Einleitung
Säulen der Psychotherapieausbildung und notwendige Kompetenzorientierung
Interventionskompetenzen in der psychodynamischen Psychotherapie
Vermittlung psychotherapeutischer Kompetenzen in der Ausbildung psychodynamischer Psychotherapie
Studien zur Arbeit mit Peer-Rollenspielen und standardisierten Patienten
Zielsetzung der vorliegenden Arbeit
Methoden
Setting
Methodisches Vorgehen: Curriculumsentwicklung nach Kern
Ergebnisse und Umsetzung
A Problemdefinition und allgemeine Bedarfsanalyse
B Bedarfsanalyse der Zielgruppe
C Definition der Lern- und Prüfungsziele
Ausbildungsjahrgang/Thema | Modul | Interventionen | Lernziele/Kompetenzen (Beispiel) |
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Jahr 1/HJ 1 bis Jahr 4/HJ 4 | I–VIII | Allgemeine Interventionskompetenzen | Der Therapeut formuliert die Intervention an einer stimmigen Stelle im therapeutischen Gespräch klar, deutlich und flüssig, höflich und taktvoll, in einer Weise, die für den Patienten in seiner „Welt“ und Sprache inhaltlich gut nachvollziehbar ist |
Jahr 1/HJ 1 Basisinterventionen im Kontext von Übertragung und Gegenübertragung | I | Spiegeln | Beispiel Konfrontieren: Der Therapeut erkennt und benennt Widersprüche, indem er diskrepantes Material gegenüberstellt, das der Patient offenbar nicht als widersprüchlich wahrnimmt oder gar nicht wahrnimmt |
Klären | |||
Konfrontieren | |||
Jahr 1/HJ 2 Strukturbezogene Interventionen | II | Sich „hinter den Patienten stellen“ | Der Therapeut erkennt strukturelle Defizite des Patienten, die bei dem aktuell in der Therapie behandelten Thema relevant sind; er ist in der Lage, eine entsprechend hilfreiche strukturbezogene therapeutische Position einzunehmen und diese adäquat zu verbalisieren |
Sich „neben den Patienten stellen“ | |||
Sich „dem Patienten gegenüberstellen“ | |||
Jahr 2/HJ 1 Mentalisierungsbezogene Interventionen | III | MBT-Grundhaltung | Der Therapeut zeigt dem Patienten gegenüber eine empathisch-wertschätzende, nicht-wissend neugierige, aktiv-balancierende und das Mentalisieren verstärkende Grundhaltung |
Affekte fokussieren und empathisch validieren | |||
Alternative Perspektiven eröffnen | |||
Jahr 2/HJ 2 Abwehr- und Widerstandsdeutung | IV | Abwehrdeutung | Der Therapeut erkennt verbale oder behaviorale Formen der Abwehr oder des Widerstands beim Patienten, er kann die Deutung an einem Dringlichkeitspunkt anbringen/verbalisieren/platzieren; er gibt die Abwehr- oder/Widerstandsdeutung in einer behutsamen und für den Patienten gesichtswahrenden Art und Weise |
Widerstandsdeutung | |||
Jahr 3/HJ 1 Übertragungsdeutung | V | Übertragungsdeutung | Der Therapeut kann die Wiederholung (Reinszenierung) von für den Patienten typischen Beziehungsgestaltungsmustern in der therapeutischen Beziehung erkennen und benennen; er gibt die Deutung an einem Dringlichkeitspunkt; er differenziert zwischen der ursprünglichen und der aktuellen Beziehungserfahrung |
Jahr 3/HJ 2 Umgang mit Brüchen in der Psychotherapie („rupture repair“) | VI | Umgang und Reparatur von Brüchen in der therapeutischen Arbeitsbeziehung | Der Therapeut kann einen mit Rückzug einhergehenden Bruch identifizieren, diesen benennen und angemessen auf den Rückzug reagieren |
Jahr 4/HJ 1 Arbeit an dysfunktionalen Beziehungsmustern | VII | Wahrnehmung und Differenzierung dysfunktionaler Beziehungsmuster | Der Therapeut ist in der Lage, dysfunktionale Muster in Beziehungsepisoden des Patienten unter Berücksichtigung des eigenen Erlebens in der therapeutischen Beziehung zu erkennen und diese auf passenden Interventionsebenen zu adressieren |
Jahr 4/HJ 2 Arbeit am therapeutischen Fokus | VIII | Formulierung eines therapeutischen Fokus | Der Therapeut ist in der Lage, eine geeignete Fokusformulierung zu entwickeln und mit dem Patienten zu besprechen; er kann im Verlauf der Therapie die therapeutische Arbeit nach dem Fokus ausrichten; er kann zwischen freier Gesprächsentwicklung und Fokusbezug balancieren |
Halten eines therapeutischen Fokus |
D Lernstrategien
Herr S., 40-jähriger lediger Architekt, nahm im Rahmen einer depressiven Episode eine ambulante psychotherapeutische Behandlung auf | |
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Beschwerden | Niedergeschlagenheit, Freud- und Interesselosigkeit, sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit. innere Unruhe und Versagensängste; Durchschlafstörungen und morgendliches Früherwachen |
Aktuelle Auslöser | Als Architekt sei er bislang nur planerisch tätig gewesen, durch eine Vertretungssituation nun jedoch gezwungen, eine Bauleitung zu übernehmen. Auf der Baustelle sei es zu Auseinandersetzungen mit den Handwerkern gekommen. Er habe sich zwischen den widersprüchlichen Interessen des Bauherrn und der Dienstleister aufgerieben. Krankschreibung vor 3 Monaten |
Biografie | Seine Mutter (+26 Jahre; Friseurin) habe 4 Kinder geboren, alle Geschwister seien Frühgeburten gewesen und verstorben. Er habe es als einziger im Brutkasten „geschafft“. Trennung seiner Eltern im 4. Lebensjahr. Er sei bei den Großeltern väterlicherseits und beim Vater (+26 Jahre; Druckereimeister) aufgewachsen. Die Mutter habe er 14-tägig am Wochenende besucht. Nach erneuter Heirat des Vaters in seinem 8. Lebensjahr habe er mit ihm, der Stiefmutter und 3 jüngeren Stiefgeschwistern unter einem Dach gelebt. Er habe sich „zu keiner Familie richtig zugehörig“ gefühlt. In seiner ersten Psychotherapie während des Studiums sei der Wunsch nach Kontakt zur Mutter aufgekommen, was das Verhältnis zum Vater belastet habe. Seine Mutter habe versucht, ihn in ihre neue Familie zu integrieren. Im Kontakt mit ihr seien Engegefühle entstanden, weshalb er sich wieder distanziert habe. Bis heute bestünde der Wunsch nach einem besseren Verhältnis zu ihr; aktuell gebe es keinen Kontakt. Während der Schulzeit habe er unter Versagens- und Prüfungsängsten gelitten. Sein Architekturstudium habe er zeitweise für ein Zahnmedizinstudium unterbrochen. Das Ende des Architekturstudiums habe er sehr genossen, da er seine Leidenschaft zur Häuserplanung entdeckt habe. Bei solch kreativen Tätigkeiten habe er sich stets sehr lebendig gefühlt. Anschließend habe er in einem Architekturbüro von einem seiner ehemaligen Professoren, einer „Vaterfigur“ für ihn, gearbeitet. Nach dessen Ausscheiden Tätigkeit in verschiedenen Architekturbüros, zuletzt sei er von einem renommierten Architekten abgeworben worden |
Soziale Situation | Sein aktueller Chef habe auch eine „väterliche Funktion“ für ihn. Eine Teilhaberschaft an der Firma sei bereits in die Wege geleitet worden. Nach seinem mehrwöchigen Arbeitsausfall befinde er sich aktuell in einem Wiedereingliederungsverfahren. Letzte Partnerschaft vor 11 Jahren. Vergangenes Jahr habe er sich zu einer verheirateten „Bauherrin“ hingezogen gefühlt, wobei diese ebenfalls seine Nähe gesucht habe. Zu einer Beziehung oder sexuellen Kontakten sei es jedoch nicht gekommen. Die erste „richtige Beziehung“ für 1,5 Jahre habe er im Alter von 18 Jahren gehabt, was eine „intensive Erfahrung“ gewesen sei. Jedoch habe er das Gefühl gehabt, weder „mit ihr noch ohne sie leben zu können“. Vor 2 Monaten habe es eine neue Bekanntschaft gegeben, die sich wieder verlaufen habe. Er pflege freundschaftliche Kontakte, auch zu Personen aus einer zurückliegenden Gruppentherapie |
Krankengeschichte | Anamnestisch weiter bekannt: Z. n. Tonsillektomie, beidseitiger Astigmatismus, Migräne mit Aura. Aktuelle Medikation: Amitriptylin (Saroten®) 25 mg (0-0-1) zur Schlafregulation. Psychotherapeutische Vorerfahrung: Zu Beginn des Studiums psychotherapeutische ambulante Einzeltherapie über ca. 20 Sitzungen; im Verlauf des Studiums 2,5 Jahre Gruppenpsychotherapie bei 2 Therapeuten |
Psychischer Befund | Herr S. kleidet sich unauffällig, imponiert angepasst und unsicher. Im Kontakt dominiert der Leitaffekt der Melancholie. Er wirkt gequält bei dem Versuch zu erspüren, was seine „eigenen“ Affekte sind. In der Gegenübertragung löst er Interesse und Sympathie aus. Die Arbeit mit ihm ist aufgrund seiner schnellen Auffassungsgabe und selbstreflexiven Kompetenzen anregend. Abwehrmechanismen sind Idealisierung, Rationalisierung, Verdrängung und Selbstentwertung |
Psychodynamische Einordnung | Es bestehen ein ödipaler Konflikt im passiven Modus sowie eine narzisstische Tönung auf dem Boden einer depressiv-masochistischen Persönlichkeitsstruktur. Nach OPD liegt ein mäßig integriertes Strukturniveau vor, mit Schwierigkeiten in der Affektdifferenzierung, Selbstwertregulation und Kommunikation nach innen. Sein Beziehungsverhalten ist durch das Bemühen gekennzeichnet, den Erwartungen des Gegenübers gerecht zu werden, um dem (fantasierten) Objektverlust zuvorzukommen. Zeitgleich wird die quälende Unsicherheit, möglicherweise nicht zu genügen, deutlich spürbar. Dieses Empfinden mündet in den Versuch, das Gegenüber unter keinen Umständen zu verlieren und hierfür nötigenfalls alles zu opfern. Beim Versagen dieses Kompensationsversuchs kommt es zum depressiven Einbruch |
E Implementierung
Mittwoch | 20.00–20.20 Uhr | Begrüßung und Ablauf (Plenum) |
20.20–21.00 Uhr | Prä-Assessment: Erfassung der Ausgangskompetenzen, Selbsteinschätzung | |
Videografiertes Rollenspiel der ATN mit SP | ||
Selbstreflexion in Fragebogen und Freitext | ||
21.00–22.00 Uhr | Theoretischer Input und Lernen am Modell (Kleingruppe) | |
Vortrag des Modulleiters | ||
Rollenspiel des Modulleiters mit SP vor dem Plenum | ||
Freitag | 18.30–21.30 Uhr | Übung: videografierte Peer-Rollenspiele (Kleingruppe) |
Spielen „eigener“ Fälle aus klinischer Arbeit der ATN | ||
ATN nehmen je Rolle des Therapeuten/Patienten/Feedbackgebers ein | ||
Selbstreflexion des Spiels am Video, zeitgleich Erarbeitung des Gruppenfeedbacks | ||
7 min Spiel, 7 min Reflexion, 15 min Gruppenfeedback | ||
Samstag | 09.30–14.00 Uhr | Übung: videografierte Rollenspiele mit SP (Kleingruppe) |
SP verkörpert 7 Sitzungsszenen über den Therapieverlauf | ||
ATN nehmen je Rolle des Therapeuten/Feedbackgebers ein | ||
Selbstreflexion des Spiels am Video, zeitgleich Erarbeitung des Gruppenfeedbacks | ||
7 min Spiel, 7 min Reflexion, 15 min Gruppenfeedback | ||
14.00–15.00 Uhr | Post-Assessment: Erfassung der Kompetenzentwicklung, Selbsteinschätzung | |
Videografiertes Rollenspiel der ATN mit SP | ||
Selbstreflexion in Fragebogen und Freitext | ||
15.00–15.30 Uhr | Offene Fragen und Resümee (Plenum) |
(Standardisierter) Patient | Vergangene Woche standen Sie bei ihrem Psychotherapeuten vor verschlossener Türe. Als Sie bei ihm anriefen, hörten Sie auf dem Anrufbeantworter, dass er diese Woche im Urlaub sei. Sie können sich jedoch nicht erinnern, dass er dies im Vorfeld mit Ihnen besprochen hätte. Insgesamt war das sehr ungünstig für Sie, da Sie dringenden Gesprächsbedarf verspürten. In der heutigen Sitzung sprechen Sie dies nun an, allerdings sehr vorsichtig und ohne jeglichen Ärger zu zeigen; außerdem nehmen Sie die Schuld direkt auf sich selbst, wahrscheinlich sei Ihnen diese Information einfach entgangen. Sie begrüßen ihn mit den Worten: „Heute sind Sie also da.“ Bitte schweigen Sie im Anschluss und warten Sie eine Intervention Ihres Therapeuten ab |
Therapeut | Sie erwarten Herrn S. zur 35. Sitzung Ihrer ambulanten Einzelpsychotherapie, nachdem Sie eine Woche im Urlaub waren. Herr S. erscheint völlig entgegen seiner Gepflogenheiten 5 Minuten zu spät zur Stunde. Er wirkt auf Sie vordergründig freundlich, gleichzeitig jedoch unter Druck, meidet direkten Blickkontakt. Ihr Patient wird das Gespräch eröffnen. Bitte reagieren Sie darauf und greifen insbesondere auf die Interventionstechnik des Konfrontierens zurück. Das Gespräch soll einen Therapieausschnitt von 7 Minuten repräsentieren |
×
| Vignette wird vorgelesen |
Rollenspiel mit SP beginnt | |
Gruppe beobachtet | |
Ende des Rollenspiels nach 7 min | |
×
| Therapeut schaut Video; Gruppe sammelt Feedback |
Intervention wird bezüglich Inhalt, sprachlicher Umsetzung, Patienten- und Situationsbezogenheit sowie Interventionsmanagement eingeschätzt | |
×
| Therapeut schildert seinen Eindruck, fragt die Gruppe nach spezifischen Rückmeldungen |
Strukturiertes Feedback des SP | |
Strukturiertes Feedback der Gruppe | |
Feedback und Zusammenfassung des Dozenten |
F Evaluation
Diskussion und Ausblick
Fazit
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Das vorgestellte DYNAMIK-Curriculum stellt die Konzeption und Implementierung eines in die aktuelle Ausbildung von psychologischen Psychotherapeuten integrierten longitudinalen Curriculums zur Vermittlung psychodynamischer Interventionskompetenzen dar.
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Der konzeptuelle Ansatz oder einzelne Bestandteile hiervon eignen sich auch für die Integration in das zukünftige „Psychotherapiestudium“, die zukünftige Weiterbildung, institutsübergreifende Initiativen oder als einzelne Kursangebote an Ausbildungsinstituten.
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Es zeigt sich, dass solch eine longitudinale Verankerung möglich und umsetzbar ist. Herausforderungen sind im hohen personellen Aufwand, der v. a. der Kleingruppenarbeit geschuldet ist, und dem kostenintensiven Einsatz der standardisierten Patienten zu sehen.
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Zudem impliziert die Vermittlung psychotherapeutischer Interventionskompetenzen auch deren praktische Prüfung, die ebenfalls eines hohen Maßes an Logistik und finanzieller Aufwendungen bedarf.
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Zukünftige Forschungsfragen betreffen die Transferleistung der Lernerfahrungen eines solchen Curriculums in die Ausbildungstherapien und deren Einfluss auf das „Outcome“ dieser Therapien.