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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

15. Pflegebedürftigkeit in Deutschland

verfasst von : Sören Matzk, Chrysanthi Tsiasioti, Susann Behrendt, Dr. Kathrin Jürchott, Felipe Argüello Guerra, Dr. Antje Schwinger

Erschienen in: Pflege-Report 2023

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Zusammenfassung

Der Beitrag liefert ein ausführliches Bild zum Stand der Pflegebedürftigkeit und der gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland. Die Analysen basieren auf GKV-standardisierten AOK-Daten. Sie zeigen Prävalenz, Verläufe und Versorgungsformen der Pflege sowie Kennzahlen zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen. Im Fokus stehen die Inanspruchnahme von ärztlichen und stationären Leistungen, Polymedikation und Verordnungen von PRISCUS-Wirkstoffen und Psychopharmaka. Die Ergebnisse werden der Versorgung der Nicht-Pflegebedürftigen gleichen Alters gegenübergestellt und differenziert nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungssetting ausgewiesen.
The article provides empirical insights on the scope and state of long″​=term care services in Germany. This includes health service provision for persons in need of care. The article lays out key figures regarding the prevalence, pathways and forms of care based on standardised AOK statutory health insurance data. An additional focus lies on the use of outpatient and inpatient health care services as well as on polypharmacy and prescriptions of PRISCUS medication and psychotropic drugs. Findings are contrasted with data on members of the same age group who are not in need of care and discussed in relation to the severity of the need of care and the care provision setting.
Zusammenfassung
Der Beitrag liefert ein ausführliches Bild zum Stand der Pflegebedürftigkeit und der gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland. Die Analysen basieren auf GKV-standardisierten AOK-Daten. Sie zeigen Prävalenz, Verläufe und Versorgungsformen der Pflege sowie Kennzahlen zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen. Im Fokus stehen die Inanspruchnahme von ärztlichen und stationären Leistungen, Polymedikation und Verordnungen von PRISCUS-Wirkstoffen und Psychopharmaka. Die Ergebnisse werden der Versorgung der Nicht-Pflegebedürftigen gleichen Alters gegenübergestellt und differenziert nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungssetting ausgewiesen.
The article provides empirical insights on the scope and state of long″​=term care services in Germany. This includes health service provision for persons in need of care. The article lays out key figures regarding the prevalence, pathways and forms of care based on standardised AOK statutory health insurance data. An additional focus lies on the use of outpatient and inpatient health care services as well as on polypharmacy and prescriptions of PRISCUS medication and psychotropic drugs. Findings are contrasted with data on members of the same age group who are not in need of care and discussed in relation to the severity of the need of care and the care provision setting.

15.1 Datengrundlage und Methodik

Die Analysen basieren auf verschlüsselten Abrechnungsdaten der AOK. Für die soziale Pflegeversicherung (SPV) steht dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) seit 2015 ein bundesweiter Datensatz zur Verfügung. Diesen Daten ist der Personenbezug entzogen, sie können aber sowohl jahresüber greifend als auch in Kombination mit weiteren im WIdO vorliegenden Abrechnungsinformationen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) analysiert werden. Für die Datenjahre 2020 und 2021 ist zu berücksichtigen, dass die Covid-19-Pandemie die ansonsten über die Jahre relativ konstanten Inanspruchnahmemuster und damit einhergehende dokumentierte Abrechnungsinformationen und Diagnosen wesentlich verändert hat. Für alle dargelegten Analysen gilt insofern, dass die Effekte der Pandemie bei der Interpretation der beschriebenen Versorgungsaspekte und insbesondere der beobachteten Veränderungsraten zum Vorjahr zu berücksichtigen sind. An einigen Stellen wurden nochmals explizit entsprechende Hinweise ergänzt. Für die Standardisierung der AOK-Routinedaten wurde die amtliche Statistik über die Versicherten der GKV (KM 6) mit dem Erhebungsstichtag 1. Juli eines Jahres verwendet. Die Darstellung der AOK-Routinedaten erfolgt demnach so, als würden die AOK-Versicherten bezogen auf Fünf-Jahres-Altersklassen die gleiche Alters- und Geschlechtsstruktur wie die gesamte gesetzlich krankenversicherte Bundesbevölkerung aufweisen. Verzerrungen der Ergebnisse durch Alters- und Geschlechtsunterschiede zwischen AOK- und GKV-Population sind damit ausgeglichen und die Übertragbarkeit der Informationen wird erhöht. Für andere Einflussgrößen auf die Inanspruchnahme von Pflege- oder Gesundheitsleistungen gilt dies nicht. An einigen Stellen wird auf die amtliche Statistik PG 2 „Leistungsempfänger nach Pflegegraden, Altersgruppen und Geschlecht“ des Bundesministeriums für Gesundheit zurückgegriffen. Die PG 2 ist als stichtagsbezogene Statistik von allen SPV-Trägern zum 30. Juni bzw. 31. Dezember zu erstellen und zu melden. Die statistischen Berechnungen und graphischen Aufbereitungen wurden mit Hilfe der Statistiksoftware R (4.2.2) unter Verwendung folgender Pakete erstellt: RODBC (1.3-20), dplyr (1.1.1), tidyverse (2.0.0), maptools (1.1-6), rgdal (1.6-6) und ggplot2 (3.4.2).

15.2 Pflegeprävalenzen und Versorgungsformen bei Pflegebedürftigkeit

15.2.1 Prävalenz der Pflegebedürftigkeit

Pflegebedürftige nach Alter und Geschlecht

Mit Ende des Jahres 2021 waren laut amtlicher Statistik der Sozialen Pflegeversicherung 4,6 Mio. Personen pflegebedürftig, davon etwas weniger als zwei Drittel (61,6 %) Frauen (2,8 Mio. Pflegebedürftige). Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen (52,1 %) sind 80 Jahre und älter (2,4 Mio. Pflegebedürftige). Rund ein Zwanzigstel der Pflegebedürftigen (5,9 %) sind Kinder und Jugendliche (272 Tsd. Personen; Abb. 15.1).
Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu sein (Abb. 15.2). Sind im Jahr 2021 bei Kindern und Jugendlichen sowie Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen zwei und drei von 100 gesetzlich Krankenversicherten pflegebedürftig, betrifft dies bei den 75- bis 79-Jährigen bereits jede sechste Person (17,0 %). In den höchsten Alterssegmenten verdreifacht sich diese Prävalenzrate auf 50 % bei den 85- bis 89-Jährigen. Bei den über 90-Jährigen sind zwei Drittel der Personen (69,6 %) pflegebedürftig. Mit steigendem Alter unterscheidet sich zudem deutlich die Pflegeprävalenz zwischen Männern und Frauen (Abb. 15.2): Während etwa 40 % der 85- bis 89-jährigen Männer von Pflegebedürftigkeit betroffen sind, betrifft dies mehr als die Hälfte aller Frauen (55,4 %) im gleichen Alterssegment. Bei den über 90-jährigen Männern ist schließlich etwas mehr als jeder Zweite (59,5 %) pflegebedürftig, bei den gleichaltrigen Frauen hingegen sind es drei Viertel (73,4 %).

Pflegebedürftigkeit im Zeitverlauf

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist innerhalb der letzten zehn Jahre deutlich gestiegen: Im Jahr 2021 waren im Durchschnitt 6,3 % der gesetzlich versicherten Bundesbürger pflegebedürftig (Abb. 15.3). Zehn Jahre früher, im Jahr 2012, betraf dies lediglich 3,5 %, was einem Anstieg um rund 80 % entspricht. Bereinigt man die Werte um die fortschreitende Alterung der Gesellschaft und legt für alle Jahre die Alters- und Geschlechtsstruktur der GKV-Versicherten des Jahres 2021 zugrunde, dann fällt der Anteil deutlich schwächer aus (Abb. 15.3): Bereits 2012 waren demgemäß 3,9 % der gesetzlich Versicherten pflegebedürftig gewesen, der Anstieg bis zum 2021er Wert beträgt dann noch rund 60 %. Folglich lässt sich die beobachtete Zunahme der Pflegeprävalenz zwischen 2012 und 2021 nur zu einem Teil auf die Entwicklung der Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung zurückführen.
Die deutliche Zunahme der Pflegeprävalenz ab 2016 ist mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Januar 2017 verbunden. Mit der Reform war u. a. die Erwartung verbunden, dass sich der Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung weiter verbessert. Deutlich wird in Abb. 15.3, dass der Zuwachs an Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 den Anstieg der Pflegeprävalenz zu einem großen Teil begründet: Lässt man den Grad 1 außen vor, wäre die Pflegeprävalenz – bereinigt um den Alterungseffekt der Bevölkerung – von 2012 bis 2021 nur noch um rund 40 % gestiegen. Sichtbar wird ferner: Auch fünf Jahre nach Einführung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs steigt die Pflegeprävalenz deutlich über dem demographisch zu erwartenden Niveau. Hieraus ergeben sich wichtige Forschungsfragen zu möglichen Gründen dieses Anstiegs. Zu diskutieren sind beispielsweise epidemiologische (z. B. Anstieg von Demenzen), angebots- und nachfrageinduzierte (z. B. bessere Verfügbarkeit und Bekanntheit der Angebote), sozioökonomische (z. B. Zunahme von Single-Haushalten, Absinken des verfügbaren Haushaltseinkommens/Abhängigkeit von Transferleistungen der SPV) oder gesellschaftlich-normative (z. B. positive Wertung/keine Assoziation von Stigmatisierung bei Pflegebedürftigkeit; Schwinger et al. 2023).

Schwere der Pflegebedürftigkeit

Seit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Januar 2017 unterteilt sich die Schwere der Pflegebedürftigkeit definitorisch in fünf Pflegegrade (zuvor drei Pflegestufen). Rund jeder siebte Pflegebedürftige hatte im Jahr 2021 laut amtlicher Statistik „geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten“ (Pflegegrad 1; 13,8 %), 41 % wiesen „erhebliche Beeinträchtigungen“ (Pflegegrad 2) auf (Abb. 15.4). Im Schnitt jeder fünfte Pflegebedürftige ist von „schweren Beeinträchtigungen“ (Pflegegrad 3; 28,2 %) bzw. von „schwersten Beeinträchtigungen“ (Pflegegrad 5; 5,0 %) betroffen. Die Pflegeschwere hat sich in diesem kurzen zeitlichen Verlauf deutlich verändert: Der Anteil Personen in den Pflegegraden 2, 4 und 5 nimmt ab, während der Anteil mit Pflegegrad 1 deutlich zugenommen hat.

15.2.2 Versorgungsformen bei Pflegebedürftigkeit

Versorgungsformen nach Alter und Geschlecht

Die folgenden Analysen vergleichen ambulant und vollstationär versorgte Pflegebedürftige (§ 43 SGB XI). Die Betrachtung der ambulant Gepflegten unterscheidet zwischen Empfängerinnen und Empfängern reiner Geldleistungen (d. h. Personen mit Pflegegeldbezug [§ 37 SGB XI] ohne jegliche weitere Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst [im Sinne des § 36 SGB XI] und solchen mit Sachleistungs- [§ 36 SGB XI] bzw. Kombinationsleistungsbezug [§ 38 SGB XI]). Im Jahr 2021 wurden vier von fünf Pflegebedürftigen (80,9 %) in ihrer häuslichen Umgebung betreut (Abb. 15.5): Deutlich über die Hälfte aller Pflegebedürftigen (61,6 %) bezogen ausschließlich Pflegegeld. Ein Fünftel (19,3 %) entschied sich entweder für eine Kombination aus Geld- und Sachleistung oder für den alleinigen Bezug von Sachleistungen. Weiterhin jede fünfte pflegebedürftige Person (19,1 %) wurde in einem stationären Pflegeheim versorgt.
Die Unterschiede zwischen den Versorgungsformen sind weniger geschlechts- als vielmehr altersabhängig (Abb. 15.6): Leisten bei pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen nahezu immer die Angehörigen die Versorgung (Pflegegeld), trifft dies bei Personen im Alter von 20 bis 59 Jahren auf rund 80 % der Frauen und Männer zu. Auch Pflegebedürftige zwischen 60 und 74 Jahren sind noch überwiegend reine Geldleistungsbezieher, ab 85 Jahren bei den Frauen und erst ab 90 Jahren bei den Männern ist es nicht mehr die Mehrheit der Kohorte. Komplementär steigt der Anteil von Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen. Während in jüngeren Jahren Männer wesentlich häufiger als Frauen vollstationär versorgt werden, kehrt sich dieses Verhältnis ab einem Alter von 80 Jahren um (Abb. 15.6).
Innerhalb der einzelnen Versorgungsformen variiert die Altersverteilung bei geschlechtsspezifischer Betrachtung ebenso (Abb. 15.7): Beispielsweise sind mehr als drei Viertel (76,8 %) der vollstationär gepflegten Frauen sind mindestens 80 Jahre alt, die Männer sind mit einem entsprechenden Anteil von 50 % hingegen im Durchschnitt deutlich jünger. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den ambulant gepflegten Empfängerinnen und Empfängern von Pflegegeld sowie von Sach- oder Kombinationsleistungen. Der Anteil an Pflegebedürftigen in den obersten Altersdekaden ist in allen Versorgungsformen bei den Frauen deutlich höher als bei den Männern (Abb. 15.7).

Versorgungsform stationär nach Bundesland

Der Anteil der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen, der 2021 im Bundesdurchschnitt 19 % beträgt, variiert regional erheblich. Abb. 15.8 zeigt die Pflegeheimquoten je Bundesland bereinigt um länderspezifische Alters- und Geschlechtsunterschiede. Bundesländer, die trotz Alters- und Geschlechtsbereinigung deutlich überdurchschnittliche Quoten aufweisen, sind Schleswig-Holstein (27,0 %), Bayern (23,1 %) sowie Sachsen-Anhalt (21,8 %). Die niedrigsten Anteile von Personen in vollstationärer Pflege finden sich in Brandenburg (15,6 %), Hessen (16,3 %) und Nordrhein-Westfalen (16,5 %).

Schwere der Pflegebedürftigkeit nach Versorgungsformen

Die Schwere der Pflegebedürftigkeit ist zwischen den Versorgungsformen unterschiedlich verteilt. Während im Jahr 2021 56 % der reinen Pflegegeldbeziehenden Pflegegrad 2 aufwiesen, waren dies in der vollstationären Pflege nur 16 %. Knapp jede zweite Person (48,1 %) ist hier von schwersten Beeinträchtigungen (Pflegegrad 4 und 5) betroffen, von den Geldleistungsempfängern lediglich 13 % (Abb. 15.9). In umgekehrter Aufschlüsselung – wie verteilen sich die Personen eines Pflegegrades auf die Versorgungsformen – zeigt sich: Drei Viertel der Menschen mit Pflegegrad 2 (75,0 %) beziehen demnach ausschließlich Geldleistungen, deutlich weniger als jede zehnte Person (6,7 %) wird vollstationär versorgt. Mit Zunahme des Pflegegrades steigt der Anteil der Personen im Pflegeheim deutlich: 40 % bzw. 51 % der schwerstpflegebedürftigen Personen mit Pflegegrad 4 und 5 werden vollstationär versorgt (Abb. 15.9).

15.2.3 Ambulante Unterstützungs- und Entlastungsleistungen

Ambulant versorgte Pflegebedürftige haben die Möglichkeit, zusätzlich zum Pflegegeld bzw. parallel zur ergänzenden Versorgung durch einen Pflegedienst weitere Unterstützungsleistungen für Pflegebedürftige zu beziehen. Geld- und Sachleistungen können z. B. mit einer Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI) ergänzt werden. Die Pflegebedürftigen können hierdurch für bestimmte Zeiten im Tagesablauf in einer entsprechenden teilstationären Einrichtung betreut und gepflegt werden. Neben den Leistungen zur Abdeckung des täglichen Hilfebedarfs gibt es für ambulant versorgte Pflegebedürftige Angebote der Verhinderungs- (§ 39 SGB XI) und Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI), um die Hauptpflegeperson für einige Wochen im Jahr zu entlasten. Kurzzeitpflege kann darüber hinaus nach einem Krankenhausaufenthalt genutzt werden, um den Übergang in die weitere Pflege abzusichern, oder als Ersatzpflege in Krisensituationen, in denen häusliche Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist. Pflegebedürftige in häuslicher Pflege haben ferner Anspruch auf einen Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI) in Höhe von bis zu 125 € pro Monat zur Erstattung von Aufwendungen im Rahmen der Inanspruchnahme von Tages- oder Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Leistungen der ambulanten Pflegedienste im Sinne des § 36 SGB XI und Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a SGB XI.

Übersicht zur Inanspruchnahme

Abb. 15.10 und 15.11 zeigen die Inanspruchnahme der oben genannten ambulanten Unterstützungsleistungen. Besonders auffällig ist dabei die geringe Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen durch Pflegegeldbeziehende: Mehr als zwei von Dreien (65,0 %; Abb. 15.11) nutzen keine einzige weitere ambulante Unterstützungs- und Entlastungsleistung. Dies sind 40 % aller Pflegebedürftigen (Abb. 15.10). Genau umgekehrt ist es bei den Pflegehaushalten mit Einbindung eines ambulanten Pflegedienstes (Sach- oder Kombinationsleistung): Deutlich mehr als zwei Drittel (73,3 %; Abb. 15.11) beziehen hier ergänzende unterstützende Leistungen. Gemessen an allen Pflegebedürftigen sind dies 14 % aller Pflegebedürftigen (Abb. 15.10). Ein Fünftel der Pflegebedürftigen (19,1 %) befindet sich in vollstationärer Pflege. Sowohl der Anteil der Geld- wie auch der Sachleistungsempfänger mit zusätzlicher Unterstützungs- und Entlastungsleistung hat im Zeitverlauf deutlich zugenommen; im Corona-Jahr 2020 war die Nutzung leicht rückläufig, steigt ab dem Jahr 2021 jedoch weiter.
Abb. 15.12 stellt die Inanspruchnahme von ambulanten Unterstützungs- und Entlastungsleistungen durch ambulant versorgte Pflegebedürftige in der eigenen Häuslichkeit (für mindestens einen Tag im Monat) für das Jahr 2021 dar. Sie differenziert dabei zwischen der zeitpunktbezogenen (Durchschnitt der Monate) und der zeitraumbezogenen (Jahresdurchschnitt) Betrachtung. Die Jahresbetrachtung ermöglicht insbesondere eine genauere Darstellung der Inanspruchnahmeraten für die Nutzenden von Kurzzeit- und Verhinderungspflege, da diese Leistungen nicht durchgehend über das ganze Jahr in Anspruch genommen werden, sodass eine Darstellung im Durchschnitt der Monate diesen Anteil unterschätzen würde. Folglich ergibt die Jahresanalyse durchgängig höhere Inanspruchnahmeraten der in Abb. 15.12 gelisteten Leistungen als die Berechnung des jeweiligen Monatsdurchschnitts. Im Jahresverlauf 2021 nutzte fast jede dritte pflegebedürftige Person mindestens einmal Leistungen der Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege (31,5 % der Empfängerinnen und Empfänger von Pflegegeld und 28,7 % jener von Sach- oder Kombinationsleistungen). Im Bereich der Verhinderungspflege kommt der stundenweisen Unterstützung die höchste Bedeutung zu (18,1 % bzw. 18,4 %). Kurzzeitpflege erhielt rund jede zehnte pflegebedürftige Person (5,8 % bzw. 9,3 %) mindestens einmal im Laufe des Jahres 2021.

Inanspruchnahme im Zeitverlauf

Die Inanspruchnahme der ambulanten Unterstützungs- und Entlastungsleistungen hat seit 2017 stetig zugenommen (Abb. 15.13). Dies hängt damit zusammen, dass die Unterstützungsangebote in einer ganzen Reformkaskade deutlich ausgeweitet wurden, als letztes mit dem Pflegestärkungsgesetz (PSG) I (2017). Seitdem kann die Tagespflege gänzlich additiv zur Sach-, Kombinations- oder Geldleistung genutzt werden. Verhinderungs- und Kurzzeitpflege können seit dem PSG I anteilsmäßig substituiert werden und der vormals auf demenziell Erkrankte beschränkte Anspruch auf Betreuungsleistungen bzw. niedrigschwellige Entlastungen wurde auf alle Pflegebedürftigen ausgeweitet. Der deutliche Anstieg aus den Jahren 2015/2016 des Anteils Versicherter, die den Entlastungsbetrag nutzen, nimmt weiter – aber langsamer – zu, von 41 % im Jahr 2017 auf 47 % im Jahr 2021. Für alle übrigen Unterstützungs- und Entlastungsleistungen ist der Anteil Pflegebedürftiger, die diese mindestens einmal im Jahr nutzen, seit 2017 relativ konstant geblieben und – dies sind im Kontext der Covid-Pandemie zu interpretierende Verzerrungen – 2021 leicht rückläufig. Hervorzuheben ist, dass der Anteil Pflegebedürftiger mit einer Nutzung von Kurzzeitpflege bereits seit 2017 von 10 % auf 7 % im Jahre 2021 zurückgegangen ist.

Inanspruchnahme auf Kreisebene

Abb. 15.14 visualisiert die Inanspruchnahme der Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege im Jahr noch einmal kartographisch. Bei der teilstationären Pflege fallen in den Kreisen im Norden und Osten überproportionale hohe Raten auf, während für die Verhinderungspflege andersherum eher in Westdeutschland – ausgenommen Bayern – höhere Inanspruchnahmeraten zu erkennen sind. Bei der Kurzzeitpflege ist zu beobachten, dass die Raten in den Kreisen in Ostdeutschland weitaus niedriger ausfallen als im Rest der Republik.

Unterstützungs- bzw. Entlastungsleistungen nach Schwere der Pflegebedürftigkeit

Die Inanspruchnahme der durch die Soziale Pflegeversicherung finanzierten Unterstützungsleistungen nimmt mit der Schwere der Pflegebedürftigkeit zu (Abb. 15.15). So nutzt z. B. knapp ein Drittel der Sach- oder Kombinationsleistungsbeziehenden mit Pflegegrad 5 (28,3 %) bzw. nahezu die Hälfte der Geldleistungsbeziehenden (40,2 %) mit diesem Pflegegrad die Verhinderungspflege; im Pflegegrad 2 sind dies hingegen lediglich 15 % bzw. 21 %. Ähnlich bei der Kurzzeitpflege: Diese nahmen im Jahr 2021 12 % der Sach- oder Kombinationsleistungsbeziehenden und 14 % der Geldleistungsbeziehenden mit schwersten Beeinträchtigungen (Pflegegrad 5) in Anspruch, im Pflegegrad 2 hingegen lediglich 5 % bzw. 3 %. Allein der Entlastungsbetrag zeigt eine ähnlich hohe Rate unabhängig vom Pflegegrad (Abb. 15.15).
Die umgekehrte Betrachtung in Abb. 15.16 zeigt, wie schwer pflegebedürftig die Beziehenden der jeweiligen Unterstützungsleistung sind: Deutlich wird, dass der Entlastungsbetrag und die Verhinderungspflege eher von Pflegebedürftigen mit geringerer Pflegeschwere, Tages- und Kurzeitpflege vermehrt auch durch Pflegebedürftige mit höheren Pflegegraden in Anspruch genommen werden. So sind rund ein Drittel der Pflegebedürftigen mit Tages- und Nachtpflege und mit Kurzzeitpflege Personen mit Pflegegrad 4 oder 5 – unabhängig davon, ob sie Pflegegeld bzw. Sach- und Kombinationsleistungen beziehen.

Unterstützungs- bzw. Entlastungsleistungen nach Geld- und Sach- oder Kombinationsleistungsbezug

Neben einer Aufgliederung nach Alter, Geschlecht und Pflegegraden liefert auch die Differenzierung nach Pflegegeld- bzw. Sach- oder Kombinationsleistungsbezug einen Beitrag zur Charakterisierung der Beziehenden von zusätzlichen Unterstützungs- und Entlastungsleistungen. Abb. 15.17 zeigt in dieser Hinsicht ein heterogenes Bild: Während die Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege überproportional – d. h. von über zwei Dritteln (65,9 bzw. 76,4 %) der Pflegegeldbeziehenden – beansprucht werden, ist der Anteil von Geld- bzw. Sach- oder Kombinationsleistungsbezug bei den Nutzenden der Tages- und Nachtpflege wie auch des Entlastungsbetrags in etwa gleich hoch.

15.3 Kennzahlen zur medizinisch-therapeutischen Versorgung von Pflegebedürftigen

15.3.1 Ambulante ärztliche Versorgung

Die folgende Darstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland orientiert sich an der Kontaktrate zu niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Diese Kennzahl erfasst sogenannte Abrechnungsfälle (mindestens ein Kontakt je Quartal und Arzt), die der ambulante ärztliche Leistungserbringer abrechnet. Ein Fall kann dabei unbekannt viele Arztkontakte im Quartal umfassen. Die Zahl der Abrechnungsfälle wiederum ist auf kollektivvertragsärztliche Leistungsfälle im Sinne des § 73 SGB V beschränkt. Auf das konkrete Leistungsgeschehen und auf Versicherte, die an der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V und der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung nach § 140a SGB V teilnehmen, geht dieser Beitrag nicht ein.

Übersicht zur Inanspruchnahme

Nahezu alle Pflegebedürftigen (95,8 %) hatten 2021 im Durchschnitt der Quartale mindestens einen Arztkontakt, d. h. generierten einen Abrechnungsfall. Gleichfalls sahen die Pflegebedürftigen mehrheitlich (88,4 %) im Quartal im Durchschnitt einen Hausarzt/eine Hausärztin, 71 % mindestens einmal einen Facharzt/eine Fachärztin. Ärztinnen und Ärzte der folgenden Fachrichtungen wurden häufig im Quartal kontaktiert: Urologie mit 18 % der Männer pro Quartal, Neurologie mit rund 17 %, Innere Medizin mit 17 % und Augenheilkunde mit 16 % (beide Geschlechter pro Quartal; Tab. 15.1). Deutliche Unterschiede zeigen sich zwischen Pflegebedürftigen, die ambulant (d. h. in der eigenen Häuslichkeit), und solchen, die in vollstationärer Pflege versorgt werden. Mit 96 % war die Inanspruchnahme von Hausärztinnen und -ärzten im vollstationären Kontext höher als im ambulanten Setting mit 87 % im Durchschnitt der Quartale. Weitaus auffälligere Unterschiede beziehen sich auf einzelne Facharztgruppen: 19 % der ambulant versorgten Pflegebedürftigen hatten im Durchschnitt der Quartale mindestens einmal Kontakt zu einer internistischen Praxis. Bei vollstationär versorgten Pflegebedürftigen waren dies nur 7 %. Andersherum suchte fast ein Drittel der Pflegeheimbewohnenden (30,0 %) im Durchschnitt der Quartale eine neurologische Praxis auf, während dies in der ambulanten Versorgung nur bei 14 % der Fall war (Tab. 15.1). Der Anteil von Versicherten mit mindestens einem Arztkontakt im Durchschnitt der Quartale bei einigen Facharztgruppen (Gynäkologie, HNO, Gastroenterologie, Kardiologie) – insbesondere bei den vollstationär Versorgten – hat sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Der Anteil mit Kontakten zu neurologischen oder psychiatrischen Praxen verblieb auch auf einem ähnlichen Niveau (Matzk et al. 2022).
Tab. 15.1
Inanspruchnahme von niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzten durch Pflegebedürftige im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
Arztgruppe
Ambulant
Vollstationär
Insgesamt
Alle Vertragsärztinnen und -ärzte
95,3
98,4
95,8
Hausärztea
86,7
96,4
88,4
Fachärzte
70,7
70,6
71,3
Gynäkologenb (inkl. Fachärzte für Geschlechtskrankheiten)
8,6
2,7
8,4
HNO-Ärzte
8,9
13,1
9,9
Augenärzte
16,9
8,8
15,7
Internisten
18,8
6,5
16,7
Darunter*
Angiologen
0,6
0,2
0,5
Endokrinologen und Diabetologen
0,3
0,1
0,3
Gastroenterologen
1,1
0,2
1
Kardiologen
6,4
2,2
5,7
Nephrologen
3,2
1,4
2,8
Hämatologen und Onkologen
2,7
0,8
2,3
Pneumologen
4,1
0,8
3,6
Rheumatologen
1,1
0,2
1,0
Neurologen
13,6
30,0
16,7
Orthopäden
10,9
5,6
10,5
Psychiater
3,1
10,1
4,6
Urologenc
17,1
23,4
17,6
a inkl. hausärztlich tätige Internisten;
b nur für Frauen berechnet (inkl. Fachärzte für Geschlechtskrankheiten);
c nur für Männer berechnet;
ohne Versicherte, die in Selektivverträge nach § 73b oder § 140a SGB V eingeschrieben sind; ohne Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten.
*Prozentwerte der unter „Darunter“ aufgeführten Facharztgruppen ergeben in Summe nicht den Anteil der Internisten, da Versicherte mehrere Facharztgruppen nutzen können.
Pflege-Report 2023
Abb. 15.18 zeigt den Anteil der Pflegebedürftigen mit mindestens einem Arztbesuch differenziert nach Versorgungsform. Hierbei sind Unterschiede in der Häufigkeit der Inanspruchnahme zwischen ambulanter und stationärer Pflege zu beobachten. Es sahen über die vier Quartale hinweg vollstationär Gepflegte zudem häufiger einen Neurologen (74,3 %) und/oder Psychiater (69,6 %) als die ambulant Gepflegten (58,2 % bzw. 59,7 %). Des Weiteren hatten 35 % der Pflegebedürftigen, die einen Internisten aufsuchten, in der stationären Pflege in allen vier Quartalen Kontakt – im Vergleich zu 42 % in der ambulanten Pflege.
In Abb. 15.19 wird die Perspektive gewechselt: Dargestellt ist hier, welche Relevanz die Versorgung von Pflegebedürftigen in der ärztlichen Praxis hat – oder anders ausgedrückt: welcher Anteil der Fälle bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten 2021 auf Pflegebedürftige entfiel. Mit Ausnahme der Fachrichtungen Neurologie, Psychiatrie und Urologie liegt diese Rate allgemein nicht wesentlich über 10 %. In der neurologischen Praxis bezieht sich jedoch rund jeder dritte Fall (30,8 %) auf eine pflegebedürftige Person.

15.3.2 Stationäre Versorgung

Die Darstellung der Krankenhausversorgung von Pflegebedürftigen bezieht sämtliche vollstationären Fälle im Sinne des § 39 SGB V ein. Teil-, vor- und nachstationäre (§ 115a SGB XI) sowie ambulante (§ 115b SGB XI) Fälle sind nicht Bestandteil der Betrachtungen. Zudem werden ausschließlich Fälle mit abgeschlossener Rechnungsprüfung ausgewertet.

Übersicht zur Inanspruchnahme

Bezogen auf das Quartal hatten (mindestens einmal) hospitalisierte Pflegebedürftige 1,4 und im Jahresblick 2,0 Krankenhausbehandlungen (Tab. 15.2). Die Mehrzahl der Pflegebedürftigen mit mehreren Krankenhausaufenthalten werden demzufolge innerhalb eines kurzen Zeitintervalls (d. h. innerhalb eines Quartals) mehrmals stationär behandelt. Je Aufenthalt sind Pflegebedürftige im Jahr durchschnittlich neun Tage und Nicht-Pflegebedürftige fünf Tage im Krankenhaus (Tab. 15.2). Erwartungsgemäß hängt die Länge des Aufenthalts vom Alter ab: Bei der jungen Kohorte der bis 19-jährigen Pflegebedürftigen waren es im Jahr durchschnittlich sieben Krankenhaustage je Fall. 12 % der Pflegebedürftigen und 2 % der Nicht-Pflegebedürftigen verstarben im Krankenhaus. Im Jahr 2021 entfiel fast jeder dritte Krankenhausfall (30,6 %) auf Pflegebedürftige (Abb. 15.20). Die Analyse nach Krankenhaustagen unterstreicht die Bedeutung für den stationären Versorgungsalltag zusätzlich: Fast die Hälfte aller Krankenhaustage (45,4 %) entfiel 2021 auf pflegebedürftige Patientinnen und Patienten. Bei der Interpretation der hier präsentierten Ergebnisse ist zwingend die Covid-19-Pandemie zu berücksichtigen (siehe auch Kohl et al. 2021; 2022; Kuhlmey et al. 2022).
Tab. 15.2
Übersicht zu den Krankenhausaufenthalten von Pflegebedürftigen und Nicht-Pflegebedürftigen, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
 
Im Durchschnitt der Quartale
Im Jahr
Pflegebedürftige
Nicht-Pflegebedürftige
Pflegebedürftige
Nicht-Pflegebedürftige
Zahl der Fälle je Patientin/Patient
1,4
1,2
2,0
1,4
Krankenhaustage je Fall:
Insgesamt
9,1
4,8
8,5
5,0
Altersgruppe in Jahren:
0–19
6,9
4,0
6,5
4,1
20–59
8,8
4,1
7,7
4,1
60–64
9,5
5,6
8,3
5,7
65–69
9,6
5,9
8,5
6,1
70–74
9,7
6,1
8,6
6,4
75–79
9,5
6,3
8,7
6,7
80–84
9,3
6,3
8,7
7,0
85–89
8,9
6,4
8,7
7,7
90+
8,3
6,6
8,6
8,7
Während des Krankenhausaufenthalts verstorben:
Insgesamt*
  
12,1
2,3
Pflegegeld
  
12,9
Sach- oder Kombinationsleistung
  
10,5
Vollstationäre Pflege
  
13,8
*Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten, sowie Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 sind ausschließlich in dieser Kategorie enthalten
Pflege-Report 2023

Inanspruchnahme nach Altersgruppen und Geschlecht

Die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthalts variiert deutlich zwischen den Altersgruppen. Waren im Durchschnitt der Quartale 16 % aller Pflegebedürftigen im Krankenhaus (Tab. 15.3), betraf dies bei den unter 20-Jährigen nur 8 %, bei den Pflegebedürftigen im erwerbsfähigen Alter 20 bis 59 Jahre rund jeden zehnten (10,7 %) und in der Altersgruppe der 70- bis 74- sowie der 75- bis 79-Jährigen schließlich fast jede fünfte Person (18,7 % bzw. 18,7 %; Abb. 15.21). Vergleicht man dies mit Krankenhausaufenthalten Nicht-Pflegebedürftiger, zeigt sich eine ähnliche Verteilung über die Altersgruppen, jedoch auf einem erwartungsgemäß deutlich niedrigeren Niveau. Anders als bei den Pflegebedürftigen ist hier in der Altersgruppe der 80- bis 84-Jährigen die Wahrscheinlichkeit für einen Krankenhausaufenthalt am höchsten (6,3 %). Bei beiden Gruppen sinkt die stationäre Behandlungsrate in den folgenden Altersgruppen wie jene der Pflegebedürftigen jedoch stärker. Abb. 15.21 zeigt auch zwischen den Geschlechtern z. T. erhebliche Unterschiede: In den Jahrgängen unter 60 Jahren sind Frauen häufiger im Krankenhaus, ab 60 Jahre sind es dann die Männer. So wies 2021 beispielsweise fast jeder Vierte der 75- bis 79-jährigen pflegebedürftigen Männer (21,4 %) einmal im Quartal einen Aufenthalt im Krankenhaus auf, bei den Frauen betraf dies 17 %. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Inanspruchnahme zeigen sich – wiederum auf einem niedrigeren Niveau – auch bei den Nicht-Pflegebedürftigen.
Tab. 15.3
Pflegebedürftige mit Krankenhausaufenthalt nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
Pflegegrade
Pflegegeld
Sach- und Kombinationsleistung
Vollstationäre Pflege
Alle Pflegebedürftigen*
Pflegegrad 1
12,1
Pflegegrad 2
13,0
15,2
19,1
13,8
Pflegegrad 3
15,3
19,3
20,0
17,0
Pflegegrad 4
17,9
23,4
20,5
19,8
Pflegegrad 5
18,9
24,9
18,4
19,8
Alle Pflegegrade
14,4
18,6
19,7
15,6
*Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten, sind ausschließlich in dieser Kategorie enthalten.
Pflege-Report 2023

Inanspruchnahme nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform

Die Hospitalisierungsraten der Pflegebedürftigen je Quartal unterschieden sich ferner je nach Versorgungsform (Tab. 15.3). Im Jahr 2021 wurden 14 % der Beziehenden von ausschließlich Pflegegeld, 19 % der ambulant betreuten Pflegebedürftigen mit Pflegedienst sowie 20 % der stationär betreuten Pflegebedürftigen im Quartal mindestens einmal im Krankenhaus aufgenommen. Insgesamt steigt auch hier erwartungskonform der Anteil der Personen mit einem Krankenhausaufenthalt mit der Schwere der Pflegebedürftigkeit (von Pflegegrad 2 bis Pflegegrad 4) insbesondere bei Pflegebedürftigen mit ambulanten Pflegeleistungen an. Die vollstationär Pflegebedürftigen kennzeichnet ein relativ konstantes Niveau der Inanspruchnahme: Rund ein Fünftel waren im Quartal mindestens einmal hospitalisiert. Gleichwohl waren 2021 Pflegebedürftige im Pflegegrad 5 zu einem geringeren Anteil hospitalisiert (Tab. 15.3). Hinzuweisen ist wiederum darauf, dass die Inanspruchnahme im Vergleich zum Jahr 2020 leicht zurückgegangen ist.

15.3.3 Versorgung mit Arzneimitteln

Die Betrachtung der Arzneimittelversorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland berücksichtigt die von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten verordneten Medikamente. Die Analyse konzentriert sich dabei auf potenziell risikobehaftete Arzneimitteltherapien, welche die Gefahr unerwünschter Arzneimittelereignisse erhöhen können. Im Speziellen sind dies Kennzahlen zur gleichzeitigen Verordnung von mehreren Wirkstoffen (Polymedikation) und zur Versorgung mit für ältere Menschen potenziell ungeeigneten Wirkstoffen gemäß der sogenannten PRISCUS-Liste (s. u.). Ein vertiefender Blick widmet sich der Behandlung mit Psychopharmaka. Bei den Analysen werden die Arzneimittel nach Wirkstoffen unterschieden, wie sie im anatomisch-therapeutisch-chemischen (ATC-)Klassifikationssystem gegliedert sind. Das ATC System dient der Klassifikation von Arzneimitteln nach therapeutischen, pharmakologischen und chemischen Kriterien. Ausgenommen sind bei diesen Analysen die Wirkstoffe aus der anatomischen Gruppe V (Verschiedene).

Polymedikation nach Alter

Mit zunehmender Morbidität bzw. zunehmendem Alter steigt das Risiko einer Polymedikation. Die Betroffenen weisen dann eine Vielzahl verschiedener Wirkstoffverordnungen auf. Mit dieser Verdichtung der pharmakologischen Therapie geht die Zunahme von unerwünschten Wechselwirkungen dieser Wirkstoffe einher. Abb. 15.22 visualisiert, wie stark Pflegebedürftige im Vergleich zu Nicht-Pflegebedürftigen betroffen sind; denn knapp zwei Drittel der Pflegebedürftigen (60,1 %), jedoch lediglich 11 % der Nicht-Pflegebedürftigen erhielten in jedem Quartal des Jahres 2021 fünf oder mehr Wirkstoffe (siehe auch Abb. 15.23). Die höchste Wirkstoffrate findet sich bei den Pflegebedürftigen 70- bis 74-Jährigen: Hier wiesen rund ein Viertel (24,5 %) der Betroffenen zehn oder mehr Verordnungen unterschiedlicher Wirkstoffe pro Quartal auf. Dieser Wert war fast sechsmal so hoch wie bei den Nicht-Pflegebedürftigen der gleichen Altersgruppe (4,3 %; Abb. 15.22).

Verordnung nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform

Eine nach Schwere der Pflegebedürftigkeit differenzierte Betrachtung der Polymedikation (fünf Wirkstoffe) zeigt ein recht homogenes Bild. So schwankte der Anteil der polymedikamentös versorgten Pflegebedürftigen in Abhängigkeit vom Pflegegrad um die 60 % (Tab. 15.4) – ausgenommen der Pflegegrad 1; hier sind lediglich 55 % betroffen. Eine Variation der Polymedikationsrate zeigt sich jedoch in Tab. 15.4 zwischen den unterschiedlichen Versorgungsformen: Pflegebedürftige im häuslichen Setting ohne Einbindung von Pflegediensten (ausschließlich Pflegegeld) wiesen deutlich seltener Verordnungen von fünf und mehr Wirkstoffen auf als jene in anderen Versorgungsformen. In der vollstationären Pflege findet sich mit mehr als zwei Dritteln (69,7 %) der höchste Anteil an polymedikamentös Therapierten.
Tab. 15.4
Anteil der Pflegebedürftigen mit Polymedikation (Anzahl Wirkstoffe ≥ 5) nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
Pflegegrade
Pflegegeld
Sach- und Kombinationsleistung
Vollstationäre Pflege
Alle Pflegebedürftigen*
Pflegegrad 1
55,2
Pflegegrad 2
58,0
67,5
71,1
59,4
Pflegegrad 3
56,4
71,1
72,6
61,7
Pflegegrad 4
53,9
69,7
70,4
62,2
Pflegegrad 5
47,8
65,3
61,5
57,2
Alle Pflegegrade
56,8
69,0
69,7
59,8
*Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten, sind ausschließlich in dieser Kategorie enthalten
Pflege-Report 2023

PRISCUS-Wirkstoffe

Die mit dem Alter einhergehenden physiologischen Veränderungen haben Auswirkungen auf die Wirkung und Verstoffwechselung von Arzneistoffen. Ältere Patientinnen und Patienten sind aufgrund der veränderten Pharmakodynamik und -kinetik stärker von unerwünschten Effekten und Nebenwirkungen der Arzneimittel betroffen. Die nachfolgenden Untersuchungen betrachten die Wirkstoffe, die laut PRISCUS-Liste für ältere Menschen ab 65 Jahren als potenziell ungeeignet gelten (Holt et al. 2011).

PRISCUS-Verordnung nach Alter und Geschlecht

Die Analyse von verordneten PRISCUS-Arzneien zeigt auf, dass Pflegebedürftige diese deutlich häufiger verordnet bekommen als Nicht-Pflegebedürftige gleichen Alters. Etwas weniger als jede siebte pflegebedürftige Person (13,7 %) im Alter ab 65 Jahren erhielt 2021 mindestens einen Wirkstoff der PRISCUS-Liste (im Durchschnitt der Quartale). Bei den Nicht-Pflegebedürftigen ab 65 Jahren war dies etwas mehr als jede dreizehnte Person (7,2 %). Das Risiko hierfür sinkt bei Pflegebedürftigen mit zunehmendem Alter (Abb. 15.24). Bei Nicht-Pflegebedürftigen hingegen ist der Anstieg dieser Rate wesentlich schwächer ausgeprägt und variierte in den höchsten hier betrachteten Alterssegmenten mit einem Anteil um 8 % an PRISCUS-Verordnungsraten kaum noch. Die Spanne zwischen den Polymedikationsraten der Pflegebedürftigen und Nicht-Pflegebedürftigen verringert sich mit steigendem Alter sichtlich: Während die 65- bis 69-jährigen Pflegebedürftigen noch dreimal so häufig PRISCUS-Verordnungen erhielten wie die Nicht-Pflegedürftigen gleichen Alters, verblieben in der höchsten Altersgruppe der mindestens 90-Jährigen nur noch rund drei Prozentpunkte Unterschied zwischen Pflegebedürftigen und gleichaltriger Vergleichsgruppe (11,2 % versus 7,8 %; Abb. 15.24). Ferner zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern: Sowohl bei den Nicht-Pflegebedürftigen als auch bei den Pflegebedürftigen erhielten Frauen in allen Altersgruppen häufiger PRISCUS-Verordnungen als Männer. Dies korrespondiert damit, dass Frauen generell in bestimmten Altersgruppen mehr Arzneimittel als Männer verordnet bekommen (Schaufler und Telschow 2016).

PRISCUS-Verordnung nach Wirkstoffgruppen

Die nach Wirkstoffgruppen differenzierte Analyse des Einsatzes von PRISCUS-Wirkstoffen kennzeichnet die Psychopharmaka als mit Abstand häufigste verordnete Gruppe. Für 5 % der Pflegebedürftigen über 65 Jahre ließ sich im Durchschnitt der Quartale 2021 mindestens eine Verordnung von Psycholeptika und für 4 % von Psychoanaleptika feststellen – beide gelten als potenziell inadäquat bei älteren Menschen (Abb. 15.25).
Ein detaillierter Blick auf die Wirkstoffgruppe der Psycholeptika zeigt, dass 15 % der Pflegebedürftigen über 65 Jahre 2021 ein Antipsychotikum erhielten (Tab. 15.5). Von diesen verordneten Wirkstoffen ist jedoch lediglich 1 % in der PRISCUS-Liste aufgeführt; insgesamt 6 % der für 2021 beobachteten Antipsychotika-Verordnungen gelten dementsprechend als potenziell ungeeignet für die betagten Patientinnen und Patienten (siehe „Anteil mit PRISCUS Wirkstoff“). Anxiolytika (Beruhigungsmittel) sowie Hypnotika und Sedativa (Schlaf- und Beruhigungsmittel) hingegen werden insgesamt deutlich seltener verordnet. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Fall ein Arzneimittel mit PRISCUS-Wirkstoff zu erhalten, ist den Analysen zufolge jedoch sehr hoch: Mehr als ein Drittel (33,6 %) der Pflegebedürftigen über 65 Jahre mit einer Verordnung aus der Gruppe der Anxiolytika erhielt einen Arzneistoff der PRISCUS-Liste. Bei den Hypnotika und Sedativa traf dies sogar auf zwei Drittel (61,1 %) der Personen mit Verordnung zu. Unter den Psychoanaleptika haben die Antidepressiva die höchsten Verordnungsraten: Jeder fünfte (18,7 %) Pflegebedürftige im Alter von über 65 Jahren wies eine Verordnung eines Antidepressivums auf – wiederum rund jeder Fünfte (19,2 %) hiervon einen auf der PRISCUS-Liste aufgeführten Wirkstoff. Lediglich 5 % der Pflegebedürftigen erhielten ein Antidementivum; PRISCUS-Arzneimittel kommen hier nur selten vor (Tab. 15.5). Verordnungen von Psychostimulanzien sind kaum zu beobachten (0,2 %) – werden sie verordnet, findet sich jedoch nahezu jeder Wirkstoff auf der PRISCUS-Liste wieder. Bei den Nicht-Pflegebedürftigen sind die Verordnungsraten insgesamt auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Wird ein entsprechendes Mittel verordnet, ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Arzneimittel der PRISCUS-Liste handelt, höher.
Tab. 15.5
Anteil der Pflegebedürftigen ab 65 Jahre mit Verordnung von Psycholeptika bzw. Psychoanaleptika im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
 
Nicht-Pflegebedürftige
Pflegebedürftige
Wirkstoffgruppen
Alle Arzneimittel
PRISCUS-Wirkstoff
Anteil mit PRISCUS-Wirkstoff
Alle Arzneimittel
PRISCUS-Wirkstoff
Anteil mit PRISCUS-Wirkstoff
Antipsychotika (N05A)
1,4
0,1
6,7
15,3
0,8
5,5
Anxiolytika (N05B)
1,1
0,6
52,8
4,6
1,5
33,6
Hypnotika und Sedativa (N05C)
1,2
0,9
72,0
4,1
2,5
61,1
Homöopatische und Antroposophische Psycholeptika (N05H)
0,0
0,0
Antidepressiva (N06A)
6,6
1,9
29,1
18,7
3,6
19,2
Psychostimulanzien (N06B)
0,1
0,1
90,3
0,2
0,2
96,3
Psycholeptika und Psychoanaleptika in Kombination (N06C)
0,0
0,0
Antidementiva (N06D)
0,4
0,0
2,5
5,2
0,0
0,5
Pflege-Report 2023
Abb. 15.26 fasst die verordneten Psychopharmaka nochmals zusammen: Mehr als ein Drittel (33,2 %) der Pflegebedürftigen erhielten im Quartal mindestens ein Psycholeptikuma bzw. Psychoanaleptikuma, d. h. ein Antipsychotikum (N05A) oder Anxiolytikum (N05B) oder Hypnotikum und Sedativum (N05C) oder ein Antidepressivum (N06A). Bei den stationär Gepflegten traf dies mit 57 % auf deutlich über die Hälfte der Pflegeheimbewohnenden zu, während dieser Anteil bei Beziehenden von ausschließlich Pflegegeld nur etwas mehr als halb so groß war (26,5 %).

15.3.4 Versorgung mit Heilmittelleistungen

Heilmittel werden eingesetzt, um Beeinträchtigungen durch eine Krankheit abzumildern, eine Krankheit zu heilen bzw. ihr Fortschreiten aufzuhalten oder um einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes frühzeitig entgegenzuwirken. Bei erwachsenen Pflegebedürftigen können Heilmittelverordnungen helfen, die Selbstständigkeit in Teilbereichen so lange wie möglich zu erhalten. Im Durchschnitt der Quartale 2021 wurden 26 % der Pflegebedürftigen mit mindestens einer Behandlung versorgt (Tab. 15.6). Die mit großem Abstand häufigsten Heilmittelbehandlungen für Pflegebedürftige im Jahr 2021 entstammen dem Maßnahmenkatalog der Physiotherapie. Je Quartal waren im Mittel 21 % der Pflegebedürftigen in einer physiotherapeutischen Behandlung. Maßnahmen der Ergotherapie, Sprachtherapie sowie Podologie nahmen zwischen 2 % und 5 % der Pflegegebedürftigen in Anspruch, wobei Männer ergo- und sprachtherapeutische Interventionen häufiger beanspruchten als Frauen. Die jeweilige Therapieintensität – gemessen in Behandlungen je Patientin/Patient – unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern nur marginal (Tab. 15.6).
Tab. 15.6
Verordnungshäufigkeit nach Heilmittel-Leistungsbereichen im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
 
Anteil an Pflegebedürftigen mit mind. einer Verordnung
Anzahl Behandlungen je Patientin/Patient
Frauen
Männer
Gesamt
Frauen
Männer
Gesamt
Physiotherapie
22,4
18,5
20,9
15,4
16,0
15,6
Podologie
2,7
2,8
2,7
6,9
6,8
6,8
Sprachtherapie
1,4
2,8
2,0
13,8
13,5
13,6
Ergotherapie
4,2
5,6
4,8
13,8
13,8
13,8
Gesamt
26,7
24,1
25,7
14,5
14,4
14,4
Pflege-Report 2023
Abb. 15.27 zeigt die Verteilung nach Pflegebedürftigen sowie Nicht-Pflegebedürftigen ausgehend von den in Anspruch genommenen Heilmittelbehandlungen durch die Versicherten insgesamt im Jahr 2021. Mehr als ein Viertel aller physiotherapeutischen Behandlungen (30,2 %) waren demnach Bestandteil der Therapie von Pflegebedürftigen. Bei der Ergotherapie wurde mehr als die Hälfte (55,3 %) der Behandlungen von Pflegebedürftigen durchlaufen. Auch mehr als ein Drittel der Versicherten (41,8 %), die 2021 Maßnahmen der Podologie oder der Sprachtherapie in Anspruch nahmen, waren Pflegebedürftige.

Inanspruchnahme physiotherapeutischer Behandlungen nach Altersgruppen und Geschlecht

In der Physiotherapie stehen eine Vielzahl von Maßnahmen wie Manuelle Therapie, Massagetechniken, Sensomotorische Aktivierung und verschiedene Formen der Heilgymnastik zur Verfügung. Das Ziel physiotherapeutischer Maßnahmen sind die Förderung, Erhaltung oder Wiederherstellung der Beweglichkeit und Funktionalität des Muskel- und Skelettapparats und häufig auch die Schmerzreduktion. Jeder fünfte Pflegebedürftige (20,9 %) erhielt im Mittel der vier Quartale 2021 Physiotherapie (Tab. 15.6). Gemäß Abb. 15.28 ist der Anteil der physiotherapeutischen Patienten bei den weiblichen Pflegebedürftigen in jeder Altersgruppe höher als bei den männlichen. Die Nicht-Pflegebedürftigen erhalten insgesamt deutlich weniger Physiotherapie verordnet. Auch hier überwiegt der Anteil der Frauen mit Verordnungen gegenüber dem der Männer.

Inanspruchnahme physiotherapeutischer Behandlungen nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform

Die Verordnung von Physiotherapie entwickelt sich erwartungsgemäß entlang der sich in Pflegebedürftigkeit äußernden körperlichen Einschränkungen. Vom Pflegegrad 1 und 2 (16,1 % und 18,8 %) bis zum Pflegegrad 5 (29,7 %) nimmt der Anteil der Pflegebedürftigen mit physiotherapeutischer Unterstützung kontinuierlich zu (Tab. 15.7). Ausnahme ist hier die vollstationäre Pflege: Hier blieb dieser Anteil auf relativ konstantem Niveau. Die Analyse der Pflegesettings zeigt darüber hinaus, dass Pflegebedürftige mit ambulanten Sach- oder Kombinationsleistungen mit 27 % überdurchschnittlich häufig diese Intervention in Anspruch nehmen.
Tab. 15.7
Pflegebedürftige mit mindestens einer Physiotherapie-Behandlung nach Pflegegrad und Versorgungsform im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
Pflegegrade
Pflegegeld
Sach- und Kombinationsleistung
Vollstationäre Pflege
Alle Pflegebedürftigen*
Pflegegrad 1
16,1
Pflegegrad 2
18,3
21,8
21,3
18,8
Pflegegrad 3
19,6
27,4
24,3
22,2
Pflegegrad 4
22,0
33,4
23,9
25,2
Pflegegrad 5
29,9
41,7
23,9
29,7
Alle Pflegegrade
19,4
26,8
23,6
20,9
*Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten, sind ausschließlich in dieser Kategorie enthalten
Pflege-Report 2023

Inanspruchnahme ergotherapeutischer Behandlungen nach Altersgruppen und Geschlecht

Die Ergotherapie umfasst motorisch-funktionelle, psychisch-funktionelle und sensomotorisch-perzeptive Therapien sowie das sogenannte Hirnleistungstraining. Ziel der ergotherapeutischen Maßnahmen ist die Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen und der Selbstversorgung bzw. deren Wiederherstellung. Bei Kindern kommt Ergotherapie u. a. bei motorischen Entwicklungsstörungen (UEMF) zum Einsatz, bei Erwachsenen stehen rehabilitative Maßnahmen nach Stürzen, Operationen und schweren Unfällen im Vordergrund, bei älteren Menschen wird sie primär bei Vorliegen demenzieller Syndrome oder zur palliativen Versorgung verordnet. Abb. 15.29 unterstreicht, dass nur ein marginaler Anteil der Nicht-Pflegebedürftigen ergotherapeutische Leistungen in Anspruch nimmt. Eine Ausnahme bildet die Gruppe der Kinder und Jugendlichen (0–19 Jahre): 1 % der nicht-pflegebedürftigen Jungen und Mädchen ließen sich im Jahr 2021 auf diese Weise behandeln. Demgegenüber erhielten rund 12 % der Pflegebedürftigen im gleichen Alterssegment eine Ergotherapie. Dieser Anteil sinkt mit steigendem Alter kontinuierlich bei beiden Geschlechtern.

Inanspruchnahme ergotherapeutischer Behandlungen nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform

Betrachtet man die Inanspruchnahme der Ergotherapie wiederum differenziert nach Versorgungsbereichen, so wird deutlich, dass der Anteil der Ergotherapie-Patientinnen und -Patienten mit der Schwere der Pflegebedürftigkeit zunimmt. Auch hier zeigt die Analyse, dass Pflegebedürftige mit ambulanten Sach- oder Kombinationsleistungen etwas häufiger eine ergotherapeutische Behandlung erhalten (6,5 %) als Beziehende von ausschließlich Pflegegeld (4,5 %) und auch als vollstationär Gepflegte (5,9 %; Tab. 15.8).
Tab. 15.8
Pflegebedürftige mit mindestens einer Ergotherapie-Behandlung nach Pflegegrad und Versorgungsform im Durchschnitt der Quartale, in % (2021). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten [Amtliche Statistik KM 6 2021])
Pflegegrade
Pflegegeld
Sach- und Kombinationsleistung
Vollstationäre Pflege
Alle Pflegebedürftigen*
Pflegegrad 1
1,9
Pflegegrad 2
3,1
3,2
3,0
3,2
Pflegegrad 3
5,4
6,6
5,1
5,6
Pflegegrad 4
7,3
10,9
6,7
7,9
Pflegegrad 5
9,7
17,5
8,4
10,7
Alle Pflegegrade
4,5
6,5
5,9
4,8
*Pflegebedürftige, die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI erhalten, sind ausschließlich in dieser Kategorie enthalten
Pflege-Report 2023

Diagnosen und physiotherapeutische sowie ergotherapeutische Behandlungen bei Pflegebedürftigen und Nicht-Pflegebedürftigen

Abb. 15.30 gibt einen Überblick über die zehn häufigsten Diagnosen in der Physiotherapie und Ergotherapie bei Pflegebedürftigen und Nicht-Pflegebedürftigen. Für ein Drittel (31,5 %) der nicht-pflegebedürftigen Physiotherapie-Patientinnen und Patienten waren „Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens“ (ICD-10: M50–M54) der Anlass für die Behandlung. Bei Pflegebedürftigen waren „Zerebrale Lähmungen und sonstige Lähmungssyndrome“ (ICD-10: G80–G83) der häufigste Grund für eine ergotherapeutische Behandlung (21,0 %), während Symptome, die das Nervensystem und das Muskel-Skelett-System betreffen, die häufigste Diagnose für Physiotherapie war (8,3 %). Knapp ein Viertel der nicht-pflegebedürftigen Patientinnen und -Patienten wurde aufgrund von Entwicklungsstörungen (ICD-10: F80–F89) ergotherapeutisch betreut (23,3 %).
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Literatur
Zurück zum Zitat Kohl R, Jürchott K, Hering C, Gangnus A, Kuhlmey A, Schwinger A (2021) Covid-19-Betroffenheit in der vollstationären Langzeitpflege. In: Jacobs K, Greß S, Kuhlmey A, Klauber J, Schwinger A (Hrsg) Pflege-Report 2021. Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen. Springer, Berlin, Heidelberg, S 3–20CrossRef Kohl R, Jürchott K, Hering C, Gangnus A, Kuhlmey A, Schwinger A (2021) Covid-19-Betroffenheit in der vollstationären Langzeitpflege. In: Jacobs K, Greß S, Kuhlmey A, Klauber J, Schwinger A (Hrsg) Pflege-Report 2021. Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen. Springer, Berlin, Heidelberg, S 3–20CrossRef
Zurück zum Zitat Matzk S, Tsiasioti C, Behrendt S, Jürchott K, Schwinger A (2022) Pflegebedürftigkeit in Deutschland. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A (Hrsg) Pflege-Report 2022: Spezielle Versorgungslagen in der Langzeitpflege. Springer, Berlin Heidelberg, S 251–286CrossRef Matzk S, Tsiasioti C, Behrendt S, Jürchott K, Schwinger A (2022) Pflegebedürftigkeit in Deutschland. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A (Hrsg) Pflege-Report 2022: Spezielle Versorgungslagen in der Langzeitpflege. Springer, Berlin Heidelberg, S 251–286CrossRef
Zurück zum Zitat Schaufler J, Telschow C (2016) Arzneimittelverordnungen nach Alter und Geschlecht. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg) Arzneiverordnungs-Report 2016. Springer, Berlin Heidelberg Schaufler J, Telschow C (2016) Arzneimittelverordnungen nach Alter und Geschlecht. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg) Arzneiverordnungs-Report 2016. Springer, Berlin Heidelberg
Metadaten
Titel
Pflegebedürftigkeit in Deutschland
verfasst von
Sören Matzk
Chrysanthi Tsiasioti
Susann Behrendt
Dr. Kathrin Jürchott
Felipe Argüello Guerra
Dr. Antje Schwinger
Copyright-Jahr
2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-67669-1_15