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22.02.2024 | Typ-2-Diabetes | Nachrichten

Komplikationen bei Diabetes

Diabetische Hand: leicht zu erkennen, oft übersehen

verfasst von: Dr. med. Bianca Bach

Diabetischer Fuß, klar. Aber diabetische Hand? Mit hartnäckigen Ulzera hat das nichts zu tun. Aber mit Nervenkompression, Triggerfingern, Morbus Dupuytren – und vielleicht mit einer Rhizarthrose.

Wie wichtig es ist, bei Menschen mit Diabetes mellitus (DM) immer auch die Füße anzusehen, wurde so oft gepredigt, dass es inzwischen jeder begriffen haben sollte. Die Hände hingegen werden regelmäßig vergessen, obwohl sie – außer vielleicht an kalten Wintertagen – in der Regel nicht von Kleidungsstücken verhüllt sind.

Tatsächlich sind Typ-1- und Typ-2-DM Risikofaktoren für verschiedene Erkrankungen an der Hand. Diese reichen vom – noch am ehesten mit der Stoffwechselerkrankung in Zusammenhang gebrachten – Carpaltunnelsyndrom (CTS) bis zum schnellenden Finger. Hinzuzurechnen sind wohl auch die klinisch damit überlappenden Bewegungseinschränkungen, die früher als diabetische Cheiroarthropathie, diabetische Sklerodaktylie oder Syndrom der steifen Hand bezeichnet worden sind. Sie fallen heutzutage unter den Begriff Limited Joint Mobility Syndrom (LJMS).

Handveränderungen bei Diabetes

Wieder einmal ist es eine schwedische Registerstudie, die umfangreiche epidemiologische Daten zum Diabetische-Hand-Syndrom liefert (BMJ Open Diabetes Res Care 2022; 10:e002614). Darin wurden Diagnosen von 1,1 Millionen Einwohnern der südschwedischen Region Skåne aus den Jahren 2004 bis 2019 ausgewertet. Unter ihnen waren 50.000 Personen mit DM, die die Forschenden nach Geschlecht und DM-Typ stratifizierten. Fünf Handerkrankungen standen im Fokus: CTS, Sulcus-ulnaris-Syndrom (SUS), Triggerfinger, Dupuytren-Kontraktur und die Arthrose des ersten Carpometacarpalgelenks (CMC-1). Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Alle fünf Diagnosen waren bei DM beider Typen bei beiden Geschlechtern signifikant prävalenter als in der Population ohne DM.
  • Spitzenreiter war der Schnapp- oder Triggerfinger bei Frauen mit Typ-1-DM mit der achtfachen Häufigkeit gegenüber Nicht-Diabetikerinnen.
  • Bei beiden DM-Typen war die Zahl begleitender Handerkrankungen signifikant erhöht.
  • Die Zehn-Jahres-Inzidenz aller Hand-Diagnosen war bei Typ-1- und Typ-2-DM häufiger – nur bei Männern mit Typ-1-DM und Daumensattelgelenksarthrose verfehlte die Assoziation knapp das Signifikanz-Niveau.

Das CTS ist grundsätzlich das häufigste Nervenkompressionssyndrom der oberen Extremität und unter anderem auch mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Schilddrüsenfunktionsstörungen assoziiert. CTS und SUS, ein Engpasssyndrom des Nervus ulnaris am Ellbogen, kamen in der DM-Population drei- bis viermal häufiger vor als bei Nicht-Diabetikern.

Ansammlung von AGE und Kollagen

Warum genau das so ist, darüber wird noch spekuliert. „Pathologische strukturelle und biochemische Veränderungen im peripheren Nerven und dem umgebenden Gewebe aufgrund von DM und chronischer Hyperglykämie könnten die Schwelle für die Entwicklung von Symptomen bei Nervenkompression senken und somit die Prävalenzen des CTS und möglicherweise auch des SUS erhöhen“, so die Vermutung der Autoren. Vor allem Ablagerungen sogenannter „Advanced Glycation End Products“ (AGE) in Folge der chronischen Hyperglykämie und die Bildung von Kollagen-Crosslinks mit ausgedehnter Kollagenproduktion in Subkutangewebe, Muskeln, Haut und in der Umgebung von Sehnen und Gelenken scheinen eine Rolle zu spielen. Hinzu kommen profibrotische Wirkungen infolge der Mikroangiopathie mit chronischer unterschwelliger Ischämie. Die glykierten Eiweiße könnten die nervale Durchblutung stören; mikrovaskuläre Veränderungen und ödematöse Schwellungen der Nerven durch intrazelluläre Ablagerung hyperosmolarer Eiweiße tragen dazu bei. Zudem wurde in Nervenbiopsien bei Menschen mit Diabetes und CTS eine im Vergleich zu anderen CTS-Patienten geringere Nervenzelldichte nachgewiesen.

Den Sehnen wird es zu eng

AGE sind wohl auch an der Pathogenese des Morbus Dupuytren beteiligt, wo sie sich in der Palmaraponeurose ablagern. Beim Schnapp-, Trigger oder schnellenden Finger können sie zusammen mit Kollagenablagerungen zu einer Verdickung der Sehnenscheide und vor allem des A1-Ringbandes führen. Letzteres führt die Beugesehne knapp proximal des Metacarpophalangealgelenks in ihrem Verlauf nahe am Knochen. Ist das Sehnengleitgewebe verdickt, hakt die Sehne bei dem Versuch, den gebeugten Finger zu strecken. Sobald die Engstelle passiert ist, schnellt der Finger in die Zielposition.

Ob DM und Arthrose, in diesem Fall die CMC-1- oder Rhizarthrose, zusammenhängen, ist angesichts insgesamt widersprüchlicher Daten umstritten. Die Rhizarthrose kommt grundsätzlich häufig vor, gerade bei älteren Frauen, und es gibt auch eine Assoziation mit einem erhöhten Body-Mass-Index. Dieser wiederum begünstigt Typ-2-Diabetes und wird auch bei Typ-1-Diabetes immer häufiger beobachtet. Der BMI wurde in der schwedischen Studie nicht abgefragt. Letztlich erlaubt der retrospektive Charakter der Untersuchung ohnehin keine Rückschlüsse auf Kausalzusammenhänge.

Fehldiagnose Rheuma

Speziell nach dem „Limited Joint Mobility Syndrome“ (LJMS), das vor allem als Langzeit-Komplikation bei Jungen und Männern mit Typ-1-Diabetes mit einer medianen Krankheitsdauer ab zehn Jahren und schlechter Blutzuckerkontrolle vorkommt, fahndeten die Forscher und Forscherinnen in der Registerstudie nicht. Auch weil es hierfür keine spezifische Diagnose nach der „International Classification of Diseases“ (ICD) gibt. Im Ultraschall oder in der Kernspintomografie lassen sich zwar Gewebeverdickungen und mitunter Ödeme, zum Beispiel im Sehnengleitgewebe erkennen.

„Prayer“- oder „Namasté“-Zeichen

Die Diagnose stellen Mediziner in der Regel jedoch klinisch. Typisch sind das „Prayer“- oder das „Namasté“-Zeichen, bei denen die Patienten aufgrund von Beugekontrakturen in den kleinen Fingergelenken nicht mehr in der Lage sind, Handflächen und Finger flach aneinanderzulegen. Alternativ verwenden Untersuchende das „Table Top“-Zeichen und bitten die Patienten, ihre Hände flach auf den Tisch zu legen.

Die Haut ist bei der Cheiroarthropathie, besonders auf der Fingerrückseite, oft verdickt und erscheint wächsern. Das hat der Erkrankung auch den Namen diabetische Sklerodaktylie eingetragen – auch wenn Rheumalabor und Entzündungswerte in der Regel unauffällig sind und ein Raynaud-Syndrom fehlt.

Entscheidend ist die frühzeitige, bestmögliche Einstellung des Diabetes. Symptomatisch helfen Physiotherapie, Dehnübungen und gegebenenfalls Hilfsmittel, wie Schienen. Eine Operation wäre die Ultima ratio bei hohem Leidensdruck und erheblichen funktionellen Einschränkungen im Alltag. Meist beginnen die Kontrakturen auf der Kleinfingerseite der Hand und schreiten nach radial fort.

Aus den Händen lesen

Bedeutung haben die Befunde an der Hand aber auch als Indikator der Vorgänge in anderen Organen. So ist bei diabetischer Cheiroarthropathie das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen dreifach erhöht, besonders oft haben die Patienten zugleich eine Retinopathie (JCEM Case Rep. 2023; 13: luad068). Zudem scheinen die fibroproliferativen Veränderungen an den Händen bei diabetischer Hand und Cheiroarthropathie sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes mit deutlichen fibrotischen Veränderungen vornehmlich an Herz und Nieren, aber auch in Lunge, Leber und Fettgewebe einherzugehen. Die Neigung zur Multiorganfibrose ist pathophysiologisch am ehesten durch ein systemisches Zusammenwirken von AGE, Mikrovaskulopathie, Hypoxie und chronischer Entzündung bei DM zu erklären. Außerdem gibt es Hinweise für eine genetische Prädisposition zur Fibrose.


3-fach erhöht ist das Risiko mikrovaskulärer Komplikationen (etwa Retinopathie), wenn bei einem Menschen eine diabetische Cheiroarthropathie vorliegt.


Fibrotische Veränderungen an den Händen wären ein perfekter Biomarker, glaubt ein Team um den Rheumatologen Dr. Sanat Phatak vom King Edward Memorial Hospital Research Centre in Pune (Indien). „Wenn sie systematisch validiert wäre, könnte die klinische Handuntersuchung ein kostengünstiger, universell zugänglicher und leicht reproduzierbarer Schritt sein, um Patienten für klinische Studien zur Fibrose bei Diabetes auszuwählen“, so ihre Einschätzung (Front Clin Diabetes Healthc. 2023; 4: 1198782).

Fingerzeig in Richtung Therapie

Fibrosen tragen zur Morbidität und Mortalität bei chronischen Erkrankungen bei. Abgesehen von Nintedanib und Pirfenidon, die nur außerhalb der Diabetologie bei Lungenfibrosen angewendet werden, fehlen antifibrotische Therapien. Bei Diabetes mellitus setzen Mediziner vornehmlich auf engmaschige Blutzuckerkontrolle. Manche Antidiabetika dürften antifibrotische Begleiteffekte haben, etwa SGLT-2-Inhibitoren, wie Empagliflozin oder Dapagliflozin, der DPP4-Blocker Linagliptin und Hemmer des Renin-Angiotensin-Systems. Pathophysiologisch macht es auch Sinn, AGE abzufangen oder antiinflammatorisch zu behandeln. Mangels hinreichender Evidenz oder auch wegen Sicherheitsbedenken gibt es hier aber noch keine Empfehlungen.

Es lässt sich nicht von der Hand weisen: Diabetes wird häufiger. Entsprechend ist in Zukunft auch mit mehr Komplikationen an den Händen zu rechnen. Da nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass die Patienten und Patientinnen Probleme mit den Händen von selbst in der Sprechstunde zur Sprache bringen, ist es sinnvoll, sie gezielt darauf anzusprechen und die Hände zu untersuchen – als Teil des ärztlichen Handwerks.

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Quelle: Ärzte Zeitung

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