren. Diese Annahme übertragen wir auf die Frauenheilkunde und Geburtshilfe, einem Fachgebiet, in dem die Mehrheit der Beschäftigten weiblich ist (Tab.
1; [
18]). Schmidt et al. erarbeiteten Lösungsvorschläge für die Anforderungen der Generation Y an den Arbeitsplatz Krankenhaus. Hierzu zählen Maßnahmen für Rekrutierung, Motivation, Ausbildung, Entwicklung und Bindung von Personal [
10]. Sie können als Orientierungshilfe herangezogen werden. Die meisten Maßnahmen erzielen große Wirkung bei geringem Aufwand. Für den Fachbereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe besteht hier immenses Optimierungspotenzial.
Für den Fachbereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe besteht immenses Optimierungspotenzial
Erhebungen der Arbeitsbedingungen und -belastungen angestellter Ärztinnen und Ärzte werden regelmäßig im
MB(Marburger Bund)-Monitor veröffentlicht [
8,
19]. Unsere Rückmeldungen stützen den zuletzt 2019 erhobenen Trend, dass die Arbeitsrahmenbedingungen als unzureichend und die Arbeit selbst als übermäßige Belastung empfunden werden. Auch die wöchentliche Arbeitszeit verbleibt hoch, wie bereits 2015 durch das
junge Forum festgestellt wurde [
12,
19]. Insbesondere bei der tatsächlichen Wochenstundenzahl wünschen sich die Kolleginnen und Kollegen eine Veränderung. Bereits jetzt besteht eine hohe Nachfrage an Teilzeitstellen [
8] – für die Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte eine attraktive Alternative. Immerhin geben 70 % den Wunsch nach Reduktion der Wochenarbeitszeit an. Sogar Vergütungseinbußen scheinen zugunsten der körperlichen und seelischen Gesundheit sowie einem ausgeglichenen Sozialleben akzeptiert zu werden. Noch arbeiten zwei Drittel der Befragten in Vollzeit. Unter Berücksichtigung des Teilnehmendenalters und des Frauenanteils sollten die Arbeitgeber diese Sichtweise ernst nehmen [
10]. Eine hohe Wochenarbeitszeit, Überstunden, die
Work-Life-Imbalance, die Diskrepanz zwischen Einkommen und Verantwortung, die negativen Auswirkungen der Arbeit auf das Privatleben sowie ein zunehmendes Gesundheitsbewusstsein nähren einen
Circulus vitiosus. Dies treibt den Nachwuchs in die Teilzeit, zumal mehr Arbeit bei gleichzeitig mehr Einkommen keinen Anreiz bietet. An dieser fatalen Entwicklung können Arbeitgeber kein Interesse haben. Die anfallenden durchschnittlichen wöchentlichen Überstunden bergen möglicherweise weniger Konfliktpotenzial als vielmehr deren Ursachen: Der während der regulären Arbeitszeit nicht zu bewältigende Wust an Dokumentation kombiniert mit dem hohen Anteil delegierbarer, nichtärztlicher Tätigkeiten bei gleichzeitigem Personalmangel und zu gewährleistender Patientinnenversorgung wird gerade die Generation Z nicht hinnehmen, da diese besonders viel Wert auf sinnhafte Arbeit legt [
14,
17,
20]. Dies ist gleichermaßen auf das Kodieren von Diagnosen und Prozeduren ohne adäquate Kenntnisse übertragbar. Der Führungsstil einer Chefärztin bzw. eines Chefarztes ist bedeutender denn je, um angesichts der mittlerweile stark voneinander divergierenden Anforderungen den einzelnen Generationenclustern innerhalb einer Klinik gerecht zu werden. Vorreiter auf dem Gebiet der Mitarbeiterführung waren Bass und Avolio, die das
Full Range of Leadership entwickelten [
21]. Dieses Führungsmodell soll das gesamte Spektrum des Führungsverhaltens abbilden [
3,
5,
22,
23]. Seine Kenntnis kann für Führungskräfte angesichts der Umfragewerte im Klinikalltag hilfreich sein. Es gilt darüber hinaus, die Stärken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, was zuletzt während der COVID-19-Pandemie vernachlässigt wurde, um die emotionale Mitarbeiterbindung aufrechtzuerhalten. Gerade Personal mit einer hohen emotionalen Mitarbeiterbindung ist engagiert, loyal und produktiv und weist wenige Fehltage sowie eine geringe Fluktuation auf [
24]. Die Wertschätzung der als Ärztin oder Arzt in Weiterbildung erbrachten Arbeit hat enorm an Bedeutung gewonnen, wird in der Realität jedoch nicht ausreichend gewürdigt [
10,
17]. Der Wunsch nach kontinuierlichen Chef- oder Oberarztvisiten ist unverkennbar, ermöglichen diese einen generationenübergreifenden Austausch, gewährleisten als
Bedside-Teaching eine Supervision, fördern die Weiterbildung und stellen dadurch die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicher.
Bei anhaltender Unzufriedenheit scheut der Nachwuchs keinesfalls davor zurück, den Arbeitgeber zu wechseln. Umso verwunderlicher ist, dass Kliniken Angebote nicht ausschöpfen, um Personal zu rekrutieren, auszubilden und zu binden.
Zu fördern sind die Stärken von Mitarbeitenden auch im Hinblick auf die emotionale Bindung
Die Disruption der Lernkultur im Fach der Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist anerkannt [
25‐
28]. Der umfangreiche Weiterbildungskatalog sowie die Spezialisierungsmöglichkeiten zeichnen die Frauenheilkunde und Geburtshilfe aus [
29]. Warum wird dieser Trumpf nicht ausgespielt? Die Weiterbildungsqualität ist ausbaufähig [
13]. Ein strukturierter Weiterbildungsplan – bei Weitem keine Selbstverständlichkeit [
30] – trägt zur Effektivität der fachärztlichen Ausbildung bei, an der es derzeit mangelt [
10]. Bereits zu Berufsstart oder zu Beginn einer neuen Rotation fehlen effiziente Einarbeitungskonzepte. Dabei kann ein Oberarzt-Mentoren-Programm die Weiterbildung positiv verstärken [
10,
17]. Auch Weiterbildungsgespräche erzielen positiv verstärkende Effekte und wirken nachhaltig [
10,
17]. Diese finden zwar, wie gefordert, einmal jährlich und seltener häufiger statt, lassen aber konstruktive Kritik vermissen. Die Generation Z wünscht sich kontinuierliche Rückmeldungen, zumindest einmal alle 3 Monate. Das bisher etablierte Jahresgespräch verkommt zum Auslaufmodell [
17].
Eine
Work-Life-Balance mit fließendem Übergang zwischen Privat- und Berufsleben, geprägt durch flexible Arbeitszeiten, wird generell von der Generation Y bevorzugt, wohingegen eine
Work-Life-Separation mit klarer Trennung zwischen Privat- und Berufsleben die „Zler“ ansprechen soll. Diese Annahme kann, unter Berücksichtigung des geringen Anteils der zwischen 1995 und 2009 Geborenen innerhalb der Studienpopulation, anhand dieser Umfrage nicht bestätigt werden. Scholler et al. propagieren, dass diese
Separation ein Mythos sei, was einmal mehr die Heterogenität der Generationencluster betont [
17,
20,
26]. Bereits während des Medizinstudiums, der entscheidenden Phase der Aneignung des
ärztlichen Habitus, der Einstellung zur eigenen Gesundheit und Krankheit, werden angehende Mediziner gegenüber den gesundheitlichen Risiken des späteren ärztlichen Berufslebens und der Bedeutung der Selbstfürsorge sensibilisiert [
31‐
35]. An dieser Stelle seien diverse Initiativen der Universität zu Lübeck für die Förderung des Studierens bei guter psychosozialer Gesundheit erwähnt [
32]. Im Angesicht dieses Gesinnungswechsels wurde 2017 der Begriff
Wohlbefinden zur Genfer Deklaration des Weltärztebundes hinzugefügt [
36‐
39]. Auch das Beschlussprotokoll des 122. Deutschen Ärztetages formuliert diesbezüglich klare Forderungen [
31,
39,
40]. Es gilt heute mehr denn je, den
ärztlichen Habitus zu überwinden. Derzeit spiegelt sich die Vernachlässigung der Selbstfürsorge unter anderem in der Missachtung der gesetzlichen Arbeitspausen, der akzeptierten Ausweitung des Arbeitszeitgesetzes im Rahmen der
Opt-Out-Regelung, der ausufernden Bürokratie oder der hohen Arbeitsbelastung wider. Zunehmend rückt der Erhalt der ärztlichen Gesundheit in den Fokus, dennoch bedarf es weiterer Anstrengungen [
40]. Die Generation Z hat den Stellenwert der eigenen Gesundheit sowie des eigenen Wohlbefindens und deren Schlüsselfunktion als Indikatoren der Qualität der Versorgung von Patientinnen und Patienten längst erkannt [
11,
32,
41].
Zunehmend rückt der Erhalt der ärztlichen Gesundheit in den Fokus
Nachwuchsrekrutierungsprogramme wie die
DGGG-Summer-School5 bleiben trotz des offensichtlichen Erfolges eine Rarität [
42,
43]. Selbst die aktuelle DGGG-Nachwuchskampagne
GYN-WERDEN6 ist nur wenigen ein Begriff. Die Nachwuchsrekrutierung über das praktische Jahr scheinen viele Kliniken nicht auszuschöpfen. Immerhin gilt es als erwiesen, dass bereits die Famulatur die späteren Berufsentscheidungen nachhaltig beeinflusst [
44].
Limitation
Die auf ein geographisches Gebiet beschränkte Umfrage mit geringer Teilnehmendenzahl kann die Repräsentativität der Studienpopulation beeinträchtigen, zumal derzeit in akademisierten Berufen erst wenige „Zler“ beschäftigt sind. Es blieb daher bei einer rein deskriptiven Auswertung. Die Anzahl der für diese Erhebung kontaktierten Ärztinnen und Ärzte und damit auch die Rücklaufquote sind unbekannt. Streng genommen hängt die Teilnahme an dieser Umfrage von der Einhaltung der Teilnahmebedingungen ab. Durch die Verbreitung der Umfrage über Gyn To Go wurden sicherlich auch Ärztinnen und Ärzte außerhalb Norddeutschlands erreicht, obwohl diese nicht den Einschlusskriterien entsprachen. Die Beantwortungen könnten durch teils nichtvalidierte, möglicherweise suggestive Fragen beeinflusst und durch einerseits motivierte, andererseits frustrierte Ärztinnen und Ärzte entsprechend verzerrt worden sein. Das durch Lockdowns geprägte Pandemiejahr 2021 kann sich ebenfalls auf die Beantwortungen ausgewirkt haben.