Die Bereitstellung von maßgeschneiderten Informationen sowie von risikomodifizierenden und bedarfsorientierten Angeboten ist ein zentraler Bestandteil im Rahmen der Implementierung von SCP. Angesichts der Vielzahl körperlicher und psychosozialer Risiken und Beeinträchtigungen stellen die Erfassung und Beurteilung individueller Risikokonstellationen eine Herausforderung dar. Auch vor dem Hintergrund der Kosteneffizienz angesichts der steigenden Prävalenz von Krebserkrankungen bei einer älter werdenden Bevölkerung nehmen die Förderung der Gesundheitskompetenz, des Selbstmanagements und digitale Versorgungskonzepte eine zunehmend wichtige Rolle ein.
SCP sind bislang überwiegend informationsbasiert und enthalten in der Regel Informationen zur Krebsart, zu onkologischen Therapien und deren potenziellen Langzeit- und Spätfolgen, Informationen über die medizinische Nachsorgeplanung, die Rehabilitation, die psychosozialen Unterstützungsmöglichkeiten (u. a. Krebsberatung) sowie zu Empfehlungen bezüglich einer gesunden Lebensführung. Wie die Evidenzlage zur Effektivität von SCP zeigt, sind Informationen zwar eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung, sie reichen aber bei Weitem nicht aus, um patientenrelevante Endpunkte zu verbessern, d. h. die Lebensqualität zu erhalten bzw. zu steigern und die Morbidität und Mortalität zu verringern. Notwendig scheinen eine Risikostratifizierung auf der Grundlage epidemiologischer Daten und eine bedarfsgerechte Planung der SCP-Inhalte im Sinne einer individualisierten Survivorship-Care-Planung, weiterhin die gezielte, aktive Förderung von Gesundheits- und Selbstmanagementkompetenzen [
35].
Risikostratifizierung
Für die Implementierung von SCP sind die Bewertung sowohl des individuellen Risikos für potenzielle negative medizinische und psychosoziale Folgen als auch die Berücksichtigung patientenseitiger Unterstützungsbedürfnisse erforderlich. Neben der eigentlichen Risikobewertung sind auch die Einschätzung verfügbarer wirksamer Interventionen sowie die gesundheitsökonomischen Auswirkungen relevant [
35]. Watson und Kollegen [
35] schlugen folgende Aspekte vor, die in eine Risikobewertung einfließen könnten:
1.
körperliche Gesundheit: Wiederauftreten der Krebserkrankung, Zweittumoren, körperliche Langzeit- und Spätfolgen, Auswirkungen auf Komorbiditäten und Mortalität,
2.
psychische Gesundheit: Depressivität, erhöhte Angst (einschließlich Progredienzangst), psychosexuelle Probleme, Lebensqualität,
3.
soziale Aspekte: finanzielle Probleme, Arbeit/Beruf, Aus‑/Fort‑/Weiterbildung, zwischenmenschliche Probleme und soziale Interaktionen, Behinderung.
Eine Herausforderung stellt allerdings die Risikostratifizierung selbst dar, da für die Mehrzahl der genannten Bereiche epidemiologische Daten fehlen und die Langzeit- und Spätfolgen darüber hinaus umfassend und komplex sind. Darüber hinaus stellt die valide Erfassung spezifischer Risikokonstellationen in einem alltagstauglichen Screening eine weitere Hürde dar, zumal sowohl Risiken als auch patientenseitige Bedürfnisse im Verlauf der Krebserkrankung bzw. in der Survivorship-Phase variieren dürften. Denkbar wäre z. B. ein Kerninstrument, das zum einen die für die meisten Krebsarten relevanten Risiken abdeckt, zum anderen typische psychosoziale Belastungen erfasst. Ein solches Kerninstrument könnte durch krebsartspezifische oder patientengruppenspezifische (z. B. geriatrische) Informationen nach Bedarf erweitert werden, die dann in die Nachsorgestrategie in Kooperation mit dem Patienten eingehen.
Watson und Kollegen [
35] schlagen die Zeit nach der Diagnose vor Beginn der Primärbehandlung als ersten Zeitpunkt für eine Risikostratifizierung auf der Grundlage des (zu erwartenden) Nebenwirkungsprofils und psychosozialer Aspekte vor. Weitere Zeitpunkte wären der Abschluss der Primärbehandlung, 6 und 12 Monate nach Primärbehandlung sowie jährliche Folgescreenings. Die Risikostratifizierung wird durch eine Bedarfserfassung ergänzt bzw. zwischenzeitlich ersetzt.
Entsprechend dem individuellen Risiko und den patientenseitigen Unterstützungsbedürfnissen stehen bei niedrigem (körperlichen und psychosozialem) Risiko und geringen Unterstützungsbedürfnissen Information und Selbstmanagement im Vordergrund. Patienten mit einem mittleren Risiko erhalten neben Informationen eine engmaschigere SCP-Versorgung und Patienten mit einem hohen Risiko eine komplexe Versorgung durch spezialisierte Dienste [
35]. Wie dies für spezifische SCP konkret ausgestaltet werden kann, sollte im Rahmen von Ansätzen der Versorgungsforschung untersucht werden. Eine Koordination der Versorgung zwischen akutstationären, rehabilitativen und ambulanten (u. a. onkologischen, hausärztlichen, psychosozialen) Angeboten ist dabei von hoher Relevanz.
Selbstmanagement- und (digitale) Gesundheitskompetenz
Ein zentrales Ziel von SCP ist die Verbesserung des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements. Dabei sollen Patienten in die Lage versetzt werden, möglichst selbstständig mit ihrer Erkrankung und den Krankheitsfolgen umzugehen. Dazu gehören Ressourcenaktivierung und Selbststeuerung, der Erwerb effektiver Problemlösestrategien sowie die Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten [
36,
37]. So nehmen im Rahmen von SCP Selbstmanagementansätze, die diese „Hilfe zur Selbsthilfe“ fördern und als zentrale Zielkriterien definieren, einen wichtigen Stellenwert ein [
18]. Studien zeigen positive Effekte der Förderung von Selbstmanagementstrategien im Rahmen von SCP auf die psychische Belastung [
38], die Qualität der Studien ist insgesamt aber begrenzt und der Forschungsbedarf hoch [
39].
Eine wichtige Voraussetzung des Selbstmanagements ist die Gesundheitskompetenz, d. h. das Wissen, die Motivation und das Ausmaß, in dem ein Mensch in der Lage ist, relevante Gesundheitsinformationen und -dienste zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um angemessene Gesundheitsentscheidungen zu treffen, die die Lebensqualität erhalten oder verbessern [
40]. Im Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz [
41] wurde die besondere Relevanz der Förderung von Gesundheitskompetenz bei Patienten mit chronischen Erkrankungen betont. Dass Gesundheitskompetenz positiv mit gesundheitsförderlichem Verhalten sowie mit selbstberichteter psychischer und körperlicher Gesundheit in Zusammenhang steht, wurde bereits bei nichtonkologischen Patientengruppen vielfach gezeigt [
42,
43]. Gesundheitskompetenz scheint sich aber auch positiv auf die Wirksamkeit von E‑Health-Angeboten zur Verbesserung der Selbstmanagementkompetenzen bei Krebspatienten auszuwirken [
44].
Im Zuge der technologischen Entwicklungen schließt Selbstmanagement immer mehr auch digitale Angebote mit ein. Digitale Gesundheitstechnologien wie die Anwendung von tragbaren Sensoren, Applikationen (Apps), sozialen Medien und Technologien zur Standortbestimmung ermöglichen die Erfassung und Nutzung von Daten, die für die Diagnosestellung, Prävention und Behandlung von Krankheiten wie für das individuelle Wohlbefinden von Patienten hohe Relevanz haben [
45]. Digitale Gesundheitsangebote, darunter Videokonsultationen, elektronische Visiten oder digitale Patientenportale sind mit zunehmender Geschwindigkeit verfügbar und haben an Popularität gewonnen, da sie verschiedene Vorteile für Patienten bieten. Dazu gehören (a) ein besserer und zeitnaher Zugang zu evidenzbasierten gesundheitsrelevanten Informationen, (b) eine erhöhte Adhärenz/Compliance zum Beispiel durch Erinnerungen an die Einnahme von Medikamenten oder Arztterminen, (c) die schnellere und zeitnahe Messung von körperlichen und psychischen Symptomen und des Befindens, (d) ein besseres Verständnis über individuelle Reaktionen und Verläufe von Symptomen und des Befindens, (e) eine frühzeitige Initiierung von individuellen Strategien zur Aufrechterhaltung des Gesundheitsverhaltens sowie (f) die Versorgung in einem frühen bzw. früheren Stadium im Krankheitsverlauf [
45]. Verfügbare Daten und grafische Darstellungen des subjektiven Zustands können die Patientenerfahrung validieren und dazu beitragen, die Zusammenarbeit mit Gesundheitsdienstleistern in der Survivorship-Phase zu verbessern. Darüber hinaus haben mobile Gesundheitsanwendungen das Potenzial, soziale und gesundheitliche Ungleichheiten zum Beispiel zwischen der urbanen und der ländlichen Bevölkerung zu verringern, wobei Letztere zuweilen unterversorgt ist [
45].
Auch wenn digitale Gesundheitsangebote verschiedene Vorteile bieten, sind die förderlichen Faktoren sowie die Barrieren der Nutzung dieser Angebote noch nicht vollständig verstanden. Ernsting und Kollegen [
46] untersuchten in einer bevölkerungsbasierten Studie die Zusammenhänge zwischen demografischen und gesundheitsbezogenen Faktoren, häufigen chronischen Erkrankungen und dem Gesundheitsverhalten bei der Nutzung digitaler Gesundheitsangebote. Die Ergebnisse deuten auf signifikante altersbedingte, sozioökonomische und gesundheitliche Einflüsse im Nutzungsverhalten hin. Die Vorteile der Anwendung digitaler Gesundheitstechnologien scheinen dabei insbesondere mit der digitalen Gesundheitskompetenz in Zusammenhang zu stehen [
46], ein Ergebnis, das in anderen Studien bestätigt wurde [
45]. Digitale Gesundheitskompetenz (E-Health Literacy) wird dabei definiert als die „Fähigkeit zum Suchen, Finden, Verstehen und Bewerten von Gesundheitsinformationen auf der Grundlage digitaler Quellen und das gewonnene Wissen so anzuwenden, um gesundheitliche Herausforderung zu adressieren und Probleme zu lösen“ [
47,
48].