Skip to main content
Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 1/2023

09.11.2022 | Neu gelesen

Stavros Mentzos (1993) Der Krieg und seine psychosoziale Funktion

verfasst von: Mag. Dr. phil. Thomas Pröll

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 1/2023

Einloggen, um Zugang zu erhalten

Auszug

Im Zuge der Rückkehr des Krieges nach Europa durch den Überfall Russlands auf die Ukraine scheint es mir besonders lohnend, Mentzos’ Überlegungen zum Krieg wieder aufzugreifen. Zum Ersten geht es ihm darum, die menschliche Aggressionsneigung nicht auf einen Aggressions- oder Destruktionstrieb zurückzuführen, sondern als eine Reaktion auf die verhinderte Befriedigung narzisstischer und libidinöser Bedürfnisse – mithilfe der Mobilisierung aggressiver Affekte – zu verstehen. Des Weiteren konzentrieren sich seine Gedanken auf die psychosozialen Funktionen des Krieges, ohne dabei politisch-ökonomische Aspekte unerwähnt zu lassen. Im Rahmen seiner Überlegungen zur menschlichen Kriegsneigung diskutiert Mentzos aber durchaus auch Gesichtspunkte einer phylogenetischen Verankerung von Aggression unter Bezugnahme auf Theorien von Freud, Lorenz, Eibl-Eibesfeldt, de Waal und anderen und stellt seine Positionen zur psychosozialen, vornehmlich narzisstischen Funktion des Krieges dazu und diesen gegenüber. Das Buch endet mit Betrachtungen zu den Möglichkeiten einer Einhegung resp. Überwindung des Krieges, Erwägungen, welche er an verschiedenen Stellen einfließen ließ. …
Fußnoten
1
Mentzos (1994, S. 71) erkannte in der Aggression „ein eminent wichtiges, universelles, aber letztlich sekundäres Phänomen“.
 
2
Bischof (2012) kommt das Verdienst zu, auf die Vielgestaltigkeit der Aggression hinzuweisen. Dabei unterscheidet er hinsichtlich der Reaktivität von Aggression vier Formen: den sog. Trennungsprotest gegen das unliebsame Entziehen eines Bindungsobjekts, das Gegenteil davon, also die Feindschaft aufgrund der unerwünschten Nähe desselben, die Angriffsbereitschaft in lebensbedrohlicher Situation sowie die Destruktivität aus Langeweile.
 
3
Mentzos (1994, S. 34) zitiert an dieser Stelle de Waal, der davon spricht, dass die Welt durch Unterordnung erst geformt wurde.
 
4
Mentzos (1994, S. 193) bezieht sich dabei auf die Forschungen von Volkan, der von einem dringenden Bedürfnis des Menschen nach Alliierten und Feinden spricht.
 
5
De Waal (2008, S. 39) betont, dass Empathie und Reziprozität – wenn auch keineswegs als die alleinigen – so doch als wichtigste Bausteine von Moralität und Humanität anzusehen sind.
 
6
Dabei werden vitale Gruppenängste anvisiert sowie lustvoll apokalyptische Fantasien allzu naher Infernos bespielt.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Bischof N (2012) Moral. Ihre Natur, ihre Dynamik und ihr Schatten. Böhlau, Wien, Köln, WeimarCrossRef Bischof N (2012) Moral. Ihre Natur, ihre Dynamik und ihr Schatten. Böhlau, Wien, Köln, WeimarCrossRef
Zurück zum Zitat Breithaupt F (2017) Die dunkle Seiten der Empathie. Suhrkamp, Berlin Breithaupt F (2017) Die dunkle Seiten der Empathie. Suhrkamp, Berlin
Zurück zum Zitat De Waal F (2008) Primaten und Philosophen. Hanser, München De Waal F (2008) Primaten und Philosophen. Hanser, München
Zurück zum Zitat Eibl-Eibesfeldt I (1997) Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Seehamer, Weyarn Eibl-Eibesfeldt I (1997) Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Seehamer, Weyarn
Zurück zum Zitat Freud S (1920g) Jenseits des Lustprinzips. GW, Bd. XIII, S 1–69 Freud S (1920g) Jenseits des Lustprinzips. GW, Bd. XIII, S 1–69
Zurück zum Zitat Freud S (1933b) Warum Krieg? GW, Bd. XVI, S 1–27 Freud S (1933b) Warum Krieg? GW, Bd. XVI, S 1–27
Zurück zum Zitat Girard R (1999) Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Hanser, München Wien Girard R (1999) Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Hanser, München Wien
Zurück zum Zitat Lempa G, Juckel G (2016) Nachruf auf Prof. Dr. Stavros Mentzos (1930–2015). Nervenarzt 2016(3):319–320CrossRef Lempa G, Juckel G (2016) Nachruf auf Prof. Dr. Stavros Mentzos (1930–2015). Nervenarzt 2016(3):319–320CrossRef
Zurück zum Zitat Lorenz K (1963) Das sogenannte Böse. Dr. G. Borotha-Schoeler, Wien Lorenz K (1963) Das sogenannte Böse. Dr. G. Borotha-Schoeler, Wien
Zurück zum Zitat Marcuse H (1969) Aggressivität in der gegenwärtigen Industriegesellschaft. In: Marcus H, Rapoport A, Horn K et al (Hrsg) Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main Marcuse H (1969) Aggressivität in der gegenwärtigen Industriegesellschaft. In: Marcus H, Rapoport A, Horn K et al (Hrsg) Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Zurück zum Zitat Mentzos S (1984) Neurotische Konfliktbearbeitung. Fischer, Frankfurt am Main Mentzos S (1984) Neurotische Konfliktbearbeitung. Fischer, Frankfurt am Main
Zurück zum Zitat Mentzos S (1994) Der Krieg und seine psychosozialen Funktionen. Fischer, Frankfurt am Main ([1993]) Mentzos S (1994) Der Krieg und seine psychosozialen Funktionen. Fischer, Frankfurt am Main ([1993])
Zurück zum Zitat Mentzos S (2009) Lehrbuch der Psychodynamik. Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Mentzos S (2009) Lehrbuch der Psychodynamik. Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Zurück zum Zitat Schmidt-Salomon M (2012) Jenseits von Gut und Böse. Piper, München Schmidt-Salomon M (2012) Jenseits von Gut und Böse. Piper, München
Metadaten
Titel
Stavros Mentzos (1993) Der Krieg und seine psychosoziale Funktion
verfasst von
Mag. Dr. phil. Thomas Pröll
Publikationsdatum
09.11.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-022-00490-9

Weitere Artikel der Ausgabe 1/2023

Forum der Psychoanalyse 1/2023 Zur Ausgabe

SCHWERPUNKT: GESCHLECHTSIDENTITÄT IM UMBRUCH

Jenseits des Binären

SCHWERPUNKT: GESCHLECHTSIDENTITÄT IM UMBRUCH

52 Jahre Erfahrungen mit Transidentität

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

23.04.2024 Demenz Nachrichten

Wenn Demenzkranke aufgrund von Symptomen wie Agitation oder Aggressivität mit Antipsychotika behandelt werden, sind damit offenbar noch mehr Risiken verbunden als bislang angenommen.

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe

Bislang gibt es kein Medikament zur Prävention von Wochenbettdepressionen. Das Injektionsanästhetikum Esketamin könnte womöglich diese Lücke füllen.

„Psychotherapie ist auch bei sehr alten Menschen hochwirksam!“

22.04.2024 DGIM 2024 Kongressbericht

Die Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie gilt als effektivster Ansatz bei Depressionen. Das ist bei betagten Menschen nicht anders, trotz Besonderheiten.

Auf diese Krankheiten bei Geflüchteten sollten Sie vorbereitet sein

22.04.2024 DGIM 2024 Nachrichten

Um Menschen nach der Flucht aus einem Krisengebiet bestmöglich medizinisch betreuen zu können, ist es gut zu wissen, welche Erkrankungen im jeweiligen Herkunftsland häufig sind. Dabei hilft eine Internetseite der CDC (Centers for Disease Control and Prevention).