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Erschienen in: Die Dermatologie 8/2022

09.06.2022 | Chronische Prurigo | Leitthema

Neuigkeiten aus der aktuellen Leitlinie zu chronischem Pruritus

verfasst von: Prof. Dr. med. Martin Metz, Prof. Dr. med. Ulrike Raap

Erschienen in: Die Dermatologie | Ausgabe 8/2022

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Zusammenfassung

Nach wie vor stellt der chronische Pruritus eine große Herausforderung für den behandelnden Arzt und den Patienten dar, da der chronische Pruritus zumeist ein schwer behandelbares Symptom verschiedener Erkrankungen darstellt. In diesem Artikel fassen wir die neuesten Änderungen der aktuellen Leitlinie zum chronischen Pruritus zusammen und geben praktische Tipps zur Erfassung und Therapie.
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Hintergrund

Etwa jeder 5. Mensch in Deutschland leidet an chronischem Pruritus (CP; [1]). Wenn CP nicht effektiv behandelt wird, kann dieser bei vielen Betroffenen zu einem erheblichen Leidensdruck und zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen [2]. In manchen Fällen von CP sind die Ursachen offensichtlich und können gezielt diagnostisch und therapeutisch angegangen werden, in anderen sind die Zusammenhänge weniger deutlich und damit auch die Herangehensweisen in Diagnostik und Therapie schwieriger. Die nationalen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus erleichtern dabei Ärztinnen und Ärzten, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, und helfen, die von CP Betroffenen optimal zu behandeln. Die überarbeitete und aktualisierte Version der deutschen Leitlinie ist nun verfügbar [3] und Änderungen gegenüber der früheren Version, aber auch bewährtes Gleichgebliebenes, sollen hier vorgestellt werden.

Allgemeines

Die Herausforderungen in der Diagnostik und Therapie von Pruritus liegen insbesondere darin, dass Pruritus aus den unterschiedlichsten Gründen entsteht und es dann durch verschiedene und zum Teil unbekannte Mechanismen zur Chronifizierung kommen kann. Aus diesem Grund befasst sich die Leitlinie zum CP mit dem Symptom Pruritus unabhängig von der Grunderkrankung und stellt das Vorgehen zusammenfassend für CP unterschiedlicher Genese und unklarer Ursache einschließlich der chronischen Prurigo dar.
Grundsätzlich wird bei CP eine interdisziplinäre Versorgung empfohlen
Grundsätzlich wird in der Leitlinie daher empfohlen, die Versorgung von Patient:innen mit CP interdisziplinär, insbesondere hinsichtlich Diagnostik und Therapie der Grunderkrankungen und des Therapie- und Nebenwirkungsmanagements durchzuführen. Für die Klassifikation des Pruritus ist die Einteilung anhand der IFSI(International Forum for the Study of Itch)-Klassifikation unter Bezugnahme zu den klinischen Subtypen hilfreich (Abb. 1).

Diagnostik des chronischen Pruritus

In den Empfehlungen zur Diagnostik haben sich in den neuen Leitlinien keine Änderungen gegenüber der vorherigen Version ergeben. Weiterhin empfiehlt die Leitlinie eine gründliche allgemeine und spezielle Anamnese inklusive klinischer Prurituscharakteristika, die zur Identifikation von Differenzialdiagnosen beitragen kann. Dies beinhaltet u. a. konkrete Fragen zum Pruritus, z. B. zu Dauer, Lokalisation, Intensität, Qualität und Kratzverhalten, allgemeine anamnestische Aspekte, wie Vorerkrankungen, Medikamentenanamnese, Allergien, und Screeningfragen auf Angst- und Depressionsstörungen.
Relevant für die Überprüfung der Therapieeffektivität ist die Dokumentation der Pruritusintensität
Ein wichtiger und insbesondere auch für die Überprüfung der Effektivität einer Therapie bedeutsamer Aspekt ist die Erfassung und Dokumentation der Pruritusintensität. Hierzu empfiehlt die Leitlinie weiterhin zur regelmäßigen Erfassung des Symptomes eine visuelle Analogskala (VAS) oder eine numerische oder verbale Ratingskala (NRS, VRS). Im klinischen Alltag hat sich dabei insbesondere die NRS bewährt bei der Patient:innen gebeten werden einen Wert auf einer Skala von 0 (kein Pruritus) bis 10 (maximal vorstellbarer Pruritus) anzugeben.
Nicht alle Patient:innen mit einem CP bedürfen einer laborchemischen und/oder apparativen Diagnostik. Wenn sich durch die Anamnese und klinische Untersuchung Hinweise auf das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung ergeben, sollten die jeweils notwendigen und sinnvollen Untersuchungen bezüglich dieser Erkrankungen erfolgen, z. B. die Durchführung einer Hautbiopsie oder die Umsetzung eines verdächtigen Medikamentes. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, wird in der neuen Leitlinie eine Stufendiagnostik empfohlen, die sich einerseits an der Häufigkeit der zu Pruritus führenden Erkrankungen und andererseits auch an der Sensitivität und Spezifität der jeweiligen für diese Erkrankungen verfügbaren Untersuchungen orientiert [3], und u. a. Differenzialblutbild, Entzündungs‑, Nieren- und Leberwerte beinhaltet (Tab. 1).
Tab. 1
Leitlinienempfehlungen zur laborchemischen Diagnostik bei chronischem Pruritus unklarer Genese
Basisuntersuchungen
Labordiagnostik
Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C‑reaktives Protein (CRP)
Blutbild mit Differenzialblutbild, Ferritin
Bilirubin, Transaminasen (GPT [ALAT], GOT [ASAT]), γ‑Glutamyl-Transpeptidase (GGT), alkalische Phosphatase
Kreatinin, Harnstoff, errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), K+, Urin (Streifentest)
Blutzucker nüchtern
Laktatdehydrogenase (LDH)
Thyroidea-stimulierendes Hormon (TSH)
Bei primären oder sekundären Hautveränderungen ggf. ...:
Bakteriologische/mykologische Abstriche
Hautbiopsie (Histologie, direkte Immunfluoreszenz, Elektronenmikroskopie)
Skabiesmilben-Nachweis
Pruritus in der Schwangerschaft:
Bei auffälligem Hautbefund: dermatologische Untersuchung zum Ausschluss polymorphe Eruption der Schwangerschaft (PEP), Pemphigoid gestationis
Bei unauffälligem Hautbefund: Basislabordiagnostik (s. oben) plus Gallensäuren (nüchtern)
Mögliche weitere Untersuchungen
Bei analem Pruritus: Parasiten, Wurmeier, digital-rektale Untersuchung, PSA
Bei aquagenem und genitalem Pruritus, Pruritus unklarer Genese: Laktose‑/Sorbit-Intoleranztest
Bei Blutbildveränderungen/V. a. lymphoproliferative Erkrankungen: Vitamin B12, Folsäure, Eiweißelektrophorese, Immunfixation, JAK2-Status, ggf. KM-Punktion mit (Immun‑)Zytologie und Histologie
Bei Eisenmangel/Stuhlunregelmäßigkeiten: Stuhluntersuchung auf okkultes Blut
Bei pathologischen Leberwerten: Hepatitisserologie, Gallensäuren, antimitochondriale Antikörper (AMA), perinukleäre antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (pANCA), antinukleäre Antikörper (ANA), glatte Muskulatur-Antikörper (SMA), lösliches Leberantigen-Antikörper (SLA), Liver-Kidney-mikrosomale Antikörper (LKM), Gewebstransglutaminase-AK, α‑Fetoprotein (bei Leberzirrhose/hepatischer Raumforderung)
Bei pathologischer Nüchternglukose: HBA1c, Glukosetoleranztest
Bei primären oder sekundären Hautveränderungen: direkte und indirekte Immunfluoreszenz, Autoantikörper gegen BP-180, -230, Desmoglein
Bei V. a. Allergie: Gesamt-IgE, ggf. spezifische IgE, Prick-Testung, Epikutantestung
Bei V. a. endokrine Erkrankungen: Parathormon, Phosphat, Ca2+, fT3, fT4, 25-OH-Cholecalciferol, TSH-Rezeptor-AK (TRAK), Thyreoperoxidase-AK (TPO-AK)
Bei V. a. HIV: HIV-Serologie, ggf. Lues-Serologie
Bei V. a. Mastozytose: Tryptase
Bei V. a. neuroendokrine Tumoren: Chromogranin A
ALAT Alanin-Aminotransferase, ASAT Aspartat-Aminotransferase, Ca Kalzium, GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase, GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase, HIV humanes Immundefizienzvirus, Ig Immunglobulin(e), JAK Januskinase, KM Kontrastmittel, PSA prostataspezifisches Antigen, V. a. Verdacht auf

Therapie

Die Therapie des CP soll nach Leitlinie individuell unter Berücksichtigung von Alter, bestehenden Erkrankungen und Medikationen, Schwere der Symptomatik bezüglich Dauer, Qualität oder Intensität des Pruritus, Einschränkungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfolgen [3]. Generell sollten jedoch alle Patient:innen mit CP Informationen über allgemeine prurituslindernde Maßnahmen, wie z. B. die Vermeidung von irritierenden und austrocknenden Faktoren und die Verwendung einer rückfettenden Basistherapie, erhalten, es sollten eine Diagnostik und ggf. Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung erfolgen und eine kombinierte oder konsekutive stufenweise, symptomatische Therapie eingeleitet werden. Die Leitlinie benennt in Abhängigkeit der Ursache des CP verschiedene evidenzbasierte Therapieempfehlungen. Von besonderer Bedeutung für den klinischen Alltag sind dabei die Empfehlungen für die Therapie des CP unklarer Genese, bei der kleinere Änderungen in der Aktualisierung der neuen Leitlinie vorgenommen wurden (Tab. 2). Auf Besonderheiten in der Therapie bei CP im Zusammenhang mit internistischen Erkrankungen [3] und bei chronischer Prurigo [4] wird an anderer Stelle detailliert eingegangen.
Tab. 2
Therapieempfehlungen der Leitlinie bei chronischem Pruritus unklarer Genese
Therapieoption 1. Wahl
H1-Antihistaminika, ggf. Hochdosisb, oder
Gabapentina bis 3600 mg/Tagb bzw. Pregabalina bis 600 mg/Tagb
Therapieoption 2. Wahl
Paroxetina 20 mg/Tag
Therapieoption 3. Wahl
Mirtazapina 15 mg abends
Therapieoption 4. Wahl
UVB 311 nm Therapiea
Therapieoption 5. Wahl
Naloxon (1,6 mg/h für 4 h, i.v.) oder Naltrexon (50–150 mg/Tag oral)
Die Medikamente können ggf. in Kombination miteinander eingesetzt werden
aOff-label-use
bBei älteren Patienten/innen und eingeschränkter Nierenfunktion Dosis anpassen

Fazit für die Praxis

  • Die aktualisierte deutsche Leitlinie zu Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus (CP) ist seit März 2022 auf den Seiten der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) verfügbar (AWMF-Register-Nr.: 013-048).
  • Eine pruritusspezifische Anamnese und Dokumentation der Pruritusintensität, z. B. durch eine numerische Ratingskala (NRS, 0–10), sollte bei allen Betroffenen erfolgen.
  • Eine laborchemische Basisdiagnostik mit Differenzialblutbild, Entzündungsparametern, Leber- und Nierenwerten, Glukose, LDH (Laktatdehydrogenase) und TSH („thyroid stimulating hormone“) kann für die diagnostische Einordnung und weitere Therapieplanung hilfreich sein.
  • Die Therapie des CP sollte so früh wie möglich begonnen werden, um die Entwicklung von Chronifizierungsmechanismen zu vermeiden. In schwerwiegenden Fällen ist meistens eine multimodale Therapie, d. h. die Kombination einer topischen mit einer systemischen Therapie, notwendig.
  • Nichtsedierende Antihistaminika und Gabapentinoide sind Therapien der ersten Wahl bei chronischem Pruritus unklarer Genese.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Metz und U. Raap geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

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Metadaten
Titel
Neuigkeiten aus der aktuellen Leitlinie zu chronischem Pruritus
verfasst von
Prof. Dr. med. Martin Metz
Prof. Dr. med. Ulrike Raap
Publikationsdatum
09.06.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Dermatologie / Ausgabe 8/2022
Print ISSN: 2731-7005
Elektronische ISSN: 2731-7013
DOI
https://doi.org/10.1007/s00105-022-05015-3

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