Ein als Neuroprotektivum zur Therapie bei ischämischem Schlaganfall entwickelter neuartiger Wirkstoff hat sich in einer Pilotstudie als sehr vielversprechend erwiesen: Er reduzierte nicht nur das Infarktvolumen sowie Behinderungen, sondern auch die Mortalität.
Der zur Klasse der Aptamere zählende Wirkstoff ApTOLL ist ein einsträngiges DNA-Molekül, das als Antagonist an den Toll-like Receptor 4 (TLR4) bindet und diesen inhibiert. Dadurch sollen über diesen Rezeptor vermittelte entzündliche Reaktionen als Folge akuter Ischämien etwa im Gehirn unterbunden und so der Gewebeschädigung entgegengewirkt werden. In tierexperimentellen Studien hat ApTOLL bereits neuroprotektive Wirkungen bei akutem Schlaganfall gezeigt. In einer „First-in-Human“-Studie hat sich der neue Wirkstoff zudem als sicher anwendbar erwiesen.
Bei der International Stroke Conference 2023 in Dallas hat Dr Marc Ribó vom Hospital Vall d’Hebron, Barcelona, jetzt gemeinsam mit Dr Macarena Hernández, Forschungsleiter beim ApTOLL entwickelnden Unternehmen aptaTargets, die – überraschend positiven – Ergebnisse der randomisierten Phase-Ib/IIa-Studie APRIL präsentiert.
Positive Ergebnisse für die höhere ApTOLL-Dosierung
An der an Zentren in Spanien (n=11) und Frankreich (n=3) durchgeführten Studie waren 139 Patientinnen und Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall (large vessel occlusion) beteiligt, die alle zur Revaskularisation innerhalb von sechs Stunden nach Symptombeginn einer mechanischen Thrombektomie unterzogen worden waren. Bei Bedarf konnte zusätzlich eine fibrinolytische Therapie (tPA) zum Einsatz kommen. Additiv zur Standardtherapie erhielten die Studienteilnehmer eine intravenöse Therapie mit ApTOLL in den Dosierungen 0,05 mg/kg (n=42) oder 0,2 mg/kg (n=42) oder mit Placebo (n=55).
Primär ging es darum, die Sicherheit von ApTOLL anhand von vier Endpunkten – Tod, symptomatische Hirnblutung, maligner bzw. rezidivierender Schlaganfall – zu bewerten. Sekundäre Wirksamkeitsendpunkte waren das finale Infarktvolumen in der MRT-Bildgebung nach 72 Stunden sowie Veränderungen bezüglich des NIHSS-Scores (US National Institutes of Health Stroke Scale) und des modifizierten Rankin Scale (mRS)-Scores nach 90 Tagen.
Signifikant niedrigere Mortalität nach 90 Tagen
In der niedrigeren 0,05-mg/kg-Dosierung resultieren für ApTOLL keine nennenswerten Unterschiede im Vergleich zu Placebo. Ganz anders die Ergebnisse für die höhere 0,2 mg/kg-Dosierung: In der damit behandelten Gruppe war die Mortalität nach 90 Tagen mit 4,8% vs. 18,2% signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (0,05-mg/kg-Dosisgruppe: 26,2%). Diese deutliche Mortalitätsreduktion durch ApTOLL ging mit keiner signifikanten Zunahme von intrakraniellen Blutungen einher, deren Raten 4,8% (höhere Dosis), 7,1% (niedrigere Dosis) und 7,3% (Placebo) betrugen.
Hirnödeme traten in ApTOLL-Gruppe bei Raten von 2,4% (höhere Dosis), 4,8% (niedrigere Dosis) numerisch seltener auf als in der Placebo-Gruppe (7,3%). Dagegen waren die Raten für Rezidiv-Schlaganfälle oder TIA-Episoden mit 7,1% (höhere Dosis), 4,8% (niedrigere Dosis) numerisch häufiger als im Fall der Placebo-Behandlung (3,7%).
Kleineres Infarktvolumen nach 72 Stunden
Bei vergleichbaren Ausgangswerten war das nach 72 Stunden gemessene Infarktvolumen in der mit 0,2 mg/kg ApTOLL behandelten Gruppe signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (p=0,0434). Auch im Hinblick auf den NIHSS-Score waren die Ergebnisse in der mit der höheren ApTOLL-Dosierung behandelten Gruppe nach 72 Stunden signifikant besser als in der Placebo-Gruppe (p=0,0127).
Und auch die Wahrscheinlichkeit für einen Shift des mRS-Scores in Richtung geringere Behinderung war nach 90 Tagen in der entsprechenden ApTOLL-Dosis-Gruppe signifikant höher als nach Placebo-Gabe (Odds Ratio: 2,61). Der Anteil der Patienten, die weitgehend frei von Behinderungen (mRS 0-2) waren, betrug zu diesem Zeitpunkt in beiden Gruppen 64% vs. 47%.
Noch ist Bestätigung in größerer Studie erforderlich
Nach Ansicht von Studienleiter Ribó ist APRIL wahrscheinlich die erste Studie zur Prüfung eines neuroprotektiven Therapieansatzes überhaupt, die ein positives Ergebnis bezüglich des primären Studienendpunkts – in diesem Fall ist das die Sicherheit – vorweisen kann. Auf diesem Feld habe es zuvor viele Enttäuschungen gegeben. Ribó schließt nicht aus, dass durch die heute bestehende Möglichkeit einer frühen Revaskularisation durch mechanische Thrombektomie die Voraussetzungen dafür, die Wirkung von Neuroprotektiva zur Geltung zur bringen, verbessert worden sind.
APRIL ist aber noch kein definitiver Beleg für den klinischen Nutzen von ApTOLL. Beeindruckende Ergebnisse kleiner Studien sind bekanntlich mit Vorsicht zu bewerten. Jetzt wird es darauf ankommen, ob sich die in der APRIL- Studie gezeigten positiven Effekte in einer größeren Phase-III-Studie reproduzieren lassen. In zwei weiteren Phase-II-Studie soll ApTOLL nun auch in der präklinischen Anwendung schon im Notarztwagen bei Patienten mit vermutetem Schlaganfall sowie bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt klinisch geprüft werden.